Graf/Farkas: Es wer­de Stadt!

»Es wer­de Stadt!« so der leicht pa­the­ti­sche Aus­ruf und Ti­tel des Films von Do­mi­nik Graf und Mar­tin Far­kas. Die Stadt, die da wer­den soll, ist Marl im nörd­li­chen Ruhr­ge­biet. Marl steht für Koh­le, Che­mie – und den Grim­me-Preis. Und an Marl lässt sich die Ge­schich­te des Ruhr­ge­biets sehr schön il­lu­strie­ren: die Städ­te­bau­am­bi­tio­nen in den 1960er Jah­ren (als es mit der Koh­le­för­de­rung schon schwie­ri­ger wur­de, wenn auch eher un­be­merkt), die viel ge­rühm­te »in­sel« wie dort die Volks­hoch­schu­le hieß. Es galt, wie es ein­mal heißt, Men­schen zu »er­zie­hen«. Und wenn es durch Bau­wer­ke ge­schah (so sa­hen sie auch aus). Die of­fe­ne, »ra­di­kal in­no­va­ti­ve« »Sharoun-Schu­le«, die, so ein Leh­rer, erst in der Zeit als es die Ge­samt­schu­le gab, an­ge­nom­men wur­de. Was im­mer das be­deu­tet.

Graf und Far­kas zei­gen Auf­stieg und Nie­der­gang des Ru­he­ge­biets an­hand der Stadt Marl und, al­le­go­risch, par­al­lel zur Ent­wick­lung des Fern­se­hens. Die üb­li­chen Kla­gen bei den be­frag­ten Bür­gern: In Marl ge­be es nichts, wo man abends hin­ge­hen kann. Der Nie­der­gang des Fern­se­hens, wie ihn Graf und Far­kas ver­ste­hen, sym­bo­li­siert sich am ver­rot­ten­den Hal­len­bad Marls. Man braucht nur we­nig an den Aus­sa­gen der Bür­ger über ih­re Stadt än­dern: Da gibt es nichts, was man abends ein­schal­ten kann.

Zum Dreh- und An­gel­punkt des Films wird die Grim­me-Preis-Ver­lei­hung von 1989. Da schien die Welt noch in Ord­nung. Die Ho­no­ra­tio­ren aus Po­li­tik und Me­di­en und ge­ben sich die Eh­re. Man fei­er­te sich. Gün­ter Rohr­bach wird ge­zeigt, der für ei­nen Mo­ment ein kri­ti­sches Wort in sei­ne Dan­kes­re­de ein­baut. Es ging um Film­pro­duk­ti­on, Fern­seh­spiel und vor al­lem ums Geld. Be­tre­te­ne Ge­sich­ter. Mah­nen­de Wor­te, aber al­les sehr in­di­rekt. Nur kurz. Und fol­gen­los.

Em­pha­tisch fei­ert der Film das Fern­se­hen, wie es frü­her war – oh­ne die in die­sen Fäl­len gän­gi­gen nost­al­gi­schen Prot­ago­ni­sten vor­zu­füh­ren. Kein Ku­len­kampff, kein Fran­ken­feld, kein Ro­sen­thal, kein Fern­seh­bal­lett, kein »Stahl­netz«. Nein, es geht ums Fern­seh­spiel, den Fern­seh­film, es geht den bei­den Re­gis­seu­ren um »Po­pu­la­ri­tät und Avant­gar­de« und dies »gleich­zei­tig« und nicht das ei­ne zur Prime­time und das an­de­re um Mit­ter­nacht. Es geht um Ex­pe­ri­men­tier­freu­de. Ernst­haft wer­den die Lo­gos des »Klei­nen Fern­seh­spiels« und der Rei­he »Der phan­ta­sti­sche Fil­me« aus den 70ern ge­zeigt und dem heu­ti­gen Lo­go ge­gen­über ge­stellt. Kann man ma­chen. In et­wa so als ver­glei­che man den VW-Kä­fer von 1966 mit ei­nem be­lie­bi­gen deut­schen Mit­tel­klas­se­mo­dell heu­te. In der Ei­le der ein­hun­dert­fünf Mi­nu­ten Film sag­te man lei­der nicht, wann der »phan­ta­sti­sche Film« im ZDF so ge­zeigt wur­de. Ich kann mich nur an Aus­strah­lun­gen ab 22.30 Uhr, meist spä­ter, er­in­nern. Und man sagt auch nicht, was da so lief: das, was man heu­te Main­stream-Ki­no nennt, »King Kong« bei­spiels­wei­se. Das war wirk­lich nicht schlecht – aber Avant­gar­de?

