Wenn man die ersten Seiten dieses Buches liest, kann einem tatsächlich angst und bange werden. Man glaubt in einem totalen Überwachungsstaat zu leben oder auf ihn fast zwangsläufig, ohne Rettung, zuzusteuern. Das Muster, welches die Autoren dabei verwenden, ist bekannt: Vom Einzelfall wird auf das Allgemeine geschlossen. Da vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 von Demonstranten Geruchsproben genommen und archiviert wurden, wird suggeriert, dies sei allgemeine polizeitechnische Praxis. Dass es sich beispielsweise in Hamburg um insgesamt zwei Fälle handelte, bleibt natürlich außen vor (genau wie die anschließende Diskussion um diese inakzeptable Vorgehensweise).
Da werden, so die Behauptung, die Fingerabdrücke auf meiner Kaffeetasse umgehend allen sogenannten Anti-Terror-Behörden gemeldet (falls sie nicht schon längst bekannt sind). Die Möglichkeit, dass private E‑Mails abgefangen und gelesen werden können, führt zu der Feststellung, dass jede verschickte E‑Mail einem unverschlossenen Brief gleicht, der weltweit von jedem Interessierten mit Internetzugang eingesehen werden kann. (Als »Begründung« heißt es lapidar, dass fast alle Browser…Sicherheitslücken haben.) In diesem Zusammenhang auf den guten, alten Brief als Geheimniswahrer zu verweisen, erscheint schon sehr komisch – als könnte nicht jeder Brief ebenfalls geöffnet werden. Wohl gemerkt: kann. Aber man liest unwillkürlich: wird.
RFID-Chips in Geldscheinen, ein Chip, der ins Halsfleisch eines neugeborenen Kindes eingepflanzt wird, Patientenkarte, Nacktscanner – überall Horrorvisionen, ob als perverses Gedankenspiel oder als zur Diskussion gestelltes Projekt interessiert kaum noch. Was möglich ist, gilt praktisch schon als Realität. Wer »Telepolis« liest, wird vieles wiedererkennen; die Autoren zitieren ausgiebig aus diesem Magazin und heben es als vorbildliches journalistisches Flagschiff heraus. Ausgerechnet »Spiegel-Online« wird noch häufiger zitiert; ca. 90% der Quellen sind online abrufbar und werden am Ende des Buches aufgeführt [was den Leser überrascht, da es im Text keine Fußnoten gibt]).
»Distanzieren Sie sich vor Panikmache und Skandallust« – Gerne.
Etliches lässt sich auch gegen die Autoren selber verwenden. Etwa wenn sie (berechtigterweise) eine Massenverängstigung durch die vermeintliche Bedrohung durch den Terrorismus konstatieren und fragen, warum sich die Medien an vorderster Front einspannen lassen. Aber: Was anderes als eine »Verängstigung« wird hier äußerst suggestiv betrieben? Und: Sind prognostizierte Schreckensszenarien für die Massenmedien so viel interessanter und glaubhafter als die realen Einschränkungen unserer Grundrechte? Leicht abweichend könnte man mit ähnlicher Berechtigung fragen: Sind prognostizierte Schreckensszenarien was die vermeintlich schleichende Entrechtung der Bürger angeht für sie so viel interessanter als notwendige Diskussionen über das sinnvolle und notwendige Umgehen mit den neuen Technologien und Möglichkeiten? Leider: Die Frage wird aber nicht gestellt, sondern mit Bedrohungsszenarien zugedeckt. Am Ende heißt es dann tatsächlich: Distanzieren Sie sich vor Panikmache und Skandallust.
Leichter ist anderen geraten als selber praktiziert. Wobei das Klappern laut sein muss, um heutzutage überhaupt gehört zu werden. Da wird dann schlichtweg unser Wertesystem abgeschafft und die Anti-Terror-Maßnahmen der EU mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten 1933 und ein Staat in Selbstverteidigung mit der Ausschaltung der SA von 1934 durch Hitler verglichen (und dieser Vergleich noch verteidigt). Die naheliegende historische Parallele zu den Notstandsgesetzen 1968 erzeugt natürlich kaum die gleiche Empörungsmusik wie der wuchtige Nazi-Vergleich. Und auch die Idealisierung beispielsweise der amerikanischen »Bill of Rights« ist ein bisschen geschichtsklitternd: Hat doch dieses zweifellos wunderbar klingende Dokument die Entrechtung, Vertreibung und Ermordung der Indianer in den USA nicht aufhalten können.
