Sahra Wa­gen­knecht: Frei­heit statt Ka­pi­ta­lis­mus

Sahra Wa­gen­knecht:
Frei­heit statt Ka­pi­ta­lis­mus


Ist es nicht merk­wür­dig, dass bis heu­te ei­ni­ge der schlimm­sten Dik­ta­tu­ren ein »de­mo­kra­tisch« in ih­ren Staa­ten­be­zeich­nun­gen füh­ren? Und/oder als »Volks­republik« so et­was wie Plu­ra­lis­mus sug­ge­rie­ren? War­um wer­den so häu­fig be­stimm­te Ter­mi­ni aus­ge­rech­net dann ver­wen­det, wenn sie ex­akt das Ge­gen­teil des­sen be­deuten, was man ge­mein­hin da­mit ver­bin­det? Und was hat das dau­er­haft für Aus­wir­kun­gen auf das kol­lek­ti­ve Ge­dächt­nis von Ge­sell­schaf­ten?

Man neh­me den Be­griff der »Frei­heit«, der in der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Öf­fent­lich­keit sei­ne Un­schuld spä­te­stens 1976 ver­lo­ren ha­ben dürf­te. Da­mals zog die CDU mit dem Slo­gan »Frei­heit statt So­zia­lis­mus« (die CSU: »Frei­heit oder So­zia­lis­mus«) in den Bundestags­wahlkampf. Aus­ge­dacht von Al­fred Dr­eg­ger, ei­nem stram­men Rechts­au­ßen, soll­te dies an­zei­gen, dass es – wie so häu­fig bei Bun­des­tags­wah­len – ums Gan­ze ging. Die De­nun­zia­ti­on ge­gen den »Emi­gran­ten« Wil­ly Brandt – ei­ne »Tra­di­ti­on« in der Uni­on seit den 50er Jah­ren – hat­te nicht funk­tio­niert. Brandt war aus an­de­ren Grün­den de­mis­sio­niert – Kanz­ler war nun Hel­mut Schmidt und sein Gegen­kandidat hieß Hel­mut Kohl. Da Schmidts Po­li­tik zu die­sem

CDU Wahlplakat von 1976 "Freiheit statt Sozialismus"

CDU Wahl­pla­kat von 1976 »Frei­heit statt So­zia­lis­mus«

Zeit­punkt prag­ma­tisch-un­spek­ta­ku­lär ver­lief und außen­politisch auf ei­ne Ver­tie­fung der Ost­po­li­tik Brandts setz­te, muss­te schleu­nigst ei­ne Hy­ste­rie­ma­schi­ne an­ge­wor­fen wer­den, die Schmidt nebst SPD als »So­zia­li­sten« dä­mo­ni­sier­te (man schreck­te aus rein stra­te­gi­schen Grün­den vor dem Be­griff des »Kom­mu­ni­sten« zu­rück; na­tür­lich war ge­nau die­se As­so­zia­ti­on in­ten­diert), um den da­mals eher toll­pat­schig wahr­ge­nom­me­nen Kohl als Frei­heits­fi­gur zu idea­li­sie­ren. Das Er­geb­nis ist be­kannt – die Uni­ons­par­tei­en er­reich­ten 48,6% der Stim­men (nur 1957 gab es bis da­hin mehr; 1983 wur­de Kohl dann ge­gen Vo­gel mit 48,8% ge­wählt), aber Schmidt blieb Kanz­ler (fast iro­ni­scher­wei­se durch ei­ne Par­tei die auch das At­tri­but »frei« in ih­rem Na­men führt).