Zwi­schen­zeit­lich schwelgt der Film mit sei­nen Zeit- und Au­gen­zeu­gen ein biss­chen wie Groß­el­tern von der gu­ten al­ten Zeit er­zäh­len. Te­nor: Al­les war mal bes­ser. Der Bruch kam, so er­zählt Gün­ter Rohr­bach im Rück­blick, als die »Schwarz­wald­kli­nik« im ZDF be­gann – und auch noch ei­ne ho­he Quo­te hol­te. Von nun an ging’s berg­ab. Das hat­te ich ei­gent­lich schon vor­her ver­stan­den. Das Pri­vat­fern­se­hen sei schuld ge­we­sen, so heißt es uni­so­no. Ja, es war po­li­tisch ge­wollt und soll­te dem links­li­be­ra­len öf­fent­lich-recht­li­chen Rund­funk Pa­ro­li bie­ten. In Wahr­heit sei es nicht pro­gres­siv, son­dern re­stau­ra­tiv ge­we­sen, so sagt ei­ner. Selbst »Tut­ti-frut­ti« sei nur ei­ne Wie­der­auf­nah­me der deut­schen Soft­por­nos der 60er ge­we­sen. Vor­her konn­te man se­hen, wie In­grid Stee­ger ei­nen Grim­me-Preis Preis für Re­gis­seur Pfleg­har und »Klim­bim« ent­ge­gen­nahm. War das nicht min­de­stens auch so et­was in der Nach­fol­ge des deut­schen Soft-Por­no? Und was war am Beat-Club noch­mal so pro­gres­siv?

So ein­fach ma­chen es sich Graf und Far­kas. Sie sind fest ent­schlos­sen, sich die Sicht durch die ro­sa­ro­te Bril­le der Ver­gan­gen­heit nicht von der Rea­li­tät trü­ben zu las­sen. Ich glau­be es ist Graf, der nach ei­ner Re­plik ei­nes Be­frag­ten sag­te: »Dan­ke­schön, dar­auf woll­te ich hin­aus«. Schön, wenn man sich so ei­nig ist. Darf ich dann viel­leicht in­zwi­schen ein biss­chen nach den Ur­sa­chen su­chen ge­hen? Ob­wohl: Sie zei­gen sich auch an­satz­wei­se im Film. Da bau­en zwei Prak­ti­kan­ten ei­ner Film­schu­le in der »in­sel« ein Holz­re­gal auf. Sie wer­den ge­fragt, wel­che Sen­der sie schau­en: Pro7; DMAX. Das war’s auch fast schon. Und die öf­fent­lich-recht­li­chen? »Lang­wei­lig« sa­gen bei­de. Und war­um? Nein, die­se Fra­ge un­ter­blieb. Das, was man hö­ren woll­te, war ja im Ka­sten.

Man müs­se ein Pro­gramm für die 60jährigen ma­chen sagt Kat­ja Her­zog, ei­ne Film­pro­du­zen­tin. Sie ist 38 und müs­se ih­ren El­tern Ge­schich­ten er­zäh­len statt Ge­schich­ten zu ma­chen, die sie und ih­re Ge­ne­ra­ti­on in­ter­es­sie­ren. Wit­zig ist nur, dass al­le Prot­ago­ni­sten, die im Sin­ne von Graf und Far­kas in die­sem Film ant­wor­ten, fast al­le weit jen­seits der 60 sind. Und wer zwingt Her­zog ei­gent­lich da­zu? Wo steht das ge­schrie­ben? Wo bleibt ihr Mut? War­um ist ein gu­tes Pro­gramm ei­ne Sa­che des Al­ters? Fra­gen, die nicht ge­stellt wur­den. Nein, es geht in die­sem Film nicht um Lö­sun­gen, um Ana­ly­tik. Es geht um Ge­füh­le. Da­ge­gen ist na­tur­ge­mäß schwer zu ar­gu­men­tie­ren.

