Die Mo­na Li­sa von Tai­pei

Ei­ne Rei­se­ge­schich­te

Von Hi­ro­shi­ma über Tai­pei nach Wien zu flie­gen, lag ei­gent­lich na­he; ich weiß nicht, war­um ich nicht frü­her auf die­se Idee ge­kom­men war. Viel­leicht we­gen der Ani­mo­si­tä­ten ge­gen Chi­na – nur die Chi­na Air­lines bie­ten die­se Flug­ver­bin­dung an –, die in der ja­pa­ni­schen Be­völ­ke­rung im­mer noch ver­wur­zelt sind, so auch bei mei­ner Frau, und die von ent­spre­chen­den Ani­mo­si­tä­ten auf der chi­ne­si­schen Sei­te ge­nährt wer­den (und um­ge­kehrt). Ge­sprä­che mit ei­ner aus Tai­wan stam­men­den Stu­den­tin, die mei­nen Un­ter­richt an der Uni­ver­si­tät Hi­ro­shi­ma be­such­te, weck­ten mein bis da­hin al­len­falls la­ten­tes In­ter­es­se an dem Land.

Das Lächeln des Maskottchens
Das Lä­cheln des Mas­kott­chens (© Leo­pold Fe­der­mair)

Wir fuh­ren al­so, mei­ne elf­jäh­ri­ge Toch­ter und ich, ei­nes Mor­gens zum Flug­ha­fen, mit dem Ta­xi, da schwe­re Un­wet­ter und Erd­rut­sche die Bahn­ge­lei­se weg­ge­schwemmt hat­ten, und stie­gen ins Flug­zeug der Chi­na Air­lines, wo­bei ich vor der Tür noch ein­mal zwei Schrit­te zu­rück mach­te, um mir ei­ne der auf dem Ser­vier­tisch­chen lie­gen­de eng­lisch­spra­chi­ge Zei­tung zu neh­men: die Tai­pei Times. Das Flug­zeug war spär­lich be­setzt, die Flug­zeit be­trug zwei­ein­halb Stun­den, ich hat­te al­le Ru­he und Zeit der Welt, um das nicht son­der­lich um­fang­rei­che Druck­werk durch­zu­le­sen. Auf Sei­te 3, tai­wa­ne­si­sche In­nen­po­li­tik, stieß ich auf ei­nen Ar­ti­kel mit der Über­schrift ‘Oce­an’ Bra­vo the Bear ma­s­cot draws cri­ti­cism. In­nen­po­li­tik?, dach­te ich. Das Fo­to da­ne­ben zeig­te ei­nen weiß­bär­ti­gen kahl­häup­ti­gen Mann, der ne­ben zwei an­de­ren Per­so­nen mehr oder we­ni­ger fort­ge­schrit­te­nen Al­ters an ei­nem lan­gen Tisch mit wei­ßem Tisch­tuch saß und in ein ro­tes Mi­kro­phon hin­ein­sprach. Auf dem Tisch, am lin­ken Fo­to­rand, wa­ren vier bläu­lich-schwar­ze Plüsch­bä­ren auf­ge­häuft, sie tru­gen ei­nen gel­ben Knopf an ei­nem wei­ßen Strei­fen, Hals­band oder Fell, das war nicht aus­zu­ma­chen. Ich be­gann zu le­sen, und es stell­te sich her­aus, daß es ein höchst ernst­haf­ter Ar­ti­kel war. Das Pro­blem, von dem er han­del­te (Zei­tungs­ar­ti­kel han­deln na­tur­ge­mäß von Pro­ble­men), be­stand dar­in, daß die Kul­tur­ab­tei­lung der Stadt­re­gie­rung von Tai­pei be­schlos­sen hat­te, das De­sign des Mas­kott­chens »Bra­vo the Bear« zu än­dern. Die­ses Mas­kott­chen – das vom Fo­to, der Knopf an sei­nem Bauch stell­te ei­ne Gold­me­dail­le dar – war bei der Be­völ­ke­rung von Tai­pei sehr be­liebt, wie Shih Ying, der Prä­si­dent der Hu­ma­ni­stic Edu­ca­ti­on Foun­da­ti­on, be­ton­te. Stif­tung für hu­ma­ni­sti­sche Er­zie­hung, dach­te ich, was für ein ehr­wür­di­ger Na­me! Sol­che Än­de­run­gen, sag­te Shih Ying der Zei­tung zu­fol­ge, wür­den nicht hin­ge­nom­men wer­den, wür­de man sie an der Mo­na Li­sa vor­neh­men. Er mein­te die ech­te Mo­na Li­sa, die im Pa­ri­ser Lou­vre aus­ge­stellt ist. Der­sel­be Na­me, Mo­na Li­sa, wur­de vom tai­wa­ne­si­schen Volks­mund Bra­vo the Bear ver­lie­hen, weil er ein so schö­nes Lä­cheln zei­ge; Mo­na Li­sa war ge­wis­ser­ma­ßen zum Spitz­na­men – oder Künst­ler­na­men – des Bä­ren ge­wor­den. Aber war­um hat­te die Stadt­re­gie­rung das Aus­se­hen der Mo­na Li­sa von Tai­pei ver­än­dert? Der Prä­si­dent der Hu­ma­ni­sti­schen Ge­sell­schaft sprach von Ver­blen­dung und Ar­ro­ganz der Mäch­ti­gen. Ei­ne wei­te­re Er­klä­rung, so­zu­sa­gen der Hin­ter­grund der Ge­schich­te, den die Ar­ti­kel­schrei­ber bei­steu­er­ten, lag dar­in, daß es Pro­ble­me mit den Mar­ken­rech­ten gab, die die Kul­tur­ab­tei­lung durch klei­ne Än­de­run­gen – ein oze­an­blau­es Näs­chen an­stel­le des schwar­zen – ele­gant zu um­ge­hen ver­such­te. Ei­nen sol­chen An­griff auf ihr gei­stig-künst­le­ri­sches Ei­gen­tum, dach­te ich den Ge­dan­ken Shihs fort­spin­nend, ei­nen sol­chen An­griff wür­de sich die ech­te Mo­na Li­sa nie­mals ge­fal­len las­sen. Die Ge­sell­schaft zur Ret­tung der Uni­ver­sia­de-Ver­si­on von Bra­vo the Bear hat­te ei­ne Pe­ti­ti­on ver­faßt, die nicht nur von zahl­lo­sen Bür­gern der Stadt, son­dern auch von be­kann­ten tai­wa­ne­si­schen Spit­zen­sport­lern un­ter­schrie­ben wor­den war (von Künst­lern war in die­sem Zu­sam­men­hang lei­der nicht die Re­de). Das Mas­kott­chen war ur­sprüng­lich für die Som­mer­uni­ver­sia­de ent­wor­fen wor­den, die 2017 in Tai­pei statt­ge­fun­den hat­te.