Nie mehr er­holt

»Frei­heit« war je­doch gründ­lich mit dem Odi­um des Kal­ten Krie­gers kon­ta­mi­niert, der in sei­ner an­ti­kom­mu­ni­sti­schen Pa­ra­noia hin­ter jeg­li­chen For­men der Ver­stän­di­gung mit ideo­lo­gisch nicht kon­for­men Sy­ste­men den »Aus­ver­kauf« der Wer­te an den Klas­sen­feind wit­ter­te. Von die­sem psy­cho­pa­tho­lo­gi­schen Miss­brauch des Frei­heits­be­griffs hat sich die West-Bun­des­re­pu­blik im Grun­de ge­nom­men nie mehr ganz er­holt. Dies zeig­te sich so­wohl in der Be­wer­tung der ost­eu­ro­päi­schen Dis­si­den­ten­be­we­gun­gen der 80er Jah­re durch das links­in­tel­lek­tu­el­le Mi­lieu als auch bei den De­mon­stra­tio­nen von Leip­zig (und an­de­ren Städ­ten der DDR) 1989. Der em­pha­ti­sche Frei­heits­be­griff, den die De­mon­stran­ten dort ge­gen ei­ne bröckeln­de Staats­macht in­to­nier­ten ver­stör­te wei­te Tei­le der wohlstands­verwöhnten Bun­des­bür­ger, die das Grund­recht der Frei­heit als Selbstver­ständlichkeit a prio­ri be­grif­fen (und spä­ter zum Teil in ei­nem An­fall aber­wit­zi­ger Mil­de von ei­ner »kom­mo­den Dik­ta­tur« schwa­dro­nier­ten). Fast zwangs­läu­fig ent­deck­te im Volkskammer­wahlkampf 1990 der CSU-Ab­le­ger »DSU« (ei­ne Par­tei, die zu Recht glücklicher­weise längst ver­ges­sen ist) die Dr­eg­ger-Pa­ro­le und re­ak­ti­vier­te sie; kurz­fri­stig durch­aus mit ei­nem ge­wis­sen Er­folg. (Der Slo­gan wur­de noch di­ver­se Ma­le wie­der­be­lebt, u. a. mehr­fach von der FDP, was de­ren Ge­schichts­ver­ges­sen­heit auf Schön­ste il­lu­striert.)

Man muss an­neh­men, dass der Ti­tel von Sahra Wa­gen­knechts Buch »Frei­heit statt Ka­pi­ta­lis­mus« ab­sichts­voll ge­setzt wur­de. Den­noch gibt es ei­nen Un­ter­schied: War »Frei­heit statt So­zia­lis­mus« als dü­ste­re Dys­to­pie prä­ven­tiv ver­wandt wor­den, so ver­spricht Wa­gen­knecht mit »Frei­heit statt Ka­pi­ta­lis­mus« ei­ne Uto­pie. (Die The­se, dass un­se­re Ge­sell­schaft der­zeit nicht »frei« sei, die hier mit­schwingt, wird im Ver­lauf des Bu­ches aus­führ­lich be­grün­det.)

Wei­ter­le­sen im pdf-Do­ku­ment: Sahra Wa­gen­knecht Frei­heit statt Ka­pi­ta­lis­mus

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  1. Wenn ich Dich rich­tig ver­stan­den ha­be, dann stö­ren Dich an Wa­gen­knechts Zu­stands­be­schrei­bun­gen die Sim­pli­fi­zie­run­gen und die stim­mungs­ma­chen­de Wort­wahl. Ich hal­te das für le­gi­tim, denn das Buch ist ja kei­ne wis­sen­schaft­li­che Ar­beit, son­dern ei­ne po­li­ti­sche Mei­nungs­äu­ße­rung. Na­tür­lich muss man die Lö­sungs­vor­schlä­ge hin­ter­fra­gen, aber ei­nen Zweck er­füllt das Buch in je­dem Fall: Es gibt Denk­an­stö­sse, denn dass es mit dem Sy­stem wie ge­habt nicht mehr ein­fach wei­ter­ge­hen kann, ist in­zwi­schen ja of­fen­sicht­lich ( Du selbst hast ja Schirr­ma­chers FAZ-Ar­ti­kel ver­linkt).
    Nach­ste­hend ein Link zu ei­nem Vor­trag von Frau Wa­gen­knecht, dem wohl ei­ni­ge Tei­le ih­res Bu­ches zu Grun­de lie­gen:
    http://www.youtube.com/watch?v=DMHfZV4ZyYM&playnext=1&list=PL2B8FB27B9876076E
    (Wenn Dich das stört, Gre­gor, ich bin Dir nicht bö­se, wenn Du’s löscht.)