Angst sells
Da wird mit der vermeintlichen Erfolglosigkeit der einzelnen Maßnahmen (Videoüberwachung, Rasterfahndung, E‑Pass) argumentiert ohne zu fragen, wozu diese Maßnahmen überhaupt dienen sollen. Es wird suggeriert, die Polizei wolle sich quer durch die Dateien der Computer der Bürger lesen und auch die Steueridentifikationsnummer wird verteufelt (wobei den Autoren sicherlich klar ist, dass auch jetzt schon ihre Daten auf den Rechnern gespeichert sein dürften).
Angst sells wird ein Kapitel überschrieben – und auch hier zeigen drei Finger der Hand auf den Zeigenden zurück. Natürlich wurden und werden die Wahrscheinlichkeiten und Szenarien eines Terrorangriffs übertrieben dargestellt. Aber wie würde man einer Fluggesellschaft entgegentreten, die die Wartung ihrer Flugzeuge nachlässig betreibt – mit dem Argument der Unwahrscheinlich des Ausfalls bestimmter technischer Teile? Indem Trojanow/Zeh eine Nähe zwischen der Vorgehensweise der Bush-Regierung (Homeland Security Presidential Directive) und der Maßnahmen der EU und Deutschlands ziehen, betreiben sie genau das Spiel, was sie anderen vorwerfen.
So wird dann das »Echelon« noch einmal hervorgeholt – ein Abhörinstrumentarium innerhalb des Geheimdienstes NSA, das es schon Jahrzehnte gibt (leider auch auf deutschem Boden) und – hier könnte man ja auch wieder die Argumentation der Autoren verwenden – die Anschläge des 11. September auch nicht verhindern konnte. Die Orwell-Phantasien fehlen natürlich nicht (das erinnert dann tatsächlich an die Volkszählungsdiskussion in den 80er Jahren) und sogar Josef K. muss herhalten. Das Bundesverfassungsgericht ist, so wird nahegelegt, noch der einzige Hüter der Grundrechte. Allerdings liegt die Betonung auf dem »noch«, denn auch hier bahnt sich offensichtlich Böses an: …solange diese [die Verfassung, d. i. das Grundgesetz] noch von den Verfassungsrichtern in Karlsruhe verteidigt wird.
Wer die Bedenken der Autoren nicht teilt, findet sich schnell in der Figur des Achim Angepaßt wieder – ein naiver Selbstbetrüger, der Datenschützer für paranoide Wichtigtuer hält und nichts von den Veränderungen in unserer Gesellschaft wissen will. Sein Portemonnaie wölbt sich vor lauter Plastik: Payback- und Kundenkarten… – alles natürlich auch Ausweis seiner latenten Dummheit. Achim wird zum vollendete[n] Untertan – die Lichtgestalt ist der Leser, der den Brei der Autoren bis zum Ende auslöffelt (der Gehorsam wird natürlich auch hier erwartet – dafür folgt das Lob auf dem Fuße: Sie, lieber Leser, sind bestimmt kein narzisstisch veranlagter, rabattgieriger Untertan wie Achim Angepaßt). Ja, tatsächlich – man wird seinen Gegnern immer ähnlicher: Die Welt ist…in Schwarz und Weiß unterteilt – dieser Befund der Terrorjäger trifft merkwürdigerweise genau so auf die Mahner und Warner zu, die auch ihrerseits warnen: Wer sich nur dann an seine Grundrechte erinnert, wenn er sich persönlich geschädigt fühlt, hat entweder nicht verstanden, worum es geht, oder zeigt sich schlicht verantwortungslos.
Erlaubt ist nur, was nicht gefällt
Wie gut, das es Otto Depenheuer gibt, der in seinem Buch »Selbstbehauptung des Rechtsstaates« das »Feindrecht« wieder einführen möchte und die Wehrhaftigkeit der Demokratie unter Umständen mit einem »Bürgeropfer« verknüpft. Leider genügen den Autoren die Rekurse Depenheuers auf Carl Schmitt, um ihn zu desavouieren. Wo dies nicht reicht, wird die Modellhaftigkeit des Katastrophendenkens angegriffen. Wobei Zeh als Juristin wissen müsste, dass diese Art der konstruierten, fiktive[n] Versuchsanordnungen durchaus bei der Diskussion moralischer Probleme praktiziert wird.
Auf eine detaillierte Auseinandersetzung lässt man nicht ein; da muss die Empörungsrhetorik reichen. Da als Quelle zur Depenheuer-Rezeption auch dieser Artikel herangezogen wird, hätte man wenigstens erwähnen können, dass eine breite Front von Staatsrechtlern mit dem Verfassungsrichter Udo di Fabio an der Spitze Depenheuers Thesen strikt und gut begründet ablehnen.
