»Vo­ted No. Not en­ough in­for­ma­ti­on.« – Ir­lands Ab­sa­ge an den Lis­sa­bon-Ver­trag

In sei­nem Buch »De­mo­kra­tie – Zu­mu­tun­gen und Ver­spre­chen« (Zi­ta­te hier­aus kur­siv) stellt Chri­stoph Möl­lers drei De­fi­zi­te des EU-Mi­ni­ster­rats her­aus, die man durch­aus als re­prä­sen­ta­tiv für die EU ins­ge­samt auf­füh­ren könn­te:

  • Kein eu­ro­päi­sches Ge­mein­wohl
    Die Ver­tre­ter der Staa­ten ver­tre­ten die In­ter­es­sen ih­res Staa­tes, nicht der EU im Gan­zen.
  • Kei­ne Öf­fent­lich­keit
    Der Mi­ni­ster­rat ent­schei­det im Er­geb­nis wie ein Ge­setz­ge­ber, doch oh­ne je­de Öf­fent­lich­keit sei­ner Dis­kus­sio­nen. Die Rech­te des eu­ro­päi­schen Par­la­ments sind höchst un­ter­ent­wickelt aus­ge­prägt; sie di­ver­gie­ren je nach Po­li­tik­feld. Das ist wahr­lich ein vor­de­mo­kra­ti­sches Prin­zip.
  • Kein nach­voll­zieh­ba­rer Aus­gleich zwi­schen Sach­in­ter­es­sen
    Die ein­zel­nen Res­sorts re­geln vor sich hin; der Mi­ni­ster­rat be­steht aus vie­len Ein­zel­mi­ni­ster­rä­ten, die oft ge­nug ge­gen­ein­an­der statt mit­ein­an­der ar­bei­ten.

Ins­ge­samt kann das po­li­ti­sche Ent­schei­dungs­sy­stem der EU nicht nur als au­sser­or­dent­lich kom­pli­ziert, son­dern auch als ziem­lich in­trans­pa­rent be­zeich­net wer­den. Al­lei­ne die verwirr­enden Be­zeich­nun­gen für die ein­zel­nen Gre­mi­en ist nicht un­be­dingt an­ge­tan, Klar­heit zu schaf­fen: EU-Rat – EU-Mi­ni­ster­rat – Eu­ro­päi­scher Rat – Eu­ro­pa­rat – na, wis­sen Sie auf An­hieb, wel­cher Be­griff für was steht? Hier ein Ver­such ei­ner Klä­rung – mit Ani­ma­ti­on.)

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Chri­stoph Möl­lers: De­mo­kra­tie – Zu­mu­tun­gen und Ver­spre­chen

Christoph Möllers: Demokratie - Zumutungen und Versprechen
Chri­stoph Möl­lers: De­mo­kra­tie – Zu­mu­tun­gen und Ver­spre­chen

Wohl kaum ein Be­griff wird im po­li­ti­schen Dis­kurs in­zwischen der­art stra­pa­ziert und in­stru­men­ta­li­siert wie der der De­mo­kra­tie. Da­bei scheint fast je­der ei­ne an­de­re Vor­stellung da­von zu ha­ben, was De­mo­kra­tie ei­gent­lich be­deutet. Ist es ei­ne Art Volks­herr­schaft, in der die Bür­ger ple­biszitär über al­le wich­ti­gen Be­lan­ge di­rekt ent­schei­den? Oder wird die Volks­herr­schaft bes­ser an­hand von Institut­ionen auf ei­ner re­prä­sen­ta­ti­ven Ebe­ne (Par­la­men­te) in­di­rekt vor­ge­nom­men?

Ei­ni­gen er­scheint die De­mo­kra­tie so­gar als ein Export­produkt, wel­ches mög­lichst schnell al­len Men­schen Glück und Wohl­stand brin­gen soll. An­de­rer­seits pla­gen skep­ti­sche Zeit­ge­nos­sen Zwei­fel, ob und wie sie im Zeit­al­ter (soge­nannter) öko­no­mi­scher und po­li­ti­scher Glo­ba­li­sie­rung über­haupt noch funk­tio­nie­ren kann und nicht durch in­ter­national agie­ren­de Un­ter­neh­men und/oder Or­ga­ni­sa­tio­nen un­ter­höhlt und zum Sub-Sy­stem des Ka­pi­ta­lis­mus de­gra­diert wird.

