Gestern wurde das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich des Glücksspielmonopols des Staates gesprochen:
1. Es ist nach Maßgabe der Gründe mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, dass nach dem Gesetz über die vom Freistaat Bayern veranstalteten Lotterien und Wetten (Staatslotteriegesetz) vom 29. April 1999 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 226) in Bayern Sportwetten nur vom Freistaat Bayern veranstaltet und nur derartige Wetten gewerblich vermittelt werden dürfen, ohne das Monopol konsequent am Ziel der Bekämpfung der Suchtgefahren auszurichten.
2. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten unter Beachtung der sich aus den Gründen ergebenden verfassungsrechtlichen Vorgaben bis zum 31. Dezember 2007 neu zu regeln.
3. Bis zu einer Neuregelung darf das Staatslotteriegesetz nach Maßgabe der Gründe weiter angewandt werden.
[...]
Entscheidend ist der von mir hervorgehobene Nebensatz.
Das klingt gut, einleuchtend und wurde von den diversen Suchtbeauftragten auch goutiert. Der Staat muss, will er das Monopol behalten, Sorge treffen, dass gleichzeitig die Suchtgefahren aus dem Glücksspiel entsprechend bekämpft werden. Das könnte beispielsweise mit einer Kontrolle der Werbung oder gar einem Werbeverbot erfolgen. Oder vielleicht einem Aufdruck auf dem Lottoschein: »Achtung! Das Lottospielen kann Ihre Familie ruinieren!«
Aber es ist auch eine schöne Illusion, der man sich wohl zu gerne hingibt. Denn längst gibt und gab es halb legale und sogar illegale Wettannahmen, die sogar in der Öffentlichkeit mit Ladenlokalen präsent sind. Die Grenzen zur organisierten Kriminalität werden hier häufig genug überschritten.
Und: Nehmen wir einmal an, der Staat trifft die vorgeschriebenen Massnahmen nicht. Würde dann eine Öffnung des Monopols zu Gunsten „privater“ Anbieter (der heutigen „wilden Buchmacher“) Abhilfe schaffen? Doch wohl kaum.
Zugegeben, ich bin persönlich betroffen. Mein Vater war Zeit seines Lebens spielsüchtig. Als sein Sohn wollte ich mal eine Zeit lang besser machen. Natürlich scheiterte ich. Das ist lange her. Die Einblicke, die im legalen und illegalen Wettgeschäft gewonnen habe, waren ernüchternd. Wer sich über »geschobene« Fussballspiele heute empört, erntet bei mir nur ein mildes Lächeln. Bereits ohne »Oddset« und »Betandwin« wurden in den 80er Jahren illegale Wetten von führenden Protagonisten getätigt (freilich über Strohmänner). Einige dieser Leute sind übrigens immer noch aktiv. Da gehen mir, was manche Zweitligavereine angeht, dann doch die Augen über...
Ich bin seit 1987 raus. Aber ich weiss, was Spielsucht anrichtet und wie schlimm sie ist. Ich halte sie für schwerer bekämpfbar als eine Sucht, die auf stofflichen Produkten basiert.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mag formaljuristisch in Ordnung sein und sich auch an Urteile des EUGH orientieren. Abhilfe schafft es nicht. Kann es auch nicht. Wir stehen sowieso erst am Anfang. Die Kugel rollt. Noch darf man das Spiel machen.