Das »BRD-Event­fern­se­hen«

Die »zwang­haf­te Selbst­le­gi­ti­mie­rung« der öf­fent­lich-recht­li­chen sei die Ur­sa­che für »Sim­pli­fi­ka­tio­nen des BRD-Event­fern­se­hens«. Das sind die The­sen, die Graf und Far­kas los­wer­den woll­ten. Kurz ge­sagt (für die bei­den Re­gal­bau­er): Es ist die Quo­te. An­dre­as Schreit­mül­ler weist rich­ti­ger­wei­se dar­auf hin, dass die Fern­seh­kri­ti­ker die Ein­schalt­quo­te ei­ner Sen­dung im­mer auch als Re­fe­renz her­an­zie­hen. Es sind zu­meist die glei­chen, die auf die Quo­te als Kri­te­ri­um schimp­fen. Die Quo­te er­laubt Ver­glei­che, die zwar streng ge­nom­men kei­ne sind, aber sich wun­der­bar in­ter­pre­tie­ren und ver­wen­den las­sen. Und die Quo­te ent­la­stet die Kri­tik von ei­ner äs­the­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit der Sen­dung, die wo­mög­lich an­stren­gend und kom­pli­ziert ist. Hat die Kri­tik be­schlos­sen Mo­de­ra­tor oder Sen­dung (oder bei­de) hoch­zu­ju­beln oder, spä­ter dann, run­ter zu schrei­ben, wer­den die er­mit­tel­ten Zah­len so lan­ge hin und her­ge­wen­det, bis sie zur je­wei­li­gen Stoß­rich­tung pas­sen. Die Ver­äch­ter der öf­fent­lich-recht­li­chen Me­di­en (sie sit­zen in ho­her An­zahl in den Re­dak­tio­nen der Zei­tungs­ver­la­ge) zie­hen die Quo­te als Le­gi­ti­ma­ti­ons­kri­te­ri­um im­mer wie­der her­an. Pas­sen sich Sen­der und Re­dak­teu­re dem ver­meint­li­chen Quo­ten­druck an, wird die nied­ri­ge­re Qua­li­tät dann wie­der kri­ti­siert.1 Die Aus­sa­ge, dass es sich um ei­ne rei­ne Selbst­le­gi­ti­mie­rung han­delt, ist ein­fach falsch.

Aber die­se Pro­ble­ma­tik streift der Film nur ganz am Ran­de. Für Graf und Far­kas ist ver­mut­lich al­lei­ne schon die Be­schäf­ti­gung mit den Quo­ten und de­ren Er­mitt­lung Teu­fels­zeug. Das Fern­seh­pro­gramm müs­se zur Not vor den Zu­schau­ern ge­schützt wer­den, heißt es ein­mal als rhe­to­ri­sche Fra­ge nur leicht ver­klei­det. Da wir­ken dann die heh­ren Ap­pel­le an De­mo­kra­tie und Auf­klä­rung nur noch lä­cher­lich. Schlimm, dass man die­se Dis­kre­panz nicht ein­mal zu mer­ken scheint. Statt­des­sen darf Iris Ber­ben von ih­rem hel­den­haf­ten Ein­satz be­rich­ten, wie sie es ver­hin­dert hat, dass Ro­sa-Roth-Fol­gen im Som­mer ge­dreht wer­den. Man dreh­te nur von No­vem­ber bis Ja­nu­ar; aus »dra­ma­tur­gi­schen« Grün­den. Aha. Ver­mut­lich führt die­ser He­ro­is­mus zu ei­nem näch­sten Grim­me-Preis. Bit­te un­be­dingt vor­mer­ken.