Mit ähnlicher Verve geht es Reinhard Merkel an den Kragen, der seit einigen Jahren in bestimmten Nothilfe- und Rettungssituationen die Anwendung von Folter moralphilosophisch begründet. Dabei ist es ein Dokument der Inkonsequenz des Denkens, wenn am Ende nach vehementer Ablehnung von Merkels Thesen dann plötzlich konstatiert wird: Als Privatperson darf der Polizist wie jeder andere Bürger unter extremen und demnach seltenen Umständen möglicherweise einen Angreifer foltern, um sich und andere zu retten. Als staatliches Organ darf er das nicht. (Unklar bleibt, ob der Polizist seine Uniform vorher ausziehen soll.)
Warum also dieser Alarmismus? Dabei wäre doch – auch dies ein Zitat aus dem Buch – der Versuch, Zusammenhänge von ihrer rhetorischen Überhöhung zu befreien…noch lange keine »Verharmlosung«. Aber anders funktioniert wohl die Maschine nicht. Angst wird mit Angst beantwortet; Horrorvision mit Horrorvision. Rhetorische Hysterie auf beiden Seiten. Da man sich statistisch und moralisch im Recht fühlt, glaubt man, der Zweck heilige die Mittel.
Passagen, die einen seriösen Diskurs begründen könnten, bleiben unterentwickelt. Natürlich besteht die Gefahr der medialen Vorverurteilung von Terrorverdächtigen. Ob bei uns von einer »Entmenschlichung« des mutmasslichen Terroristen sprechen muss, ist allerdings fraglich. Aber als Beleg für den Mainstream in den Medien einfach das Wort »Terrorverdächtiger« (in allen Variationen) zu zählen (bei »taz« und »NZZ«) und nach 2001 eine explosionsartig[e] Vermehrung dieses Begriffes festzustellen, ist ungefähr so aussagefähig, als wollte man mit der Anzahl des Wortes »Liebe« in einem Text dessen Friedfertigkeit nachweisen.
Statt Grundsatzdiskussion Verschwörungstheorie
Statt das Plädoyer für eine Grundsatzdebatte darüber, wie sich angesichts veränderter technologischer, wirtschaftlicher und politischer Bedingungen das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit ins Gleichgewicht bringen läßt, spekulieren die Autoren lieber über die tatsächlichen Beweggründe für den schleichenden Grundrechteabbau: Was wir erleben, ist kein »Krieg gegen den Terror«, sondern eine Reaktion auf das neue politische Zeitalter nach 1989/90 sowie ein gigantischer, weltweiter Verteilungskampf um den Zugriff auf eine neue Ressource: Information.
Ein paar Sätze weiter wird deutlich was gemeint ist: Dem Staat (der Wirtschaft, den Institutionen, der Polizei, etc) gehen die neuen Freiheiten, die in der Globalisierung und vor allem im Internet liegen, schlichtweg zu weit. Es ist die Angst vor Kontrollverlust, die zu immer restriktiveren Mechanismen greifen lässt. Plötzlich, so die These, wird der Bürger durch die neuen Informationstechniken frei und kann sich mit »Netzwerken« neu organisieren und positionieren. Er wird, so die Annahme, rebellisch und – unkontrollierbarer. Dabei sind die Politiker letztlich auch nur noch Marionetten einer übermächtigen Meinungsmaschine. Die Gefahr des Terrorismus werde instrumentalisiert, um neue, autoritäre Strukturen einzuführen. Die verblüffende Einhelligkeit in der Medienlandschaft tut dann wohl ein Übriges. Denn auch sie betreibe – man ahnt es ja schon – das Geschäft mit der Verunsicherung. Aber immerhin gibt es einmal die Selbsteinsicht: Man könnte zum Verschwörungstheoretiker werden.
Vieles spricht dafür, dass die Diagnose, man wolle die informationellen neuen Freiheiten der Bürger, die das Internet bietet, bewusst einschränken, eine Selbstüberschätzung der eigenen Mittel darstellt. Denn zu Recht betonen Trojanow/Zeh ja, dass das Internet mitnichten ein rechtsfreier Raum sei, wie so häufig behauptet wird. Hinzu kommt, dass sich die politisch engagierte und organisierte »Netzwelt« zwar für den Nabel der Welt hält, aber letztlich nur eine Minderheit darstellt, die sich im Phänomen der »Piratenpartei« ihre Parallelwelt institutionalisiert hat. Man schreibt sich zwar die Bürgerrechte auf die Fahnen, letztlich aber verfechtet man libertär-anarchische Politikentwürfe in einem kleinen Segment, während die tatsächlichen, »real-life«-Probleme, als »Scheiß« schlichtweg verdrängt werden.
