Da­nie­la Stri­gl: Zum Trotz

Daniela Strigl: Zum Trotz
Da­nie­la Stri­gl: Zum Trotz

Er­kun­dung ei­ner zwie­späl­ti­gen Ei­gen­schaft un­ter­ti­telt die re­nom­mier­te öster­rei­chi­sche Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin Da­nie­la Stri­gl ih­re nun in Schrift­form vor­ge­leg­ten Vor­le­sun­gen Zum Trotz vom No­vem­ber 2024. Es be­ginnt mit ei­nem kur­zen ety­mo­lo­gisch-ge­schicht­li­chen Aus­flug über den Be­griff »Trotz«. Erst im 19. Jahr­hun­dert ver­än­der­te sich die Be­wer­tung und Trotz galt als eher ne­ga­ti­ve Ei­gen­schaft, be­son­ders bei Frau­en. Der Zwie­spalt, der sich zwi­schen »kin­disch« und »Mo­vens des Wi­der­stands« auf­tut, zeigt zahl­rei­che Fa­cet­ten. Be­vor die Ty­po­lo­gie der Trotz‑, Rap­pel- oder Quer­köp­fe in der Li­te­ra­tur (mit Sei­ten­blicken aufs rich­ti­ge Le­ben) er­folgt, wird die so­ge­nann­te »Trotz­pha­se« des Kin­des un­ter­sucht. Hier er­lebt »das Kind den Kon­flikt zwi­schen Wol­len und Kön­nen als Quel­le der Fru­stra­ti­on.« Vor ein­hun­dert Jah­ren wur­de die­ses Ver­hal­ten ne­ga­tiv be­ur­teilt und mit Au­to­ri­tät be­kämpft, in­zwi­schen neigt man da­zu, es als wich­ti­ge Ent­wick­lung zu se­hen, und emp­fin­det neu­er­dings nur den Ter­mi­nus als dis­kri­mi­nie­rend. Er heißt jetzt auf neu­kor­rekt »Au­to­no­mie­pha­se«, was Stri­gl kri­ti­siert. Aber viel­leicht hat »Trotz« in an­de­ren Zu­sam­men­hän­gen doch et­was mit »Au­to­no­mie« zu tun?

Stri­gl er­nennt Hein­rich von Kleists Mi­cha­el Kohl­haas zum »Ar­che­typ des Trot­zes«. Er ist ei­ner, der »su­spekt, recht­schaf­fen und ent­setz­lich« han­delt, der nicht ak­zep­tiert, dass man ihm die bei­den an der Zoll­sta­ti­on zum Pfand über­ge­be­nen Pfer­de in ei­nem er­bärm­li­chen Zu­stand ent­schä­di­gungs­los zu­rück­ge­ben will. Die Ra­di­ka­li­sie­rung von Kohl­haas ent­wickelt sich. Die er­ste Stu­fe ist der Tod (ge­nau­er: die Tö­tung) sei­ner Frau durch die Re­gie­rungs­macht des Kur­fürsts, als sie ei­ne Bitt­schrift ih­res Ehe­manns über­brin­gen woll­te. Kohl­haas über­nimmt nun das »Ge­schäft der Ra­che«, re­kru­tiert Söld­ner, wird zum Plün­de­rer und Mord­bren­ner, oh­ne die un­mit­tel­bar Ver­ant­wort­li­chen di­rekt zu tref­fen. Glück­li­cher­wei­se er­läu­tert Stri­gl die Ge­schich­te über das hin­läng­lich be­kann­te er­ste Vier­tel der No­vel­le hin­aus und ent­wickelt die ein­zel­nen Pha­sen des (ju­ri­sti­schen) Fal­les und der Es­ka­la­tio­nen. Ist doch die »wei­te­re Hand­lung ist…von Hoff­nungs­schim­mern, Bei­na­he-Lö­sun­gen, Um­schwün­gen, Zu­fäl­len, Wie­der­ho­lun­gen und Va­ria­tio­nen be­stimmt.« Das Ge­spräch mit Mar­tin Lu­ther, der Kohl­haas ins Ge­wis­sen re­det, lässt Kohl­haas in­ne­hal­ten. Die An­ge­le­gen­heit scheint nach ei­ni­gen Ver­hand­lun­gen kurz vor ei­nem halb­wegs ver­söhn­li­chen En­de zu ste­hen, aber Kohl­haas’ Auf­ent­halt in Dres­den wan­delt sich zum Haus­ar­rest, schließ­lich zur Haft. Am En­de »wird der Ge­rech­tig­keit rund­um ge­nü­ge ge­tan«. Der klei­ne Schön­heits­feh­ler: Kohl­haas wird ge­henkt.

