Wie dann doch al­les schief­ge­gan­gen ist: Chri­sto­pher Clarks Schlaf­wand­ler

Christopher Clark: The Sleepwalkers
Chri­sto­pher Clark:
The Sleep­wal­kers
Der Er­folg von Clarks »Schlaf­wand­lern« (Spie­gel-Top10; Nr. 1‑Bestseller auf Ama­zon) in Deutsch­land ist auch ein Tri­umph des Mar­ke­tings und der stra­te­gi­schen Pro­dukt­pla­nung. Ge­nau zum rich­ti­gen Zeit­punkt, am An­fang des gro­ßen Ge­denk­ma­ra­thons zum WWI, wird das Buch mit um­fang­rei­chen Wer­be- und PR-Ma­te­ria­li­en in den über­re­gio­na­len Feuil­le­tons plat­ziert, die ge­schickt die Neu­ro­sen rechts-bür­ger­li­cher deut­scher Pu­bli­zi­sten und des AfD-wäh­len­den Teils des Pu­bli­kums be­die­nen. Ein Ver­gleich der »Blurbs«, die das eng­li­sche Ori­gi­nal be­wer­ben, und der Sprech­bla­sen auf der deut­schen Über­set­zung ist hier sehr in­struk­tiv. (Mein Text be­zieht sich auf die eng­li­sche Ta­schen­aus­ga­be Chri­sto­pher Clark, The Sleep­wal­kers. How Eu­ro­pe Went to War in 1914, Lon­don: Pen­gu­in Books, 2013) Gleich vor­weg: Clark schreibt kei­ne Apo­lo­gie des Kai­ser­rei­ches.

Tat­säch­lich las­sen sich die gut 560 Sei­ten rei­ner Text (oh­ne Fuß­no­ten) her­vor­ra­gend le­sen. Ana­ly­ti­sche Pas­sa­gen, zum Bei­spiel zur kom­ple­xen und kom­pli­zier­ten Struk­tur der po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­se in den be­tei­lig­ten Staa­ten und de­ren Be­deu­tung für die tat­säch­li­chen Hand­lun­gen und de­ren Ab­läu­fe, sind ge­schickt in die er­zäh­le­ri­schen Pas­sa­gen in­te­griert. Dass Clark wirk­lich gut er­zäh­len kann, ist ein gro­ßes Plus des Bu­ches: Ent­scheidende Epi­so­den auf dem Weg in den Krieg wer­den sehr pla­stisch, die Haupt­akteure wer­den in klei­nen Vi­gnet­ten vor­ge­stellt. So ist man qua­si live da­bei, als ser­bi­sche Put­schi­sten Kö­nig Alex­an­dar und Kö­ni­gin Dra­ga ab­schlach­ten und dann ei­ni­ge der Kö­nigs­mör­der Jah­re spä­ter die Sa­ra­je­vo-At­ten­tä­ter re­kru­tie­ren oder beim Be­such des fran­zö­si­schen Staats­prä­si­den­ten Poin­ca­ré in Ruß­land wäh­rend der Hoch­zeit der Ju­li-Kri­se 1914, in­klu­si­ve des Ner­ven­zu­sam­men­bruchs des fran­zö­si­schen Re­gie­rungs­chefs Vi­via­ni.

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Lucky Punch

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 19

Am 12. Au­gust 2014 er­scheint bei Hoff­mann und Cam­pe un­ter dem Ti­tel Deut­scher Mei­ster mein neu­er Ro­man dar­über, wie der Pro­fi­bo­xer Hein­rich Troll­mann die Na­zis be­sieg­te. Als ich das letz­te Ka­pi­tel schrieb und mich zu die­sem Zweck mit Le­ber­ha­ken aus­ein­an­der­setz­te, sol­chen mit K.o.-Wirkung und sol­chen oh­ne, und wie ver­schie­den und doch le­ber­ha­ken­spe­zi­fisch die Ge­trof­fe­nen fal­len, und wel­che Art von Schmer­zen sie er­lei­den, und wie die Le­ber­ha­ken in­nen, al­so ana­to­misch wir­ken, und als ich sah, wo der K.o.-Knopf ist, und wie man ihn ge­drückt kriegt, da fiel mir plötz­lich je­nes bis­her un­verstandene Er­leb­nis auf dem Ok­to­ber­fest 2004 wie­der ein, und mir wur­de schlag­ar­tig klar, dass ich da­mals mei­nen Kon­tra­hen­ten in die Le­ber ge­trof­fen ha­ben muss­te.

