Ver­such über die Dicht­kunst im In­ka­reich (IV)

««< Fol­ge III Fol­ge II Fol­ge I

Acht: Ly­ri­sche Gat­tun­gen; mit Schwer­punkt auf dem Lie­bes­lied so­wie ei­nem Ex­kurs über den Um­gang mit Lie­bes­leid und über an­di­ne Hoch­zeits­bräu­che.

Da uns die Chro­ni­sten Ge­be­te und Hym­nen in Pro­sa über­setzt ha­ben, zwei­feln man­che Au­toren an, dass der Vers über­haupt exi­stiert hat. Dies steht nun für mich au­sser Fra­ge; man weiss nur nicht, in­wie­weit die Über­tra­gun­gen an spa­ni­sche Me­tren an­ge­passt wur­den. Gar­ci­la­so spricht von „kur­zen und lan­gen Ver­sen“ und von „Sil­ben als Mass“. Wei­ter sagt Gar­ci­la­so: „No us­aron de con­so­nan­te en los versos, to­dos eran suel­tos.” Ich kann mir dar­auf nur ei­nen Reim ma­chen, wenn ich “con­so­nan­te” als “Gleich­klang“ über­set­ze, was dann hie­sse, dass kein Reim ver­wen­det wur­de. Wei­ter­le­sen

Lasst doch mal die Klei­nen nach vor­ne *

Ein Schmie­ren­thea­ter

Va­ter und Toch­ter in der Kü­che. Er hat ge­ra­de die Ja­va-Ma­schi­ne pro­gram­miert und in we­ni­gen Se­kun­den spru­delt ein Lat­te-Mac­chia­to in ein Ro­sen­thal-Glas. Die Toch­ter dreht ih­re Haar­spit­zen.

  • Ver­fick­te Schei­ße!
  • Bit­te?
  • Schei­ße.
  • Was ist, Klein­chen?
  • Ey, ich hab kei­nen Schul­ab­schluss, bin zwar ein Wun­der­kind, kann mir aber nix mer­ken, al­so mit dem Gott­schalk bei Wet­ten, dass, das geht auch nicht, au­sser ich könnt’ da mo­geln oder so.
  • Hm.
  • Was soll ich bloss ma­chen? Ich hab’ kei­nen Bock auf die­ses be­schis­se­ne Volks­büh­nen-Le­ben hier. Nur so als Grou­pie rum­tur­nen.
    Wei­ter­le­sen

Flü­ge und Sprün­ge

Zwei Schrit­te, dann... Punkt­ge­nau lan­de­te sei­ne Hand auf dem Ge­län­der, im sel­ben Mo­ment stieß er sich wie­der ab, nahm die letz­ten, ver­blei­ben­den Zen­ti­me­ter an Hö­he, und glitt zwi­schen den bei­den Pfei­lern, die die paw­lat­schen­ähn­li­chen Auf­gän­ge tru­gen, ab­wärts ins Freie.

Ein Ge­men­ge von Er­de, Blät­tern und Stei­nen, von Mau­er­werk und feucht­war­mer Luft schlug ihm ent­ge­gen, und er lan­de­te, wie im­mer vor dem Schleh­dorn, und ei­nen Schritt weit hin­ter der lang­ge­streck­ten Pfüt­ze, ei­ner Ver­tie­fung im Asphalt, in der sich das ab­flie­ßen­de Was­ser sam­mel­te. Noch ein‑, zwei­mal wei­te­te sich sein Brust­korb ver­geb­lich, dann at­me­te er glatt und wie ge­wohnt.
Wei­ter­le­sen

Bar­ba­ra Gress­leh­ner: Der Ge­ruch der Stil­le

Barbara Gresslehner: Der Geruch der Stille

Bar­ba­ra Gress­leh­ner: Der Ge­ruch der Stil­le


Wie kurz­wei­lig und quä­lend, wie aus­ufernd und auf­put­schend, wie fremd und auf­wüh­lend kön­nen doch knapp ein­hun­dert­vier­zig Sei­ten mit ein­und­zwan­zig Er­zäh­lun­gen sein. Na­tür­lich gibt es be­rüh­ren­de und kit­schi­ge, groß­ar­ti­ge und sche­ma­ti­sche, gu­te und we­ni­ger gu­te. Im­mer er­zählt ei­ne Frau oder es wird aus der Sicht ei­ner Frau er­zählt; mei­stens in der Ich-Form. Aber es wan­delt sich im Lau­fe des Bu­ches et­was Grund­sätz­li­ches. Nicht nur der zu­nächst la­ko­ni­sche, ja fast coo­le Ton. Die Er­zäh­lung vom her­un­ter­fal­len­den, auf das Stra­ßen­pfla­ster nie­der­knal­len­de Kla­vier ist lu­stig, die Re­de an den ima­gi­nä­ren Fö­tus im Mut­ter­leib dü­ster und die Er­zäh­lung der selbst­er­füll­ten Mord-Pro­phe­zei­ung skur­ril und sie treibt ei­nem den er­sten Schau­er über den Rücken, aber das war nicht al­les. Schon am An­fang heißt es fast pro­gram­ma­tisch: Es ist im­mer noch al­les viel grau­er, als es sein soll­te.