Im wei­te­ren Ver­lauf der Er­kun­dun­gen Stri­gls wird Kohl­haas auch un­ter an­de­re Ty­pen des Trot­zes ein­ge­ord­net. Je nach Stand der Ge­schich­te be­kommt er dann Zü­ge des Re­bel­len, Ter­ro­ri­sten, De­spe­ra­dos, Amok­läu­fers oder Que­ru­lan­ten. Nicht im­mer glücken da­bei die Trans­for­ma­tio­nen auf Phä­no­me­ne der Ge­gen­wart. So ist es schwie­rig, Kohl­haas’ »Rebellion…gegen ade­li­ge Will­kür«, die in Selbst­ju­stiz und Raub­zü­gen mün­de­te, mit Trumps Ver­hal­ten nach der ver­lo­re­nen Wahl 2020 zu ver­glei­chen, und zu kon­sta­tie­ren, Trump ha­be mit sei­ner Bil­li­gung der Stür­mung des Ka­pi­tols am 6. Ja­nu­ar 2021 den bür­ger­li­chen Un­ge­hor­sam in Miss­kre­dit ge­bracht. Trump als »trot­zi­gen Po­li­ti­ker« zu be­zeich­nen ist ein Eu­phe­mis­mus, weil da­mit die Mo­ti­ve Trumps un­ter­schätzt wer­den.

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Lu­zia Schmid: Ich will al­les

Luzia Schmid: Ich will alles
Lu­zia Schmid: Ich will al­les

Es be­ginnt, wie ein Film über die Schau­spie­le­rin, Sän­ge­rin und Buch­au­to­rin Hil­de­gard Knef be­gin­nen muss: 1968, Or­che­ster Kurt Edel­ha­gen, »Für mich soll’s ro­te Ro­sen reg­nen«. Der Text ist, wie fast im­mer, von ihr, die Mu­sik ar­ran­gier­te Hans Ham­mer­schmid. Da ist die­se Au­ra, die­ses Tim­bre, das man so­fort, auch oh­ne Bild, wie­der­erkennt. Ei­ne spe­zi­el­le Ver­bin­dung aus Stolz, Maß­lo­sig­keit und Selbst­iro­nie, la­ko­nisch und wuch­tig zu­gleich, »hem­mungs­los au­to­bio­gra­phisch«, wie sie ih­re Tex­te sel­ber nann­te, ei­ne kom­pri­mier­te Le­bens­bi­lanz mit 43 Jah­ren, da­von mehr als 20 Jah­re in­ter­na­tio­na­le Film- und Büh­nen­er­fah­rung. Ein Blick dann auf die quan­ti­ta­tiv im­po­nie­ren­de Li­ste mit »Co­ver­ver­sio­nen« und man weiß, dass ei­nem kei­ne da­von auch nur ei­ne Se­kun­de in­ter­es­siert, und das gilt auch für die­ses dün­ne Süpp­chen, das Ex­tra­breit 1992 mit der Knef auf­ge­nom­men hat­ten.

Lu­zia Schmid hat gut dar­an ge­tan, die­se Ne­ben­schau­plät­ze für ih­ren Film Ich will al­les aus­zu­blen­den. Über die ge­sam­ten 98 Mi­nu­ten bleibt die Schwei­zer Do­ku­men­tar­fil­me­rin bei Hil­de­gard Knef und lässt sie in den vie­len In­ter­views und Ge­sprä­chen, die sie in vier Jahr­zehn­ten ge­führt hat­te, zu Wort kom­men. Be­kann­te In­ter­view­er sind dar­un­ter, al­les Män­ner, Fried­rich Luft et­wa, Wer­ner Baecker, Hans­jür­gen Ro­sen­bau­er, Rein­hart Hoff­mei­ster und Joa­chim Fuchs­ber­ger und man ist er­staunt, wie di­rekt, ja in­tim da­mals die Fra­gen wa­ren. Nichts wur­de aus­ge­spart, man frug nach Selbst­mord, nach Krank­heit, nach Be­zie­hun­gen und Hil­de­gard Knef gab be­reit­wil­lig und of­fen Aus­kunft. Fast hat man das Ge­fühl, sie ver­lang­te nach die­sen Ge­sprä­chen, um sich selbst ih­rer zu ver­ge­wis­sern; da spiel­te es auch kei­ne Rol­le, wenn die Ge­sprächs­part­ner zu­wei­len über­for­dert wa­ren.

