Klei­nes Plä­doy­er für ei­ne neue Na­tur­be­trach­tung

Im Feuil­le­ton der ak­tu­el­len Aus­ga­be der »Zeit« ist ein klei­ner, fast ein we­nig ver­stecker, fei­ner Ar­ti­kel der deut­schen Schrift­stel­le­rin Ma­ri­on Po­sch­mann zu le­sen.

In­ner­halb ei­ner Ar­ti­kel­se­rie mit dem eher schwam­mi­gen Ti­tel »Die Zu­kunft der Na­tur« ist Po­sch­manns »Traut dem Au­gen­schein!« ein kur­zes, aber em­pha­ti­sches Plä­doy­er für ei­nen ra­di­kal an­de­ren Um­gang mit dem, was wir (oft ge­nug fälsch­li­cher­wei­se) Na­tur nen­nen.

Ein biss­chen fühl­te ich mich bei ih­ren Ge­dan­ken an die sei­ner­zeit hef­tig dis­ku­tier­ten Fern­sehfilme des Jour­na­li­sten Horst Stern er­in­nert, der in den 70er Jah­ren un­ter an­de­rem mit dem ver­kitsch­ten Blick ei­ner­seits und dem rein öko­no­mi­schen Blick an­de­rer­seits auf­räu­men und in dra­sti­schen Wor­ten (und Bil­dern) die Na­tur­lo­sig­keit des »mo­der­nen Men­schen« auf­zeig­te.

Po­sch­mann kon­sta­tiert heu­te – rich­ti­ger­wei­se – das in je­dem Rei­hen­haus­gar­ten ein grö­sse­rer Ar­ten­reich­tum (so­wohl von Fau­na und Flo­ra) vor­liegt, als in den Mo­no­kul­tu­ren der deut­schen Wäl­der. Das Er­geb­nis sol­cher aus­schliess­lich öko­no­misch be­trie­be­ner Fort­wirt­schaft zeigt sich üb­ri­gens bei Ex­trem­ereig­nis­sen wie dem Sturm »Ky­rill« von Mit­te Ja­nu­ar die­sen Jah­res oder den Bor­ken­kä­fer­pla­gen ver­gan­ge­ner Jah­re: Da es kei­ne Viel­falt mehr gibt, son­dern al­les in­du­stri­el­len Ge­sichts­punk­ten un­ter­ge­ord­net ist, kommt es bei Er­eig­nis­sen der oben be­schrie­be­nen Art zu Mas­sen­schä­di­gun­gen gro­sser Wald­bestände. Die Tat­sa­che, dass in ge­sun­den Misch­wäl­dern weit­aus ge­rin­ge­re Schä­den auf­treten, wird igno­riert. Die Ver­su­chung, den Er­trag über Mo­no­kul­tu­ren deut­lich zu er­höhen, ist ein­fach zu gross; zu­mal mäch­ti­ge Ver­bän­de bei den Po­li­ti­kern im­mer noch ge­nug Geld für Scha­den­er­satz locker­ma­chen kön­nen, wenn es denn zu gro­ssen Er­trags­ver­lu­sten kommt. So wird dann der Ver­ur­sa­cher der Ma­lai­se noch be­lohnt.

Zu­rück zum Ar­ti­kel. In kur­zen und knap­pen Wor­ten be­schreibt die Schrift­stel­le­rin, wie der west­li­che Le­bens­stil zur Ent­frem­dung der Na­tur ge­gen­über führt. Die Ver­ein­nah­mung der Au­ssen­welt, um das Ich zu sta­bi­li­sie­ren ist je­doch, so Po­sch­mann, bei nä­he­rem Hin­se­hen [ein] Kon­strukt. Die Fol­gen sind fa­tal: Je deut­li­cher das wird, de­sto hef­ti­ger der Stabil­isierungsaufwand. Zwar be­haup­tet sich die freue Ent­fal­tung des In­di­vi­du­ums als höch­ster Wert; aber da Frei­heit erst ein­mal Lee­re be­deu­tet, er­le­ben wir die pa­ni­sche Auf­fül­lung die­ser Lee­re mit Ge­gen­stän­den, Sta­tus­sym­bo­len und Kom­fort. Die­se Sur­ro­ga­te füh­ren je­doch in ei­ner Art Spi­ra­le zur im­mer wei­te­ren Ver­tie­fung der Lee­re, die dann wie­der zu mehr Kon­sum führt, und so wei­ter.