Zwar empfehlen Trojanow/Zeh die »Piratenpartei« nicht (sie erwähnen sie gar nicht und verwenden auch nicht ihren albernen Slang), aber ihre Auflistung der im Bundestag vertretenen Parteien und deren »Sündenregister« ist durchaus ernüchternd (wobei Rot-Grün zu positiv gesehen wird, denn das Luftsicherungsgesetz, welches 2006 in Karlsruhe scheiterte, wurde nicht vom ungeliebten Minister Schäuble eingebracht, sondern war ein Relikt aus der rot-grünen Regierungszeit). Allenfalls die FDP kommt in Bezug auf die Bürgerrechte noch einigermaßen gut weg.
Auf den letzten beiden Seiten ist dann plötzlich Anlaß zum Optimismus. Worin dieser besteht, bleibt nach all der rhetorischen Alarmstimmung unklar, denn kurz vorher wurde die britische Demokratie schon zu Grabe getragen, die, so die Prognose, an ihrem eigenen Sicherheitswahn zu Grunde gehen dürfte. Dann wird dem Leser eingehämmert, nicht so fahrlässig seine Daten zur Verfügung und ins Netz zu stellen (ein wichtiger Einwand fürwahr), aber auch hier bleibt es nur bei recht einfachen Appellen wie Verteidigen Sie Ihre Geheimnisse.
Als seriöse Diskussionsgrundlage taugt das Buch kaum. Wer überall Kontrollwahn erkennt, sich in seiner Angst (nicht vor dem Terrorismus, sondern vor einem autoritären Staat) einrichten möchte und bestätigt sehen will, kommt auf seine Kosten. Am Schluss gibt’s dann ein bisschen Kampf-für-die-Freiheit-Rhetorik. Mehr wird aber nicht geboten.
Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch
Ich kenne das Buch nicht, aber die Mentalität kommt mir bekannt vor
Es ist anscheinend die Mentalität der von mir wenig geschätzten »Untergangspropheten«, die ich eher seitens der »Feinde der offenen Gesellschaft« kenne, jener etwa, die Bürgerrechte einschränken, weil der Gefahr des Terorrismus oder gewaltsamer Unruhen solche »einschneidenden Maßnahmen« fordern würden. Wenn – nach eigenen Verständnis – Bürgerrechtler solche Schwarz-in-Schwarz-Szenarien an die Wand malen, sind sie ihren Gegnern tatsächlich verdammt ähnlich geworden. Allerdings halte ich, jedenfalls bis ich das Buch kenne, eher die alte »Journalistenregel« dass nur eine schlechte Nachricht eine gute Nachricht sei, für den Hauptgrund der Panikmache – und offensichtlich ein gerütteltes Maß an (technischer) Naivität. (Die man, nebenbei, bei den »Piraten« nicht findet – in diesen Kreisen weiß man eben, wie man E‑Mails verschlüsselt oder anonym im Web surft. Die Naivität vieler »Piraten« ist dann auch eher politischer Natur – Stichwort: Junge-Freiheit-Affäre.)
Juli Zeh schätze ich sehr für ihre im Grenzbereich zur Science Fiction angesiedelten dystopischen Romane. Irgendwie habe ich den Verdacht, dass »Angriff auf die Freiheit« eine Dystopie in Sachbüchform sein könnte.
Noch mal zur »Piratenpatei«: Die »Piraten« sind eine sehr junge und entsprechend unerfahrene Partei. Die Bürgerrechte haben sie sich m. E. zurecht auf die Fahnen geschrieben, während eine Diskussion über libertär-anarchische Politikentwürfe außerhalb des kleinen Segments der Mediendistribution über das Internet hinaus die Partei in ihrer jetzigen Verfassung wohl auseinandersprengen würde. (So, wie die innerparteiliche Debatte bei den »Grünen« über den »ökologischen Umbau der Gesellschaft« in den 80er-Jahren mehrmals fast die »Grünen« zerlegt hätte – die aber zum Zeitpunkt der Debatten das Stadium der reinen »Umwelt-Protestpartei« schon hinter sich hatte.)
Nach meine Beobachtungen verdrängen die »Piraten« die tatsächlichen Probleme außerhalb des Internets nicht als unwichtigen »Scheiß« (schließlich besteht sie, anders als es ein Klischee will, zum überwiegenden Teil nicht aus nur vor dem Bildschirm hockenden »Nerds«), sondern sind sich klar darüber, dass es ihnen (bisher noch) an Kompetenzen für andere Politikfelder fehlt. Immerhin gibt es Ansätze, die über die reine »Internet-Politik« hinausweisen – etwa bietet das Thema »Genpatente« Anschlussmöglichkeiten an die Umweltbewegung. Aber bisher sind das nur Ansätze.
