Wenn Ent­lar­ven schei­tert

Durch die Dis­kus­sio­nen um die Be­set­zung der Fern­seh­run­den vor den Land­tags­wah­len in Rhein­land-Pfalz und Ba­den-Würt­tem­berg wur­de wie­der­holt die For­de­rung laut, die rechts­po­pu­li­stisch agi(ti)erende AfD trotz al­ler Be­den­ken zu­zu­las­sen, um sie und ih­re Ideo­lo­gie zu ent­zau­bern. Da­bei wur­de kaum be­rück­sich­tigt, dass ei­ne Diskussions­sendung, in der meh­re­re Par­tei­en ih­re Wahl­pro­gram­me in po­pu­lä­rer Form und dis­kur­siv vor­stel­len, ein sol­cher »Ent­lar­vungs­dis­kurs« nicht prak­ti­ka­bel ist, weil die Kon­zen­tra­ti­on auf ein Wahl­pro­gramm nicht der Zweck der Sen­dung sein kann.

In den po­li­ti­schen Talk­show­for­ma­ten der öf­fent­lich-recht­li­chen Sen­der wird der »Ent­lar­vungs­dis­kurs« zu­wei­len durch­aus ver­sucht. Der Pro­to­typ der »Entlarvungs«-Talkshow fand al­ler­dings im deut­schen Pri­vat­fern­se­hen am 5. Fe­bru­ar 2000 in der ntv-Sen­dung »Talk in Ber­lin« statt. Erich Böh­me (ehe­ma­li­ger »Spiegel«-Chefredakteur) hat­te dort den Vor­sit­zen­den der öster­rei­chi­schen FPÖ, Jörg Hai­der, zu Gast.1 Hai­der war zum da­ma­li­gen Zeit­punkt Lan­des­haupt­mann (Mi­ni­ster­prä­si­dent) von Kärn­ten. Im Bund wur­de Öster­reich in ei­ner so­ge­nann­ten schwarz-blau­en Ko­ali­ti­on aus ÖVP und FPÖ re­giert. For­mal war Hai­der an die­ser Re­gie­rung nicht be­tei­ligt. Tat­säch­lich war er aber da­mals auf dem Hö­he­punkt sei­ner Macht und dürf­te maß­geb­lich die Strip­pen bei den Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen ge­zo­gen ha­ben.

Die schwarz-blaue Re­gie­rung in Öster­reich rief in­ter­na­tio­na­le Pro­te­ste her­vor. Die FPÖ war un­ter Hai­ders Vor­sitz von ei­ner li­be­ral-kon­ser­va­ti­ven in ei­ne rechts­extre­me Par­tei ver­wan­delt wor­den. Ein­zel­ne Aus­sa­gen von FPÖ-Po­li­ti­kern und auch von Hai­der sel­ber rie­fen Skan­da­le her­vor.

Ei­ne Sen­dung mit Hai­der – zu­mal im deut­schen Fern­se­hen – war ein Coup. Öf­fent­lich-recht­li­che An­stal­ten hat­ten es vor­her ab­ge­lehnt, Hai­der »ein Fo­rum« zu bie­ten. Die Re­dak­ti­on der Sen­dung bei n‑tv be­ließ es je­doch nicht bei ei­nem Dia­log, son­dern wähl­te das üb­li­che For­mat mit meh­re­ren Per­so­nen. Als wei­te­re Gä­ste wur­den ein­ge­la­den: Frei­mut Duve (SPD), Mi­cha­el Glos (CSU) und Ralf Giord­a­no, Pu­bli­zist. Hier­in kann man den er­sten Feh­ler fest­ma­chen.

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  1. Wenige Tage nach der Sendung, am 28. Februar, trat Haider als FPÖ-Vorsitzender zurück. 

Frank Schirr­ma­cher: Un­ge­heu­er­li­che Neu­ig­kei­ten (Hrsg. von Ja­kob Aug­stein)