Die­ser Le­bens­stil wird als das Na­tür­li­che emp­fun­den. Als Gip­fel­punkt die­ser Unnatür­lichkeit macht Po­sch­mann dann das Au­to­mo­bil als hei­li­ge Kuh aus, was zwar ein we­nig kurz greift – es lie­ssen sich be­lie­big an­de­re »hei­li­ge Kü­he« be­nen­nen (den Com­puter; die Me­di­en bzw. den Me­di­en­kon­sum [wel­che der uns so zahl­reich prä­sen­tier­ten »In­formationen« brau­chen wir un­be­dingt?]; die öko­no­mi­schen Ab­läu­fe, usw.).

Die Fol­ge ist, dass, so Po­sch­mann, der Re­spekt vor der Na­tur ver­lo­ren geht. Dem gegen­über setzt sie den ra­di­kal äs­the­ti­schen Um­gang mit der Na­tur; kein rous­se­au­haf­ter Re­flex (»Zu­rück zur Na­tur«), son­dern eher in kon­tem­pla­ti­ver, sinn­li­cher Art. Nicht sich selbst mög­lich weit weg von »na­tür­li­chen Ab­läu­fen« set­zen, son­dern wie­der mehr als Teil der Na­tur füh­len. Po­sch­mann ver­tritt die The­se, dass die­se An­schau­ung der Na­tur den Men­schen nä­her an den Ge­dan­ken der End­lich­keit führt – wäh­rend die Sur­ro­ga­te un­se­res Kon­sums ei­ne sym­bo­li­sche Un­sterb­lich­keit sug­ge­rie­ren. Die Fol­gen sind, dass wir uns un­se­rer Ver­ant­wor­tung der Welt ge­gen­über nicht mehr be­wusst wer­den, da un­ser Han­deln fast aus­schliess­lich der Ge­gen­wart dient.

Man muss Ma­ri­on Po­sch­manns Schluss­fol­ge­run­gen nicht un­be­dingt tei­len, um mit ih­rer Dia­gno­se über­ein zu stim­men. Aber ein schö­ner und loh­nen­der Denk­an­stoss beim Oster­spa­zier­gang ist es al­le­mal.

11 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Wei­te­res Buch
    Bei Le­sen dei­nes Bei­trags fiel mir so­fort ein wei­te­res Buch ein, Das En­de der Na­tur von Bill McKib­ben, das ich vor lan­ger Zeit ge­le­sen ha­be. Sei­ne Haupt­the­se: Ei­ne »un­be­rühr­te« Na­tur gibt es auf der gan­zen Er­de prak­tisch über­haupt nicht mehr. Al­les, was uns um­gibt, ist durch das Wir­ken des Men­schen ver­än­dert wor­den. Für un­se­ren All­tags­be­reich gilt das oh­ne Ein­schrän­kun­gen. Man ge­he in Ge­dan­ken die We­ge nach, die man je­den Tag tut, schaue sich da­bei um und su­che nach den De­tails, die ge­nau­so wä­ren, wenn es kei­ne Men­schen gä­be – man wird kein ein­zi­ges Fleck­chen fin­den.

    In­zwi­schen müss­te auch dem Dümm­sten klar sein, dass das für fast al­le Area­le der Er­de gilt, nur für die ex­tre­me Tief­see viel­leicht als ein­zi­ges noch nicht, al­le sind zum Bei­spiel von der Kli­ma­ver­än­de­rung be­trof­fen.

    So­weit ich mich er­in­ne­re, hat sich der Au­tor in sei­nem Buch auch auf Ros­se­aus »Zu­rück zur Na­tur« be­zo­gen, was sich im Licht die­ser ein­fa­chen Tat­sa­chen als Non­sens dar­stellt, die von Ros­se­au idea­li­sier­te Na­tur gibt es nicht (mehr). Ge­nau aus die­ser Ab­leh­nung Ros­se­aus er­wächst un­se­re Ver­ant­wor­tung für die ge­sam­te »Schöpfung«.Wir sind die Ur­sa­che und wir sind gleich­zei­tig die ein­zi­gen, die über die Ein­sicht und die Mit­tel ver­fü­gen, et­was zu be­ein­flus­sen.

