Trotz Oskar Lafontaine und Lothar Späth hatte ich mir die Sendung angeschaut, da Götz Werner sein Modell eines Grundeinkommens für alle dort ein wenig erläutern sollte.
Leider hatte Sandra Maischberger nicht ihren besten Tag; die Diskussion zerfranste immer wieder, weil insbesondere Oskar Lafontaine es nicht lassen konnte, seine politischen Thesen unterzubringen, auch wenn sie gar nicht Gegenstand der Diskussion waren.
A. L. Kennedy: Gleissendes Glück
Helen ist eine normale Hausfrau. Sie träumt von einem glücklichen Leben, arbeitet nicht. Ihr Mann ist selten zu Hause, trinkt sich einen oder sitzt im Unterhemd vor dem Fernsehen. Helen macht Morgengymnastik und lauscht den Lebenshilfen eines gewissen Professor Gluck (sic!). Der hat eine Methode entwickelt, wie jeder Mensch glücklich wird oder zu sich selber findet oder beides oder was anderes.
A. L. Kennedy zeigt uns etwas, was wir seit unserer Kindheit kennen, etwas was wir nur bei anderen sehen, nie bei uns: das Klischee. So gut, so schön. Eine Vortragsreise des Lebenshelfers nach Deutschland nutzt sie, ihn zu begleiten. Ihr Brief hat ihn beeindruckt, man trifft sich; der Professor ist auch so, wie man sich im allgemeinen solche Leute vorstellt: arrogant, herablassend, keine Zeit.
Man weiss damit nach ungefähr 30 Seiten, was passiert. Der Professor entpuppt sich als gar nicht so toll, wie er scheint; der Mann prügelt seine Frau als er erfährt, wo sie wirklich war, sie flüchtet zu Gluck, eine zarte Liebesbande beginnt (der Professor muss seinem Laster, unabänderlich Pornos sich ansehen zu müssen, entsagen und rasiert stattdessen der Frau die Schamhaare), usw. usw.
Unfassbar ist nicht die Geschichte, die die Schottin hier erzählt. Unfassbar ist, wie ein Sammelsurium von Klischees, Holzschnitten und Plattitüden derart enthusiastisch von der Literaturkritik besprochen werden konnte. Das Buch ist ohne Sprache, durchschaubar, fast fad. Die Sprödheit, Lakonie, die eine erzählerische Grundhaltung ausdrücken soll, ist so zäh wie altes Brot, was zu lange an der Luft gelegen hat. Das Ende, die fast pubertär anmutende geschlechtliche Vereinigung zwischen der durch glückliche Umstände (Selbsttötung) zur Witwe gewordenen Frau und dem „bekehrten“ Glückspropheten schwülstig. Hätte man im 19. Jahrhundert einen Geschlechtsverkehr „beschreiben“ können, es hätte so geschehen können.
Fritz H. Dinkelmann: Das OpferGerichtsreportagen von Fritz H. Dinkelmann lösten bei mir immer ein gesteigertes Interesse an den Menschen aus, die Verbrechen ausübten. Sie rüttelten dabei an die scheinbar so fest installierte „Rechtsordnung“, die glaubt, mit der Bestrafung einer Straftat diese nachträglich „auszugleichen«. Zwar ist allen Beteiligten klar, dass beispielsweise bei einem Mord oder Totschlag der jeweils Getötete nicht mehr lebendig wird, aber das in uns allen wesende Gefühl der Rache (oder ist es der Sühne?) muss befriedigt werden.
Hierfür dient das Strafrecht. Aber es kommt stets zu spät: Die Tat ist längst geschehen und meist ist das Geschehene unumkehrbar. Dem Prozess kommt dabei die Rolle des Vollstreckers des Sühnegedankens zu. In einem Rechtsstaat muss es einen Prozess geben, um zweifelsfrei festzustellen, ob die Tat vom Angeklagten tatsächlich ausgeübt wurde.