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Hi­ro­shi­ma 2019

Erst wenn du et­was zu ver­lie­ren be­ginnst, ent­steht ei­ne Ge­schich­te. Je mehr Ver­lu­ste, de­sto mehr Er­in­ne­rung, de­sto mehr Er­zäh­lung. Was na­tür­lich be­drückend, le­bens­hem­mend wir­ken kann.

An kei­nem Ort ha­be ich so lan­ge ge­lebt wie in Hi­ro­shi­ma. Drei­zehn Jah­re, kein Ju­bi­lä­um, kei­ne »run­de« Zahl – ich hät­te mit die­ser Er­zäh­lung war­ten kön­nen, bis es fünf­zehn oder zwan­zig Jah­re sind. Aber ob ich dann noch hier bin? Ob ich noch le­be? Der Lauf der Ge­schich­te oder des Zu­falls will es, daß die­ses Da­tum, das »Ge­ge­be­ne«, mit ei­nem an­de­ren Da­tum zu­sam­men­fällt, ei­nem En­de und Neu­be­ginn. Nach drei­ßig Jah­ren geht die Amts­zeit des al­ten Kai­sers zu En­de, ein neu­er tritt an. Es war die ver­spro­che­ne Frie­dens­zeit (»Heis­ei«), aber auch ei­ne de­pri­mie­ren­de Zeit, ei­ne ver­ewig­te Kri­se oh­ne gro­ße Hoff­nung auf ei­ne Lö­sung; die jun­gen Leu­te ha­ben mehr Angst vor der Zu­kunft als Ver­trau­en in sie. Vor kur­zem wur­de Sho­ko Asa­ha­ra ge­hängt, der Gu­ru ei­ner re­li­giö­sen Sek­te, ver­ant­wort­lich für das Gift­gas­at­ten­tat 1995 in der U‑Bahn von To­kyo, bei dem zwölf Men­schen star­ben und hun­der­te ver­letzt wur­den. Nach dem Erd­be­ben und Tsu­na­mi in To­ho­ku, mit der dro­hen­den Atom­ka­ta­stro­phe, hat­ten wir Angst, das Land könn­te zer­bre­chen. Letz­tes Jahr ging in un­se­rer Ge­gend ein schwe­rer, schier end­lo­ser Re­gen nie­der, ne­ben un­se­rem Haus rutsch­te, vom Gip­fel weg, ein gan­zer Berg­hang her­un­ter, die Spu­ren sind un­über­seh­bar, ich muß mich nur um­wen­den: Blick durch das Bal­kon­fen­ster, wie da­mals, als ich, schlaf­los im Mor­gen­grau­en, das gro­ße Grol­len ge­hört hat­te und so­fort auf­ge­sprun­gen war.