Un­merk­lich ge­rät der Le­ser in die­sen Stru­del. Es ist kein Ro­man und dann gibt es doch plötz­lich die­se Klam­mer. Die­ses ge­mein­sa­me The­ma. Die Hö­rig­keit. Die Prot­ago­ni­stin­nen kön­nen nicht an­ders. Sie ge­ben sich als Die­ne­rin, Skla­vin, Ser­va hin. Sie er­le­ben das al­les nicht, es er­lebt sie. Es sind kei­ne Ge­walt­phan­ta­sien mehr, es ist Ge­walt. Es sind Träu­me, die ech­ter sind als die Wirk­lich­keit. Wei­ter­le­sen

Ver­such über die Dicht­kunst im In­ka­reich (III)

«« Fol­ge II , Fol­ge I

Fünf: Das Haus des Wis­sens; Auf­ga­ben und Aus­bil­dung der Dich­ter, Phi­lo­so­phen, Prie­ster und Hof­schrei­ber.

Der Dich­ter im en­ge­ren Sin­ne heisst ha­r­auec, wört­lich „Er­fin­der“. Er „giesst die Ge­schich­te in Ver­se“ (Gar­ci­la­so). Sein Auf­ga­ben­ka­ta­log lässt sich aber nicht sau­ber ab­gren­zen zu an­de­ren Be­ru­fen. Der amau­ta, Phi­lo­soph, kom­po­niert eben­falls, ins­be­son­de­re Ko­mö­di­en und Tra­gö­di­en für den Hof und für Fest­ta­ge. Er fasst hi­sto­ri­sche Ge­schich­ten und Fa­beln in Pro­sa, gibt sie münd­lich wei­ter und stellt die kol­lek­ti­ve Er­in­ne­rung si­cher. Der amau­ta ist je­doch zu­gleich Wis­sen­schaft­ler und als sol­cher zu­stän­dig für Astro­lo­gie, Land­wirt­schaft, Mas­se und Ge­wich­te und die Ar­chi­tek­tur. Die Prie­ster­klas­se, mit Hym­nen, Ge­be­ten, An­ru­fun­gen und Ri­tua­len be­fasst, un­ter­teilt sich in meh­re­re hier­ar­chi­sche Stu­fen, bei­spiels­wei­se achi (Wahr­sa­ger) und omos (Ma­gi­er). Den quipu­ca­ma­yoc könn­te man viel­leicht als Schrei­ber oder Buch­hal­ter be­zeich­nen. Er führt die An­na­len und Wirt­schafts­sta­ti­sti­ken, hält aber auch Ge­set­zes­tex­te, An­wei­sun­gen für Ri­tua­le, jähr­li­che Be­rich­te aus den Pro­vin­zen und li­te­ra­ri­sche Er­zäh­lun­gen fest.
Wei­ter­le­sen

Die Un­fä­hig­keit, zu goog­len

Der Vor­wurf des Pla­gi­ats ist der schlimm­ste, den man ei­nem Schrift­stel­ler ma­chen kann. Da­her soll­te man mit sol­chen Be­schul­di­gun­gen vor­sich­tig um­ge­hen. Pla­gi­ats­ge­schich­ten ha­ben meist nicht nur Ent­hül­lungs­cha­rak­ter. Die schlech­ten Ent­hül­lun­gen de­nun­zie­ren auch im­mer gleich mit. Es gibt zahl­rei­che Bei­spie­le für Kam­pa­gnen, die ge­le­gent­lich durch­aus die In­ten­ti­on hat­ten, Schrift­stel­ler auch öko­no­misch zu ver­nich­ten.

Die De­fi­ni­ti­on von dem, was man »Pla­gi­at« nennt, ist recht klar. Ne­ben der recht­li­chen Er­klä­rung, gibt es auch ei­ne ethi­sche. Bei­de In­ter­pre­ta­tio­nen ma­chen es so schwie­rig fest­zu­stel­len, ob et­was Pla­gi­at ist, ein Mo­tiv ver­wandt wur­de oder ob es ei­ne Ver­än­de­rung oder Wei­ter­ent­wick­lung ei­nes Mo­ti­ves ist.