Thomas Müller: Bestie Mensch
Grimmig schaut der Autor mit verkniffenen Augen am Leser vorbei. In roter Schrift erfahren wir: Bestie Mensch. So sieht das Cover von Thomas Müllers Buch aus, und man hätte es wissen können. Aber das Interview mit Denis Scheck machte mich neugierig; die Stimme dieses Mannes, der in unzähligen Gesprächen Massenmördern und Schwerverbrechern gegenüber sass; die weichen, modulierten Töne – ein Märchenonkel, der fast flüsternd, weich sprach, aber schnell und eloquent.
Dr. Thomas Müller ist Kriminalpsychologe. Wie man am Ende des Buches erfährt, ist er es in herausgehobener Position wohl nicht mehr; seine Hinauskompromittierung erzählt er in der dritten Person – übrigens ein lesenswertes Dokument, wie Menschen von ihren Positionen weggemobbt werden. Aber das ist ein anderes Thema.
Gilles Kepel / Jean-Pierre Milleli: Al-Qaida – Texte des Terrors
Mit nur rund 50 Seiten ist der Komplex über al-Zarqawi der knappste im Buch. Al-Zarqawi gilt als „Vertreter“ Al-Qaidas im Irak. Auf sein Konto gehen nicht nur zahlreiche Entführungen, bei denen er teilweise persönlich die Opfer bestialisch exekutiert haben soll, sondern auch zahllose Anschläge im ganzen Land, die die Stabilität untergraben sollen.
Jean-Pierre Milelli hat nur sehr dürftiges Material über den 1966 in Jordanien geborenen al-Zarqawi zur Verfügung. Sicher ist, dass er weder eine hohe Schulbildung, noch religiöse Studien vorzuweisen hat. Die Situation der Palästinenser und der „Kampf“ der PLO hat ihn sehr schnell politisiert. Ein ideologischer Überbau oder ein besonders religiöser Impetus kann man al-Zarqawi dennoch nicht nachsagen; auch wenn seine Botschaften natürlich orthodox-islamische Konnotationen enthalten, sind sie spirituell nicht richtungsweisend.
Milleli sieht al-Zarqawi als Protagonist einer „neuen“ Generation. 1989 dürfte er aktiv an Kämpfen in Afghanistan teilgenommen haben. 1994 wurde er in Jordanien wegen illegalen Waffenbesitzes und Fälschung von Reisepässen zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, kam aber 1999 im Rahmen einer Amnestie von König Abdullah II. wieder frei. Al-Zarqawi agierte ab 2001 aus dem irakischen Kurdistan und Syrien heraus und versuchte mit Anschlägen, die alle im Vorfeld schon scheiterten, Jordanien zu destabilisieren.
Im Februar 2003 dienten al-Zarqawis Aktivitäten im Irak Colin Powell als einer der Rechtfertigungsgründe, um gegen den Terrorismus in den Irak einzumarschieren, da er bereits damals eine Verbindung zwischen Bin Laden und al-Zarqawi ausmachte.
Der Text von al-Zarqawi, aus dem zitiert wird, Brief an Bin Laden und al-Zawahiri wurde im Januar 2004 bei der Festnahme des Pakistani Hassan Guhl auf einer CD-Rom gefunden. Er beinhaltet gegen Ende eine Treueerklärung an Bin Laden, die allerdings mit einem sehr selbstbewussten Zusatz versehen ist:
Wenn Ihr Euch unseren Plan zu eigen macht und von der Idee, die häretischen Sekten zu bekämpfen, überzeugt seid, werden wir Euch als allzeit bereite Soldaten dienen, uns Eurer Fahne anschliessen und Euch Gehorsam und Treue schwören [...]. Falls ihr jedoch anderer Meinung seid, lasst uns einfach Brüder bleiben, und kein Streit wird uns auseinanderbringen können. Wir werden uns nach besten Kräften gegenseitig unterstützen und im Dschihad einander Hilfestellung geben.
Gemäss Kommentator wird dieser Treueschwur von Bin Laden am 27. Dezember 2004 angenommen, nachdem er im Oktober 2004 über das Internet noch einmal (in ähnlicher Form) von al-Zarqawi formuliert wurde.