Heis­ei. Rei­wa. Geht mich das et­was an? Schwer zu sa­gen, was die neue Ma­xi­me – wenn es ei­ne ist und sein soll – ei­gent­lich be­deu­tet. Zwei Schrift­zei­chen aus ei­nem al­ten ja­pa­ni­schen Ge­dicht, dem Lied von der Pflau­men­blü­te, die man in Kyo­to oder Hi­ro­shi­ma schon kurz nach Neu­jahr se­hen kann, die er­ste Baum­blü­te und des­halb be­son­ders herz­er­freu­end, hoff­nungs­voll. Frü­her stamm­ten die kai­ser­li­chen Ma­xi­men aus al­ten chi­ne­si­schen Tex­ten, die die Früh­zeit der ja­pa­ni­schen Kul­tur präg­ten. Gut so; ei­ne na­tio­na­li­sti­sche Ge­ste, wie sie das miß­traui­sche Kom­men­ta­to­ren­volk zu er­ken­nen glaub­te (»Ja­pan snubs Chi­na at dawn of new im­pe­ri­al era« lau­te­te die Schlag­zei­le in The Times), kann ich dar­in nicht se­hen. Auch die ja­pa­ni­sche Hym­ne ist ja ein recht fried­li­ches Ge­dicht aus dem zehn­ten Jahr­hun­dert, oh­ne Kriegs­ge­trom­mel (aux ar­mes ci­toy­ens, the bombs bur­st­ing in the air…), oh­ne Prah­le­rei (das be­gna­de­te Volk gro­ßer Söh­ne und, neu­er­dings, Töch­ter).

Wir woh­nen fern von der Stadt, mehr oder we­ni­ger auf dem Land, in ei­ner ad­mi­ni­stra­ti­ven Zo­ne, die sich Hi­ga­shi-Hi­ro­shi­ma nennt, frü­her ei­ne Hand­voll ver­streu­ter Or­te von Reis­bau­ern, Sa­ke­pro­du­zen­ten und Fi­schern, heu­te von Uni­ver­si­tä­ten, For­schungs­zen­tren und Zu­lie­fer­fir­men für Mat­su­da durch­setzt. Im­mer noch vie­le Reis­fel­der, auch Sa­ke­braue­rei­en, be­wal­de­te Ber­ge, wei­ter un­ten, in west­li­cher Rich­tung, dann Ku­re mit sei­ner Werft und den Kriegs­schif­fen, die die US-Streit­kräf­te da­mals nicht bom­bar­dier­ten, sie zo­gen es vor, ih­ren »Litt­le Boy« über dicht­be­sie­del­tem Ge­biet ab­zu­wer­fen. Dort­hin, in die Stadt­mit­te von Hi­ro­shi­ma, kom­me ich sel­ten, ge­bil­det wird sie vom Frie­dens­park, über dem am Mor­gen des 6. Au­gust 1945 der gro­ße Wol­ken­pilz auf­stieg und der schwar­ze Re­gen fiel, und der vom Park ab­ge­hen­den Ein­kaufs­stra­ße, die am Par­co-Ge­bäu­de en­det, ei­nem ju­gend­li­chen Pa­last für mehr oder min­der schicke Klei­der – da­hin­ter be­ginnt das eher schmud­de­li­ge Ver­gnü­gungs­vier­tel.

Ich kom­me sel­ten hin, aber das hat Vor­tei­le, zu­min­dest den, daß ich die Stadt im­mer wie­der wie zum er­sten Mal se­he, mit dem auf­merk­sa­men, stau­nen­den Blick. Neu­lich, am er­sten Tag des er­sten Jah­res der Rei­wa-Ära, zu Be­ginn des Won­ne­mo­nats Mai, das Stau­nen über die Bäu­me, die Leucht­kraft des hell­grü­nen Blatt­werks der kusuno­ki, der Kamp­fer­bäu­me (häß­li­cher Na­me, der so gar nicht der Sa­che gleicht), und den Kon­trast der dunk­len, fast schwar­zen Äste, die es tra­gen. Ein Ge­spräch über Bäu­me ist fast ein Ver­bre­chen – an die­se Ge­dicht­zei­le Ber­tolt Brechts muß­te ich den­ken, als ich das er­ste Mal hier­her­kam, und spä­ter im­mer wie­der der Ge­dan­ke: Aber es ist kein Ver­bre­chen und schließt auch kein Schwei­gen ein. Die­se Bäu­me wur­den kurz nach der Ka­ta­stro­phe ge­pflanzt, da­mit neu­es Le­ben ent­ste­he trotz all des Grau­ens, und die sie ge­pflanzt ha­ben, sind mit ih­nen äl­ter ge­wor­den, ei­ni­ge von ih­nen, schon ge­bückt, pfle­gen sie noch heu­te, und wenn ich die­se al­ten Männ­lein und Weib­lein se­he, drei­zehn Jah­re nach mei­nem er­sten Spa­zier­gang hier, kann ich nicht um­hin, mich zu fra­gen, ob in zehn, zwan­zig Jah­ren noch je­mand kom­men wird, um den Bo­den um die Stäm­me zu har­ken. Die Frau, die ich ein­mal hier in der Nä­he, in ei­nem St-Marc-Ca­fé, ge­trof­fen und be­fragt ha­be, 1945 war sie ei­ne Schü­le­rin, die zwi­schen Trüm­mern nach ih­ren El­tern und Ge­schwi­stern such­te und ver­strahlt wur­de, die­se Frau wird bald neun­zig sein. Nein, ein Ge­spräch über Bäu­me ist kein Ver­bre­chen, wie nach Ausch­witz wei­ter­hin Ge­dich­te ge­schrie­ben wur­den, und nicht von Bar­ba­ren, und es im­mer noch ein rich­ti­ges Le­ben im fal­schen gibt. Ge­dich­te, Ge­sprä­che: kei­ne Un‑, son­dern Wohl­tat.