Sie hat(te) et­was zu sa­gen. Et­wa wenn sie über Ver­sa­gens­äng­ste und dann, in ei­nem an­de­ren Ge­spräch, pa­the­tisch vom Göt­ter­ge­schenk der Mög­lich­kei­ten spricht, die sie in ih­ren Be­ru­fen hat. Da ist das Ge­ständ­nis, wäh­rend ih­rer er­sten Hol­ly­wood-Zeit (1948–51) ge­schei­tert zu sein, weil sie in ih­rer »Däm­lich­keit« auf Zu­sa­gen ge­war­tet ha­be. Nach­denk­lich re­sü­miert sie bei Fried­rich Luft, nie ei­ne Mit­tel­la­ge ge­habt zu ha­ben. Ent­we­der ha­be es sehr gro­ßen Er­folg oder »ganz be­deu­ten­den Miss­erfolg« ge­ge­ben. Ih­ren Tri­umph im Broad­way-Mu­si­cal Silk Stockings 1955 schrieb sie Co­le Por­ter zu, der sie zum Sin­gen er­mun­tert ha­be. Dass »Mar­le­ne« kam, um ihr da­nach zu gra­tu­lie­ren, be­deu­te­te ihr viel. Spä­ter ha­be sie mit ex­zel­len­ten Film­re­gis­seu­ren zu­sam­men­ge­ar­bei­tet, die aber lei­der ih­re schlech­te­sten Fil­me ge­dreht hät­ten.

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Der Mann mit dem Kas­set­ten­re­kor­der

Malte Herwig: Austrian Psycho
Mal­te Her­wig:
Au­stri­an Psy­cho

Au­stri­an Psy­cho ist ein Ver­such, das in­tel­lek­tu­el­le Öster­reich von Jack Un­ter­we­ger zu ex­or­zie­ren.

»Al­les ist Ver­wand­lung.« So be­ginnt der Jour­na­list und Pu­bli­zist Mal­te Her­wig sei­ne Bio­gra­phie Mei­ster der Däm­me­rung über den Schrift­stel­ler Pe­ter Hand­ke. Und er fügt hin­zu: »Wer die Bio­gra­phie ei­nes Künst­lers schreibt […], soll­te sich ei­ne Neu­gier auf die Me­ta­mor­pho­sen be­wah­ren, die zwi­schen Kunst und Welt hin- und her­füh­ren.« Her­wigs Neu­gier be­schränkt sich nicht nur auf Künst­ler wie Hand­ke. Das The­ma der »Ver­wand­lung« ist der ro­te Fa­den in all den bis­he­ri­gen grö­ße­ren Re­cher­che­ar­bei­ten Her­wigs. Da sind die Flak­hel­fer, 17, 18jährige, die 1944/45 Mit­glied in der NSDAP ge­wor­den wa­ren, und dies, so das Er­geb­nis der Nach­for­schun­gen, mit ih­rem aus­drück­li­chem Wunsch, da es kei­ne »au­to­ma­ti­schen« Par­tei­mit­glied­schaf­ten gab. Aber die­se Men­schen wur­den nach 1945 zu Säu­len der neu­en, de­mo­kra­ti­schen und plu­ra­li­sti­schen Bun­des­re­pu­blik. Her­wig woll­te nicht die Le­bens­lei­stung die­ser Leu­te dif­fa­mie­ren. Es ging um die Su­che nach der Er­klä­rung der Ver­wand­lung von ver­blen­de­ten Na­zi-An­hän­gern zu De­mo­kra­ten. Ei­ne an­de­re Me­ta­mor­pho­se er­leb­te er bei der Pi­cas­so-Ge­lieb­ten Fran­çoi­se Gi­lot, die sich ir­gend­wann dem ver­meint­li­chen Ge­nie als blo­ße Ge­spie­lin ver­wei­gert hat­te, ih­ren ei­ge­nen Weg ging und ei­ne an­ge­se­he­ne Ma­le­rin wur­de – trotz al­ler An­fech­tun­gen und Ran­kü­ne aus dem Be­trieb. Ei­ni­ge Jah­re spä­ter kon­zi­pier­te Her­wig ei­nen wun­der­ba­ren Pod­cast über die so­ge­nann­ten Hit­ler-Ta­ge­bü­cher. Der Ver­wand­lungs­künst­ler hieß dies­mal Kon­rad Ku­jau, der sich als ima­gi­nä­rer Adolf Hit­ler in ei­ne Art Rausch ge­schrie­ben hat­te. Auf­klä­re­risch woll­te die­ser Be­trü­ger nicht wir­ken, son­dern nur sein Ver­mö­gen auf­bes­sern. 2021 ent­deck­te Her­wig die Ver­zau­be­run­gen des »Gro­ßen Ka­l­a­nag« ali­as Hel­mut Schrei­ber, ei­nes Ma­gi­ers, der nicht nur die Va­rie­tés in Eu­ro­pa und Ame­ri­ka, son­dern auch sei­ne Na­zi-Sym­pa­thie als Al­lein­un­ter­hal­ter bei der Fa­mi­lie Gö­ring Weih­nach­ten 1938 »ver­wan­del­te«.