Es ist m. E. gut und wichtig, dass es die »Piratenpartei« gibt, aber noch fehlt ihr einiges zur ernst zu nehmenden Bürgerrechtspartei. (Zu einem gewissen Grade ist das sogar der mangelnde Ernst – sie sind keine Spaßpartei, viele ihrer Mitglieder führen sich aber so auf.)
Natürlich ist es leider so, dass nur eine schlechte Nachricht eine Nachricht ist. Die beiden Autoren stecken demnach in einem Dilemma, dass sie selber entsprechend wahrnehmen, aber meines Erachtens nicht die Kraft haben, zu »überwinden« (ich weiss, große Worte).
Der im Zusammenhang mit der »Piratenpartei« häufig aufgebrachte Vergleich mit den Grünen ist in meinen Augen nicht besonders zutreffend. Die Grünen hatten von Anfang an mehrere Politikfelder: Umweltpolitik im allgemeinen mit Anti-Atomkraft im speziellen; Feminismus; Friedenspolitik (Nachrüstung/Doppelbeschluss); alternativer Lebensstil (Residuen der 68er-Bewegung); Antidiskriminierung. Will sagen: Die Felder passten miteinander und ergänzten sich teilweise sogar. Außerdem ist die emotionale Betroffenheit, die von der Umweltbewegung ausging größer als die Problematik, die in der Piratenpartei artikuliert wird (das ist freilich eine Behauptung).
Der Rekurs auf die Piratenpartei – ich will das noch einmal sagen – ist von mir herausgebracht; er spielt im Buch keine Rolle. Wobei ichnicht ganz weiß warum: Wollte man nicht oder konnte man nicht (zeitlich)?
Eine grandiose Rezension, in der sehr schön die Parallelen zwischen den – um im Jargon zu bleiben – Angreifern und den Angegriffenen herausgearbeitet werden. Verfolgungswahn (und das damit verbundene Misstrauen) herrscht auf beiden Seiten.
Wer real existierende Polizisten kennt, weiß genau, dass sich kaum einer dieser Ordnungshüter um weitere Überwachungspflichten reißt: Man ist ja schon froh, wenn man trotz der allenthalben grassierenden Personalnot die Kernaufgaben ohne Überstunden bewältigt.
Und wer real existierende Internet-Aficionados kennt, weiß genau, dass kaum einer dieser Netzjunkies kriminelle Absichten hegt, die über den einen oder anderen illegalen Download hinausgehen.
Natürlich gibt es kontrollbesessene Polizisten und Politiker sowie Verbrecher, die sich der digitalen Medien bedienen, doch deren Zahl wird in der jeweiligen Verschwörungsparanoia gnadenlos übertrieben.
Aber ja: Alarmismus kommt immer besser an als eine ausgewogene, entspannte Betrachtung.
Natürlich habe ich das Buch nicht gelesen, wie sollte ich, aber da Deine Rezensionen den Inhalt Deiner Buchvorstellungen immer adäquat wiedergaben, vertraue ich Dir blind. Wenn ich es richtig verstanden habe, so listen die Autoren dieses Buches jede Menge bekannter und weniger bekannter, legaler und illegaler Datenmissbrauchs- und Überwachungsfälle auf und projizieren diese in die Zukunft. Die Autoren sehen die Gesellschaft auf dem Wege in den Überwachungsstaat und verstehen das Buch wohl als Denkanstoss und Warnung.
Nun hältst Du ja mit Deiner kritischen Meinung nicht hinter dem Berg, findest das Buch zu verallgemeinernd, teilweise unlogisch und alarmistisch,. Als Diskussionsgrundlage kaum geeignet.
Das mag ja sein, aber allein ein akribisches Kompendium der Fälle von Datensammelei und Überwachung, legal oder illegal, und ihre Veröffentlichung in Buchform ist für mich schon ein Wert an sich. Zuerst sind es immer nur Einzelfälle, aber nach und nach werden die dann zum Normalfall. Und natürlich werden e‑mails von irgendwelchen Diensten mitgelesen, nicht von Menschen, sondern von Computern, die nach Reizworten suchen. Auch der Chip unter der Haut ist nur eine Frage der Zeit. Der Chip im Pass und das biometrische Foto sind erste Vorläufer. Natürlich wird das alles unter dem Begriff „Sicherheit“ verkauft und natürlich wird das dann von einer medienbearbeiteten Gesellschaft akzeptiert. Der Angriff auf die Freiheit findet statt und allein der Titel sagt mir, dass das Buch so schlecht nicht sein kann. Und wenn’s wirklich schlecht wäre, hättest Du’s ja auch gar nicht vorgestellt.
Ob einem das passt oder nicht: Dort, wo Datensammlungen möglich sind, werden sie auch früher oder später durchgeführt. Für mich stellt sich immer noch die Frage, wer diese Sammlungen dann auswertet, denn selbst die Resultate, die von Computern erzeugt werden, müssen nachbearbeitet werden.
