Angela Merkel kommt nach Düsseldorf! Eine OB-Wahl mit Bundeskanzler-Beteiligung. Die CDU möchte den durch den Tod von Joachim Erwin vakanten, strategisch wichtigen Posten des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Düsseldorf unbedingt halten. Anders kann man sich dieses Engagement nicht erklären. Aber ein anderer Termin als 13 Uhr ging wahrscheinlich nicht. Und aus Anlass des 350. Geburtstages von Jan Wellem findet seit heute auf dem Marktplatz ein »historischer Markt« statt; eine Art Mittelaltermaschine mit Ständen mit Met, Lederbeuteln, Amuletten, seltsamen Essgerichten und auch gelegentlich ganz viel Rauch, der dann später in Richtung auf das Podium wehte.
Der Einmarsch der Gladiatoren, unterlegt mit »Played a Life«, vorbei an Transparenten wie »1918–48 30 Jahre Völkermord an den Deutschen ungesühnt« – zeigte eine für diese Verhältnisse volksnahe Kanzlerin (wer sich ihr in den Weg stellte, bekam einfach einen Händedruck). Zwei Köpfe grösser dahinter Hausmeister Kandidat Elbers. Im weiteren Gefolge: Ronald Pofalla (sieh an, sieh an – es gab einige Buhrufe auf ihn), Hildegard Müller (sie wird zum 1. Oktober diesen Jahres Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft –BDEW-) und die Witwe von Joachim Erwin, Hilde Erwin.
Mit Elbers’ Rede begann es dann. Er betonte die Verdienste Erwins, die er bruchlos fortsetzen möchte, die Schuldenfreiheit seit 352 Tagen (eine Uhr am Rathaus zeigt an, seit wann die Stadt schuldenfrei ist). Erwin, Erwin, Erwin – eine fast religiöse Verehrung; die Witwe salbt den Kandidaten. Elbers sagt, dass ihn Angela Merkel glücklich mache, preist sie als die »mächtigste Frau der Welt«, wie Forbes dies neulich feststellte, und schleuderte den Lachern entgegen, man müssten das langsam mal zur Kenntnis nehmen. Immer wieder schlägt er den Bogen zurück zu Düsseldorf, dann wieder auf Merkel, deren Fähigkeiten jetzt gerade so gebraucht würden und eindrücklich mahnte Elbers – nachdem er vorher von seinen russischen Freunden erzählt hatte – auch von »grossen Staaten« an, dass sie sich dem Völkerrecht zu unterwerfen hätten. Wie gut, dass Dirk Elbers es den Russen dann noch mal gesagt hat und das so was ganz viel mit Düsseldorf zu tun hat.
Dann zitiert er Konrad Adenauer, der irgendwann einmal sagte, die Sozen könnten mit Geld nicht umgehen (er kennt offenbar Steinbrück nicht, der Dirk), aber den Gipfel der Peinlichkeit erreicht der Plattitüden-August dann, als er von seinem »Traum« sprach, irgendwann »nach der erfolgreichen Wiederwahl von Dr. Angela Merkel zur Bundeskanzlerin« im Jahr 2009 mit ihr zusammen als Oberbürgermeister den neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama in Düsseldorf begrüssen zu können. Selbst aus der Claqueur-Ecke nur sporadischer Applaus.
Da war dann Schluss und die Bundeskanzlerin ergriff das Wort. Sie fand irgendwie den »Barockmarkt« so toll, wies aber darauf hin, dass es zunächst einmal um die Oberbürgermeisterwahl ginge und auf die amerikanische Wahl ja die Düsseldorfer keinen Einfluss hätten, aber eben auf die OB-Wahl und alle sollten doch hingehen, nach dem Frühstücksei oder irgendwie so; da waren meine Ohren schon verstopft.
Zwei Stunden später dann die SPD-Frau Karin Kortmann im Plausch mit einem Journalisten; keine Rede haltend. Den Journalisten kenne ich nicht, er liefert Steilvorlagen. Kortmann wirkt extrem optimistisch (»Wir packen das«); es klingt wie jemand, der sich in einem teuren Seminar Optimismus antrainiert hat. Wie sie im Erfolgsfall gegen die Ratsmehrheit regieren will, wurde sicherheitshalber nicht thematisiert. Der Pseudomoderator fragt nach dem Programm – Frau Kortmann sagt, sie habe bewusst vieles offengelassen. Nur das jedes Kind nicht hungrig in die Schule gehen soll, will sie durchsetzen. Und das Kindergartenplätze und Krippenplätze kostenlos sind. Das will Elbers allerdings auch. Dann sagt sie, dass Joachim Erwin »sehr gute Politik« gemacht habe – rutscht ihr das nur so ‘raus oder meint sie das wirklich?
Das sie Bundestagabgeordnete ist, bewertet sie als Vorteil – sie lebe seit 18 Jahren in Düsseldorf, also wenn das nicht ausreiche. Und sie habe die Unterstützung der Grünen. Mehrfach erwähnt sie diese; Elbers hat die FDP nicht einmal genannt, die Partei scheint nicht zu existieren.