  2. Klei­ne Be­ob­ach­tun­gen am Ran­de
    Mich stört an schö­nen Tex­ten wie dem von Por­schmann, daß sie so of­fen­sicht­lich aus ei­nem be­ob­ach­ten­den und al­so en­gen Blick­win­kel ge­schrie­ben sind.
    Ich möch­te be­haup­ten, daß un­ser so mo­no­kul­tu­rel­ler Wald auch oh­ne Bä­ren ganz schön mit »Wild­heit« an­ge­füllt ist. Was nen­ne ich hier »wild«? Das Un­er­war­te­te, mich bis an mei­ne Gren­zen Be­an­spru­chen­de, Das­je­ni­ge, mit dem ich ggbfalls kämp­fe bis es mich zum Rück­zug zwingt.
    Bei­spie­le: Sich ver­lau­fen im Wald. Du bist schon drei Stun­den spa­ziert, hat­test nix zu Es­sen und zu Trin­ken, trollst dich so lang und in dem Mo­ment, in dem dir ein ge­müt­li­ches Lo­kal in den Sinn kommt, wird dir klar, daß du kei­ne (ge­naue) Ori­en­tie­rung mehr hast. Nix Pa­nik, du weißt ja, daß Du auf je­den Fall wie­der zu Men­schen kommst, wenn Du nur ge­ra­de­aus gehst. Aber al­lein der Ge­dan­ke, daß du jetzt viel­leicht noch drei,vier Stun­den vor Dir hast1 Be­sten Dank – plötz­lich ahnst Du et­was von der Macht des Wal­des.
    An­de­res Bei­spiel: Ich ha­be ei­ne Holz­hei­zung, kann al­so im­mer schö­ne Stäm­me, Äste ge­brau­chen. Wind­bruch im (mo­no­kul­tu­rel­len) Wald. Ich al­so mit dem Fahr­rad (und der Axt) dort­hin, den Ast ent­a­sten, den Ast aufs Fahr­rad hie­ven (das nas­se Holz ist schwer wie Ei­sen), am Fahr­rad an­schnal­len, Hän­de mit Harz ver­saut, die Fuh­re nach Hau­se zir­ku­lie­ren. Al­les zu­sam­men ein Aben­teu­er; »ein Ver­rück­ter« mei­nen even­tu­ell die Nach­barn, die der­weil am Fern­se­her sit­zen oder ihr Au­to put­zen (oder ih­ren ar­ten­rei­chen Ra­sen schnei­den).
    Drit­tes Bei­spiel: Blau­bee­ren su­chen (di­to Pil­ze), der Frau ei­ne Freu­de ma­chen wol­len mit 1,5 l Kan­ne voll selbst ge­such­ter Blau­bee­ren.... und das Aben­teu­er der Na­tur des ei­ge­nen Rückens er­le­ben.

    Ent­schul­digt mei­ne Red­se­lig­keit. Mir ist wohl klar, daß sie sich nur auf ein Zip­fel­chen des The­mas be­zieht.

    Schö­ne Oster­grü­ße!

  3. # 1 Köpp­nick – Kul­tur­land­schaf­ten
    Na­tür­lich ist ge­ra­de bei uns der Ge­dan­ke an »un­be­rühr­ter Na­tur« seit min­de­stens 300/400 Jah­ren nur noch ein Wunsch­traum. Ne­ben der von Dir ge­nann­ten Tief­see fällt mir nur noch der Re­gen­wald bspw. in Süd­ame­ri­ka ein; hier soll es noch »wei­sse Flecken« ge­ben.

    Der von mir be­reits an­ge­spro­che­ne Horst Stern er­reg­te in den 70er und 80er Jah­ren mit sei­nen Fil­men gro­sse Auf­merk­sam­keit, weil er zeig­te, dass das, was wir als »Na­tur« se­hen, letzt­lich nur durch­öko­no­mi­sier­ter Kul­tur­raum ist. Be­son­ders un­sin­nig ist da­bei die Vor­stel­lung, dass die Land­wirt­schaft ir­gend et­was mit »Na­tur« zu tun hat – Stern kon­sta­tier­te rich­tig, dass sie der gröss­te »Feind« der Na­tur sei. Das hat da­mals gro­ssen Wir­bel ver­ur­sacht und gilt auch heu­te noch nicht als Kon­sens.