Die GfK kommt mit ei­nem Film­chen aus den 80ern vor. Wie die Quo­ten jetzt er­mit­telt und wel­che he­te­ro­ge­nen Grup­pen ein­fach zu­sam­men­ge­fasst wer­den – kein Wort hier­zu. Wie­so den Zu­schau­er mit der­lei be­la­sten. Statt­des­sen Sohr­ab S. Saless, der 1980 ei­nen vier­stün­di­gen Film ab­ge­lie­fert hat­te, der dann auch so ge­sen­det wur­de. Da­mals hat­te man noch »Mut« bei der ARD. Ja, das stimmt. Aber da­mals gab es auch nie­mand, der am näch­sten Tag in der Grup­pe der 14–49 jäh­ri­gen ei­nen Markt­an­teil von 3% fest­stell­te. Und es gab kei­nen Kri­ti­ker, der dem Sen­der ein Pro­gramm für Mi­no­ri­tä­ten vor­warf.

Da ist ja die­se Angst vor dem ei­nen Wort, wel­ches im Film nicht ge­sagt wird. Na­he­zu al­le Teil­neh­mer die­ses Films fürch­ten sich da­vor, aber nie­mand sagt es ex­pli­zit. Es ist die Angst vor dem Wort eli­tär. Es ist ein Vor­wurf, der ein Mas­sen­me­di­um ins Mark trifft. Es muss ba­lan­cie­ren zwi­schen tri­vi­al und eli­tär; im Zwei­fel ent­schei­det man sich im­mer für das Tri­via­le. Aber: War es je­mals wirk­lich an­ders? Ja, es gab die Ex­pe­ri­men­te zur Prime­time, aber die Fern­seh­spie­le lie­fen dann doch meist spä­ter am Abend. Vor­her gab es die Show, das Quiz, das Ra­te­spiel. Das po­li­ti­sche Ma­ga­zin, das an­spruchs­vol­le Fern­seh­spiel, die Thea­ter­in­sze­nie­rung – sie kam im­mer spät abends. Und das zu Zei­ten als es noch kei­ne Auf­zeich­nungs­ge­rä­te für den Zu­schau­er gab.

Wo einst das Fern­seh­spiel die so­zio­lo­gi­schen Be­find­lich­kei­ten der Ge­sell­schaft auf­zeig­te und spie­gel­te, tritt heu­te der Kri­mi, der dies »über­nimmt«. Wer will kann 24 Stun­den am Tag Kri­mis schau­en. Er hat den un­schätz­ba­ren Vor­teil auch noch ei­nen Plot an­zu­bie­ten, über den die päd­ago­gi­sche In­brunst wei­ter ge­pflegt und aus­ge­brei­tet wer­den könn­te und oft ge­nug auch wird. Bei der Lö­sung des Kri­mi­nal­fal­les stellt sich dann auch noch das woh­li­ge Ge­fühl ei­ner Rei­ni­gung ein. So schlägt man ver­meint­lich gleich meh­re­re Flie­gen mit ei­ner Klap­pe. Do­mi­nik Graf wüss­te, wo­von er re­det. Aber auch die­se Un­ter­su­chung un­ter­bleibt.

Und so steckt in Frank Lüb­ber­dings Ab­ge­sang auf »Wet­ten, dass« mehr sub­stan­zi­el­le Ana­ly­se auf die sich in­zwi­schen ver­än­der­te Welt und de­ren Aus­wir­kun­gen auf das Fern­se­hen als im ge­sam­ten Film: »Es war das Gen­re die­ser Ge­ne­ra­ti­on, die noch das er­lebt hat­te, was So­zio­lo­gen als die Mit­tel­schichts­ge­sell­schaft der Nach­kriegs­zeit cha­rak­te­ri­sier­ten. De­ren Kri­te­ri­um war Ho­mo­ge­ni­tät mit weit­ge­hend iden­ti­scher So­zia­li­sa­ti­on.»2 Die­se Ho­mo­ge­ni­tät und da­mit die Mög­lich­keit, mit qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Pro­gram­men we­nig­stens noch ei­nen Teil des Pu­bli­kums zu er­rei­chen, ist ver­schwun­den. Die Grün­de sind viel­fäl­ti­ger Na­tur und nicht vom Fern­se­hen ver­ur­sacht. Dies kann nur re­agie­ren, nicht mehr agie­ren. Und wenn es päd­ago­gisch da­her­kä­me, wür­de es nicht mehr ak­zep­tiert.