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Fluch oder Se­gen?

Was die Di­gi­ta­li­sie­rung bringt und was sie zer­stört

…un­gen

Es gibt in der Mensch­heits­ge­schich­te Ent­wick­lun­gen, die un­ver­meid­lich schei­nen. Wa­ren sie ein­mal in Gang ge­kom­men, muß­ten sie wei­ter­ge­hen, nichts konn­te sie auf­hal­ten, am we­nig­sten die Pro­te­ste kon­ser­va­ti­ver, auf Be­wah­rung des Über­lie­fer­ten be­dach­ter Men­schen. Das gilt, in der neue­ren Zeit, für die In­du­stria­li­sie­rung, die Elek­tri­fi­zie­rung, den welt­wei­ten Han­del, die Glo­ba­li­sie­rung, die Ver­ma­ssung des Zu­sam­men­le­bens, die Aus­brei­tung und den Ein­fluß der Mas­sen­me­di­en, die Ver­wis­sen­schaft­li­chung der Öko­no­mie und an­de­rer Le­bens­be­rei­che, die Er­for­schung und Ma­ni­pu­la­ti­on des pflanz­li­chen, tie­ri­schen und mensch­li­chen Le­bens, die Au­to­ma­ti­sie­rung und Ro­bo­ter­i­sie­rung, die Sa­tel­li­ten­kom­mu­ni­ka­ti­on, die Aus­brei­tung und zu­neh­men­de Ver­dich­tung ei­nes welt­wei­ten elek­tro­ni­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­net­zes. Es gilt eben­so für die Di­gi­ta­li­sie­rung, die sich mit ei­ni­gen die­ser Ent­wick­lun­gen über­schnei­det. Nichts da­von kann man rück­gän­gig ma­chen. Man kann ver­su­chen, die ent­spre­chen­den Vor­gän­ge und Phä­no­me­ne zu re­geln, zu ge­stal­ten, zu be­gren­zen. Mehr nicht.

+/-

Die Di­gi­ta­li­sie­rung wird im All­tags­le­ben von vie­len als Se­gen er­lebt, von an­de­ren als Fluch, oder ab­wech­selnd, so­gar gleich­zei­tig, als bei­des, Se­gen und Fluch. Ein Se­gen, wenn man mit weit ent­fern­ten Men­schen kom­mu­ni­zie­ren kann, oh­ne ei­gens da­für zu be­zah­len. Be­quem, zu Hau­se – al­so im »Netz« – ein­kau­fen zu ge­hen, Ho­tel­zim­mer zu bu­chen, Fahr­kar­ten zu kau­fen. Un­ter­halt­sam, zu spie­len, zu sur­fen, zu chat­ten. Be­quem und un­ter­halt­sam ist sie, un­se­re di­gi­ta­le Welt. Und bil­lig.

Auf der an­de­ren Sei­te: Wir ha­ben zu­neh­mend das Ge­fühl, über­wacht zu wer­den. Stän­dig ge­ben wir, oh­ne es recht zu mer­ken, In­for­ma­tio­nen über uns preis, die dann für ewi­ge Zei­ten ge­spei­chert blei­ben, und doch kön­nen wir oh­ne das Smart­phone nicht le­ben, es ist Teil von uns selbst, wir sind vom In­ter­net, die­ser to­ta­len Ver­bun­den­heit, ab­hän­gig. Die Ver­net­zung und das Da­sein dar­in ist per se ein Zu­stand der Ab­hän­gig­keit. Je wei­ter die di­gi­ta­le Per­so­na­li­sie­rung vor­an­schrei­tet, de­sto un­frei­er wer­den wir. Nicht Men­schen, son­dern Ma­schi­nen be­stim­men über uns.

in­nen … au­ßen … in­nen

In ein und der­sel­ben Aus­ga­be der Süd­deut­schen Zei­tung las ich neu­lich zwei Ar­ti­kel, die auf den er­sten Blick we­nig mit­ein­an­der zu tun hat­ten und ganz ver­schie­de­nen Re­dak­ti­ons­be­rei­chen zu­ge­ord­net wa­ren. Der ei­ne stand auf Sei­te 2, In­nen­po­li­tik und Kom­men­ta­re, der an­de­re im Feuil­le­ton auf Sei­te 11. Auf Sei­te 2 for­der­te der Lei­ter des »Ber­li­ner Bü­ros des Zu­kunfts­in­sti­tuts«, ein stu­dier­ter Ju­rist und Öko­nom, die deut­sche Bun­des­re­gie­rung auf, die Chan­cen der Di­gi­ta­li­sie­rung zu er­ken­nen und bes­ser zu nut­zen. In sei­nem Ar­ti­kel stieß ich auf die kla­re, fast schon ma­ni­fest­ar­ti­ge Be­haup­tung: »Das Ver­spre­chen der Di­gi­ta­li­sie­rung heißt Teil­ha­be und Ar­beit für al­le.«