  2. Na­ja, das Un­be­ha­gen geht schon tie­fer. Und es geht nicht um Le­gi­ti­mi­tät von Wort­wahl. Son­dern auch im­mer, was da­mit in­ten­diert wird.

    Denk­an­stö­sse gibt es ge­nug, da­zu brau­che ich ei­gent­lich Wa­gen­knechts Buch nicht. In­ter­es­sant ist es aus zwei Grün­den: Er­stens wan­delt hier ei­ne füh­ren­de Prot­ago­ni­stin der Lin­ken auf min­de­stens teil­wei­se or­do­li­be­ra­len Pfa­den (die dann am En­de lei­der in wir­re Ent­eig­nungs­phan­ta­sien mün­den). Und zum zwei­ten wird die pro­tek­tio­ni­sti­sche, an­ti-eu­ro­päi­sche Sicht­wei­se der Lin­ken sehr deut­lich, die ein sehr kru­des, fast im­pe­ria­li­sti­sches Na­tio­nal­ver­ständ­nis Deutsch­lands ent­wickelt (auch wenn es rein öko­no­misch be­zo­gen ist).

    Schirr­ma­chers Ar­ti­kel wirkt mir ein biss­chen arg ei­nem Trend hin­ter­her­lau­fend. Das ha­be ich schon bei sei­ner Kri­tik am Vo­ka­bu­lar der Atom­in­du­strie ge­merkt. Das war sehr gut und poin­tiert, aber eben nach Fu­ku­shi­ma. Hät­te so et­was je­mand im FAZ-Fo­rum vor­her ge­po­stet, wä­re es nicht ver­öf­fent­licht wor­den. Jetzt ist es plötz­lich op­por­tun. Aber auch ein biss­chen ein­fach.

  3. »Wo im­mer es geht, wird Per­so­nen oder Per­so­nen­grup­pen das Bei­wort Haie zu­ge­wie­sen. Grup­pen­ver­bin­dun­gen ge­ra­ten schnell zur Ma­fia; Bank­ma­na­ger sind Acker­män­ner, Un­ter­neh­mer zu­wei­len durch­ge­knallt und Quar­tals­ir­re«

    Zu Recht. Oder soll man die­se Leu­te lo­ben?

  4. Jee­ves, jetzt stel­len Sie sich nicht düm­mer als Sie sind. Er­stens ha­ben Sie die­ses Phra­sen­ge­wit­ter über mehr als 300 Sei­ten nicht er­tra­gen müs­sen und zwei­tens gibt es so et­was wie ei­ne neu­tra­le Dar­stel­lung. Wenn man ein­mal »Fi­nanz­hai« sagt, reicht das – wenn man das 30 oder 40 mal macht, ist es nur noch lä­cher­lich.

  5. Es gibt in der Tat ei­ni­ge Din­ge im­Ka­pi­ta­lis­mus, bei de­nen man über­le­gen soll­te, wie man ih­re Aus­wir­kun­gen min­dert. Da die Quants an­ge­spro­chen wur­den, sie sind sym­pto­ma­tisch da­für. Es ist nicht der Kon­sum der Su­per­rei­chen, der Sor­gen be­rei­tet, der ist pro­zen­tu­al ge­rin­ger als der von Be­zie­hern nied­ri­ger und mitt­le­rer Ein­kom­men, son­dern die mit der Ent­schei­dungs­ge­walt über ihr Ver­mö­gen ein­her­ge­hen­de Macht über an­de­re Men­schen. Ob Ver­staat­li­chung da das be­ste Mit­tel ist, darf man be­zwei­feln. Ich wür­de eher ei­ne kon­se­quent pro­gres­si­ve Be­steue­rung al­ler Ein­kom­mens­for­men be­vor­zu­gen, und das na­tür­lich welt­weit weit­ge­hend ein­heit­lich.