In der Ge­schich­te der fik­ti­ven Fern­seh­an­sa­ge­rin In­ger Stoltz, die am En­de ein biss­chen an­ge­klebt und durch die Fik­tio­na­li­sie­rung un­pas­send wirkt, zeigt sich aber Di­lem­ma des An­spruchs von Graf und Far­kas: Was die An­sa­ge­rin dort vor den je­wei­li­gen Fil­men oder Fern­seh­spie­len vor­las (und wo­mög­lich von »rich­ti­gen« An­sa­ge­rin­nen da­mals ge­spro­chen wur­de) wür­den die bei­den Re­gal­bau­er, die ir­gend­wann sel­ber Fil­me ma­chen möch­ten, gar nicht mehr ver­ste­hen. Das En­de des Fern­se­hens, wel­ches Graf und Far­kas be­kla­gen, spie­gelt ja auch das En­de ei­ner Bil­dungs- und Wis­sens­ge­sell­schaft, die sich ih­re Kennt­nis­se prak­tisch nur noch bei der Wi­ki­pe­dia holt (zwei­mal macht man es im Film ja sel­ber; das er­setzt Re­cher­che).

In den 60er und 70er Jah­ren stan­den die Leu­te noch in Schlan­gen vor der Volks­hoch­schu­le. Wis­sen war ein Grund­be­dürf­nis der Ge­sell­schaft. In die­se Zeit fällt auch der Wunsch über die Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus mehr zu er­fah­ren als dies von den meist schweig­sa­men El­tern und Ver­wand­ten ge­schah. Ei­ner der Schwer­punk­te beim Grim­me-Preis wa­ren die Fern­seh­bei­trä­ge, die sich mit der NS-Zeit aus­ein­an­der­setz­ten. Das »An­ti­fa­schi­sti­sche« sei »kon­sti­tu­tiv« für den Grim­me-Preis ge­we­sen. Aber nur so, wie man es für rich­tig hielt. Da­her hat dann auch Gui­do Knopp nie ei­nem Grim­me-Preis be­kom­men. Wis­sen war einst ein Wert an sich. Heu­te ist es nur noch Mit­tel zum Zweck; es dient be­sten­falls da­zu bei Jauch ei­ne Mil­li­on Eu­ro zu ge­win­nen. Und man be­klagt sich über ei­ner Fra­ge, de­ren Ge­schichts­ho­ri­zont sie man­gels ei­ge­nen Er­le­bens nicht glau­ben über­blicken zu kön­nen.

Gün­ter Gaus’ Film­zi­tat von 1989, das Fern­se­hen ha­be die Auf­klä­rung be­en­det ist wo­mög­lich in dop­pel­ter Hin­sicht rich­tig. Zum ei­nen als Be­fund des Zu­stands ei­ner Ge­sell­schaft, die der Auf­klä­rung im Gaus’schen Sinn schein­bar nicht mehr be­durf­te, sie, um es sa­lopp zu sa­gen, nicht mehr se­hen und hö­ren woll­te. Zum an­de­ren da­hin­ge­hend, dass im Fern­se­hen die­je­ni­gen das Kom­man­do über­nah­men, die das Pro­jekt »Auf­klä­rung« für be­en­det er­klär­ten, weil sie – fälsch­li­cher­wei­se? – glaub­ten, al­le sei­en hin­rei­chend auf­ge­klärt und man kön­ne sich nun ent­spannt dem Ver­gnü­gen wid­men. Ir­gend­wann konn­te Gaus nur noch in der Ni­sche bei Alex­an­der Klu­ges DCTP sei­ne Ge­sprächs­sen­dung »Zur Per­son« fort­set­zen – mit Fra­gen, die Neu­gier statt Sen­sa­ti­ons­lust zeig­ten und Ant­wor­ten statt den Eklat such­ten. Es spricht üb­ri­gens Bän­de für die Ten­denz die­ses Films, dass Alex­an­der Klu­ge nur in ei­nem kur­zen Aus­schnitt sei­ner Dan­kes­re­de zum Grim­me-Preis von 2010 zu Wort kommt; die Er­wäh­nung sei­nes Un­ter­neh­mens, sei­ner Ni­sche aber un­ter­bleibt.