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Wenn der Post­man mehr­fach klin­gelt

Mit »Amusing our­sel­ves to de­ath»1 stellt Neil Post­man ei­ne wich­ti­ge Grund­fra­ge: Wirkt das Me­di­um auf sei­ne In­hal­te zu­rück? In der Haupt­sa­che kon­tra­stiert Post­man dann zwei un­ter­schied­li­che Me­di­en­wel­ten: die Ty­po­gra­phi­sche der Zei­tun­gen und Bü­cher ge­gen die Pik­to­gra­phi­sche des Fern­se­hens. Nach Post­man be­din­gen die li­ne­ar-fort­schrei­ten­den Schrift­me­di­en ei­ne an­de­re Kon­sum­wei­se als die Be­wegt­bil­der. Sie be­nö­tig­ten ei­ne län­ge­re Auf­merk­sam­keits­span­ne, set­zen ge­wis­se dis­kur­si­ve Vor­kennt­nis­se vor­aus und ziel­ten von sich aus auf Ganz­heit und Ko­hä­renz. In der Fernseh»kultur« hin­ge­gen wer­de der Be­trach­ter nur in ei­nen vi­su­el­len Rausch im­mer neu­er Rei­ze oh­ne grö­ße­ren Sinn und Ein­heit ver­setzt, was letzt­lich un­ser frag­men­tier­tes ADHS-Hirn er­zeu­ge.

Dies ist nun der drit­te An­lauf mei­ne Ge­dan­ken zum Post­man­schen Pam­phlet zu ver­schrift­li­chen, aber viel­leicht ist mein graue Mat­sche auch schon zu ver­pi­xelt, um die­ses Vor­ha­ben je zu be­en­den.

1. Die Sa­pir-Whorf-The­se der Me­di­en­kri­tik

Wei­ten wir zu­nächst ein we­nig den Blick, um die All­ge­mein­heit der Post­man­schen The­se zu er­fas­sen. Es gibt, so den­ke ich, al­ler­orts ähn­lich ge­ar­te­te An­sät­ze. So zum Bei­spiel in der Wall­raff­schen Kri­tik der Bild­zei­tung, in wel­cher er Post­man ähn­lich das Por­trät ei­nes Me­di­ums zeich­net, das al­le in ihm ge­druck­ten In­hal­te ver­zerrt und ent­stellt. Auf noch fun­da­men­ta­le­re Wei­se stell­ten Sa­pir-Whorf die The­se auf, dass so­gar die Gram­ma­tik un­se­rer Spra­che die Welt­sicht prä­ge. Auch wenn die The­se wis­sen­schaft­lich mei­nes Wis­sens nicht un­be­dingt un­an­ge­foch­ten blieb, wur­de sie ähn­lich ver­hee­rend po­pu­la­ri­siert wie Gö­dels Un­voll­stän­dig­keits­sät­ze, so dass heu­te die Be­dingt­heit un­se­res Welt­bil­des von un­se­rer Spra­che schon die Spat­zen von den Dä­chern pfei­fen; mei­stens mit dem Fehl­verweis auf die hun­der­te Schnee­wör­ter der Es­ki­mos. Am weit­rei­chend­sten fin­det sich die­ser Denk­an­satz wohl ver­wirk­licht in dem Dik­tum, dass kein rich­ti­ges Le­ben im Fal­schen mög­lich sei. Das »Me­di­um« fin­det sich hier ge­wei­tet zu den »sy­ste­mi­schen, ka­pi­ta­li­sti­schen Um­ge­bungs­ge­ge­ben­hei­ten«, die je­den exi­sten­zi­el­len Aus­druck, den wir su­chen könn­ten, not­wen­dig ver­fäl­schen.

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  1. "Wir amüsieren uns zu Tode", 1985 

Der Wil­le zum Nicht­wis­sen (9/9)

An­mer­kun­gen zu ei­ner Hand­voll le­gen­dä­rer Sät­ze

9 – Un­schul­di­ge For­men der Über­trei­bung

First, the facts. Zu­erst die Fak­ten. Mit die­sem Satz be­gann Jo­el Pol­l­ak, Chef­re­dak­teur der Web­site Breit­bart News, am 23. Ja­nu­ar 2017 sei­nen Leit­ar­ti­kel, in dem er Do­nald Trump und sei­ne Mit­ar­bei­ter in Schutz nahm, die in Be­zug auf die Zahl der bei der Amts­einführung des Prä­si­den­ten an­we­sen­den Per­so­nen maß­los über­trie­ben hat­ten. Kel­ly­an­ne Con­way, sei­ne Spre­che­rin, hat­te von »al­ter­na­ti­ven Fak­ten« ge­spro­chen, um Trumps groß­spu­ri­ge Be­haup­tung, das Pu­bli­kum sei zahl­rei­cher ge­we­sen als bei sei­nem Amts­vor­gän­ger, zu ze­men­tie­ren.