Frank Schirrmacher: Ungeheuerliche Neuigkeiten - Hrsg. v. Jakob Augstein
Frank Schirr­ma­cher: Un­ge­heu­er­li­che Neu­ig­kei­ten – Hrsg. v. Ja­kob Aug­stein
Der über­ra­schen­de und be­stür­zen­de Tod des 54jährigen Frank Schirr­ma­cher ist noch nicht ein­mal ein Jahr her, da er­scheint schon ein Band mit sei­nen Auf­sät­zen aus den Jah­ren 1990 bis 2014. Es sind 39 Tex­te und fünf Ge­sprä­che (mit Joa­chim Fest, dem Al­bert Speer jr., Ott­fried Preuß­ler, Gün­ter Grass [je­nes Ge­spräch von 2006, in dem er sei­ne Mit­glied­schaft in ei­ner Ein­heit der Waf­fen-SS öf­fent­lich mach­te] und das Ver­söhnungsgespräch zwi­schen Mar­tin Wal­ser, Sa­lo­mon Korn und Ignatz Bu­bis nach Walsers Pauls­kir­chen­re­de 1998 – der läng­ste Bei­trag im Buch). Die Ord­nung der Tex­te in­ner­halb der sie­ben ge­wähl­ten Ka­te­go­rien ist nicht chro­no­lo­gisch; war­um, bleibt of­fen. Die Tex­te wer­den oh­ne er­klä­ren­de Er­läu­te­run­gen ab­ge­druckt. Kon­tex­te und Hin­ter­grün­de muss der Le­ser ge­ge­be­nen­falls sel­ber eru­ie­ren.

Der Ti­tel des Sam­mel­ban­des trifft per­fekt Schirr­ma­chers Duk­tus: »Un­ge­heu­er­li­che Neu­ig­kei­ten«. Her­aus­ge­ge­ben ist das Buch von Ja­kob Aug­stein, der auch ein kur­zes, aber sehr stu­pen­des Vor­wort ver­fasst hat. Die längst ein­ge­setz­te Ha­gio­gra­phi­sie­rung Schirr­machers ins­be­son­de­re in wei­ten Tei­len des Kul­tur­jour­na­lis­mus ver­mei­det Aug­stein, al­ler­dings oh­ne da­bei dem gro­ßen Kol­le­gen den Re­spekt zu ver­wei­gern. So be­zich­tigt er Schirr­ma­cher bei­spiels­wei­se des Alar­mis­mus, was zwei­fel­los den Tat­sa­chen ent­spricht. Kon­ge­ni­al wenn auch nicht ori­gi­nell der Ver­gleich mit dem »ra­sen­den Re­por­ter« Egon Er­win Kisch. Wenn man Schirr­ma­chers Tex­te in die­ser Ge­ballt­heit hin­ter­ein­an­der liest, be­merkt man das Um­trie­bi­ge, fast Hek­ti­sche, das Aug­stein kon­ge­ni­al be­schreibt. Stets gilt es, der Er­ste zu sein, der sich ei­ner am Ho­ri­zont an­bah­nen­den ge­sell­schaft­li­chen Dis­kus­si­on wid­met. Und wenn die an­de­ren auf den Zug auf­ge­sprun­gen wa­ren, wink­te schon ein an­de­res The­ma.

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Wenn Qua­li­täts­jour­na­li­sten ope­rie­ren

Ich ge­ste­he frei­mü­tig bis ge­stern von der Exi­stenz ei­ner »Deut­schen Ge­sell­schaft Qua­li­täts­jour­na­lis­mus« nichts ge­wusst zu ha­ben. Die Mel­dung im Bran­chen­ma­ga­zin »Kress« über ei­nen Bei­trag des FAZ-Mit­her­aus­ge­bers Wer­ner D’In­ka hat mich auf die Spur ge­bracht. Im Band »Quo va­dis, Qua­li­täts­jour­na­lis­mus«, der als pdf her­un­ter­lad­bar ist, fin­det sich D’In­kas Bei­trag. Aus­ge­wie­se­ne Jour­na­li­sten­schüt­zer wie bei­spiels­wei­se Ro­land Ber­ger, Vol­ker Bouf­fier, Bernd Raf­fel­hü­schen, Jür­gen Fit­schen, Jens Weid­mann oder auch Götz Wer­ner er­klä­ren in zu­wei­len knap­pen wie ba­na­len Bei­trä­gen, wie wich­tig heut­zu­ta­ge Jour­na­lis­mus ist. So­gar Bahn­chef Rü­di­ger Gru­be fand zwi­schen den Tarif­verhandlungen sei­nes Per­so­nal­vor­stands noch Zeit, ei­nen Text zu ver­fas­sen. Man fragt sich in An­be­tracht die­ser Zu­sam­men­stel­lung mehr denn je, wie schlecht es um das, was man ge­mein­hin »Jour­na­lis­mus« nennt in die­sem Land be­stellt sein muss, wenn es sol­che Lob­red­ner braucht.