    Gru­ber hat an ei­ner Stel­le mal sehr schön ge­sagt, dass nicht ein­zu­se­hen ist, war­um ein pri­va­tes Klär­werk bes­ser als ein staat­li­ches funk­tio­nie­ren soll, die­ser Ein­wand gilt aber auch in der um­ge­kehr­ten Rich­tung. Kri­te­ri­um für oder ge­gen ei­ne Ver­staat­li­chung könn­te viel­mehr sein, ob es ein öf­fent­li­ches In­ter­es­se an ei­nem Pro­dukt und ob es Wett­be­werb zwi­schen kon­kur­rie­ren­den Un­ter­neh­men gibt. Nach die­sen Kri­te­ri­en wä­ren Klär­wer­ke in kom­mu­na­ler Hand tat­säch­lich bes­ser – hier hät­ten dann auch die staat­li­chen Ver­wal­ter ein per­sön­li­ches In­ter­es­se an ih­rem »Pro­dukt«, weil sie selbst Nutz­nie­ßer wä­ren – und das hal­te ich für ei­nen »Un­ter­neh­mer« für ei­ne ent­schei­den­de Vor­aus­set­zung. Auch wich­ti­ge In­fra­struk­tur ge­hört nach die­sen Kri­te­ri­en un­ter die Kon­trol­le der Öf­fent­lich­keit, al­so Strom, Was­ser und Ver­kehr.

    Noch ein Wort zur In­du­stria­li­sie­rung. Ich weiß nicht ge­nau ob das stimmt, aber vor ei­ni­ger Zeit ha­be ich ge­hört oder ge­le­sen, dass es tat­säch­lich ein Merk­mal fort­ge­schrit­te­ner Ge­sell­schaf­ten ist, dass ihr In­du­stria­li­sie­rungs­grad sinkt – ge­nau­er for­mu­liert sinkt der pro­zen­tua­le An­teil der un­mit­tel­bar in der In­du­strie Be­schäf­tig­ten. Das ist ein Pro­zess, der ver­gleich­bar ist mit ei­nem sin­ken­den An­teil der in der Land­wirt­schaft Be­schäf­tig­ten, ob­wohl es mehr Le­bens­mit­tel als je zu­vor gibt. Stei­gen­de An­tei­le ver­zeich­nen in sol­chen Ge­sell­schaf­ten vor al­lem die Dienst­lei­stungs­bran­chen.

    Was die Zah­len­bei­spie­le von Sahra Wa­gen­knecht be­züg­lich der ka­pi­tal­ge­deck­ten Ren­ten­vor­sor­ge be­trifft, un­ab­hän­gig von de­ren Rich­tig­keit gel­ten ein paar Fak­ten ja trotz­dem: Im 20. Jahr­hun­dert gab es in Deutsch­land prak­tisch zwei­mal ei­ne Ver­nich­tung al­ler pri­va­ten Ver­mö­gen, so­dass es für die Ver­spre­chen der Fi­nanz­in­du­strie, dass es die­ses Mal funk­tio­nie­ren wür­de, kein gu­tes hi­sto­ri­sches Bei­spiel gibt. Und es ist si­cher auch rich­tig, dass der je­weils pen­sio­nier­te Teil der Be­völ­ke­rung im­mer von den Pro­duk­ten lebt, die die Ak­ti­ven zu die­sem Zeit­punkt pro­du­zie­ren. Die Wert­schöp­fung müss­te bei ei­ner al­tern­den und schrump­fen­den Be­völ­ke­rung in Deutsch­land al­so im Aus­land statt­fin­den, auch da­für kann nie­mand ei­ne Ga­ran­tie ge­ben. Und die Fi­nanz­kri­se zeigt ja ge­ra­de sehr deut­lich, dass es eben kei­ne Ab­kopp­lung der Geld­ver­mö­gen von den pro­du­zier­ten Wer­ten ge­ben kann – denn auch der Rent­ner wird sein ver­zin­stes Geld in Wa­ren zu­rück­tauschen wol­len.