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Ul­la Ber­ké­wicz: Üb­er­leb­nis

Ulla Berkéwicz: Überlebnis
Ul­la Ber­ké­wicz: Üb­er­leb­nis

Die ein­zi­ge Angst, die ich jetzt noch ha­be, ist die, zu ver­ges­sen. So be­ginnt die­ses Buch. Jen­seits des Ver­ges­sens ist die Zeit­lo­sig­keit. Und jen­seits der Zeit die Ewig­keit. Aber schon im Er­in­nern, dem Ver­such, nicht zu ver­ges­sen, steckt die Ge­fahr der Ver­schol­len­heit: Ist die Er­in­ne­rung ent­rückt, in den Ge­dächt­nis­kam­mern ein­ge­schlos­sen? Die Er­in­ne­rung an den un­wirk­lich­sten Som­mer zwei­tau­send­zwei. Und der »Preis« für die Er­in­ne­rung: Geht der [Som­mer] im­mer und nie vor­bei?

Trost­lo­sig­keit – Ver­ges­sen ist ein mat­ter, halt­lo­ser Land­strich, der zu nichts führt – und Hoff­nung, dass hin­ter je­nem Land­strich noch ein zwei­ter läuft, wie al­les noch ein Zwei­tes hat, viel­leicht so­gar sein Drit­tes, Vier­tes. Ein and­rer Land­strich in ei­nem and­ren Land, wo das Ver­ges­sen sich sam­melt, kon­zen­triert, be­sinnt.

Ul­la Ber­ké­wicz um­kreist das Ver­ges­sen in die­sem Buch – und na­tür­lich nicht nur das. Es geht ums Ster­ben und den Tod (und da­mit um das Le­ben) und es geht – de­zent und dis­kret – um Lie­be. Aber es ist mehr als ein Lebens‑, Liebes‑, To­des- oder To­ten­buch, mehr als som­nam­bu­le (und dann doch ge­le­gent­lich af­fek­tier­te) Li­ta­nei ei­ner Wit­we, mehr als me­ta­phy­si­sche (Selbst-)Tröstung, mehr als ei­ne Kri­tik an den Ver­hält­nis­sen un­se­rer Kran­ken­häu­ser, mehr als ex­pres­sio­ni­stisch-as­so­zia­ti­ve Kla­ge­re­de (mit Spucke auf ei­nem Stein statt lu­the­ri­schem Tin­ten- oder can­ter­vill­schem Blut­fleck). Ja, es ist al­les das. Und eben mehr. Viel mehr.

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Wal­ter van Ros­sum: Die Ta­ges­show

Walter van Rossum: Die Tagesshow
Wal­ter van Ros­sum: Die Ta­ges­show

Wer ein Buch mit dem Un­ter­ti­tel Wie man in 15 Mi­nu­ten die Welt un­be­greif­lich macht schreibt, soll­te min­de­stens in der La­ge sein, die­se Be­haup­tung ar­gu­men­ta­tiv zu be­le­gen. Oder meint der Au­tor – was auch zi­tiert wird -, dass die Nach­rich­ten­sen­dun­gen für den »nor­ma­len Zu­schau­er« schlicht­weg nicht mehr zu ver­ste­hen sind? Wenn ja: Was hat das dann mit der Sen­de­dau­er zu tun? Hat es viel­leicht et­was mit der in den Sen­dun­gen ver­wand­ten Spra­che zu tun (viel­leicht zu vie­le Fremd­wör­ter?) oder mit der Rezeptions­fähigkeit des Pu­bli­kums? Fra­gen über Fra­gen.