Die heh­ren Be­kennt­nis­se die­ser Her­ren (es sind nur we­ni­ge Da­men) ha­ben in et­wa den Er­kennt­nis­wert ei­ner Sand­männ­chen-Sen­dung. Es kom­me nicht auf Klick­zah­len im In­ter­net an, weiß zum Bei­spiel Vol­ker Bouf­fier, der lei­der nicht schreibt, was er in sei­ner zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen kur­zen Zeit im ZDF Ver­wal­tungs­rat da­für ge­tan hat, Kul­tur­pro­gram­me jen­seits der Ein­schalt­quo­ten­hö­rig­keit ins Pro­gramm zu plat­zie­ren. Fast je­der die­ser Fach­leu­te in Sa­chen Jour­na­lis­mus be­tont die Not­wen­dig­keit der frei­en Pres­se. In­ter­es­san­ter­wei­se wis­sen sie auch recht ge­nau, wie die­se aus­zu­se­hen hat.

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Aus der Nach­rich­ten­höh­le

Herrn Dr. Gniff­ke, sei­nes Zei­chen 1. Chef­re­dak­teur bei »NDR/ARD Ak­tu­ell«, reicht’s! In ei­nem Blog­ein­trag pol­tert er aus sei­ner Nach­rich­ten­höh­le ge­gen die­je­ni­gen, die das Bild der mar­schie­ren­den Po­li­ti­ker in Pa­ris als In­sze­nie­rung apo­stro­phie­ren. Je­des Po­li­ti­ker­bild sei ei­ne In­sze­nie­rung, so Gniff­ke. Und im üb­ri­gen ver­wahrt er sich ge­gen je­ne, die die­se Nach­rich­ten­fäl­schung als sol­che be­nen­nen, wie zum Bei­spiel Ines Pohl.

Die Tak­tik ist nicht ganz neu, al­ler­dings die Rhe­to­rik. Die Dünn­häu­tig­keit bei Jour­na­li­sten scheint aus­ge­prägt zu sein; sie sind nicht ger­ne sel­ber Ge­gen­stand der Be­richt­erstat­tung, son­dern tei­len lie­ber aus. Ge­stern wur­de »Lü­gen­pres­se« zum »Un­wort des Jah­res« er­nannt, da glaub­te Gniff­ke sich viel­leicht un­be­sieg­bar. Bis jetzt ha­ben sich 295 Kom­men­ta­re zum Blog­ein­trag ein­ge­fun­den – durch­aus et­li­che dar­un­ter, die ihm zu­stim­men. Ei­ne Dis­kus­si­on ent­steht den­noch nicht, weil sich die Re­dak­ti­on – wie vor­her auch schon – zu­ver­läs­sig ver­wei­gert.

Gniff­kes Kern­the­se: Je­des Po­li­ti­ker­bild ist per se ei­ne In­sze­nie­rung – al­so braucht man sich auch nicht wun­dern, wenn die­ser Trau­er­marsch ei­ne sol­che ist. Der Un­ter­schied ist nur, dass die »nor­ma­len« Po­li­ti­ker­in­sze­nie­run­gen als sol­che sicht­bar und für den Zu­schau­er min­de­stens er­ahn­bar sind. Aus­schnit­te aus Pres­se­kon­fe­ren­zen, die fast schon ri­tua­li­sier­ten Op­po­si­ti­on-hat-auch-et­was-zu-sa­gen-State­ments (ma­xi­mal ein Satz; manch­mal nur ein hal­ber), die­se un­se­li­gen wie nichts­sa­gen­den Bil­der von »Gip­feln« oder Staats­be­su­chen – all die­se In­sze­nie­run­gen sind längst zum iko­no­gra­fi­schen Be­stand­teil von Nach­rich­ten­sen­dun­gen ge­wor­den. Man könn­te es ein biss­chen ru­sti­kal aus­drücken: Nie­mand glaubt mehr, dass es hier um die Ver­mitt­lung in der Sa­che geht – es sind Sprach­spie­le, die not­ge­drun­gen be­bil­dert wer­den (müs­sen); lei­der im­mer mehr be­wegt und mit O‑Tönen statt als Stand­bild und von ei­nem neu­tra­len Spre­cher vor­ge­le­sen.