    Es gibt in­zwi­schen Na­tio­nal­park-Pro­jek­te, in der sich der Mensch »ver­pflich­ten«, die Na­tur ein­fach »in Ru­he zu las­sen«. In Deutsch­land seit vie­len Jah­ren den Na­tio­nal­park Baye­ri­scher Wald. In­zwi­schen gibt es hier auch schon Zu­ge­ständ­nis­se an Fahr­rad­fah­rer, Wan­de­rer und Aus­flüg­ler. Zur Zeit der gro­ssen Bor­ken­kä­fer­pla­gen Mit­te der 90er Jah­re hat man dort auch ge­gen das Prin­zip ge­han­delt und mit che­mi­schen Keu­len ei­ne Be­kämp­fung vor­ge­nom­men, statt den Wald auf na­tür­li­che Wei­se da­mit »fer­tig­wer­den« zu las­sen.

    Rous­se­aus »Zu­rück zur Na­tur« war schon zu sei­nen Leb­zei­ten un­mög­lich. Mir fällt da Tho­re­aus »Wal­den« ein – ein fik­tio­na­les Buch, in dem der Au­tor sei­ne Er­leb­nis­se be­schreibt, als er ein Jahr in der Na­tur leb­te (das war um 1840 in den USA). Wenn man die­ses Buch ge­nau liest, er­kennt man das mehr als frag­wür­di­ge Na­tur­ver­ständ­nis des Au­tors, der in je­der Hand­lung ver­sucht (ja ver­su­chen muss bzw. glaubt, es zu müs­sen), die Na­tur ge­mäss ei­nen Vor­stel­lun­gen »nutz­bar« zu ma­chen. (Ko­misch am Ran­de, dass die­ses Buch in den 80er/90er Jah­ren in den USA und auch Eu­ro­pa ei­ne Wie­der­be­le­bung in­ner­halb der »Öko­be­we­gung« er­leb­te).

    In­so­fern be­kommt Dei­ne Schluss­be­mer­kung im­mer wie­der neue Wich­tig­keit.

  4. #1 – Ein­sicht und Mit­tel
    Hast du nicht mal selbst ge­sagt, der So­zia­lis­mus hät­te ge­gen den Ka­pi­ta­lis­mus kei­ne Chan­ce, weil er auf ab­strak­ten Din­gen wie So­li­da­ri­tät etc.aufbaut, zu de­nen man die Leu­ten müh­sam er­zie­hen muss, wäh­rend der Ka­pi­ta­lis­mus durch Gier an­ge­trie­ben wird? So ähn­lich ist das mit dem »Re­spekt vor der Na­tur« auch, scheint mir. Oder noch hoff­nungs­lo­ser, weil un­trenn­bar da­mit ver­bun­den. Viel­leicht kann man als Kind et­was in die Rich­tung ge­lenkt wer­den, dass auch spä­ter et­was da­von hän­gen bleibt. Dass ei­nem der An­blick un­ge­hemm­ten Flä­chen­ver­brauchs (von über­wie­gend trost­lo­ser Kul­tur­land­schaft, klar, aber eben nicht nur) ein­fach weh tut. Oder dass man – wie soll ich sa­gen – ein Glücks­ge­fühl hat, wenn man an ei­nen Was­ser­lauf kommt und es wach­sen noch rich­ti­ge Pflan­zen dar­in, Igel­kol­ben z.B. oder so­gar Pfeil­kraut, und nicht nur gam­me­li­ge Al­gen. Aber was nützt das, bei ei­nem von 10 bis 100 Men­schen. Der kann nix ma­chen, lei­det, und setzt sich gleich in sein Au­to für ei­ne über­flüs­si­ge Fahrt. Nach Ostern be­schäf­tigt er sich dann in sei­nem Bü­ro mit Schein­lö­sun­gen wie Raps­die­sel oder dem Ver­bud­deln von CO2 bzw. dem Ver­sen­ken in der ex­tre­men Tief­see...

