Der Junge heißt Kleiner Junge; er steht vor einem hohen Fenster mit Doppelflügeln am Gang des Internats; mit dem Finger zeichnet er auf dem angelaufenen Fensterglas; er hat einen Berg gezeichnet; am Gipfel des Hügels ist ein Schlitten; der Abhang ist lang und flach, und am Ende befindet sich ein Haus; rechts vom Haus ist eine hohe Tanne; dort, wo die Hand des Jungen den höchsten Punkt erreichen konnte, sind zwei kleine Hügel gezeichnet: auf dem einen ist eine kleine Kirche, auf dem anderen drei Kreuze; der Junge flüstert: »Griffen, Griffen, Griffen«; er zeichnet einen Hund neben dem Haus dazu; leise sagt er: »Griffen, Kärnten, Österreich, Europa, Welt...«; er macht einen Schritt nach links, dann zieht er den rechten Fuß nach, und tut es noch einmal; nun steht er vor dem anderen angelaufenen Fensterglas; langsam zeichnet er zwei Augen, die größer sind als seine; durch die Augen sieht er den großen verschneiten Hof; er zeichnet die rechte, dann die linke Augenbraue; er dreht sich auf die eine, dann auf die andere Seite: am kalten Gang ist niemand; er nähert sein Gesicht dem Glas und küsst es zärtlich, etwas tiefer als die Augen, die ihn anschauen, ohne mit der Wimper zu zucken; er flüstert auf Slowenisch: »Mama, naj ti poljub nariše ustnice.” Der kleine Junge ist achtzehn Jahre alt, als er erfährt, dass sein Vater nicht sein Vater ist, sondern sein Stiefvater.
Kleiner Junge fügt seinem Namen noch einen weiteren hinzu – Junger Mann; er studiert in Graz; er verkehrt in einem Kaffeehaus, wo er Bier trinkt, liest, sich Notizen in ein gewöhnliches Heft macht und Musik aus der Jukebox hört; auf dem Tisch liegt neben dem Glas häufig die Zeitschrift für Literatur Manuskripte; er wirft eine Münze ein, drückt den Knopf und kehrt zu seinem Tisch zurück: zu hören ist Creedence – Have You Ever Seen the Rain; irgendwelche langhaarigen jungen Männer füttern die Jukebox ebenfalls mit ihren Münzen und wieder ist die gleiche Musik bis tief in die Nacht zu hören: Bad Moon Rising, down on the corner, I put a Spell on You...; die jungen Männer sind Gastarbeiter aus Jugoslawien; Kleiner Junge Junger Mann und einer von den jungen Männern aus Serbien freunden sich an; man trinkt, raucht und unterhält sich miteinander; ab und zu, in den Pausen zwischen zwei Liedern von den Rolling Stones, singt ein Bosnier Devojka sokolu zulum učinila, aber er bricht ab, sobald die Beatles zu Lucy in the Sky with Diamonds ansetzen; jemand hat fälschlicherweise den Knopf mit der Nummer des Liedes gedrückt: ein österreichischer Schlager wird gespielt; die Kellnerin denkt: ‘Gott sei Dank, etwas von uns’; die langhaarigen Gäste protestieren; der junge Mann dreht sich zum Saal um, mit einem schuldigen Gesichtsausdruck: »Jebiga, ich hab einen Fehler gemacht. Hey, Bosnier, spiel du dein Lied ab, solange das hier läuft«; Devojka sokolu zulum učinila übertönt den Liebesschlager; Der Kleine Junge Junger Mann beginnt den Ausdruck zu verwenden: jebiga.