Maybrit Illner, die unlängst ihre mangelnde Kritikfähigkeit in einem patzigen Gespräch mit Tillmann P. Gangloff von der Frankfurter Rundschau unter Beweis stellte, hat ein Buch geschrieben, in dem sie unter anderem Politiker in bestimmte Gruppen quantifiziert. In »Planet Interview« ist hierüber ein Interview erschienen. Illner beklagt darin unter anderem Formulierungen von Politikern, die so technokratisch sind, […] dass sich einem das Hirn sträubt. Abgesehen davon, dass ich es bisher nur kannte, dass sich Haare sträuben, aber lassen wir das. Im Prinzip hat sie ja recht.
Leider verfällt Frau Illner im Laufe des Gesprächs selber in einer Art »Schönsprech«, speziell wenn es darum geht, warum ausgerechnet die »Bild«-Zeitung Vorabdrucke ihres Buches publizieren darf.
Wenn man sich die Mühe macht, zweihundert Seiten zu Papier zu bringen, dann möchte man auch Publicity. Das ist ein Grund, in der »Bild«-Zeitung zu veröffentlichen? Und wie merkwürdig, weil sie doch vorher sagt, das Schreiben des Buches hätte viel Spass gemacht.
Wir erfahren, dass Frau Illner die »Bild«-Zeitung immerhin kritisch liest. Das beruhigt natürlich. Jemand der wenige Minuten vorher zur Entblössung der Talmisprache der politischen Klasse aufgerufen und eine Übersetzungshilfe angeboten hatte, liest »Bild« kritisch – ein Organ, dass diese kritisierten Sprachmuster erst provoziert.
Es geht noch weiter: Sie sei gelegentlich nicht begeistert über den Ton, der dort angeschlagen wird. Und im nächsten Satz kommt wieder ihre »aufklärerische Ader« zum Vorschein: Mit der Zeitung erreicht man aber gegebenenfalls auch Menschen, die sich kaum noch für Politik interessieren und vielleicht wieder mit ins Boot geholt werden könnten – mit einem Buch, das sich nicht ganz ernst nimmt.
Dieser Wunsch ist vermutlich in etwa so realistisch, als wolle man einen Kreationisten nach Besuch des Neanderthalmuseums zur Evolutionstheorie bekehren wollen. Illner hat aber noch ein weiteres As im Ärmel: Bundeskanzler, Bundespräsidenten und Bischöfe haben in BILD publiziert und sich dabei wahrscheinlich auch was gedacht. Frau Illner sieht sich also irgendwie als Bundeskanzler oder Bischof? Oder ist dieser Spruch wie der von den eine Million Fliegen zu verstehen?
Welch filigrane Sprachkünstlerin Maybrit Illner ist, verrät der Satz: Sie [die »Bild«-Zeitung] lebt von Vereinfachung und Zuspitzung, die auch mal in Simplifizierung oder Krawallmacherei ausufern kann. Das war vermutlich für den »Bild«-Leser schon zu hoch. Da der aber unter Umständen nicht merkt, dass Vereinfachung und Simplifizierung irgendwie das gleiche ist, verbucht sie das wohl als gelungenes Wortspiel.
Endlich stilisiert sie sich noch zum Opfer, in dem sie konstatiert, man komme schwer an der »Bild« vorbei und schliesslich seien dort doch auch gut recherchierte Stücke und scharfsinnige Kommentare zu lesen (sie meint vermutlich bei den Kommentaren Herrn Wagner). Merkwürdig nur, dass es genug Journalisten gibt, die sehr wohl an »Bild« vorbeigekommen sind. Sie haben nämlich etwas, was Leute wie Illner nicht einmal mehr rudimentär zur Verfügung haben: Charakter beispielsweise. Oder Moral.
Vielleicht ist das auch nur eine Art Deal. Die »Bild«-Zeitung ritzt eine weitere Kerbe im Konvertiten-Colt, Frau Illner bekommt eine Riesenwerbung und im Gegenzug wird ihr Privatleben weitgehend aus den Schlagzeilen verbannt.
Aber wer der »Bild« gut recherchierte Stücke unterstellt, ist für jede seriöse journalistische Arbeit verbrannt. Seit einigen Jahren ist Illner eh schon so weit »christiansiert«, dass man, schlösse man die Augen, keinen Unterschied mehr feststellen konnte. Unter dem Deckmäntelchen der politischen Aufklärung (Dolmetscher-Rolle – was für lächerliche Interpretationen Illner in diesem Gespräch abliefert!) spult sie ihre wöchentliche Show ab, die aber nur noch ein Bestandteil jener Inszenierung von Politik ist, die sie selber konstatiert.
Das merkt man u. a. daran, dass sie, um ihre Sendung aufzupeppen, auf Versprecher hoffen muss und diese dann als ihr Verdienst ausgibt. Die Sache, das eigentliche Thema, ist nur noch Kulisse, die zur Selbstdarstellung der Politiker – und auch von Illner dient. Man sieht in diesen Sendungen nichts anderes als eine Art künstlich erregtes Rollenspiel. In diesem Rollenspiel ist der Journalist längst zum Mitakteur geworden, nicht nur mehr Beobachter und Befrager. Ein Indiz hierfür ist die Arroganz und Selbstgerechtigkeit, die sich in Illners Interview mit der FR deutlich zeigt.
Illner setzt einen Trend fort, der nicht nur im ZDF grassiert. Kerner wirbt für Wasser, Wurst und eine Fluglinie. Gut, niemand kommt auf die Idee, ihn selbst im weitesten Sinne als Journalisten zu bezeichnen. Frau Slomka moderiert Tagungen von Volksbanken. Frau Holst, dritte Moderatorin der ARD-»Tagesthemen«, initiiert Aktionen und schreibt regelmässige Kolumnen für die »Techniker Krankenkasse«. Interessenkonflikte, wenn es um die Behandlung von Gesundheitsthemen geht, scheint sie nicht zu sehen (die ARD wohl auch nicht). Anne Will lässt sich den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis (»Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.«) mit einer Laudatio von Ursula von der Leyen überreichen. Honni soit qui mal y pense?
Man kann nicht durch ein Güllefeld waten und mit den gleichen Kleidern anschliessend ein Festbankett eröffnen. Da hilft auch die Nasenklammer nicht. Die ist nur Selbsttäuschungsinstrument. Aber die anderen riechen’s eben trotzdem.