Wel­che Fak­ten hat­te Pol­l­ak in die­ser An­ge­le­gen­heit zu bie­ten? Nun, er führ­te aus, daß die Men­ge von der Tri­bü­ne her ge­se­hen, al­so vom Stand­ort des Prä­si­den­ten, ge­wal­tig wirk­te – er selbst kön­ne dies be­stä­ti­gen, denn er ha­be ei­nen Platz auf der Tri­bü­ne er­gat­tert ge­habt. Die­se Recht­fer­ti­gung, der Prä­si­dent sei halt ei­ner sub­jek­ti­ven Täu­schung er­le­gen, mag den Jour­na­li­sten eh­ren. Vom Stand­punkt der Wahr­haf­tig­keit aus ge­se­hen ist es be­denk­lich, wenn sub­jek­ti­ve Ein­drücke zu Fak­ten ge­adelt wer­den. So­wohl in der Wis­sen­schaft als auch in der Po­li­tik und in der me­dia­len Be­richt­erstat­tung soll­te bei­des ge­trennt wer­den. Was Pol­l­ak als Fak­ten be­zeich­ne­te, ist nichts an­de­res als die Fest­stel­lung der Sub­jek­ti­vi­tät der Wahr­neh­mung, die na­tür­lich für je­der­mann gilt. Wir ha­ben täg­lich den Ein­druck, die Son­ne be­we­ge sich um die Er­de, und un­se­re Spra­che spie­gelt die­sen Ein­druck wi­der: Die Son­ne geht auf und sie geht un­ter. Wir wis­sen aber heu­te dank Ko­per­ni­kus und Ga­li­lei, daß die Tat­sa­chen an­ders lie­gen.

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Der Wil­le zum Nicht­wis­sen (8/9)

An­mer­kun­gen zu ei­ner Hand­voll le­gen­dä­rer Sät­ze

8 – Den­ken ist vor al­lem Mut.

Der Satz stammt stammt in die­ser Form zwar von Lud­wig Hohl, aber man kann ihn fast wort­gleich schon bei Im­ma­nu­el Kant in des­sen Schrift Was ist Auf­klä­rung le­sen. Das Sub­jekt, von dem Kant dort spricht, ist »der Mensch«. Der Kö­nigs­ber­ger Phi­lo­soph be­an­sprucht mit­hin, für al­le zu spre­chen (und bei je­man­dem, der die Schrit­te und Be­grif­fe sei­nes Den­kens so ge­nau zu durch­den­ken ge­wohnt war, kann man an­neh­men, daß er sich des Sinns sei­ner Äu­ße­run­gen bis in die Ein­zel­hei­ten be­wußt war). Dumm sind die Men­schen dann, wenn es ih­nen an Mut man­gelt, den ei­ge­nen Ver­stand zu ge­brau­chen. Den ei­ge­nen Ver­stand zu ge­brau­chen setzt je­doch vor­aus, daß im Prin­zip je­der fä­hig ist, dies auch zu tun und da­durch zu mehr oder min­der ver­nüf­ti­gen Schlüs­sen zu ge­lan­gen. Ernst Cas­si­rer be­tont in sei­ner Er­läu­te­rung der Kri­tik der rei­nen Ver­nunft, das Kant­sche Sub­jekt sei iden­tisch mit der mensch­li­chen Ver­nunft. Ob die­se Be­haup­tung – oder doch eher For­de­rung? – im prak­ti­schen Sinn zu ver­ste­hen ist, muß man sich zu Be­ginn des 21. Jahr­hun­derts fra­gen. Im Grun­de ge­nom­men trifft sich Ador­no in sei­ner anthropo­logischen Er­klä­rung der Dumm­heit mit Kant, denn wenn man wei­ter nach­fragt, wie es denn zur be­an­stan­de­ten Mut­lo­sig­keit kom­men konn­te, so wird man frü­her oder spä­ter auf das Phä­no­men der Angst sto­ßen. Frei­lich, im Zeit­al­ter der all­mäch­ti­gen Kul­tur­in­du­strie, die Ador­no als er­ster sy­ste­ma­tisch zu be­schrei­ben un­ter­nahm, be­steht in den so­ge­nann­ten ent­wickel­ten Län­dern für die gro­ße Mehr­heit der Bür­ger we­nig Grund zur Denk- und Sprech­angst. Ih­re Träg­heit ist eher dar­auf zu­rück­zu­füh­ren, daß sie macht­vol­len Stra­te­gien der Ein­lul­lung, der vor­sätz­li­chen Ver­dum­mung, der me­di­en­be­ding­ten In­fan­ti­li­sie­rung zum Op­fer fal­len. Oder muß man gar, im Wi­der­spruch zu Kant, an­neh­men, es ge­be so et­was wie ei­ne mensch­li­che Grund­ei­gen­schaft der Träg­heit als in­di­vi­du­al­psy­cho­lo­gi­sche Ent­spre­chung zum an­thro­po­lo­gi­schen To­des­trieb, den Freud »ent­deck­te«? So daß nicht nur die Neu­gier dem Men­schen an­ge­bo­ren wä­re, son­dern auch ein ge­gen­läu­fi­ges Stre­ben, das ihn, wenn es über­hand nimmt, un­mün­dig macht. Die Kul­tur­in­du­strie – zu die­ser Fest­stel­lung be­darf es kei­ner aus­führ­li­chen Ar­gu­men­ta­ti­on – för­dert die Träg­heit, sti­mu­liert Süch­te, re­du­ziert die In­di­vi­du­en auf ei­ne An­zahl von Re­fle­xen und schwächt die Neu­gier, den selbst­tä­ti­gen For­schungs­geist.