Ei­ne Theo­rie kur­siert in die­sem Film, die auch von ei­nem Teil­neh­mer ar­ti­ku­liert wird. Es heißt dort, der Nie­der­gang des Fern­se­hens ha­be mit dem Zu­sam­men­bruch des Ant­ago­nis­mus des Kal­ten Krie­ges zu tun. Das west­li­che Sy­stem brau­che seit No­vem­ber 1989 kei­ne Ar­gu­men­ta­ti­on für sich mehr. Dies ha­be auch Aus­wir­kun­gen auf die Kunst, die ei­gent­lich be­deu­tungs­los ge­wor­den wä­re; das west­li­che Sy­stem brau­che kei­ne Ar­gu­men­ta­tio­nen mehr für sich. Man ha­be »ge­won­nen«. Je­der der Sät­ze wird sanft mit ei­nem klei­nen aku­sti­schen Ton un­ter­malt. Das ist ein der­art ha­ne­bü­che­ner Un­sinn, dass es fast schon ko­misch wirkt.

Wenn Rod Ste­ward vor ei­nem Hin­ter­hof a ca­pel­la ein Lied­chen singt und dies als ei­ner der »be­rüh­rend­sten Mo­men­te des deut­schen Fern­se­hens« apo­stro­phiert wird, muss man schon la­chen. Wenn dies Ernst ge­meint sein soll­te, steckt dar­in ei­ne ziem­lich def­ti­ge Por­ti­on Ar­ro­ganz den­je­ni­gen ge­gen­über, die neu­er­dings per Ge­setz be­zah­len müs­sen – ob sie die An­ge­bo­te an­neh­men oder nicht. Der Zau­ber sei ver­schwun­den, heißt es. Stimmt wohl. Aber man bei al­lem La­men­to der Wahr­heit die Eh­re ge­ben: Die La­ger­feu­er­si­tua­ti­on ent­stand fast nie in den so ve­he­ment ver­foch­te­nen künst­le­ri­schen und/oder avant­gar­di­sti­schen Pro­gramm­ele­men­ten. Das ist ei­ne Le­gen­de, den Graf und Far­kas starr­sin­nig kul­ti­vie­ren. Sie idea­li­sie­ren das Fern­se­hen nicht wie es war, son­dern wie es hät­te sein kön­nen. Und sie wol­len ein Fern­se­hen, wie es Fern­seh­schaf­fen­de wol­len. Das Pu­bli­kum brau­chen sie nur als Zah­ler.


  1. Das Spielchen ähnelt dem der Buslinie von A nach B in einem ländlichen Ort. Weil die Leute immer mehr Autos haben, wird zuerst die Taktfrequenz eingeschränkt, weil immer weniger Leute den Bus nehmen. Das führt dazu, dass immer mehr Leute das Auto nehmen, was wiederum zu weiteren Einschränkungen im Fahrplan der Buslinie führt. Am Ende wird die Buslinie eingestellt. Wer war nun schuld? Die Leute, die lieber mit dem Auto gefahren sind? Oder das Busunternehmen, das auf die ständig sinkenden Fahrgastzahlen reagiert hat? 

  2. Im Film von Graf und Farkas wird einmal für das Wort 'homogen' eine Erklärung eingeblendet. Für das Wort 'preziös' wenige Minuten später nicht. 