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Pörk­sens Zir­kel­schluss

Ich hat­te mir ei­gent­lich vor­ge­nom­men über das so­ge­nann­te Jour­na­li­sten-Bas­hing nichts zu schrei­ben. Da gibt es klu­ge Ar­ti­kel wie den von Ste­fan Nig­ge­mei­er, der den Grün­den in­ner­halb der Zunft nach­spürt und ir­gend­et­was wie ei­nen drit­ten Weg zwi­schen Ver­schwörungstheorie und bran­chen­üb­li­chen Durch­hal­te­pa­ro­len nebst par­ti­el­ler Jubel­arien ver­sucht.

Aber dann gibt es den Ar­ti­kel von Bern­hard Pörk­sen auf ZEIT-On­line, der ei­ne Ehren­rettung des Jour­na­lis­mus ver­sucht. We­ni­ger die Tat­sa­che an sich ist bemerkens­wert, als die Art und Wei­se in der dies ge­schieht.

Zu Be­ginn räumt Pörk­sen Ver­feh­lun­gen des Jour­na­lis­mus ein. Den­noch hält er – so der Schluss aus sei­nen Aus­füh­run­gen – die Re­ak­tio­nen dar­auf für über­zo­gen. Wut und Skep­sis ha­be sich in Hass ver­wan­delt. Do­ku­men­te die­ser Me­di­en­ver­dros­sen­heit fin­det er in ei­ner Stu­die aus dem Jahr 2010. Im­mer­hin kon­sta­tiert er, dass es nicht den ei­nen Grund ge­be, son­dern ei­ne Viel­zahl von Aspek­ten, die zu die­ser ne­ga­ti­ven Sicht auf den Jour­na­lis­mus füh­re.

Pörk­sen zählt zwar die ein­zel­nen Aspek­te auf (Ein­fluss von Lob­by- und PR-Agen­tu­ren auf Jour­na­lis­mus; die über­bor­den­de Skan­da­li­sie­rungs­rhe­to­rik, usw.), un­ter­lässt es je­doch, auf sie et­was ge­nau­er ein­zu­ge­hen. Statt­des­sen wid­met er sich den Kri­ti­kern und fin­det ver­wirr­te Reichs­deut­sche […] wie Frie­dens­be­weg­te dar­un­ter. Zu­nächst soll da­mit die Spann­brei­te der Un­zu­frie­den­heit jen­seits po­li­ti­scher und welt­an­schau­li­cher Gren­zen do­ku­men­tiert wer­den. Auf den zwei­ten Blick dient die­se For­mu­lie­rung aber auch da­zu die am Jour­na­lis­mus un­se­rer Ta­ge Zwei­feln­den zu de­nun­zie­ren. Bei der Zu­wei­sung als »Reichs­deut­sche« leuch­tet das so­fort ein, aber auch »Frie­dens­be­weg­te« wird hier pe­jo­ra­tiv ein­ge­setzt. Zwi­schen den Zei­len wird erst­mals die mo­ra­li­sche Fra­ge an den Le­ser ge­stellt: ‘Willst Du in die­ser Rei­he ste­hen?’

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Er kann es ein­fach nicht

Man nennt es »Mi­ran­da-Ur­teil« oder ein­fach nur »die Rech­te«. In Hun­der­ten von Kri­mis wur­den sie dem schein­bar oder tat­säch­lich über­führ­ten Mör­der vor­ge­le­sen. Sie be­gin­nen mit »Sie ha­ben das Recht zu schwei­gen…«. Das Recht, die Aus­sa­ge zu ver­wei­gern, ist ein es­sen­ti­el­les Recht ei­nes Ver­däch­ti­gen oder An­ge­klag­ten. Mit dem Schwei­gen ver­hin­dert er un­ter an­de­rem, sich in Wi­der­sprü­che zu ver­wickeln, die dann als He­bel der Be­weis­füh­rung ge­gen ihn die­nen könn­ten, was sich im zwei­ten Satz zeigt: »Al­les was Sie sa­gen, kann und wird vor Ge­richt ge­gen Sie ver­wen­det wer­den«. Da das Recht zu schwei­gen auch be­deu­tet, dass man auf Aus­sa­gen zur Ent­la­stung ver­zich­tet, ge­hen Lai­en zu­meist da­von aus, dass Schwei­gen ei­nem Tat-Ein­ge­ständ­nis gleich- oder min­de­stens na­he­kommt.

Auch Chri­sti­an Wulff muss die­ser Mei­nung sein. Nicht, dass er bei sei­nem Pro­zess ge­schwie­gen hat. Aber im Pro­zess ging es nicht um das, was ihn nach wie vor um­treibt: Die Me­di­en­kam­pa­gne ge­gen ihn und ge­gen sei­ne da­ma­li­ge Frau Bet­ti­na. Chri­sti­an Wulff schweigt da­zu nicht. Er schreibt dar­über ein Buch. Da­bei hat er wo­mög­lich den zwei­ten Satz sei­ner Rech­te nicht be­dacht.

