Der Dramaturg und Autor Bernd Stegemann widmet sich in seinem neuesten Buch »Die Öffentlichkeit und ihre Feinde« mit aller gebotenen Ausführlichkeit dem aktuellen Status quo dessen, was man Kommunikations- oder auch Diskursgesellschaft nennt und beschreibt, wie Entwicklungen aus den USA auch in Deutschland immer mehr Fuß fassen. Die gleiche Thematik behandelt »Generation beleidigt«, ein viel beachtetes Buch der französischen Journalistin Caroline Fourest, die sich eindeutig als Aktivistin u. a. für LGBTQ-Rechte stark macht und aus einer feministischen Position heraus argumentiert. Stegemann begnügt sich nicht mit einer Zustandsbeschreibung, sondern führt aus, wie dies den Umgang mit den tatsächlichen, existentiellen Problemen des Anthropozäns (Klimawandel, Umweltverschmutzung, soziale Ungleichheit, Migrationsströme) nicht nur hemmt, sondern verunmöglicht. Sein Buch steht im Zentrum dieser Besprechung.

Zunächst unterscheidet er zwischen den gängigen Konzepten der spätmodernen Gesellschaftsbeschreibung: »Auf der einen Seite gibt es die Systemtheorie, die erklärt, dass jedes System einen blinden Fleck braucht, um funktionieren zu können, und die zugleich reflektiert, dass Fortschritt nur dadurch möglich ist, dass alle Systeme wechselweise ihre blinden Flecken kritisieren. Auf der anderen Seite stehen die Mythenerfinder und Fundamentalisten, die ihren eigenen blinden Fleck verleugnen und jeden Hinweis darauf als Angriff auf ihre Identität zurückweisen.«
Neoliberalismus und Individualismus
Wie konnte es soweit kommen? Stegemann charakterisiert die Postmoderne als »Erzählung eines radikalen Individualismus«. Damit war, spätestens nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989/90, der Weg frei für das, was er »Neoliberalismus« nennt. Er verwendet den Begriff nicht in seiner ursprünglichen Bedeutung, dem ordo-liberalen Wirtschaftssystem à la Walter Eucken. Neoliberalismus ist für ihn Synonym für den entfesselten, grenzenlosen, globalisierten Kapitalismus, der unterschwellig die Prioritäten in Gesellschaft und Politik bestimmt. Er wird zur Urquelle einer sich immer weiter spaltenden Gesellschaft, deren Folgen bis hinein in die öffentliche Diskurse spürbar sind.