Nun al­so der Frau­ense­ri­en­mör­der Jack Un­ter­we­ger. 2022 re­cher­chier­te Her­wig für den ins­ge­samt sechs­stün­di­gen Pod­cast »Jack. Gier frisst Schön­hei­ten«. Auch hier be­ließ er es nicht bei den üb­li­chen Er­klä­run­gen, die man in je­der True-Crime-Do­ku zu hö­ren be­kommt. Her­wig be­such­te die Hei­mat­keu­sche Un­ter­we­gers in Kärn­ten, fand Zeu­gin­nen, die ihn kann­ten, mit ihm als Kind zu­sam­men­leb­ten. Er zi­tiert aus Brie­fen, Ta­ge­buch­auf­zeich­nun­gen, Un­ter­we­gers »Ge­dich­ten« (die zu­meist Pla­gia­te sind), sei­nem ge­fei­er­ten Ro­man Fe­ge­feu­er und den an­de­ren, we­ni­ger bril­lan­ten Bü­chern, die da­nach ent­stan­den. Es gibt Ori­gi­nal­mit­schnit­te aus In­ter­views mit Un­ter­we­ger, den Re­por­ta­gen und sei­nen Te­le­fon­ge­sprä­chen mit der Ex-Ver­lob­ten. Er be­frag­te ehe­ma­li­ge Ge­lieb­te, Er­mitt­ler, den stell­ver­tre­ten­den Ge­fäng­nis­di­rek­tor, der Un­ter­we­ger im­mer durch­schau­te, des­sen Ur­teil je­doch nie­mand hö­ren woll­te. Bei al­ler Fas­zi­na­ti­on über die Ver­wand­lungs­fä­hig­keit Un­ter­we­gers, wer­den die Ta­ten und de­ren Op­fer nie ver­ges­sen. Vie­les war neu, wie auch El­frie­de Je­lin­eks Sprach­nach­richt, in der sie fast fehlt, her­aus­zu­be­kom­men, wer Fe­ge­feu­er wirk­lich ge­schrie­ben hat.

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Wel­ten­zer­stö­rer

War­um der Hol­ly­wood-Film »Op­pen­hei­mer« den ja­pa­ni­schen Ki­no­zu­se­hern vor­ent­hal­ten wird