Um das gleich vor­weg­zu­neh­men: Er war sel­ber schuld. Zu­nächst ein­mal ist, wer ei­ne solch pro­vo­kan­te Le­der­ho­se trägt, die durch al­ler­lei Zier­sticke­rei­en, Klap­pen und Knöp­fe den ge­schlecht­li­chen Be­reich auf­dring­lich her­vor­hebt und be­tont, oh­ne­hin sel­ber schuld und muss sich über nichts wun­dern. Wä­re er zwei­tens erst gar nicht aufs Ok­to­ber­fest ge­gangen, son­dern zu Hau­se ge­blie­ben, hät­te ich ihn nicht k.o. schla­gen kön­nen, und hät­te er mich drit­tens nicht un­ge­fragt an­ge­fasst, so hät­te ich gar nicht dar­an ge­dacht, ihm ei­ne Leh­re zu er­tei­len, denn ich hat­te weiß Gott bes­se­res zu tun, na­ment­lich, durch an­stren­gen­de Ar­beit mit der Rik­scha Geld zu ver­die­nen.

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Der Wald und die Bäu­me (VI)

Fu­nes, der Da­ten­spei­cher Ei­ne Er­zäh­lung von Jor­ge Lu­is Bor­ges heißt Fu­nes el me­mo­rio­so; der Ti­tel läßt sich Wort für Wort nicht gut ins Deut­sche über­tra­gen. Statt sich mit dem Epi­the­ton des Ori­gi­nal­ti­tels her­um­zu­pla­gen, ha­ben die deut­schen Über­set­zer ein Wör­ter­paar als Ti­tel ge­wählt, das im vor­letz­ten Satz der Er­zäh­lung vor­kommt: Das un­er­bitt­li­che Ge­dächt­nis. Das er­staun­li­che, lei­stungs­star­ke, ...

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Der Gro­sse Krieg

Er­spart prak­tisch al­les an­de­re zum 1.Weltkrieg: Her­fried Mün­k­ler http://t.co/B9PomlFXLI

— frank­schirr­ma­cher (@fr_schirrmacher) 28. Ja­nu­ar 2014

»Er­spart prak­tisch al­les an­de­re zum 1.Weltkrieg: Her­fried Mün­k­ler« twit­ter­te Frank Schirr­ma­cher am 28. Ja­nu­ar 2014 und ver­link­te auf ein In­ter­view mit dem Au­tor in der FAZ. Ich kann das nicht be­ur­tei­len. Ne­ben ei­ni­gen ober­fläch­li­chen, zu­wei­len effekt­hascherischen Ge­denk­sen­dun­gen in Ra­dio und Fern­se­hen ha­be ich ne­ben Her­fried Mün­k­lers Buch »Der Gro­sse Krieg – Die Welt 1914–1918« nur noch Ernst Pi­pers »Nacht über Eu­ro­pa« ge­le­sen.

Die Bü­cher sind kaum mit­ein­an­der ver­gleich­bar. Mün­k­ler lie­fert ei­ne Ge­samt­über­sicht des Krie­ges auf rund 780 Sei­ten mit 70 Sei­ten klein­ge­druck­ter An­mer­kun­gen. Die Biblio­graphie am En­de des Bu­ches – sat­te 40, eben­falls klein­ge­druck­te Sei­ten mit über 800 Li­te­ra­tur­ver­wei­sen – bie­tet für na­he­zu je­des The­ma zum Er­sten Welt­krieg – und sei es noch so spe­zi­ell – Ver­tie­fungs­mög­lich­kei­ten. Pi­per bie­tet mit Pro­log und Ex­kur­sen 15 Auf­sät­ze auf 485 Sei­ten mit mehr als 50 Sei­ten An­mer­kungs­teil. Da­bei stellt er ein­zel­ne Aspek­te des Krie­ges in den Vor­der­grund wie die Kriegs­lust der In­tel­lek­tu­el­len, die Rol­le der Schweiz und das Wü­ten der Deut­schen in Bel­gi­en. De­tail­lier­te mi­li­tä­ri­sche und geo­stra­te­gi­sche Er­läu­te­run­gen feh­len da­ge­gen.

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War­um nicht?

