Zugegeben, es ist keine sehr wichtige Frage in diesen Zeiten. Aber ich hätte schon gerne gewusst, wer denn der Mann dort ist, der über die Lecks der Shell-Bohrinsel semi-optimistische Aussagen tätigt. Weiterlesen
Sahra Wagenknecht: Freiheit statt Kapitalismus
Ist es nicht merkwürdig, dass bis heute einige der schlimmsten Diktaturen ein »demokratisch« in ihren Staatenbezeichnungen führen? Und/oder als »Volksrepublik« so etwas wie Pluralismus suggerieren? Warum werden so häufig bestimmte Termini ausgerechnet dann verwendet, wenn sie exakt das Gegenteil dessen bedeuten, was man gemeinhin damit verbindet? Und was hat das dauerhaft für Auswirkungen auf das kollektive Gedächtnis von Gesellschaften?
Man nehme den Begriff der »Freiheit«, der in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit seine Unschuld spätestens 1976 verloren haben dürfte. Damals zog die CDU mit dem Slogan »Freiheit statt Sozialismus« (die CSU: »Freiheit oder Sozialismus«) in den Bundestagswahlkampf. Ausgedacht von Alfred Dregger, einem strammen Rechtsaußen, sollte dies anzeigen, dass es – wie so häufig bei Bundestagswahlen – ums Ganze ging. Die Denunziation gegen den »Emigranten« Willy Brandt – eine »Tradition« in der Union seit den 50er Jahren – hatte nicht funktioniert. Brandt war aus anderen Gründen demissioniert – Kanzler war nun Helmut Schmidt und sein Gegenkandidat hieß Helmut Kohl. Da Schmidts Politik zu diesem
Zeitpunkt pragmatisch-unspektakulär verlief und außenpolitisch auf eine Vertiefung der Ostpolitik Brandts setzte, musste schleunigst eine Hysteriemaschine angeworfen werden, die Schmidt nebst SPD als »Sozialisten« dämonisierte (man schreckte aus rein strategischen Gründen vor dem Begriff des »Kommunisten« zurück; natürlich war genau diese Assoziation intendiert), um den damals eher tollpatschig wahrgenommenen Kohl als Freiheitsfigur zu idealisieren. Das Ergebnis ist bekannt – die Unionsparteien erreichten 48,6% der Stimmen (nur 1957 gab es bis dahin mehr; 1983 wurde Kohl dann gegen Vogel mit 48,8% gewählt), aber Schmidt blieb Kanzler (fast ironischerweise durch eine Partei die auch das Attribut »frei« in ihrem Namen führt).Nie mehr erholt
»Freiheit« war jedoch gründlich mit dem Odium des Kalten Kriegers kontaminiert, der in seiner antikommunistischen Paranoia hinter jeglichen Formen der Verständigung mit ideologisch nicht konformen Systemen den »Ausverkauf« der Werte an den Klassenfeind witterte. Von diesem psychopathologischen Missbrauch des Freiheitsbegriffs hat sich die West-Bundesrepublik im Grunde genommen nie mehr ganz erholt. Dies zeigte sich sowohl in der Bewertung der osteuropäischen Dissidentenbewegungen der 80er Jahre durch das linksintellektuelle Milieu als auch bei den Demonstrationen von Leipzig (und anderen Städten der DDR) 1989. Der emphatische Freiheitsbegriff, den die Demonstranten dort gegen eine bröckelnde Staatsmacht intonierten verstörte weite Teile der wohlstandsverwöhnten Bundesbürger, die das Grundrecht der Freiheit als Selbstverständlichkeit a priori begriffen (und später zum Teil in einem Anfall aberwitziger Milde von einer »kommoden Diktatur« schwadronierten). Fast zwangsläufig entdeckte im Volkskammerwahlkampf 1990 der CSU-Ableger »DSU« (eine Partei, die zu Recht glücklicherweise längst vergessen ist) die Dregger-Parole und reaktivierte sie; kurzfristig durchaus mit einem gewissen Erfolg. (Der Slogan wurde noch diverse Male wiederbelebt, u. a. mehrfach von der FDP, was deren Geschichtsvergessenheit auf Schönste illustriert.)