In al­len Welt­ge­gen­den konn­te man wäh­rend der letz­ten Wo­chen den Hol­ly­wood-Film Op­pen­hei­mer se­hen, au­ßer in Ja­pan, al­so auch nicht in Hi­ro­shi­ma, der Stadt, die die Aus­wir­kun­gen der von Ro­bert Op­pen­hei­mer ko­or­di­nier­ten Er­fin­dung na­mens Atom­bom­be als er­ste und am här­te­sten zu spü­ren be­kam. Es gibt das Ge­rücht, daß der Film aus Ja­pan ver­bannt blei­ben soll; wahr­schein­li­cher ist, daß man ihm hier kei­nen gro­ßen Er­folg zu­traut und ihn spä­ter in Pro­gramm­ki­nos zei­gen wird. Kom­men­ta­re zum Film kön­nen wir im In­ter­net je­doch le­sen, so­gar ein drei­mi­nü­ti­ger Trai­ler ist uns ver­gönnt. In die­sem sieht man ei­ne Ex­plo­si­on, ei­nen wun­der­schö­nen ro­ten, ab­strakt blei­ben­den Feu­er­ball, der den gan­zen Raum hin­ter der Fi­gur aus­füllt. Dem Ver­neh­men nach läuft die Ex­plo­si­ons­pas­sa­ge in dem sonst an­schei­nend über­lau­ten Film oh­ne Ton ab. So kann man das Spek­ta­kel um­so ru­hi­ger ge­nie­ßen. Chri­sto­pher No­lan, der Re­gis­seur, hat die­se Sze­ne als »show­stop­per« be­zeich­net, er woll­te sie nicht mit Com­pu­ter­ani­ma­ti­on dre­hen. Das Pu­bli­kum soll­te an die­ser Stel­le, wenn schon nicht ap­plau­die­ren, dann zu­min­dest wow! flü­stern. »Hel­ler als tau­send Son­nen«, schrieb Ro­bert Jungk in den fünf­zi­ger Jah­ren, als Ro­bert Op­pen­hei­mer von den Kom­mu­ni­sten­jä­gern ver­folgt wur­de.

Ma­noh­la Dar­gis, Kri­ti­ke­rin der New York Times, fand es gut, daß der Film die rea­len Wir­kun­gen der bei­den er­sten Atom­an­grif­fe aus­spart. Um ihr Ar­gu­ment zu un­ter­mau­ern, zi­tiert sie Fran­çois Truf­f­aut, der mein­te, je­der Kriegs­film, auch An­ti­kriegs­fil­me, wür­den den Krieg glo­ri­fi­zie­ren. Truf­f­aut be­zieht sich al­ler­dings auf Spiel­fil­me, in de­nen Sol­da­ten beim Kriegs­hand­werk ge­zeigt wer­den. Ich glau­be nicht, daß er sa­gen woll­te, je­de Do­ku­men­ta­ti­on wür­de den Krieg ver­herr­li­chen. Dann wä­re auch das Frie­dens­mu­se­um auf dem Ground Ze­ro in Hi­ro­shi­ma, wo die er­ste der bei­den Bom­ben ex­plo­dier­te, bloß ein un­er­heb­li­ches Ele­ment der glo­ba­len Tou­ris­mus- und Un­ter­hal­tungs­in­du­strie. Ist es aber nicht, trotz der Ein­wän­de, die man nach der kürz­lich er­folg­ten Re­no­vie­rung des Mu­se­ums er­he­ben kann. Und trotz des gleich hin­ter dem ein­zi­gen da­mals – als Ske­lett – ste­hen­ge­blie­be­nen Ge­bäu­de, dem so­ge­nann­ten Hi­ro­shi­ma-Do­me, er­rich­te­ten Ori­zu­ru-Buil­dings, wo Tou­ri­sten ge­gen ein nicht ganz ge­rin­ges Ent­gelt selbst­ge­fal­te­te Kra­ni­che von der ober­sten Eta­ge se­geln las­sen und Sou­ve­nirs ein­kau­fen dür­fen. Ein Be­such des Frie­dens­parks und des Mu­se­ums weckt im­mer noch in je­dem nicht ganz ge­fühl­lo­sen Be­su­cher Ab­scheu ge­gen den Krieg, be­son­ders ge­gen den Atom­krieg. Und daß die Ein­zel­schick­sa­le der da­mals im Feu­er­ball Ver­brann­ten, Ver­schmol­ze­nen und Ver­strahl­ten ins Zen­trum der Aus­stel­lung ge­rückt wer­den, die hi­sto­ri­schen Zu­sam­men­hän­ge ein­schließ­lich ja­pa­ni­scher Kriegs­schuld aber im Hin­ter­grund blei­ben, än­dert an die­ser Be­trof­fen­heit gar nichts, im Ge­gen­teil. Ein Rück­griff auf hi­sto­ri­sches Do­ku­men­ta­ti­ons­ma­te­ri­al hät­te zwar kei­nen Show­stop­per-Ef­fekt im Op­pen­hei­mer-Film ge­bracht, aber den Ernst der An­ge­le­gen­heit un­ter­stri­chen. Mag sein, daß solch kru­de, schmerz­er­re­gen­de Bil­der die wohl­durch­dach­te Er­zäh­l­äs­the­tik des an­schei­nend rund­um ge­lun­ge­nen Films ge­stört hät­ten.