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  1. Las­sen Sie mich vor­weg deut­lichst mei­nen Re­spekt für Ih­ren be­ein­drucken­de Ana­ly­se- und Denk­ar­beit be­kun­den. Den Film »Es wer­de Stadt« ha­be ich ge­se­hen und kann da­her Ih­ren Aus­füh­run­gen be­stens fol­gen.

    Mich be­schäf­tigt nun ein we­nig, wes­halb Sie die Be­deu­tung der »Quo­te« an das Ge­gen­satz­paar trivial/elitär bin­den, oh­ne den Geld­wert von Wer­be­zei­ten zu er­wäh­nen. Denn ge­ra­de in die­sem Punkt ste­hen öf­fent­lich-recht­li­che An­stal­ten in di­rek­tem wirt­schaft­li­chen Wett­be­werb mit den pri­vat­recht­li­chen Sen­dern. In be­sag­tem Film ist das, falls mich die Er­in­ne­rung nicht täuscht, de­zent ver­schwie­gen wor­den – wie vie­les an­de­re, wor­auf Sie sehr nach­voll­zieh­bar hin­wei­sen.

    Oh­ne da­mit ein völ­lig an­de­res The­ma vom Zaun bre­chen zu wol­len, möch­te ich auf die (viel­leicht nicht ge­ra­de nächst­lie­gen­de) Mög­lich­keit auf­merk­sam ma­chen, die all­ge­mei­ne ge­setz­li­che Ge­büh­ren­pflicht als Ent­la­stung vom Wett­be­werbs­druck hin­sicht­lich der Wer­be­ein­nah­men zu ver­ste­hen. Im Film wur­den die »Pri­va­ten« er­wähnt, des­sen bin ich mir si­cher. Zu­sam­men­ge­nom­men ent­stün­de dar­aus ein gänz­lich neu­er Schuh: Aus dem be­spro­che­nen Film leuch­te­te plötz­lich be­müht ka­schier­te Pro­pa­gan­da­ab­sicht her­vor.

  2. Sie ha­ben Recht – ich ha­be die Wer­bung und die Wer­be­ein­nah­men der öf­fent­lich-recht­li­chen gar nicht er­wähnt. Das de­zen­te Ver­schwei­gen im Film fin­de ich – auch dank Ih­res Kom­men­tars – nach­träg­lich um­so in­ter­es­san­ter.

    Ob­wohl die Wer­bung in den öf­fent­lich-recht­li­chen Me­di­en in Deutsch­land be­schränkt ist (nur bis 20 Uhr, sonn­tags gar nicht; aus­ge­nom­men ist al­ler­dings das ner­vi­ge »Spon­so­ring«), ist sie schein­bar ein un­ver­zicht­ba­rer Ein­nah­me­fak­tor. Ir­gend­wo kur­sier­te ein­mal der Wert von 500 Mio. Eu­ro, was bei ei­nem Ge­büh­ren­auf­kom­men von rd. 9 Mil­li­ar­den Eu­ro (be­zo­gen auf Deutsch­land) et­wa 6% aus­ma­chen wür­de. Schein­bar ist die­ser Be­trag wohl nicht ein­zu­spa­ren, was ich ein­fach mal be­strei­ten möch­te. Was fehlt, ist der Wil­le.

    Wer­bung trägt m. E. zu­sätz­lich zur Le­gi­ti­ma­ti­ons­kri­se des Rund­funk­bei­trags bei. Ich ver­tre­te ja die The­se, dass man ei­gent­lich ge­nug Geld hat und es nur falsch ver­wen­det. In­so­fern müss­te man locker auf die Wer­be­ein­nah­men ver­zich­ten kön­nen. Ich hal­te sie auch für kon­tra­pro­duk­tiv. Wür­den sie weg­fal­len, hät­te man min­de­stens ein Di­stink­ti­ons­merk­mal ge­won­nen. Statt­des­sen rafft man nur das Geld zu­sam­men, um teu­re Sport­rech­te auf­zu­kau­fen. Das wä­re aber der Job der Pri­va­ten.