Man muss annehmen, dass der Titel von Sahra Wagenknechts Buch »Freiheit statt Kapitalismus« absichtsvoll gesetzt wurde. Dennoch gibt es einen Unterschied: War »Freiheit statt Sozialismus« als düstere Dystopie präventiv verwandt worden, so verspricht Wagenknecht mit »Freiheit statt Kapitalismus« eine Utopie. (Die These, dass unsere Gesellschaft derzeit nicht »frei« sei, die hier mitschwingt, wird im Verlauf des Buches ausführlich begründet.)
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Wirkungsvolle Ächtung
Die Panikexperten
In den letzten Tagen konnte man beobachten, wie Peter Sloterdijks Diktum von der Streßgesellschaft von den Medien mit Bravour umgesetzt wurde.
Die Rede ist von den vermeintlichen Einbrüchen auf den internationalen Aktienmärkten. Tatsächlich scheinen diese auf den ersten Blick dramatisch; Rückgänge der Indizes von 5–7% an einigen Börsen an einem Tag sind sicherlich ungewöhnlich. Aber das reicht nicht. Sie werden als halbe Apokalypse geschildert. Verbrauchermagazine geben rührende Ratschläge, die mit dem Begriff »Ruhe bewahren« zusammengefasst werden können.
Ein Ratschlag, der mit dem Hype, der da unablässig erzeugt wird, schwer in Einklang zu bringen ist. Da ist von Milliarden Euro die Rede, die »vernichtet« worden sind – ein hanebüchender Unsinn, weil die meisten Anleger ihre Aktien gehalten haben (s. u.). Da wird sich schnell an den höchsten Aktienkurs orientiert und ein imaginärer Verlust ausgerechnet.
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»Das hat dir der Teufel gesagt«
I. Rumpelstilzchen
Man mag sich die Verzweiflung der Müllerstochter vorstellen: Da ist sie von ihrem geldgeilen Vater zwecks Verheiratung zum König geschickt worden. Sie könne, so der Vater, Stroh zu Gold spinnen – eine Eigenschaft, die über eventuelle optische und/oder charakterliche Defizite damals wie heute großzügig hinwegsehen lässt. So nimmt denn der König die Aussage für bare Münze, sperrt die Müllerstochter über Nacht in ein Zimmer und vergattert sie, das Versprechen einzuhalten. Andernfalls drohe ihr der Tod.
In ihrer Verzweiflung zeigt sich ein kleines Männchen, welches Rettung verspricht und am nächsten Morgen ist das Stroh zu Gold gesponnen. Noch zweimal wiederholt sich dies – der König wollte sicherheitshalber ein One-Hit-Wonder vermeiden. Waren die Belohnungen, die das Männlein bekam, anfangs in Anbetracht des zu Gold gesponnenen Stroh seltsam bescheidene Gaben (ein Halsband und ein Ring), so forderte das Männchen in der dritten und entscheidenden Nacht das erste Kind, welches nach der Hochzeit zwischen ihr und König geboren wird. In ihrer Not willigt sie ein. Es kommt zur Hochzeit und zum Kind. Ein Jahr danach erhält die Frau Besuch von dem Männchen, der seinen Lohn einfordert. Sie versucht, ihn mit allen möglichen Reichtümern abzufinden. Aber dies reizt ihn nicht – schließlich verfügt er ja über Fähigkeiten, mit denen er sich selber diese Reichtümer schaffen könnte. Er beharrt auf seiner Forderung, gibt ihr jedoch eine vermeintliche Chance: Wenn sie binnen drei Tage seinen Namen errate, verzichtet er auf seine Forderung.
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Islam-Fundamentalismus, Re-Islamisierung und »Islamismus«
Essay zur Geschichte islamischer Reformbewegungen
1. Islamische Reformbewegungen
Islam-Fundamentalismus, Re-Islamisierung und »Islamismus« sind Schlagworte für islamische Reformbewegungen. »Reform« meint in den Offenbarungsreligionen (Parsismus, Judentum, Christentum, Islam) die Rückkehr zur »Reinform« der religiösen Lehre auf Grundlage der geoffenbarten Texte. Es handelt sich also stets um eine »Schriftfrömmigkeit«, wie auch im reformatorischen Christentum die Rückkehr zur Schrift als »Bibeltreue« verstanden wird.