Auch oh­ne – aus dem er­wähn­ten Grund – Nolans Film ge­se­hen zu ha­ben, könn­te man den Glo­ri­fi­zie­rungs­ver­dacht eben­so­gut ge­gen die­sen wen­den. Dem Ver­neh­men nach ist nach dem so­ge­nann­ten Tri­ni­ty-Test im Ju­li 1945, al­so der er­sten ge­lun­ge­nen Atom­ex­plo­si­on, die Freu­de der For­scher und Ent­wick­ler an­ge­sichts des Feu­er­balls zu se­hen. Wird hier die ato­ma­re Zer­stö­rung glo­ri­fi­ziert? Viel­leicht nicht. Dem Kri­ti­ker der bri­ti­schen Film­zeit­schrift Em­pire je­den­falls dreht sich an die­ser Stel­le der Ma­gen um. We­nig spä­ter spricht der­sel­be Au­tor al­ler­dings von der »IMAX-boo­sted« Schön­heit der Tri­ni­ty-Se­quenz und fin­det sie »um­wer­fend«. Letzt­lich wird die Atom­er­zäh­lung wohl von der Am­bi­va­lenz und den Zwei­feln ge­tra­gen (oder ge­ret­tet?), die Cil­li­an Mur­phy – wie­der dem Ver­neh­men nach – an der Fi­gur Op­pen­hei­mers auf­zu­wei­sen ver­steht.

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Ein­blicke in in­ne­re Kyff­häu­ser

Do­mi­nik Graf und Ana­tol Regnier un­ter­su­chen Mo­ti­ve und Be­find­lich­kei­ten von Schrift­stel­lern, die wäh­rend der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus in Deutsch­land ge­blie­ben wa­ren.

Dominik Graf: Jeder schreibt für sich allein
Do­mi­nik Graf:
Je­der schreibt für sich al­lein

Seit fast 50 Jah­ren macht Do­mi­nik Graf Fil­me. Vie­le Fern­seh­spie­le sind dar­un­ter, Kri­mis, Tat­or­te und Po­li­zei­ru­fe aber auch Do­ku­men­tar- und Li­te­ra­tur­ver­fil­mun­gen. Er ist ei­ner der letz­ten Re­gis­seu­re, die Fern­seh­pro­duk­tio­nen noch mit ei­nem ge­wis­sen An­spruch aus­stat­ten. Sein neu­er Do­ku­men­tar­film sprengt nicht nur hin­sicht­lich The­ma­tik son­dern vor al­lem we­gen sei­ner Län­ge die »nor­ma­len«, schein­bar un­hin­ter­frag­ba­ren Fun­da­men­te zeit­ge­nös­si­schen Fern­seh­schaf­fens. Ein­hun­dert­sie­ben­und­sech­zig Mi­nu­ten, al­so fast drei Stun­den, dau­ert Je­der schreibt für sich al­lein und er zeigt Le­ben und Aus­kom­men deut­scher Schrift­stel­ler, die wäh­rend der NS-Zeit im Land ver­blie­ben wa­ren.

Das Ge­rüst lie­fert das 2020 von Ana­tol Regnier pu­bli­zier­te Buch glei­chen Ti­tels. Regnier, 1945 ge­bo­ren, ist der Sohn des Schau­spie­lers Charles Regnier (be­kannt aus zahl­rei­chen Se­ri­en und Fern­seh­fil­men, aber auch als Ko­mö­di­ant) und Pa­me­la We­de­kind, der Toch­ter des Dra­ma­ti­kers Frank We­de­kind und der Schau­spie­le­rin Til­ly Ne­wes. Ana­tol Regnier ver­fass­te ne­ben an­de­ren Bü­chern 2008 ei­ne viel­be­ach­te­te Bio­gra­phie über Frank We­de­kind.

In un­ter­schied­li­cher In­ten­si­tät krei­sen Buch und Film um das Ver­hal­ten von Gott­fried Benn, Erich Käst­ner, Hans Fal­la­da, Jo­chen Klep­per, Hanns Johst, Ina Sei­del und Will Ves­per wäh­rend der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Auf Bör­ries von Münch­hau­sen, Hans Grimm oder Agnes Mie­gel, auf die Regnier in sei­nem Buch nä­her ein­geht, wird im Film ver­zich­tet.