Wal­ter van Ros­sum macht zu­nächst neu­gie­rig. Aber manch­mal ist das so ei­ne Sa­che mit dem An­spruch und der Wirk­lich­keit. Früh merkt der Le­ser: Da hat ei­gent­lich je­mand über­haupt kein In­ter­es­se an ei­ner auch nur halb­wegs se­riö­sen me­di­en­kri­ti­schen Ana­ly­se der Nach­rich­ten­sen­dun­gen, spe­zi­ell und über­wie­gend der »Ta­ges­schau« und den »Ta­ges­the­men«. Statt­des­sen ge­fällt sich der Au­tor in der Po­se des All­wis­sen­den, der dem Re­dak­ti­ons­team von »ARD-ak­tu­ell« mal so rich­tig die Mei­nung sagt. Das ge­schieht in ei­ner Mi­schung zwi­schen Über­le­gen­heits­ge­stus ei­nes Mi­cha­el Moo­re-Adep­ten und der Wut ei­nes ab­ge­blitz­ten Tanz­stun­den-Ver­eh­rers.

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Mit Scheu­klap­pen

Der er­ste Ap­pe­tit scheint ge­stillt. Die Po­stil­len wen­den sich vor­über­ge­hend wie­der an­de­ren The­men zu. Min­de­stens ei­ne ent­blö­de­te sich nicht vom »In­zest-Mon­ster« zu spre­chen. Aus­ge­rech­net sie, die ei­nen gan­zen Schwarm von Lü­gen­mon­stern be­schäf­ti­gen, mit ih­rem Men­tor Kai Diek­mann. Ich spre­che von Deutsch­land; das öster­rei­chi­sche Me­di­en­ge­wit­ter ha­be ich nicht mit­be­kom­men. Viel­leicht ist das gut so.

Ich stel­le die The­se auf: Sie ha­ben Jo­sef F. ge­braucht. Nein: Sie brau­chen ihn. Im­mer noch. Sie ver­zeh­ren sich nach ihm. Wenn es ihn nicht gä­be – so ver­rückt und lüg­ne­risch kön­nen sie gar nicht sein, ihn zu er­fin­den. Sie freu­en sich, dass je­mand ein noch schlim­me­rer Mensch ist, als ih­re Phan­ta­sie es hät­te er­fin­den kön­nen. Sie suh­len sich im Elend sei­ner Op­fer. Sie wei­den sich an ih­nen und ver­brä­men dies mit ei­nem schmie­ri­gen Be­trof­fen­heits­thea­ter.

Ein öster­rei­chi­sches Ge­richt be­ging ei­nen Lap­sus. Es nann­te Jo­sef F.s Frau in ei­nem öf­fent­li­chen Do­ku­ment nicht Ro­se­ma­rie, son­dern »Ma­ria«. Welch’ ein Witz: Jo­sef und Ma­ria in Am­stet­ten. Ihr Kind hat nun ge­lit­ten. Es hat für uns ge­lit­ten. Für un­se­re Sen­sa­ti­ons­gier. Zu un­se­rem Plai­sir. »Thrill« nennt man das im Eng­li­schen. Und jetzt müs­sen sie al­le noch ein­mal lei­den. Mit dem At­tri­but­ge­wit­ter der üb­li­chen Ver­däch­ti­gen.

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Xa­ver Bay­er: Heu­te könn­te ein glück­li­cher Tag sein / Die Alas­ka­stra­ße

Xaver Bayer: Heute könnte ein glücklicher Tag sein
Xa­ver Bay­er: Heu­te könn­te ein glück­li­cher Tag sein
Der Ich-Er­zäh­ler in »Heu­te könn­te ein glück­li­cher Tag sein« bleibt na­men­los. Er ist Stu­dent, wohnt in Wien (was ist de­pri­mie­ren­der als Wien?), aber man er­fährt nicht, was er stu­diert. Da ziem­lich viel von Li­te­ra­tur die Re­de ist und ei­ne me­lan­cho­li­sche Fas­zi­na­ti­on für das Bild des to­ten Ro­bert Wal­ser im Schnee be­steht, ver­mu­tet man ir­gend­wann, dass es Li­te­ra­tur oder Ger­ma­ni­stik ist. Die Vor­le­sun­gen be­sucht er so gut wie nie. Sein Lern­plan ist chao­tisch; selbst­ge­steck­te Zie­le hält er nicht ein. Trotz­dem macht der die »Schei­ne« und ist ir­gend­wann fer­tig. Er be­ginnt sei­ne Di­plom­ar­beit, die je­doch von sei­nem »Be­treu­er« als es­say­istisch und nicht wis­sen­schaft­lich ge­nug ab­ge­lehnt wird. Wie es dann wei­ter­geht, bleibt un­aus­ge­spro­chen.