Das Buch schliesst mit der sehr interessanten Frage: Bedeutet dies, dass auch Bin Laden sich endgültig für diese Strategie entscheiden hat?
Gilles Kepel / Jean-Pierre Milleli: Al-Qaida – Texte des Terrors
Azzam wird allgemein als der „geistige Vater“ des Al-Qaida Terrorismus bezeichnet. Seine Biographie ist recht bruchstückhaft überliefert. Der 1941 im Westjordanland geborene Sohn eines Lebensmittelhändlers (die Familie ist weit verzweigt), galt als kluges, wissbegieriges Kind. Als Jugendlicher kam Azzam in die Kreise der Muslimbrüder. Er wurde Lehrer, bis er sich Anfang der 60er Jahre zur Aufgabe des Berufes entschlossen haben muss. Er schrieb sich 1963 an der Universität von Damaskus ein, studierte muslimisches Recht und machte dort 1966 seinen Abschluss. Seine Arbeit hatte den Titel „Die Auflösung der Ehe in der islamischen Rechtssprechung und dem bürgerlichen Recht“.
Nach dem Sechstagekrieg im Juni 1967 emigrierte (floh?) Azzam mit seiner Familie nach Jordanien, d. h. er kam zunächst in einem Flüchtlingslager in al-Zarqa unter (übrigens der Heimatstadt von al-Zarqawi), siedelte jedoch schnell in die Nähe von Amman, wo er an einer Mädchenschule unterrichtete. 1968 schrieb sich Azzam an der renommierten Al-Azhar-Universität in Kairo ein, wo er 1969 ein Examen in islamischem Recht ablegte. 1970 ging Azzam wieder zurück nach Jordanien.
Seine Rolle im palästinensischen Dschihad der 70er Jahre ist nicht ganz klar; hier gibt es teilweise widersprüchliche Quellen. Vermutlich wird sein Engagement von seinen Anhängern bedeutender dargestellt, als es in Wirklichkeit war.
Gilles Kepel / Jean-Pierre Milleli: Al-Qaida – Texte des Terrors
Die authentischen Texte sind von einer recht perfiden, offenbar ungeheuer wirksamen Demagogie; textlich für jeden verständlich, sich stringent an den (politischen) „Fehlern“ des Feindes orientierend (die dieser mit fortschreitender Zeit immer bereitwilliger zu machen scheint), um dann am Ende metaphernreich die Einheit der Umma, der Gemeinschaft der Muslime beschwörend und dann dem Feind drohend. (Über den eminent wichtigen, illustrativen Charakter seiner Videobotschaften ist schon eingegangen worden.)
Im Gegensatz zu Abdullah Azzam und Ayman al-Zawahiri, die zu ihrer jeweiligen Zeit religiöse (also auch ideologische) Vordenker waren (hierüber wird noch zu sprechen sein), ist Bin Laden eher der „Marketingmanager“, der, die Religiosität implizit voraussetzend, mit der Zeit seine Botschaften als Lagebeschreibungen im „Heiligen Krieg“ inszeniert, stets rekurrierend auf dem den Mudschaheddin ausschliesslich zugeschriebenen Sieg in Afghanistan, der die Vertreibung der sowjetischen Truppen bewirkte.
Eine Sendung, die ich, wenn, nur zufällig sehen konnte; manchmal in der abendlichen Wiederholung. In den besten Momenten konnte Sandra Maischberger mit hartnäckigem Nachfragen (glänzend vorbereitet), welches themenbezogen abgestützt war (also kein blosses Parolengeschwätz) die Hohlfloskeln ihrer Gesprächspartner (meistens Politiker) als solche decouvrieren. Unvergessen in diesem Zusammenhang ein Interview mit Oskar Lafontaine und dem Insistieren, warum er denn 1999 auch als Parteivorsitzender zurückgetreten sei. Verschwunden die Rhetorik dieses Mannes. Danach war er für mich politisch erledigt.