    Und ab­schlie­ßend zur Fi­nanz­in­du­strie: Ei­ne Viel­zahl von Fi­nanz­pro­duk­ten ist in der letz­ten Zeit in die Kri­tik ge­ra­ten, weil man mit ih­nen Schind­lu­der trei­ben konn­te. Aber man kann für fast al­le Pro­duk­te zei­gen, dass sie in ih­rer Kon­struk­ti­on ei­nen wirt­schaft­li­chen Sinn ha­ben (z.B. Ab­si­che­rung von Wech­sel­kurs­ri­si­ken, Ab­si­che­rung von Ak­ti­en­kurs­schwan­kun­gen). Pro­ble­ma­tisch ist nur, wenn sie un­ab­hän­gig von ih­rem ei­gent­li­chen Ver­wen­dungs­zweck sich auf der Welt hin- und her­be­we­gen. Hier braucht man al­so eher mehr als we­ni­ger Glo­ba­li­sie­rung – näm­lich ei­ne welt­weit ein­heit­li­che­re Be­steue­rung und Be­wer­tung.

    Ei­ne Ver­staat­li­chung löst die Pro­ble­me mit den Fi­nanz­pro­duk­ten nicht, es sei denn, man woll­te die Pro­duk­te ver­bie­ten. Das ist aber Un­sinn, weil sie ja rich­tig an­ge­wen­det ei­nen Nut­zen ha­ben. Zu­dem ist ein Ban­ken­bas­hing auch aus dem Grund falsch, weil vie­le Ban­ken ja das Geld sehr vie­ler An­le­ger ver­wal­ten und in de­ren Auf­trag mehr aus de­ren Geld ma­chen. Zu­min­dest die mei­sten An­ge­hö­ri­gen des Mit­tel­stan­des sind ja bei­des: Kre­dit­neh­mer und Kre­dit­ge­ber.

  6. @Gregor
    Le­gi­tim ist si­cher der fal­sche Aus­druck, aber er­laubt soll­te ei­ne Por­ti­on Po­le­mik schon sein, kommt es doch jetzt knüp­pel­dick ge­nau so, wie es von links seit lan­gem war­nend pro­phe­zeit wur­de. Zur Dis­kre­di­tie­rung die­ser Sicht­wei­se war dem kon­ser­va­ti­ven und neo­li­be­ra­len Main­stream kei­ne Po­le­mik zu blö­de. Jetzt ha­ben wir den Sa­lat und die Hilf­lo­sig­keit der Ver­ant­wort­li­chen kann man mit Hän­den grei­fen. Per­fek­te Lö­sun­gen hat kei­ner, si­cher auch nicht die Frau Wa­gen­knecht oder die Lin­ke. Aber ein paar dis­ku­ta­ble An­sät­ze zur Be­wäl­ti­gung die­ser Sy­stem­kri­se hast Du ja im Buch auch ge­fun­den. So­weit ist z.B. die Bun­des­re­gie­rung noch lan­ge nicht. Die dok­tert wei­ter­hin an ir­gend­wel­chen Schein­lö­sun­gen her­um, des­in­for­miert und ver­sucht krampf­haft ei­ne Ko­ali­ti­on auf­recht zu er­hal­ten, die längst ab­ge­wirt­schaf­tet hat.

  7. @Köppnick
    Die »pro­gres­si­ve Be­steue­rung« be­treibt Wa­gen­knecht ja durch­aus. Zu­nächst sol­len die Su­per­rei­chen ei­ne ein­ma­li­ge Ab­ga­be lei­sten und dann kommt die Ver­mö­gens­steu­er (5–10%) bis am En­de nur noch 1 Mil­li­on Eu­ro üb­rig ist. Nicht nur evtl. Ver­lu­ste, son­dern auch Ge­win­ne wer­den so­zia­li­siert, in dem sie im Un­ter­neh­men ver­blei­ben und dort ent­we­der für In­ve­sti­tio­nen (die sie oft »In­no­va­tio­nen« nennt) ver­wen­det wer­den oder den Be­schäf­tig­ten in Form von Geld­lei­stun­gen zur Ver­fü­gung ge­stellt wer­den. Am En­de die­ser Ent­wick­lung steht nach ei­ner Ge­ne­ra­ti­on ei­ne fast glei­che Ge­sell­schaft.