Im Gegensatz zum Christentum kennt der Islam keine große Reformbewegung wie die lutherische, calvinistische oder zwinglianische Reformation. Dagegen gibt es von alters her kleinere Strömungen und »Sekten« (im Sinne von islamischen Schulen), die zurück wollen zu einem »reinen Islam« als Gegenbild des offiziellen, des »Kalifat-Islams«, der als »verderbt« abgelehnt wird. Kennzeichnend für diese Sektierer ist die Vermischung von Religion und religiöser Kultur mit politischen Zielen (was sie wiederum von der ursprünglichen christlichen Reformation unterscheidet): islamische Reformbewegungen münden von jeher in politischen Aktivismus.
Anstelle des Begriffs Reformbewegung spricht die westliche Welt – allerdings in zunehmend ideologisierender Weise – von »Islamismus« oder einer »Fundamentalbewegung«, u.a. um positive Konnotationen, die im Westen mit dem Wort »Reform« verbunden sind, gar nicht erst aufkommen zu lassen.
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Lutz Hachmeister: Sozialdemokraten / ARD
Der Untertitel von Lutz Hachmeisters Film »Sozialdemokraten« klingt, als wäre das Filmteam in ein Straflager verbannt worden: »18 Monate unter Genossen«. Und in etwa sieht so auch der Film aus.
Hachmeister beginnt mit dem Ergebnis der Bundestagswahl 2009 und dem schlechtesten Wahlergebnis der SPD »seit 1933«, wie die Einblendung lautet. Er zeigt Ausschnitte der umjubelten Reden von Steinmeier und Müntefering – einem Echo, dass damals die Republik fast verstörte. Peer Steinbrück erläutert dann, wie dieser Enthusiasmus bei einem Wahlergebnis von knapp 23% der Stimmen zu erklären gewesen sei. Steinbrück wird das zu anderen Ereignissen der jüngsten Vergangenheit noch mehrmals tun. Seine Stellungnahmen sind die einzigen, die nicht in diesen merkwürdigen Veteranenton verfallen, wie man ihn von Schröder, Machnig oder auch Clement zu hören bekommt. Letzterer skizziert immerhin das aktuelle Problem der SPD: die fehlende Programmatik.
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Ein steiniger Weg
Die Verhaltensmuster bei Mord- und Terroranschlägen oder Amokläufen laufen immer gleich ab. Man betont die Unfassbarkeit der Tat, stellt das Monströse heraus, hebt den/die Täter als Monster aus jeglicher sozialer Verankerung heraus und ruft in einer Mischung aus Ahnungslosigkeit, Verzweiflung und vorsätzlicher Dummheit nach Restriktionen.
Politiker dämonisieren das Internet wie weiland weltliche und religiöse Machthaber den Buchdruck. Schon knapp einhundert Jahre nach Gutenbergs Erfindung gab es die erste Ausgabe des »Index Librorum Prohibitorum«, mit der die Kirche verzweifelt die politische und spirituelle Deutungsmacht in der Welt für alle Zeiten konservieren wollte. Da besteht kein gravierender Unterschied zwischen einem mittelalterlichen Papst und den affektiv agierenden Politikern. Wie so häufig zeigt sich, dass das Objekt des Ressentiments weitgehend unbekannt ist. Letztlich ist es ihnen auch gleichgültig; entscheidend ist der Wunsch der Unterwerfung. So werden die Taten von Mördern für die eigenen politischen Zwecke instrumentalisiert, wobei Argumente in Anbetracht des weidlich kollektiven Schocks, derer die Streßgesellschaft in Anbetracht dieses Ausmaßes an Destruktion ausgesetzt ist, entbehrlich scheinen. Hauptsache, man befriedigt die Ängste der anderen Ahnungslosen.
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