Im Film kom­men­tie­ren die Ein­drücke und The­sen un­ter an­de­rem Flo­ri­an Il­lies, Al­bert von Schirn­ding, Chri­stoph Stölzl, Ga­brie­le von Ar­nim, Ju­lia Voss und Gün­ter Rohr­bach, der ei­ne Son­der­stel­lung ein­nimmt. Der in­zwi­schen 94jährige Ne­stor des deut­schen Qua­li­täts­fern­se­hens er­zählt im letz­ten Drit­tel in zwei Ex­kur­sen von sei­ner Kind­heit und Ju­gend im saar­län­di­schen Neun­kir­chen. An­son­sten »mo­de­riert« Ana­tol Regnier den Film als ei­ne Art Er­zäh­ler; häu­fig im Ge­spräch mit Do­mi­nik Graf. Die ru­hi­ge, bis­wei­len an­ek­do­ti­sche, aber nie­mals tri­via­le Er­zähl­wei­se des Bu­ches wird be­hut­sam auf den Film trans­fe­riert. Häu­fig wird ein Split-Screen ein­ge­setzt, der das Ge­sag­te mit Ori­gi­nal-Bil­dern oder Film­se­quen­zen er­gänzt und ver­dich­tet. An­son­sten bleibt die Kon­zen­tra­ti­on auf das Wort.

Anatol Regnier und Dominik Graf - © Piffl Medien GmbH
Ana­tol Regnier und Do­mi­nik Graf – © Piffl Me­di­en GmbH

Der An­fang weicht vom Buch ab. 1945 ver­such­te der ame­ri­ka­ni­sche Psy­cho­lo­ge Dou­glas Mc­Glas­han Kel­ley mit Ge­sprä­chen und, das war neu, Ror­schach-Tests den See­len­zu­stand der in Nürn­berg an­ge­klag­ten Na­zi-Grö­ßen zu ana­ly­sie­ren. Kel­ley such­te, wie es ein biss­chen pa­the­tisch heißt, »das Bö­se im Men­schen«. In 22 cells in Nurem­berg prä­sen­tier­te er 1947 die Er­geb­nis­se sei­ner Ge­sprä­che. Für die Ana­ly­sen der Ror­schach-Tests kon­sul­tier­te er Fach­leu­te und Ex­per­ten. Aber de­ren Aus­wer­tun­gen wur­den ent­ge­gen der Ab­sich­ten nie ver­öf­fent­licht. Spä­ter hat es ge­hei­ßen, man ha­be nicht das ge­fun­den, was man er­war­te­te. Die­se Män­ner – ge­meint sind die Kriegs­ver­bre­cher – wä­ren kei­ne »wahn­sin­ni­gen Krea­tu­ren« ge­we­sen; Neu­ro­ti­ker hät­ten sich dar­un­ter be­fun­den aber auch ein­fach nur Op­por­tu­ni­sten; ei­gent­lich, und das ist das er­schrecken­de, han­del­te es sich um »nor­ma­le« Men­schen.

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Jens Bal­zer: No Li­mit

Jens Balzer: No Limit
Jens Bal­zer: No Li­mit

Jah­res- und De­ka­den­bü­cher bil­den seit ei­ni­ger Zeit fast schon ein ei­ge­nes Gen­re. Um ih­re Exi­stenz zu recht­fer­ti­gen, müs­sen die be­han­del­ten Zeit­ab­schnit­te nicht nur nach be­stimm­ten Kri­te­ri­en zu­sam­men­ge­fasst, son­dern auch über­höht wer­den. Ir­gend­et­was muss ge­sche­hen sein, um das Jahr oder die Epo­che ein­zig­ar­tig dar­zu­stel­len. Das ist rück­wir­kend be­trach­tend um­so ein­fa­cher, je wei­ter die ent­spre­chen­de De­ka­de ent­fernt ist. Auch die Fest­stel­lung, dass da­mals et­was für ak­tu­el­le Ge­gen­wart ty­pi­sches ih­ren An­fang ge­nom­men ha­be, ist dann si­che­rer zu tref­fen.