  5. #2
    Zu­ge­ge­be­ner­ma­ssen ist der Text von Ma­ri­on Po­sch­mann nicht sehr aus­führ­lich, was ver­mut­lich dar­an liegt, dass man ihr Gren­zen ge­zeigt hat. Hier­durch kommt es viel­leicht zum Ein­druck ei­nes zu en­gen Blick­win­kels.

    Aber tat­säch­lich will sie den be­ob­ach­ten­den Blick – sie will ihn als ein­zi­ges gel­ten las­sen. Sie tan­giert da­bei gar nicht un­se­re klei­nen »Aben­teu­er«, die wir mit der Na­tur schon ein­mal hat­ten (de­rer könn­te ich auch ei­ni­ge bei­steu­ern – sie zei­gen aber viel­leicht nur, wie ent­frem­det man tat­säch­lich ist, um die­se klei­nen Be­ge­ben­hei­ten schon der­art ein­zu­ord­nen).

    Mei­ne Er­fah­rung ist: Wo sich auch im­mer Na­tur der mensch­li­chen Ent­wick­lung »wi­der­setzt«, wo im­mer sie »droht«, dem Men­schen et­was »ab­zu­ver­lan­gen«, und sei es auch nur ein an­de­res Ver­hal­ten – sie er­hält (fast im­mer) nie ei­ne Chan­ce. Im­mer er­hebt sich der Mensch über sie. Ver­mut­lich ha­ben wir kei­nen an­de­ren Spruch aus der Bi­bel mehr ver­in­ner­licht, als uns die Er­de un­ter­tan zu ma­chen. Die Fol­gen sind be­kannt.

    Schö­ne Oster­g­rü­sse zu­rück!

  6. @Klopstein
    Viel­leicht kann man als Kind et­was in die Rich­tung ge­lenkt wer­den, dass auch spä­ter et­was da­von hän­gen bleibt.
    Vor ei­ni­gen Jah­ren ging ei­ne Fa­mi­lie mit ih­rem viel­leicht 8 oder 9jährigen Kind auf ei­ner Stra­sse spa­zie­ren. Das Kind be­nann­te je­des par­ken­de Au­to nicht nur mit Mar­ke, son­dern auch noch mit der Mo­dell­be­zeich­nung. Vie­les wuss­te es, be­vor es sich ver­ge­wis­ser­te. Die El­tern wa­ren ganz stolz, schau­ten in der Ge­gend her­um, um fest­zu­stel­len, ob die Um­her­ge­hen­den die »Klug­heit« ih­res Kin­des be­merk­ten. Da ich aus­fäl­lig zu wer­den droh­te und ich mei­ner Frau (und mir) das er­spa­ren woll­te, wech­sel­te ich die Stra­ssen­sei­te.

  7. Wie­so ei­gent­lich »Na­tur«?
    Als es noch nichts an­de­res als Na­tur gab, exi­si­tier­te sie im Grun­de ge­nom­men noch gar nicht. Denn der Be­griff »Na­tur« konn­te erst als Ab­gren­zung und Ge­gen­satz zu »Kul­tur« ge­schaf­fen wer­den. Als der Mensch an­fing, die von ihm selbst ge­schaf­fe­nen Din­ge und Struk­tu­ren nicht mehr als in­te­gra­len Be­stand sei­ner Um­welt, son­dern als da­von ab­ge­trennt und gänz­lich von ihm kon­trol­liert zu be­trach­ten, war das heu­ti­ge Di­lem­ma fast schon vor­pro­gram­miert, fin­de ich. Wenn ich mich nicht als Teil ei­nes Sy­stems be­trach­te, son­dern nur als Nut­zer die­ses Sy­stems, en­det mein Ver­ant­wor­tungs­be­wußt­sein da, wo mein Nut­zen auf­hört. Wenn al­le Be­stand­tei­le der Na­tur nur noch als Ob­jek­te wahr­ge­nom­men wer­den, über die man nach Be­lie­ben ver­fü­gen kann, der Mensch aber tat­säch­lich nach wie vor ein Be­stand­teil der Na­tur ist (auch wenn er sich lan­ge Zeit so nicht ge­se­hen hat), dann ist letzt­lich auch er nur ein Ob­jekt – der »Na­tur« näm­lich, und das kriegt er dann zu spü­ren, wenn ihm ir­gend­wann die Kon­trol­le ent­glei­tet, weil er das Sy­stem ka­putt­ge­nutzt hat. Wer kei­nen Re­spekt hat vor den Din­gen, die ihm das Le­ben er­mög­li­chem, dem wer­den sie sich ent­zie­hen. Die­se Lek­ti­on ler­nen wir ge­ra­de.