Ein Beispiel für die Diskussionskultur ist die sogenannte Patientenkarte, die es theoretisch ermöglicht, das Gesundheitsprofil des Patienten in den Chip auf der Krankenkassenkarte einzuarbeiten. Horrende Doppeluntersuchungen würden eingespart. Ist der Patient auf Reisen, wären alle Daten schnell verfügbar. Statt diese Causa nun mit ihren Vorteilen (und natürlich auch Gefährdungen) zu diskutieren, werden alarmistische Szenarien durchdekliniert oder Forderungen gestellt, die die Vorteile »auffressen« würden. Mit dieser Form des Technikfolgen-Diskurses würde heute nicht einmal mehr die EC-Karte implementiert. Währenddessen nehmen immer weiter alle möglichen Leute an Rabattaktionen und Preisausschreiben teil und wundern sich, wenn diese Daten anderweitig verwendet werden (das wurden sie immer schon, nur sind die Folgen heute andere).
(Die Tatsache, das ich hier ein Buch bespreche ist nicht gleichbedeutend damit, dass ich es empfehle.)
Angesichts der gallopierenden Zunahme der Überwachungen und der damit verbundenen Missbräuche sehe ich die vorgebrachten kritischen Argumente eher als lässliche ‘Sünden’ der Autoren.
Imho ist es einfach zu viel verlangt, ein hoffentlich kommerziell erfolgreiches Buch zu schreiben, welches in jeder Hinsicht gerecht abwägend geschrieben ist.
Die Protagonisten des totalen Überwachungsstaats müssten da schon eher in die Verantwortung gezogen werden!
Welchen »totalen Überwachungsstaat« meinen Sie denn?
#5
Ob einem das passt oder nicht: Dort, wo Datensammlungen möglich sind, werden sie auch früher oder später durchgeführt. Für mich stellt sich immer noch die Frage, wer diese Sammlungen dann auswertet, denn selbst die Resultate, die von Computern erzeugt werden, müssen nachbearbeitet werden.
Ich glaube du unterschätzt die Tragweite des Data Minings. Es ist deutlich sichtbar, dass viele Fachleute aufgegeben haben, das Thema zu kommunizieren, da schlicht unmöglich. Nur die wildesten Auswüchse wie Partyfotos auf StudiVZ etc. schaffen es in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Einige habe wohl schon gehört, dass die Straße in der sie wohnen über die Bonität entscheidet. Was die Vernetzung von Daten bewerkstelligt, kann sich kaum noch einer vorstellen. Und dabei ist der Staat noch der kleinere Sünder.
Sorry, aber das mit den »guten« und »schlechten« Wohnvierteln gab es immer schon. (Und auch ich hatte seinerzeit aufgrund einer sehr schlechten »Schufa«-Auskunft aus meiner Familie »zu leiden« gehabt.)
Mag sein, das im Einzelfall meine Reaktion auf Hysterie tatsächlich manchmal zu beschwichtigend ausfällt. Aber wenn von einem »totalen Überwachungsstaat« schwadroniert wird, so zeigt dies nur frappierende Ahnungslosigkeit. Das ist in etwa so, wie schlechte Ärzte eine Erkältung grundsätzlich »Grippe« nennen und Antibiotika verschreiben. Wenn man’s dann wirklich mal braucht, hilft’s nicht mehr.
Früher wusste vielleicht ein Sachbearbeiter das ein oder andere. Heute ist es ein Datum wie die Hausnummer. Und was bei einer Grippe zu tun ist, weiß man im Allgemeinen. Hier sprechen wir aber von einer Krankheit, von der noch keiner weiß, welche Symptome sie haben wird. Gar nicht zu reden von der sich aktuell manifestierenden bösartigen Mutation RFID, die es erlaubt deinen linken Schuh weltweit eindeutig dir zuzuordnen. Das ist der Stoff aus der pessimistische Science-Fiction gemacht ist.
Nach dem was du schreibst, hat das Autorenduo die Problematik nicht richtig erfasst/beschrieben bzw. ideologisch missbraucht. Das Problem ist aber durch Technik, die es bisher nicht gab, vorhanden. Es ist schlicht eine andere Welt.
Bestimmte Stadtviertel sind/waren nicht nur einzelnen Sachbearbeitern bekannt – sie sind (bspw. bei Großstädten) auch teilweise überregional bekannt (wer z. B. eine Adresse in der Bronx in New York, hat, wird anders »angesehen«, als wohnte er in Manhattan; ähnliches gilt für Berlin-Kreuzberg).
Die technischen Möglichkeiten dürfen nicht aus dem Auge verloren werden, aber auch hier warne ich vor voreiligen Schlüssen. (Die RFID-Problematik wird ja im Buch durchaus angesprochen.)