Der El­der Sta­tes­man

Wulff ta­stet sich in dem Buch an die Kam­pa­gne um sei­nen Rück­tritt als Bun­des­prä­si­dent her­an. Da­bei wech­selt er stän­dig zwi­schen der Be­trach­tung der di­ver­sen Pha­sen des Skan­da­lons und sei­ner po­li­ti­scher Bio­gra­phie. Bei letz­te­rem ver­fällt er schnell in ei­nen sal­bungs­voll-pa­sto­ra­len El­der-Sta­tes­man-Ton. Po­li­tik ma­che ihm »Freu­de« liest man da und wir er­fah­ren, er füh­re sei­ne Her­de lie­ber von hin­ten (wie er es von Nel­son Man­de­la ge­hört ha­be). »Ich ha­be schon im­mer gern un­ter­schied­li­che Men­schen zu­sam­men­ge­führt und mo­ti­viert« steht da und der Kä­se ist dann end­gül­tig ge­schmol­zen. Von sei­ner Zeit als Mi­ni­ster­prä­si­dent schwelgt Wulff in den höch­sten Tö­nen. Selbst­lob ist durch­aus sei­ne Sa­che. Dass aus der ge­plan­ten feind­li­chen Über­nah­me von VW durch Por­sche der Volks­wa­gen-Kon­zern ge­stärkt her­aus­ging, bucht er groß­zü­gig auf sei­ne Sei­te. Bemerkens­wert sein Po­li­tik­ver­ständ­nis die­ses Am­tes. Als de­mo­kra­tisch ge­wähl­ter Po­li­ti­ker sieht er es als sei­ne Auf­ga­be an, Un­ter­neh­men »Hil­fe auf dem Weg zu neu­en Absatz­märkten« zu lei­sten. Viel­leicht kann mir je­mand die­se Stel­le in der nie­der­säch­si­schen Ver­fas­sung ein­mal zei­gen? Ich ha­be nur §37 Ab­satz 1 ge­fun­den und dort steht un­ter an­de­rem: »Die Mi­ni­ster­prä­si­den­tin oder der Mi­ni­ster­prä­si­dent be­stimmt die Richt­li­ni­en der Po­li­tik und trägt da­für die Ver­ant­wor­tung.«. So­gar der Bun­des­prä­si­dent ist für Wulff ne­ben sei­nen re­prä­sen­ta­ti­ven und pro­to­kol­la­ri­schen Pflich­ten haupt­säch­lich da­zu da, »den Zusammen­halt und die Wett­be­werbs­fä­hig­keit un­se­rer Ge­sell­schaft« zu för­dern. So­mit hat­te die Bull­shit-Phra­se »Wett­be­werbs­fä­hig­keit« mit Wulff Ein­zug ins Bel­le­vue und in das Amt des Bun­des­prä­si­den­ten ge­hal­ten.

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Wä­re der Kapp-Putsch mit der Prä­senz heu­ti­ger Me­di­en viel­leicht ge­lun­gen?

Am 13. März 1920 be­setz­te der Reichs­wehr­ge­ne­ral Walt­her von Lütt­witz, Kom­man­dant der Ma­ri­ne­bri­ga­de Ehr­hardt, die laut Re­gie­rungs­be­schluss vom 29. Fe­bru­ar 1920 auf­gelöst wer­den soll­te, das Ber­li­ner Re­gie­rungs­vier­tel und er­nann­te den deutsch­na­tio­nal ge­son­ne­nen Be­am­ten Wolf­gang Kapp zum Reichs­kanz­ler. Die Re­gie­rung (ei­ne Ko­ali­ti­on aus SPD, den kon­ser­va­ti­ven Zen­trum und der li­be­ra­len DDP) floh zu­nächst aus Ber­lin nach Süd­deutsch­land. Die Un­ter­stüt­zung war trotz der zum Teil fru­strier­ten Reichs­wehr nicht breit ge­nug. So schreibt Go­lo Mann bei­spiels­wei­se über die »iro­nisch-neu­tra­le« Stel­lung Ge­ne­ral von Se­eckts: »…man wür­de se­hen, wie weit Kapp kä­me«. Der Putsch schei­ter­te nach fünf Ta­gen. Zum ei­nen ver­wei­ger­te die Ber­li­ner Mi­ni­ste­ri­al­bü­ro­kra­tie den Put­schisten ih­re Un­ter­stüt­zung. Noch hielt al­so ei­ne ge­wis­se Loya­li­tät der fra­gi­len Wei­ma­rer Re­pu­blik ge­gen­über. Zum an­de­ren rief der SPD-Vor­sit­zen­de Ot­to Wels zu ei­nem Ge­ne­ral­streik aus, des­sen Fol­gen et­wa­ige Sym­pa­thi­san­ten der Put­schi­sten zu­tiefst ver­un­si­cher­te.