  3. Vie­len Dank für die um­sich­ti­ge Film­kri­tik. Ich glau­be, das Film­chen ist ei­gent­lich ganz gut ge­lun­gen, wenn es sol­che Re­fle­xi­on aus­löst. Das Kom­pli­ment geht na­tür­lich in der Haupt­sa­che an Sie, Gre­gor.
    Wun­der­bar, Gün­ter Gaus! Das Fern­se­hen ha­be die Auf­klä­rung be­en­det. Und das En­de des kal­ten Krie­ges ha­be zeit­gleich das Fern­se­hen be­en­det. Ist si­cher et­was dran, denn der Ant­ago­nis­mus der Re­gime hat die Na­tio­nen zu­sam­men ge­hal­ten. Ge­mein­sam­kei­ten wach­sen in der Ge­fahr. Da­mit ist end­lich Höl­der­lin er­klärt: Wo Ge­fahr ist, wächst das Ret­ten­de auch...
    Das Ret­ten­de wird heu­te wie der Teu­fel an die Wand ge­malt.
    Psy­cho­lo­gisch kann ich das ver­ste­hen, es war ja nur ei­ne »ge­dun­ge­ne Na­ti­on«. Heu­te kä­me sie aus er­ster Hand, al­so: Bö­se, Bö­se, Fin­ger weg!
    Das Me­di­um ist sei­nen Fans of­fen­bar treu ge­blie­ben, bald macht man Fern­se­hen für die 80-Jäh­ri­gen. Scheint’s, sta­pelt sich die Ge­schich­te wie auf­ge­türm­te Eis­schol­len.

  4. Vie­len Dank für Ih­re pro­fun­de Ana­ly­se des Films. Ich ha­be ihn nun auch selbst ge­se­hen, und ich muss sa­gen: Ich war ent­setzt. Wenn es um das deut­sche öf­fent­lich-recht­li­che Fern­se­hen wirk­lich so schlecht steht, dann kann man mit Graf und Far­kas wirk­lich nicht im Ge­ring­sten er­ken­nen, wie sich das in ab­seh­ba­rer Zeit än­dern könn­te. Statt­des­sen Ver­gan­gen­heits­se­lig­keit. Und da spricht man im Zu­sam­men­hang mit dem Pri­vat­fern­se­hen noch von re­stau­ra­ti­ven po­li­ti­schen Ab­sich­ten!
    Ei­ner­seits wird über ein Über­maß an po­li­ti­scher Ein­fluss­nah­me ge­klagt, an­de­rer­seits aber fin­det man schein­bar selbst nichts da­bei, sich der­sel­ben Po­li­tik in­so­weit aus­zu­lie­fern, als dass man sich über ge­setz­lich ver­ord­ne­te Rund­funk­bei­trä­ge groß­zü­gig sub­ven­tio­nie­ren lässt. Dass man sich dann ge­gen­über den un­frei­wil­li­gen Ge­büh­ren­zah­lern, die das an­ge­bo­te­ne Pro­gramm wo­mög­lich gar nicht an­se­hen, auch noch recht­fer­ti­gen muss, ist na­tür­lich ei­ne Zu­mu­tung. Und, be­son­de­res be­zeich­nend, die auch von Ih­nen be­merk­te Pas­sa­ge, in de­nen ein Zu­sam­men­hang von künst­le­ri­schem An­spruch im Fern­se­hen und dem En­de des Kal­ten Krie­ges her­ge­stellt wird. Die Mär geht fol­gen­der­ma­ßen: Mit dem En­de des Ost-West-Kon­flikts ver­schwand das Be­dürf­nis, sich im Fern­se­hen die Über­le­gen­heit und Rich­tig­keit des ei­ge­nen Sy­stems vor­zu­füh­ren, und plötz­lich stand die Kunst oh­ne Auf­ga­be dar. Wenn da­mit das Selbst­ver­ständ­nis deut­scher Fern­seh­schaf­fen­der ad­äquat cha­rak­te­ri­siert sein soll­te, muss man sich über den Nie­der­gang deut­scher Fern­seh­un­ter­hal­tung wirk­lich nicht mehr wun­dern.