  8. »Willst du den Wald ver­nich­ten, so pflan­ze nichts als Fich­ten.«
    Das, was Horst Stern 1979 schrieb, hat im gro­ssen und gan­zen noch heu­te Gül­tig­keit:

    In den nur 700 Jah­ren zwi­schen dem 7. und 13. Jahr­hun­dert wur­de aus dem Wald­land Deutsch­land ein Acker­land. Aus­ge­hend von den Fluss­läu­fen, schlug man den Wald auf die Flä­che zu­rück, die er mehr oder we­ni­ger heu­te noch be­deckt. Holz war jahr­hun­der­te­lang der gro­sse En­er­gie­spen­der. 1800 war das Ver­hält­nis von Brenn­holz zu Bau­holz im­mer noch 90:10. Heu­te hat sich dies Ver­hält­nis ex­akt um­ge­kehrt. […] Aus dem Na­tur­wald wur­de der Först­erwald. Das ur­sprüng­li­che Laub­holz wich nach und nach dem wirt­schaft­li­che­ren Na­del­holz, vor­an Fich­te und Kie­fer, die nun schon – mit im­mer noch stei­gen­der Ten­denz – bis zu 70 Pro­zent un­se­rer Wald­baum­ar­ten aus­ma­chen. Die durch Raub­bau in Kriegs- und Not­zei­ten ver­arm­ten Wald­bö­den ga­ben da­mals oft nichts an­de­res mehr her als an­spruchs­lo­se Kie­fern­wäl­der, das muß man sa­gen. Fich­ten­plan­ta­gen aber, in ma­schi­nen­ge­rech­ter Rei­hung, sind die vie­ler­orts bis heu­te nicht über­wun­de­nen Fol­gen ei­nes forst­li­chen Ren­di­te­den­kens, das im 19. Jahr­hun­dert – in Nord- und Mit­tel­deutsch­land mehr als in sei­nem Sü­den – den Wald wie ei­nen Kar­tof­fel­acker be­han­deln zu kön­nen glaub­te: pflan­zen und ern­ten zu je­weils glei­chen Zei­ten.

    Stern er­wähnt mas­si­ve Sturm­schä­den aus dem Jahr 1972 und weist auf die er­höh­te Wald­brand­ge­fahr im Som­mer bei Na­del­holz­mo­no­kul­tu­ren hin; Laub­holz (der den gröss­ten Teil des ur­sprüng­li­chen »Ur­walds« aus­mach­te) ist nach­weis­lich schwe­rer ent­flamm­bar als die harz­rei­chen Na­del­bäu­me, die in Trocken­zei­ten wie Zun­der bren­nen. Fa­zit: Ob nun Fich­te oder Kie­fer – wo sie der Bo­den­be­schaf­fen­heit nach nicht hin­ge­hö­ren und wo sie oben­drein noch oh­ne die sie sta­bi­li­sie­ren­de Bei­mi­schung an­de­rer Baum­ar­ten in Mo­no­kul­tur ste­hen, da rächt sich sol­che Ver­ge­wal­ti­gung der Na­tur.

    Die­se Be­trach­tung ist – wie ge­sagt – fast 30 Jah­re alt. Aber da wa­ren die (schnell wach­sen­den) Na­del­wäl­der (ca. 60–80 Jah­re bis zur »Schlag­rei­fe«), die wir heu­te se­hen, be­reits ge­setzt.

    Die Zeit, als der Bau­er (oder der Wald­wirt) noch im Ein­klang mit der Na­tur leb­te, war al­so re­la­tiv schnell vor­bei. Die Be­schleu­ni­gung die­ses Ef­fekts trat dann noch mit der Ma­schi­ni­sie­rung der Land- und Forst­wirt­schaft ein, setz­te sich fort über die mas­si­ven Ein­sät­ze (so­ge­nann­ter) »Pflan­zen­schutz­mit­tel« bis hin heu­te zu den Gen­fel­dern, die uns Fort­schriftt sug­ge­rie­ren sol­len.