Zwar nimmt er spo­ra­disch mo­nats­wei­se Jobs an, aber die öko­no­mi­sche Ver­sor­gung ist ne­bu­lös. Er geht sehr oft aus, kon­su­miert Al­ko­hol und Dro­gen in be­trächt­li­chem Aus­mass; un­ter­hält ein Au­to und reist ge­le­gent­lich. Es bleibt un­klar, wie er die­sen Le­bens­wan­del fi­nan­ziert.

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Von Ver­deut­schun­gen und sprach­li­chem Frem­den­hass

Hier äu­sser­te ich am Ran­de ei­ne Kri­tik an dem (wie ich fin­de gräss­li­chen) An­gli­zis­mus »Re­a­ding Room«, den die FAZ für ih­ren neu ge­schaf­fe­nes Bü­cher­fo­rum ver­wen­det. Nun, es in­ter­es­siert die FAZ na­tür­lich nicht, wenn sich un­ser­ei­ner von die­sem Be­griff ge­ra­de­zu an­ge­ekelt fühlt.


Nach Jo­na­than Lit­tel­ls »Die Wohl­ge­sinn­ten« und Mar­tins Walsers »Ein lie­ben­der Mann« wird nun Jut­ta Lim­bachs Buch »Hat Deutsch ei­ne Zu­kunft« (mit der em­pha­tisch über­schrie­be­nen Ein­füh­rung »Mehr Deutsch wa­gen«) vor­ge­stellt und die The­sen der Au­torin dis­ku­tiert. Fast lo­gisch, dass sich ir­gend­wann die Fra­ge stellt, war­um man den eng­li­schen Aus­druck »Re­a­ding Room« ver­wen­det und kein deut­sches Wort fin­den woll­te. Löb­lich, dass die FAZ dies nun seit dem 02. Mai mit Le­sern dis­ku­tiert – mit dem merk­wür­di­gen Un­ter­ti­tel in der Fra­ge­stel­lung: »Darf die­ses Fo­rum ‘Re­a­ding Room’ hei­ssen?«

Merk­wür­dig des­halb, weil es kaum um ein »dür­fen« geht – eher um ein »müs­sen«. Im­mer­hin, es darf dis­ku­tiert wer­den. Wie schon vor­her ist der Auf­wand be­trächt­lich, die Soft­ware sehr gut. Die Bei­trä­ge wer­den mo­de­riert – das ist bei der FAZ üb­lich. Bis zum 10. Mai will man Stim­men sam­meln.

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Schlech­te Ver­lie­rer

Bay­ern Mün­chen hat ge­stern das UEFA-Po­kal Halb­fi­nal­spiel ge­gen Ze­nit St. Pe­ters­burg mit 4:0 ver­lo­ren. Ein de­sa­strö­ses Er­geb­nis – ge­ra­de, wenn man das Spiel ge­se­hen hat und die Art und Wei­se, wie man vor­ge­führt wur­de. Den »Ta­ges­the­men« war die­se Nie­der­la­ge der Auf­ma­cher wert. Die An­mo­de­ra­ti­on von Ca­ren Mios­ga kann man al­ler­dings als reich­lich ten­den­zi­ös be­zeich­nen: Bay­ern Mün­chen ha­be auch noch ge­gen Ze­nit St. Pe­ters­burg ver­lo­ren, ein Ver­ein, der bis vor kur­zer Zeit noch kei­nen wirk­li­chen Na­men ge­habt ha­be und von höch­ster staat­li­cher Stel­le viel raus­ge­spon­sert wer­de, und zwar vom rei­chen Gas­pro­du­zen­ten »Gaz­prom« (üb­ri­gens auch Spon­sor von Schal­ke 04). Ze­nit sei ein Ver­ein von Pu­tins Gna­den und der neue Prä­si­dent Med­we­dew sei noch ein viel grö­sse­rer Fan (wow). Frau Mios­ga kann die Pe­jo­ra­tio­nen kaum noch zü­geln.

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