    Je­der 9jährige kommt na­tür­lich so­fort auf die Idee: Dann sind die Leu­te mit den dicken Ver­mö­gen ganz schnell weg. Hier zeigt sich nicht nur die Welt­fremd­heit Wa­gen­knechts, son­dern auch die man­geln­de Be­reit­schaft, sich kom­ple­xen Pro­ble­men tat­säch­lich zu stel­len. Je­de Re­gie­rung muss ei­ner­seits ei­ne »Grund­ver­sor­gung« des Staa­tes mit Steu­ern und Ab­ga­ben si­cher­stel­len, oh­ne an­de­rer­seits die Teil­neh­mer mit gro­ßen Ver­mö­gen zu ver­prel­len. Die­sem Pro­blem ha­ben sich al­le deut­schen Re­gie­run­gen seit 1998 suk­zes­si­ve ver­wei­gert. Statt­des­sen ha­ben sie den Mit­tel­stand ge­schröpft, der kei­ne Ka­pi­tal­flucht­mög­lich­kei­ten be­saß. Die Par­tei, die für ei­ne »freie« Wirt­schaft ein­tritt, schließt kei­ne Steu­er­schlupf­lö­cher, ob­wohl es ge­nau das ist, was an­ge­sagt wä­re.

    Rot-Grün hat­te 1998 zwei di­ver­gie­ren­de Mög­lich­kei­ten: Zum ei­nen konn­te man ei­ne Nach­fra­ge­po­li­tik à la Keynes fah­ren, sich in Kri­sen­zei­ten ver­schul­den (die an­de­re Sei­te von Keynes, die­se Schul­den dann zu til­gen, ha­ben ALLE im­mer ge­flis­sent­lich über­se­hen), und den Markt über die Nach­fra­ge sti­mu­lie­ren. Das war La­fon­taine. Die an­de­re Sei­te war ei­ne wirt­schafts­li­be­ra­le Denk­wei­se, die glaub­te, die Wirt­schaft müs­se nur die be­sten Kon­di­tio­nen vor­fin­den und viel Geld ver­die­nen, da­mit dann ir­gend­wie für al­le et­was üb­rig bleibt. Jetzt zeigt sich, dass die­se Theo­rie auch nur bis zu ei­ner ge­wis­sen Gren­ze funk­tio­niert.

    Lei­der wur­de auch seit En­de der 90er Jah­re welt­weit der Fi­nanz­markt »li­be­ra­li­siert«. Und da be­gann das Ver­häng­nis. In­dem Ban­ken als Ak­teu­re der­art frei agie­ren und wun­der­ba­re Ren­di­ten er­zie­len konn­ten, setz­ten sie an­de­re, neue Prio­ri­tä­ten. Da­her muss man zu­nächst hier an­set­zen: Man muss die Fi­nanz­wirt­schaft ent­flech­ten und ih­re Mög­lich­kei­ten be­schrän­ken. Wenn das nicht in­ter­na­tio­nal zu be­schlie­ssen ist, soll­te Eu­ro­pa bzw. die EWWU die­se ru­hig al­lei­ne be­schlie­ßen (auf EW­WU-Ebe­ne soll­te es schon sein) und ei­ne Art »sau­be­ren« Fi­nanz­markt an­bie­ten: Han­dels­re­geln für den Ak­ti­en­han­del (bspw. ei­ne Art »Tem­po­li­mit« für den An- und Ver­kauf von Ak­ti­en und ein au­to­ma­ti­sches Aus­set­zen des Han­dels, so­bald ein be­stimm­ter Pro­zent­satz der Ak­ti­en ei­nes Un­ter­neh­mens ge­han­delt ist) und ei­ne strik­te Tren­nung von In­vest­ment- und Ge­schäfts­ban­ken (d. h. es darf kei­ne Klam­mer bei­spiels­wei­se zwi­schen dem In­vest­ment­teil und der Kre­dit­ab­tei­lung der Deut­schen Bank ge­ben). Das Ver­rück­te: Die­se Maß­nah­men ko­sten al­le kein Geld oder nur sehr we­nig. Statt­des­sen macht man sich zur Hu­re, in dem man ei­ne nur ei­ne Bör­sen­ab­ga­be er­he­ben will. (Ei­ne Bör­sen­um­satz­steu­er ge­hört zu dem Pa­ket, aber nicht aus­schließ­lich.)