Sorry für meine Sturheit, aber jetzt diskutieren wir leider nur die Schwäche des Beispiels. Der Mensch ist sicher ein fantastischer Mustererkenner. Ab einer gewissen Signifikanz/Datenmenge muss er aber passen, während einfache Statistikverfahren noch klare Aussagen erlauben.
Nur allein der Aufwand den Firmen betreiben, um an die Daten zu kommen, sollte Beweis genug sein, dass sie relevant sind. Und das wird nicht gemacht, um mir die Wünsche von den Lippen abzulesen.
@Peter
Für mich stellt sich dabei immer auch die Frage wie sorgsam Unternehmen Daten analysieren, und ob sich Fehler nicht oft gegenteilig, nämlich im Verlust von Kunden auswirken (man hat mir einmal von Seiten eines Unternehmens auf Grund irgendwelcher Daten, etwas völlig falsches nachgesagt, und um ein Haar als Kunden verloren).
Unternehmen horten Daten um Marktprofile zu erstellen. Jeder Amazon-Besteller weiss das und wundert sich gelegentlich über die »empfohlenen« Bücher. Das ist ein Grund dafür, dass ich Bücher (oder überhaupt irgend etwas) nur in sehr seltenen Fällen bei solchen Datensammlern bestelle. Aber auch »mein Buchhändler« kennt auch meine Vorlieben. Das soll er doch auch, oder?
@Metepsilonema
Data Mining ist ein recht neues Gebiet und daher noch nicht immer 100%-tig. Mittlerweile sind die Verfahren aber schon ziemlich fortgeschritten. Die Möglichkeit der gezielten Angebote, Erweckung von personenbezogenen Bedürfnissen etc. sind für Werbetreibende paradiesisch.
@Gregor
Das soll er doch auch, oder?
Interessant wird das Ganze erst durch das Zusammenführen von Daten unterschiedlicher Quellen zu einem Gesamtprofil. Wenn du dich bei Amazon angemeldet hast und dann auf eine andere Seite wechselst, die zum gleichen Werbenetzwerk gehört (doubleclick war da einer der Vorreiter), bist du dort per IP-Nummer auch bekannt ohne eine Anmeldung vorgenommen zu haben. Im Laufe der Zeit bist du durch Sammlung unterschiedlichster Daten der allseits beschworene gläserne Mensch. Und nicht als Vision.
„Das Problem ist aber durch Technik, die es bisher nicht gab, vorhanden. Es ist schlicht eine andere Welt.“ schrieb „Peter 42“ und er hat recht. Computer haben die unmenschliche Eigenschaft, nichts zu vergessen und sie ermöglichen es, auf Knopfdruck alle bekannten Fakten über ein Individuum sofort verfügbar zu machen, zu welchem Zweck auch immer. Ohne Computer gäbe es diese Datensammelwut nicht, weil so ein Datenwust mit Karteikästen und dem menschlichen Gehirn in vernünftigen Zeitrahmen gar nicht zu bewältigen wäre. Da man die Gefahr durch diese „unmenschlichen“ Eigenschaften des Computers sofort erkannte, wurden die Datenschutzgesetze verabschiedet und diese hecheln nun wie der Hase hinter dem Igel her. Die Anzeichen mehren sich, dass der Hase bald erschöpft aufgibt. Dieser Wettlauf ist nicht zu gewinnen und insofern ist der Angriff auf die Freiheit kein böswilliger Angriff irgendwelcher dunklen Mächte, sondern er ist systemimmanent und erfolgt schleichend. Schöne neue Welt.
(Dass Du dieses Buch nicht »empfielst« ergibt sich ja aus Deiner Besprechung. Dass eine Besprechung hier aber gleichzeitig auch zur Lektüre und damit zum Vergleich mit Deiner Wertung anregt ist Dir doch auch bewusst ?)
Nicht der Computer ist schuld – der Mensch! Die Anthromorphisierung, die eine Art Absolution für das menschliche Wesen bringen soll, finde ich zu einfach, ja grotesk.
Ob man gleich von einem »gläsernen Menschen« sprechen muss, bezweifle ich trotzdem. So kaufe ich bei einer Online-Apotheke für mehrere Menschen Medikamente ein; auch für ältere Menschen. Aufgrund meiner Bestellungen liesse sich nur ein vollkommen irreguläres Profil von mir erstellen (vermutlich wäre ich, würde ich all diese Medikamente alleine nehmen, schon längst tot).
Was viel zu wenig deutlich wird: Der Konsument selber hat mehr in der Hand, als er denkt. Das kommt in dem Buch nur in wenigen Zeilen vor. Hinzu kommt, dass alles miteinander vermischt wird...