Gro­ße Auf­re­gung in der Fuß­ball­welt: Das Bun­des­land Bre­men möch­te bei so­ge­nann­ten »Ri­si­ko­spie­len« die Ko­sten für Po­li­zei­ein­sät­ze den Bun­des­li­ga­clubs in Rech­nung stel­len. All­über­all wohl­fei­le Em­pö­rung, vor al­lem na­tür­lich bei der DFL und des­sen Chef Rein­hard Rau­ball. Den Hin­weis auf die Mil­lio­nen­ge­häl­ter und Ab­lö­se­sum­men, die Ver­ei­ne be­zah­len, wer­den pau­schal als »Po­le­mik« ab­ge­tan. »Dar­um geht es nicht«, sag­te Rau­ball in der NRZ.

Was aber, wenn es ge­nau dar­um geht? Seit Jah­ren lau­fen die In­itia­ti­ven von Ver­ei­nen und dem DFB mehr oder we­ni­ger ins Lee­re, wenn es um so­ge­nann­te »Fan­pro­jek­te« geht, die die aus­ufern­de Ge­walt vor, wäh­rend und nach Spie­len – mei­stens so­ge­nann­ten »Der­bys« – in so­zi­al­de­mo­kra­ti­scher Ma­nier prä­ven­tiv be­kämp­fen sol­len. Das kann man be­kla­gen und dann zur Ta­ges­ord­nung über­ge­hen. Oder man kann Maß­nah­men er­grei­fen, die den Ver­ei­nen mehr ab­ver­langt, als ein paar tau­send Eu­ro zur Ge­wis­sens­be­ru­hi­gung ab­zu­zwacken und an­son­sten busi­ness as usu­al zu be­trei­ben.

Die Bre­mer In­itia­ti­ve führt zu ei­ner Wie­der­be­le­gung alt be­kann­ter Ste­reo­ty­pen. Et­wa wenn es im­mer wie­der heißt, die Ran­da­lie­rer sei­en kei­ne Fuß­ball­fans und das al­les hät­te mit Fuß­ball nichts zu tun. Mit was hat es denn dann zu tun? Mit Hal­len­hand­ball? Das ist un­ge­fähr so, als be­haup­te man, dass die rund 3000 Ver­kehrs­to­ten im Jahr auf deut­schen Stra­ßen nichts mit dem Au­to­fah­ren zu tun ha­ben. Ach ja, das ist ja auch so ein The­ma: Ge­schwin­dig­keits­be­gren­zung. Aber ich schwei­fe ab.

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Lob der Hel­le

Daß Fi­gur und Kör­per­bau ja­pa­ni­scher Frau­en we­ni­ger schön sind als bei den Frau­en im We­sten, mag man be­zwei­feln. Si­cher ist, daß nir­gend­wo sonst Frau­en mit so schö­ner und zar­ter Haut zu fin­den sind. Es wird wohl mit dem Zell­ge­we­be zu tun ha­ben, das bei wei­tem nicht so schnell al­tert wie bei Eu­ro­päe­rin­nen. Die Haut er­schlafft, ja, aber die Zel­len ver­fallen nicht in glei­cher Wei­se wie bei west­li­chen Frau­en, wo je­de über Drei­ßig mit Zellu­litis zu kämp­fen hat. Ja­pa­ni­sche Frau­en ha­ben Jahr­zehn­te zur Ver­fü­gung, um ih­re Schön­heit zu ent­fal­ten. Es ist kein plötz­li­ches Auf­blü­hen und ra­sches Ver­wel­ken, son­dern ein lang­sa­mer, viel­schich­ti­ger, nu­an­cier­ter Vor­gang. Die Frau­en ver­ste­hen es, zu rei­fen. Und nicht nur die so­ge­nann­ten Schön­hei­ten. Viel­leicht den­ken sie gar nicht dar­an; der Kör­per reift von selbst. Bei vie­len ist die Haut durch­schei­nend, man sieht oder ahnt das Adern­werk, die bläu­li­chen Ver­äste­lun­gen. Die Schön­heit der Far­be Weiß ha­be ich erst hier zu be­grei­fen be­gon­nen. Das Aben­teu­er die­ser Far­be, die den Be­griff der Voll­kom­men­heit an­schau­lich macht, aber auch für Schat­ten emp­fäng­lich ist. Schat­tie­run­gen, Pro­jek­tio­nen, mein ei­ge­ner Schat­ten. Der Schat­ten mei­ner rech­ten Hand. Kei­ne Haa­re (oder nur äu­ßerst fei­ne, man sieht sie auch aus gro­ßer Nä­he kaum), kei­ne Fur­chen, kei­ne Wi­der­stän­de. Nur die Flä­chen und Mul­den, die zu­rück­hal­ten­den Run­dun­gen. Die Haut wird zur rei­nen Form, nichts als Ober­flä­che, die Haut macht ver­ges­sen, daß sie et­was hält. Nie wer­de ich die Re­de von der »gelb­li­chen Tö­nung« ver­ste­hen, die die Ja­pa­ner selbst gern füh­ren. In Eu­ro­pa se­he ich gel­be Men­schen; hier nicht. Es gibt kei­ne rei­ne­re, für sich be­stehen­de Hel­lig­keit. Auch dies ein Grund, war­um Schat­ten not­wen­dig sind. Der Kör­per der Frau ver­langt nach dem Schat­ten, der ihn um­hüllt. Der weib­li­che Kör­per ist nicht ex­hi­bi­tio­ni­stisch, will sich nicht, nicht stän­dig, nicht oh­ne Vor­be­hal­te zei­gen. Er will be­stehen, sich be­reit hal­ten, be­rührt wer­den. Eher be­rührt als ge­se­hen. Der weib­li­che Kör­per er­hüllt sich, in­dem er sich zeigt. Den wei­ßen Schlei­er der Haut.