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Der Wil­le zum Nicht­wis­sen (7/9)

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7 – Wir goo­geln uns blöd!

Di­gi­ta­le De­menz lau­tet der rei­ße­ri­sche Ti­tel ei­nes Buchs, das vor ei­ni­gen Jah­ren in Deutsch­land ein Best­sel­ler­er­folg war. Doch der in zwei Wor­te ge­faß­te Be­fund des Ge­hirn­for­schers und Psych­ia­ters Man­fred Spit­zer ist wohl­über­legt und wohl­for­mu­liert. Bild­schirm­me­di­en hin­dern die Ge­hirn­tä­tig­keit eher, als daß sie sie för­dern: das galt schon für das Fern­seh­zeit­al­ter, und es gilt erst recht für die di­gi­ta­len Me­di­en. Das Ab­neh­men der Lei­stungs­fä­hig­keit des Ge­hirns be­zeich­net man als »De­menz«; es muß nicht zwangs­läu­fig erst im ho­hen Al­ter ein­set­zen. Ei­ne zwei­te Be­deu­tung der For­mel be­zieht sich auf ge­sell­schaft­li­che Aus­wir­kun­gen der in­zwi­schen über­mäch­ti­gen Di­gi­tal­kul­tur. Wer­den die Be­völ­ke­run­gen ten­den­zi­ell im­mer düm­mer? Spit­zer zi­tiert ei­ne Rei­he von Stu­di­en und Ex­pe­ri­men­ten, die die­sen Schluß na­he­le­gen. Ins­ge­samt ist die Schul- und Hochschul­bildung im Ver­lauf des 20. Jahr­hun­derts in den west­li­chen Län­dern si­cher viel brei­ter ge­wor­den. Ob sie – Mas­sen­uni­ver­si­tä­ten statt Eli­te­schmie­den – auch bes­ser ge­wor­den ist, ist ei­ne an­de­re Fra­ge. Wenn es ei­nen Um­kehr­punkt ge­ge­ben hat, wann ge­nau und wes­halb? Die Com­pu­ter wer­den nicht al­lein dar­an schuld sein.

Spit­zers zwang­haf­te Art, den Ein­druck wis­sen­schaft­li­cher Ab­si­che­rung zu er­wecken, ist ei­ne der Sei­ten, die an sei­nen Auf­trit­ten kri­ti­siert wer­den. Je­de Men­ge Sta­ti­sti­ken, Kor­re­la­tio­nen, aber kein Ent­fal­ten von Zu­sam­men­hän­gen. Und pau­scha­le Ver­ur­tei­lun­gen, ein ums an­de­re Mal wie­der­holt. We­nig Er­zäh­lung, wür­de ich hin­zu­fü­gen: We­nig kon­kre­te Bei­spie­le, we­nig ei­ge­ne Er­fah­run­gen. Aber das mag Auf­ga­be der Li­te­ra­tur sein, al­so mei­ne. Im gro­ßen und gan­zen stim­me ich Spit­zers Ein­schät­zun­gen zu, auch wenn mir sein häm­mern­der Stil auf die Ner­ven geht. Daß wir uns vom di­gi­tal-me­dia­len Über­bau nicht gänz­lich be­frei­en kön­nen und das folg­lich auch nicht ver­su­chen soll­ten, ge­steht er selbst zu, al­ler­dings tönt die Kon­zes­si­on viel lei­ser als sei­ne Un­ken­ru­fe. Wir soll­ten un­se­re Auf­ent­halts­zeit in der di­gi­ta­len Welt be­schrän­ken, d. h. re­gu­lie­ren (hor­ri­bi­le dic­tu!), manch­mal auch län­ge­re Pau­sen ein­le­gen, und vor al­lem soll­ten wir ei­ne sol­che Di­ät schon un­se­ren Kin­dern an­ge­dei­hen las­sen. Die viel­be­schwo­re­nen di­gi­ta­len Kom­pe­ten­zen las­sen sich nur in Ver­bin­dung mit »Vor­wis­sen«, wie Spit­zer es nennt, al­so mit tra­di­tio­nel­len gei­sti­gen Fä­hig­kei­ten, die man nicht am Bild­schirm er­wirbt, son­dern im Kon­takt mit der Er­fah­rungs­welt, mit Bü­chern und mit Er­zie­hungs­per­so­nen, sinn­voll aus­üben.