2019 ver­öf­fent­lich­te Jens Bal­zer ein Buch über die 1970er Jah­re. Zwei Jah­re spä­ter nahm er sich die Acht­zi­ger vor. Und jetzt, 2023, mit No Li­mit die Neun­zi­ger. Die Sieb­zi­ger nennt er das ent­fes­sel­te, die Acht­zi­ger das pul­sie­ren­de Jahr­zehnt. Die Neun­zi­ger wer­den zum »Jahr­zehnt der Frei­heit«, oder, wie es spä­ter et­was ge­nau­er heißt, das »Zeit­al­ter ei­ner glo­ba­len Frie­dens­ord­nung«. Pas­sen­der­wei­se be­ginnt das Buch über die Neun­zi­ger mit dem Mau­er­fall und lässt sie mit dem 11. Sep­tem­ber 2001 aus­klin­gen (wo­bei kein Er­eig­nis zwi­schen 2000 und 9/11 ei­ne Rol­le spielt). Das »Jahr­zehnt des Auf­bruchs« en­det schließ­lich als Zeit, in der »al­te Iden­ti­tä­ten wie­der­keh­ren und neue Iden­ti­tä­ten ent­ste­hen.« Mit dem Ein­sturz der Zwil­lings­tür­me »en­den die Neun­zi­ger­jah­re. Es en­det das En­de der Ge­schich­te. Und es en­det die Post­mo­der­ne, in der man glaub­te, dass sich al­le über­kom­me­nen Tra­di­tio­nen und Iden­ti­tä­ten auf­lö­sen wür­den in ei­ner Glo­ba­li­sie­rung, in der die ge­sam­te Mensch­heit sich ver­eint und ver­söhnt – im frei­en Han­del, im frei­en Aus­tausch von Gü­tern, Kul­tu­ren, Ideen.«

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Trash for cash

Ei­gent­lich dach­te man, dass mit dem Pod­cast Fa­king Hit­ler von Mal­te Her­wig (2019) die Sa­che mit den Hit­ler-Ta­ge­bü­chern er­le­digt sei. Si­cher­lich, es gab noch die­se un­säg­lich drö­ge so­ge­nann­te Ver­fil­mung glei­chen Na­mens (mit Lars Ei­din­ger als Gerd Hei­de­mann), aber die hat­te ge­gen die Hu­mo­res­ke Schtonk von Hel­mut Dietl kei­ne Chan­ce.

Nun ist man al­ler­dings der Ori­gi­nal-Fäl­schun­gen Ku­jaus hab­haft ge­wor­den, hat sie tran­skri­biert und setzt zum er­neu­ten Scoop an. Fast zeit­gleich ver­öf­fent­li­chen der NDR (an­ge­kün­digt in der Sen­dung Resch­ke-Fern­se­hen) und der März-Ver­lag Ku­jaus Fäl­schun­gen. Der NDR bie­tet zu­sätz­lich ei­ne Voll­text­su­che der (di­gi­ta­li­sier­ten) »Ta­ge­bü­cher« an. Kom­men­tiert wer­den die Ein­tra­gun­gen in bei­den Me­di­en von Ha­jo Fun­ke. So­wohl die Er­läu­te­run­gen des Her­aus­ge­bers des Bu­ches John Goetz als auch die hi­sto­ri­schen Ein­ord­nun­gen von Hei­ke B. Gör­tema­ker fin­den sich im Buch wie auch auf der NDR-Sei­te. In­ter­es­sant ist, dass auf der NDR-Sei­te kein ein­zi­ger Hin­weis auf das Buch im März-Ver­lag zu fin­den ist.

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Jo­chen Hö­risch: Poe­sie und Po­li­tik

Die zahl­rei­chen Pu­bli­ka­tio­nen wie bei­spiels­wei­se die Kul­tur­ge­schich­te der Hän­de (2021), die Mo­no­gra­fie »Gott, Geld und Me­di­en« (2004), ein Es­say über das »Wis­sen der Li­te­ra­tur« (2007), Mar­tin Lu­ther (2020), Ri­chard Wag­ners Theo­rie­thea­ter (2015) oder der »Wut des Ver­ste­hens« (1988/2011) ma­chen Jo­chen Hö­risch (Jahr­gang 1951) zu ei­ner ger­ne be­frag­ten Per­sön­lich­keit. Er er­scheint da­bei wie ei­ne Art kul­tur­wis­sen­schaft­li­cher ...

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