Zukunftsangst
Auch ich habe dieses Buch nicht gelesen, aber Ihre Rezensionen können einem doch immer weiterhelfen, wenn man z.B. ratlos auf der Suche nach einem Geschenk für Freund/in vor dem Bücherregal steht.
Anhand des Materiales, das Sie herausgearbeitet haben, würde ich sagen, dass dieses Buch eine Art Botschaft enthält, die die Autoren dazu bewegt hat, sich damit zu befassen und durchaus auch uns zum Nachdenken anregen sollte.
Ich würde jedoch nicht pauschal von einer Gesellschaft mit vollkommener Freiheit und Privatsphäre ausgehen, immer wieder haben einem die Politiker und Funktionäre, die bedeutenden Persönlichkeiten dieses Systems, mit insgeheimen oder privaten Fehltritten überrascht, und wer weiß, was sich sonst noch alles unter dem Mantel des Stillschweigens verbirgt.
Ich würde NIEMALS sagen, dass alle Aspekte, die in dem Buch allerdings etwas zu hysterisch angeklungen zu sein scheinen, nicht existent sein KÖNNTEN, besonders innerstaatliche Institutionen unter der Amtszeit von W. Schäuble haben den kategorischen Imperativ etwas anders ausgelegt als unsereins, vom amerikanischen Geheimdienst ganz zu schweigen. Ich kenne jemanden, der durchaus begründet behaupten kann, dass alle »Epidemien« der letzten Jahre (SARS, Vogelgrippe, Schweinegrippe etc.) eine Erfindung der amerikanischen Innovation waren. Ehrlichgesagt kann ich das durchaus nachvollziehen.
Natürlich ist es wichtig, dass deswegen nicht in Panik versinkt, und ich denke, wenn man sich so ganz spöttisch denkt, die Gefahr durch Terrorismus oder Seuchen sei durch die Medien nur hochgepuscht worden und der Staat sehe zu, dass die geheimen Akten schön für immer verschwinden, dann fühlt man sich gleich viel sicherer. Es mag zwar nicht unbedingt sehr wissenschaftlich zu sein, einfach die scheinbare Absurdität zur Realität zu machen, aber wenigstens kann man sich dann noch ohne hysterische Angst vor der »Neuen Grippe« in die Öffentlichkeit wagen.
Letztendlich käme ich zu dem Schluss, dass die Botschaft des Buches noch brauchbar wäre, es ansonsten jedoch eher Mittelmaß ist. Aber das Gegenteil von »gut« ist bekanntlicherweise »gut gemeint«.
Mir hat diese Renzension jedoch etwas gebracht, nämlich die Idee, wie man derartige Kritik eher formulieren sollte, als eine Art übersteigertes Gleichnis, was durch seine vordergründige Irrealität und Absurdität viel weniger an den Verstand, als vor allem an das Herz des Menschen appelliert.
[EDIT: 2009-09-21 19:46]
Politiker haben im Terrorismus ein sehr dankbares Feld gefunden, um sich zu profilieren. Andere Politikfelder machen sie immer mehr zu wehrlosen und hilflosen Gestalten (nicht zuletzt deswegen, weil sie sich nicht einigen können oder – in der Ökonomie – zahnlos geworden sind). Die Angst vor der terroristischen Bedrohung schafft eine Folie, die dem Bürger suggerieren soll, man kümmere sich um ihn.
Dass die Gefahr in Europa Opfer eines Terroranschlags zu werden praktisch zu vernachlässigen ist, ist ja längst eine Binsenweisheit. Aber auch die Tatsache, das Flugreisen sicher sind, lässt die Leute trotzdem Angst vor dem Fliegen haben, obwohl die Autofahrt zum Flughafen viel gefährlicher ist. Hier wie dort spielt das Ausgeliefertsein, das Fremdbestimmte sicherlich eine Rolle. Jeder will selber entscheiden, wann er sich umbringen will – aber eben nicht diese Entscheidung an einen Terroristen delegieren oder einen schlampigen Flugzeugingenieur.
Wie mit Terrorismus umzugehen ist, kann man im Buch von Louise Richardson sehr schön nachlesen.
Es besteht m. E. kein Grund zur Zukunftsangst, was eine globale Terrorismus-Serie angeht. Da gibt es andere, wichtigere Probleme. Da diese aber nicht so greifbar und eher schleichend daherkommen (Klimawandel), werden sie nicht entsprechend wahrgenommen.
Die Hysterie vor der Terrorangst mit einer ähnlich gelagerten Hysterie vor dem totalitären Staat zu vermischen, halte ich allerdings für ähnlich unsinnig.
[EDIT: 2009-09-21 20:05]