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Der Wil­le zum Nicht­wis­sen (6/9)

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6 – Der schma­le Grat zwi­schen Ge­fähr­dung und Idio­tie

Mu­sil, Hork­hei­mer und Ador­no brin­gen kei­ne kon­kre­ten Bei­spie­le für ih­re The­sen, we­der po­li­ti­scher noch le­bens­welt­li­cher, we­der in­di­vi­du­el­ler noch kol­lek­ti­ver Art. Was er bringt, sind Re­de­ge­wohn­hei­ten und ei­ni­ge all­ge­mein­mensch­li­che, ide­al­ty­pi­sche Fäl­le. Wel­che For­men, wel­chen Sinn und Un­sinn kann Dumm­heit an­neh­men, wel­che Funk­ti­on er­fül­len? Je­der kennt Bei­spie­le, nicht zu­letzt von sich selbst.

Ich zum Bei­spiel ha­be mei­ne letz­te Dumm­heit vor we­ni­gen Mi­nu­ten be­gan­gen, kei­ne ver­ba­le, son­dern ei­ne Dumm­heit der Tat. Ich fuhr auf ei­nem viel­be­fah­re­nen, re­la­tiv brei­ten Weg hin­ter zwei Fahr­rad­fah­rern, jun­gen Män­nern, die bei eher lang­sa­mer Ge­schwin­dig­keit ne­ben­ein­an­der­fah­rend plau­der­ten und län­ge­re Zeit die Bahn ver­sperr­ten, die sie nur für Ent­ge­gen­kom­men­de kurz frei­ga­ben. Ich woll­te nicht klin­geln, woll­te nicht auf­dring­lich sein, fuhr ein, zwei Ki­lo­me­ter na­he an den bei­den Hin­ter­rä­dern und über­holte, als sich ei­ne Chan­ce da­zu bot. Ab­sicht­lich schnitt ich den ei­nen Fah­rer, woll­te ihn da­bei nicht wirk­lich be­rüh­ren, be­rühr­te ihn dann aber doch mit dem Ell­bo­gen, den ich viel­leicht ein paar Zen­ti­me­ter zur Sei­te ge­streckt hat­te. Der jun­ge Mann kam ins Schleu­dern und stürz­te schließ­lich. Sein Freund schnauz­te mich an, ich schnauz­te zu­rück, ging dann aber doch be­sorgt, et­was klein­laut ge­wor­den, zu dem Ge­stürz­ten. Er hat­te sich an ei­ner Hand leich­te Ab­schür­fun­gen zu­ge­zo­gen – ei­ne ge­ring­fü­gi­ge Ver­let­zung, aber eben doch ei­ne sicht­ba­re Fol­ge mei­ner Hand­lung, ich war dar­an schuld. Ich ent­schul­dig­te mich. Der Ge­stürz­te, wie­der auf den Bei­nen, schau­te mich ver­dat­tert an.

Ei­ne Dumm­heit; wenn mir wirk­lich so viel an ei­nem ge­ord­ne­ten Fahr­rad­ver­kehr ge­le­gen ist, soll­te ich ver­su­chen, Ver­kehrs­sün­der zur Re­de zu stel­len, an mei­ner Uni­ver­si­tät auf­klä­rend zu wir­ken, in der Schu­le mei­ner Toch­ter ei­ne ver­nünf­ti­ge Ver­kehrs­er­zie­hung for­dern. Das wä­ren, viel­leicht, klu­ge Hand­lun­gen. Aber ei­nen un­schul­di­gen, bloß ein we­nig leicht­sin­ni­gen Jun­gen in Ge­fahr zu brin­gen...

Wor­in be­stand mei­ne Dumm­heit? In der fal­schen, nicht zweck­füh­ren­den – aber wer weiß? – Wahl der Mit­tel? Oder wur­zel­te sie nicht doch eher im emo­tio­na­len Be­reich, in man­geln­der Ein­füh­lungs­be­reit­schaft und, ja, Ag­gres­si­vi­tät, al­so un­zu­rei­chen­der Af­fekt­kon­trol­le? In der Nicht­be­rück­sich­ti­gung der mög­li­chen Fol­gen mei­nes Han­delns? Schließ­lich hät­te die Sa­che schlim­mer en­den kön­nen. Ge­fühl und Ver­stand ver­mi­schen sich, ge­nau wie Mu­sil es in sei­ner Re­de be­schrieb.

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