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An­ge­la Mer­kel ist 60

In den 1970er Jah­ren lief ei­ne Vor­abend­se­rie im ZDF: Das »Kö­nig­lich-Baye­ri­sche Amts­ge­richt«. Die Wi­ki­pe­dia ru­bri­ziert sie als Ge­richts­show und Hei­mat­se­rie. Im We­sent­li­chen be­stand sie aus ge­spiel­ten Ge­richts­sze­nen aus der Zeit vor 1914 aus ei­nem fik­ti­ven nie­der­baye­ri­schen Ort. Sie be­gan­nen im­mer mit ei­nem klei­nen Pro­log: »Es war ei­ne lie­be Zeit, die gu­te, al­te Zeit, vor an­no 14. In Bay­ern gleich gar. Da­mals hat noch ih­re Kö­nig­li­che Ho­heit, der Herr Prinz­re­gent, re­giert. Ein kunst­sin­ni­ger Mon­arch, denn der Kö­nig war schwer­mü­tig.«

Ich muss in letz­ter Zeit im­mer wie­der an die­se klei­ne, durch­aus im sanft iro­ni­schen Duk­tus vor­ge­tra­ge­ne Ein­füh­rung den­ken, die mit den mar­ki­gen Wor­ten »Es war halt noch vie­les in Ord­nung da­mals« en­det. Mit ähn­li­chen Wor­ten könn­te man in 60 Jah­ren viel­leicht auch die Ära Mer­kel ver­klä­ren. Das hät­te man sich in den 1990ern, als Hel­mut Kohl An­ge­la Mer­kel re­la­tiv zü­gig in wich­ti­ge Po­si­tio­nen hiev­te, nie­mals ge­dacht. Die po­li­ti­schen Hoff­nungs­trä­ger wa­ren an­de­re. Ei­nen (fik­ti­ven) Eu­ro für je­den, den man oh­ne ei­ne Such­ma­schi­ne zu be­mü­hen, na­ment­lich nen­nen kann!

Da­bei braucht man gar nicht die Fa­ma der män­ner­mor­den­den An­ge­la Mer­kel zu stricken. Sie ist in die­ser Kon­se­quenz Un­sinn. Wenn Po­li­ti­ker in­ner­halb ih­rer Or­ga­ni­sa­ti­on kei­nen Auf­stieg mehr rea­li­sie­ren kön­nen, su­chen sie an­de­re Be­tä­ti­gun­gen. Das war bei Hel­mut Kohl nicht an­ders. Und auch der im­mer wie­der her­vor­ge­hol­te so­ge­nann­te Macht­in­stinkt ist in et­wa so au­ßer­ge­wöhn­lich wie ein Lenk­rad am Au­to. In die­ses Amt stol­pert man nicht.

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Der Wald und die Bäu­me (V)

Sape­re au­de! Auch Kri­ti­ker sind über­zeugt, daß es kein Zu­rück gibt, und wün­schen sich kei­nes. Wer die di­gi­ta­len Ge­brauchs­tech­ni­ken und die alt­her­ge­brach­ten Kul­tur­tech­ni­ken wie Le­sen und Schrei­ben, Er­ken­nen und Ver­ste­hen, Wer­ten und Ur­tei­len, Ar­gu­men­tie­ren und Gelten­lassen be­herrscht und mit­ein­an­der zu ver­bin­den ver­steht, ist im Vor­teil. Nicht unbe­dingt im Wett­be­werbs­vor­teil um das schleu­ni­ge­re Wis­sen und die ...

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