Deef Pir­ma­sens hat in sei­nem Web­log »die ge­fühls­kon­ser­ve« He­le­ne He­ge­manns Best­sel­ler »Axolotl Road­kill« mit dem Buch »Stro­bo« des Blog­gers »Ai­ren« ver­gli­chen und ver­blüf­fen­de Par­al­le­len fest­ge­stellt, die er aus­führ­lich do­ku­men­tiert. Wei­ter­le­sen

Ben­ja­min Stein: Die Lein­wand

Benjamin Stein: Die Leinwand

Ben­ja­min Stein: Die Lein­wand

Gar nicht so ein­fach, mit dem Le­sen die­ses Bu­ches an­zu­fan­gen. Denn man hat un­ver­hofft zwei Mög­lich­kei­ten. Ent­we­der man be­ginnt mit dem Teil von und über Am­non Zi­chro­ni oder man wen­det das Buch, dreht es um 180 Grad und be­ginnt mit Jan Wechs­ler. (Ei­ne an­de­re Idee, die Ka­pi­tel so­zu­sa­gen ab­wech­selnd zu le­sen, dürf­te aus Grün­den der Prak­ti­ka­bi­li­tät fast aus­schei­den; hier­für hät­te man min­de­stens zwei Le­se­zei­chen ein­bin­den müs­sen. Und au­ßer­dem bleibt das Pro­blem, wo man be­ginnt.)

Bei­de Tei­le sind fast pa­ri­tä­tisch. Man ahnt: Wie man es auch be­ginnt – es bleibt ei­ne Ent­schei­dung, die die Re­zep­ti­on prä­gen wird. Man wird nie er­fah­ren, wie es ge­we­sen wä­re, wenn man an­ders be­gon­nen hät­te. Viel­leicht wer­den ein­mal die Le­ser von Ben­ja­min Steins Buch »Die Lein­wand« an­hand ih­res An­fangs­ka­pi­tels un­ter­schie­den zwi­schen Zi­chro­ni- oder Wechs­ler-Ein­stei­ger. Ob sich die bei­den La­ger je­mals mit­ein­an­der ver­stän­di­gen kön­nen? Tat­säch­lich dürf­ten sie zwei un­ter­schied­li­che Bü­cher ge­le­sen ha­ben. Und die­ses schein­bar so spa­ßi­ge Spiel­chen passt am En­de er­staun­lich gut zu At­mo­sphä­re und In­ten­ti­on die­ses Bu­ches.
Wei­ter­le­sen

Ver­such über die Dicht­kunst im In­ka­reich (II)

«< Fol­ge I

Drei: Gram­ma­tik und Kos­mo­vi­si­on des ru­na si­mi, ein me­di­zi­ni­scher Rat­ge­ber und wie mich um ein Haar hua­ca ge­streift hät­te.

Im ru­na si­mi (ge­nau­ge­nom­men han­delt es sich um ei­ne Grup­pe von 18 nah ver­wand­ten Spra­chen) of­fen­bart sich ei­ne Über­macht des ana­lo­gen über das de­duk­ti­ve Den­ken. Das Af­fek­ti­ve über­wiegt das Ra­tio­na­le, wes­halb die Spra­che kaum ab­strak­te Sub­stan­ti­ve kennt, da­für aber ei­ne rie­si­ge Fül­le von oft na­tur­be­zo­ge­nen Bil­dern und Me­ta­phern. Das ru­na si­mi ist ei­ne ag­glu­ti­nie­ren­de Spra­che mit nur we­ni­gen Re­gel­ab­wei­chun­gen in der Gram­ma­tik, ver­langt aber vom Spre­cher äu­sser­ste Prä­zi­si­on. Die üb­li­che Syn­tax ist Sub­jekt – Ob­jekt – Prä­di­kat, oh­ne da­bei je­doch starr zu sein. Fast im­mer liegt die Be­to­nung auf der zweit­letz­ten Sil­be, die beim An­fü­gen von Suf­fi­xen mit nach hin­ten wan­dert. Satz­zei­chen sind in­so­fern über­flüs­sig, als je­der Satz durch die Kom­bi­na­ti­on sei­ner Suf­fi­xe sei­ne ex­ak­te Be­stim­mung er­hält; Aus­sa­ge­satz und Fra­ge­satz bei­spiels­wei­se un­ter­schei­den sich nicht in ih­rer Satz­me­lo­die. Eben­so wer­den Be­to­nun­gen durch Suf­fi­xe aus­ge­drückt. Wei­ter­le­sen