Der Kapp-Putsch ist we­ni­ger im Ge­dächt­nis der Deut­schen ge­blie­ben als der 1923 in­iti­ier­te Hit­ler-Putsch, der am 8. No­vem­ber 1923 die baye­ri­sche Re­gie­rung für ab­ge­setzt er­klär­te. Auch die­ser Putsch­ver­such schei­ter­te nach we­ni­gen Ta­gen, die Po­li­zei kämpf­te ihn blu­tig nie­der. Auch hier al­so ei­ne Loya­li­tät den In­sti­tu­tio­nen des Staa­tes ge­gen­über. Dies war er­staun­lich ge­nug, denn Deutsch­land droh­te be­reits da­mals im Bür­ger­krieg zu ver­sin­ken.

Live-Ticker statt Ex­tra­blatt

Es ist nicht Zweck die­ses Tex­tes die hi­sto­ri­schen Im­pli­ka­tio­nen noch­mals zu be­leuch­ten; das ha­ben klü­ge­re Köp­fe schon aus­gie­big ge­tan und wer­den es wei­ter tun. Und na­tür­lich sind Par­al­le­len oder gar Ver­glei­che im­mer mit Vor­sicht zu ge­nie­ßen. In An­be­tracht der Bil­der aus der Ukrai­ne und der Es­ka­la­ti­on im Osten des Lan­des lässt mich aber ei­ne Fra­ge nicht mehr los: Was wä­re ei­gent­lich ge­we­sen, wenn es zu Zei­ten des Kapp-Put­sches (oder auch des Hit­ler-Put­sches) schon die heu­ti­ge me­dia­le Be­glei­tung ge­ge­ben hät­te? Wä­ren die­se Staats­strei­che dann viel­leicht an­ders ver­lau­fen? Gar er­folg­reich?

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Graf/Farkas: Es wer­de Stadt!

»Es wer­de Stadt!« so der leicht pa­the­ti­sche Aus­ruf und Ti­tel des Films von Do­mi­nik Graf und Mar­tin Far­kas. Die Stadt, die da wer­den soll, ist Marl im nörd­li­chen Ruhr­ge­biet. Marl steht für Koh­le, Che­mie – und den Grim­me-Preis. Und an Marl lässt sich die Ge­schich­te des Ruhr­ge­biets sehr schön il­lu­strie­ren: die Städ­te­bau­am­bi­tio­nen in den 1960er Jah­ren (als es mit der Koh­le­för­de­rung schon schwie­ri­ger wur­de, wenn auch eher un­be­merkt), die viel ge­rühm­te »in­sel« wie dort die Volks­hoch­schu­le hieß. Es galt, wie es ein­mal heißt, Men­schen zu »er­zie­hen«. Und wenn es durch Bau­wer­ke ge­schah (so sa­hen sie auch aus). Die of­fe­ne, »ra­di­kal in­no­va­ti­ve« »Sharoun-Schu­le«, die, so ein Leh­rer, erst in der Zeit als es die Ge­samt­schu­le gab, an­ge­nom­men wur­de. Was im­mer das be­deu­tet.

Graf und Far­kas zei­gen Auf­stieg und Nie­der­gang des Ruhr­ge­biets an­hand der Stadt Marl und, al­le­go­risch, par­al­lel zur Ent­wick­lung des Fern­se­hens. Die üb­li­chen Kla­gen bei den be­frag­ten Bür­gern: In Marl ge­be es nichts, wo man abends hin­ge­hen kann. Der Nie­der­gang des Fern­se­hens, wie ihn Graf und Far­kas ver­ste­hen, sym­bo­li­siert sich am ver­rot­ten­den Hal­len­bad Marls. Man braucht nur we­nig an den Aus­sa­gen der Bür­ger über ih­re Stadt än­dern: Da gibt es nichts, was man abends ein­schal­ten kann.

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