Wesentlich weniger Publikum; nur rund ein Drittel zum Elbers-Auftritt. Ich habe von diesem Termin auch nur durch Zufall erfahren – Plakate gab es von der SPD dazu nicht. Dann kommt Frau Kraft, die demnächst Ministerpräsidentin von NRW werden will. Sie schreit in das Mikrofon hinein. Kortmann sei eine »Powerfrau« und »Karin Kortmann liebt Düsseldorf!« Ich wäre an Stelle von Frau Kortmann vor Peinlichkeit in den Boden versunken – einige Zuhörer lachen und Karin lächelt eisern. Höhepunkt ist dann Peer Steinbrück, ein Politikertypus, den es viel zu selten gibt. Gleich zu Beginn wird er angeschrieen von einem Mann mit sehr langen, sehr fettigen Haaren. Er sei ein »Verräter«, er habe die Bahn verkauft. Steinbrück bleibt souverän. Er redet frei, preist die Vorzüge einer Oberbürgermeisterin, die Drähte bis nach Berlin hat, redet über die Verschuldung des Bundes, erinnert daran, dass die CDU ursprünglich die Gewerbesteuer – ein grosser Einnahmebrocken Düsseldorfs – abschaffen wollte; Menschen wie Kortmann hätten dies verhindert.
Ein anderer dicker Mann, der an mir vorübergeht und wohl ganz viel Met getrunken hat, pöbelt auch herum. Steinbrück schlägt ihm vor, zu dem anderen Mann zu gehen, fünf Minuten still zu sein und dann gebe er ihnen beiden einen aus.
Am Ende ein Plädoyer für das politische Engagement. Politiker machten Fehler, auch er. Aber wer nicht zur Wahl gehe und immer nur auf Politiker schimpfe, so Steinbrück, müsse sich nicht wundern, irgendwann von jemandem regiert zu werden, »der dümmer ist als Sie«. Das sitzt. Aber es wird Frau Kortmann nicht helfen.
40% reichen; es gibt keine Stichwahl. Düsseldorf bekommt das, was es verdient hat.
PS: Nein, der Text ist irgendwie nicht objektiv.
ERGÄNZUNG UND SCHLUSS: Dirk Elbers hat wohl mit rund 60% bei einer Wahlbeteiligung von unter 40% gewonnen. Das genaue Ergebnis kann man hier nachlesen. Die »Rheinische Post« sieht das schon als einen Stimmungstest für die Landtagswahl 2009, was einiges über die politische Kompetenz der Rheinischen Post verrät.
Politik ist Karneval – Karneval ist Politik.
Ich ahne schon, dass Sie Ihren Schlussatz ironisch meinen, aber Objektivität (irgendeine Form von Ernsthaftigkeit) ist bei solcherart Event wohl schlicht nicht mehr möglich.
Zufällig, mit Besuch von außerhalb, bin ich nachmittags auch kurz über den Rathausplatz gestolpert, als schon abgebaut wurde (wir wollten nur eine Abkürzung nehmen; durch die Kirmes da wurde es dann länger...), und ich dachte, hier sieht’s ja aus wie am Rosenmontag!
Und wie ehrlich und bezeichnend ist das zuletzt dann doch alles in so einer ausgeprägt lokalen Möchtgern-Geisteshaltung: Das Charakteristische an der Stadt sei ja ihre Charakterlosigkeit, meinte Beuys. Ich finde das gilt noch immer.
Den Schwiegersohn-Kandidaten habe ich neulich kurz im »Fernseh-Duell« mit der auch hier immer tapfer lächelnden Kortmann auf center.tv gesehen: ich ärgerte mich kurz, wiel ich auf sowas immer nur beim Zapping stoße, denn ich dachte, das sollte mich doch interessieren. Aber dann hörte ich Elbers, wie er betonte, dass er in der (4ten, glaube ich) Generation schon in D sei – und er meinte das ernstlich als Argument, ihn zu wählen! Da ging’s doch lieber weiter mit Zappen. Außerdem habe ich schon per Briefwahl gewählt.
Tatsächlich: Zwischen den Sätzen von Elbers vermisste ich dann irgendwann nur das.
Der einzige, der sich wirklich bemühte, nicht gänzlich in den Karneval abzugleiten war dann Steinbrück.
Ach ja, einen Satz von Merkel wollte ich noch unterbringen: Düsseldorf und Kultur seien inzwischen (sic!) »Synonyme«.
Steinbrück
Ja, Steinbrück ist schon ein klasse Mann. Auch wenn er bei der IKB-Krise etwas Mist gebaut hat, wenigstens mal einer, der es Ernst meint mit der Haushaltskonsolidierung. Leider ist der Großteil seiner Partei mittlerweile im Lilalauneland.
Durch Ihre Verweise auf die akustische Untermalung geriet Ihre Darstellung der Veranstaltung erfreulich plastisch. Die Vorstellung eines zum Technobeat von „Played a Live“ grazil eintänzelden Pofalla, von der eher steifhüftigen Kanzlerin ganz zu schweigen, hat schon einen gewaltigen Unterhaltungswert. Mich wundert nur, dass der Tusch für solche Wahlreden noch nicht obligatorisch ist.
Ich muss Sie enttäuschen:
Es gab weder eine Tanzeinlage von Herrn P. noch von der steifhüftigen, allerdings braungebrannten Kanzlerin.
In diesem Sinne haben Sie also nichts verpasst.
Das »Gegenmodell« zu »Played a Live« war dann kurz vor der SPD-Veranstaltung dudelsackspielende Menschen in mittelalterlicher Tracht (oder so ähnlich). Was ja – würde man es metaphorisch auslegen – durchaus interessant ist. (In Wirklichkeit gab es bei der SPD-Veranstaltung einfach nur weniger technischen Aufwand, was sich auch daran zeigte, dass die grossen Lautsprecher am Ende des Marktplatzes, die noch bis weit in die Altstadt hinein das Wort von Elbers und Merkel hineinwehen liessen, bei der SPD-Veranstaltung fehlten. Aber dafür gab es ja mehr Platz vorne.)