    In­zwi­schen bin ich auch leicht an­de­rer Mei­nung, was den Zins an­geht. Für be­stimm­te Ge­schäf­te soll­te ei­ne Zins­be­rech­nung un­ter­sagt wer­den. Das ist al­ler­dings ein schwie­ri­ges The­ma. Im is­la­mi­schen Ban­ken­we­sen wird ja of­fi­zi­ell auf Zin­sen ver­zich­tet bzw. man ist an be­stimm­te Vor­aus­set­zun­gen ge­bun­den. Ich weiss zu we­nig, ob dies tat­säch­lich funk­tio­niert.

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    Zur Ver­staat­li­chung kann man viel­leicht kurz ge­faßt sa­gen: Lie­ber die Klär­wer­ke, Ab­fall­un­ter­neh­men oder ÖPNVs ma­chen ih­re Ver­lu­ste un­ter staat­li­cher bzw. kom­mu­na­ler Auf­sicht als dass sie als pri­va­te Un­ter­neh­men ir­gend­wann In­sol­venz an­mel­den müs­sen. Letz­te­res ko­stet ein­fach noch mehr. Die Ver­staat­li­chung ist die am we­nig­sten schlech­te al­ler schlech­ten Lö­sun­gen. Sie hat da Gren­zen, wo die Mög­lich­kei­ten des Wett­be­werbs sinn­voll sind. So will Wa­gen­knecht bspw. auch den Mo­bil­funk ver­ein­heit­li­chen (und be­grün­det dies mit den Mo­bil­funk­ma­sten). Das ist al­ler­dings aus öko­no­mi­schen Grün­den Un­sinn, da hier ein halb­wegs funk­tio­nie­ren­der Wett­be­werb exi­stiert.

    Dass der IWF und auch die EU im Fall von Grie­chen­land nun auf Pri­va­ti­sie­rung der Staats­un­ter­neh­men po­chen, hat ei­nen ein­fa­chen Grund: Da soll das Ta­fel­sil­ber (was schon sehr an­ge­kratzt ist) ver­kauft wer­den und kurz­fri­stig Geld ge­macht wer­den. Über­zeu­gend sind sol­che Lö­sun­gen nicht. Und von Dau­er auch nicht.

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    Ich glau­be, dass ei­ne Dienst­lei­stungs­ge­sell­schaft ab ei­nem ge­wis­sen Ni­veau der De-In­du­stria­li­sie­rung öko­no­misch im Nach­teil ist. Zum ei­nen hat der Dienst­lei­stungs­sek­tor durch­aus Gren­zen (wenn es nicht ge­ra­de Fi­nanz­dienst­lei­stun­gen sind). Zum an­de­ren ist es volks­wirt­schaft­lich schwie­rig: Die Han­dels­bi­lan­zen wer­den ne­ga­tiv, weil vie­les (oder al­les) im­por­tiert wer­den muss. Die­se Im­por­te müs­sen be­zahlt wer­den; Ab­hän­gig­kei­ten stei­gen. Zum an­de­ren ist ei­ne Dienst­lei­stungs­ge­sell­schaft sehr an­fäl­lig, was Ar­beits­lo­sig­keit an­geht (ein Fak­tum, dass oft so­gar schlicht­weg ge­leug­net wird). Tat­sa­che ist, dass die Ten­denz, Dienst­lei­stun­gen durch den Kun­den weg zu ra­tio­na­li­sie­ren, im­mer mehr Über­hand ge­winnt. Wir bu­chen in­zwi­schen un­se­re Rei­sen weit­ge­hend über das In­ter­net; Rei­se­bü­ros sind fast Exo­ten. Zug­fahr­schei­ne und Bord­kar­ten – al­les macht der Kun­de längst sel­ber. Es ist nur ei­ne Fra­ge der Zeit, wann wir im Su­per­markt den Wa­ren mit un­se­ren er­beu­te­ten Ein­käu­fen durch ei­nen Scan­ner schie­ben. Dies al­les wird auf Ko­sten ge­rin­ger Qua­li­fi­zier­ter ge­hen, die im­mer schwie­ri­ger ei­ne Be­schäf­ti­gung be­kom­men.