Grosse Kreise zieht inzwischen der Vorgang von »Moni«, die in einem Beitrag auf ihrem Blog die Geschichte ihrer Freundin widergibt:
Gerade ist eine Freundin von mir, die einen dreieinhalbjährigen Sohn zu versorgen hat, unter gänzlich unakzeptablen Umständen nach der Probezeit entlassen worden. Sie hatte bei Transparency Deutschland gearbeitet, dem deutschen Chapter der Nichtregierungsorganisation Transparency International, die sich gegen Korruption in Unternehmen engagieren. Sie arbeitete dort 20 Stunden die Woche für 1000 Euro brutto, mit abgeschlossenem Studium, mehrjähriger Berufserfahrung etc. Überleben konnte sie nur, weil sie nebenher auch noch als freie Journalistin arbeitete.
Nachdem die Geschäftsführerin ihr sagte, dass sie hervorragende Arbeit leistet, fragte sie meine Freundin, ob sie nach der Probezeit von 20 auf 30 Stunden aufstocken könne. Das hätte natürlich bedeutet, dass meine Freundin ihre freie Arbeit aufgeben müsste und komplett vom dortigen Gehalt leben, also machte sie eine Gehaltsforderung, für 30 Stunden 1400 Euro netto zu bekommen. Wenn das nicht ginge, bot meine Freundin an, könne sie weiter bei den 20 Stunden mit 1000 Euro brutto bleiben. Als nächstes tagte der Geschäftsvorstand und daraufhin teilte die Geschäftsführerin meiner Freundin kurzum mit, dass sie zum Ende der Probezeit entlassen würde. Ohne ein Angebot, ohne eine Verhandlung, ja ohne auch nur ein weiteres Gespräch.Über ihre Nachfolgerin sprach die Geschäftsführerin dann auch gleich noch: es handelt sich um eine Frau, die sich auf eine andere Stelle dort beworben hatte und offenbar im Vorstellungsgespräch gesagt hatte, auf das Geld sei sie nicht angewiesen. So schnell und einfach geht das. Da werden keine für alle lebbaren Lösungen angestrebt, da wird einfach ausgewechselt. In einer Arbeitsmarktsituation, in der so viele wirklich auf die Arbeit und das Geld angewiesen sind, heuert man sich gut qualifizierte Menschen für einen Hungerlohn an und tauscht sie dann auch noch aus, sobald man jemanden findet, der das Geld gar nicht gebraucht, auch wenn man mit der Arbei sehr zufrieden war. Meine Freundin sitzt nun da mit ihrem Kind und der freien Arbeit, die ihr alleine kein Überleben sichert. Das kommt einem heutzutage alles schon »normal« vor? Aber eben doch nicht bei einer NGO, die sich Moral und Ethik auf die Fahnen geschrieben hat und zu deren Grundprinzipien Integrität gehört. Das ist die wirkliche Enttäuschung.
[29. Januar 2006: Vor mehr als zwei Wochen schrieb meine Freundin einen Brief an den Vorstand, der bis heute unerwidert blieb.]
Soweit, so gut. Der Eintrag enthält einigen starken Tobak und hat mindestens eine unstimmige Stelle. Denn einerseits wird gesagt, dass die Geschäftsführerin der Dame „ohne weiteres Gespräch“ mitgeteilt habe, dass sie nach der Probezeit entlassen werde – andererseits wird über die „Nachfolgerin“ noch geplaudert. Nun ja, ein Weblog erhebt keinen Anspruch auf unbedingt feine und feinziselierte Formulierungen.
Der Tenor dieses Beitrages bleibt jedoch haften und hat – in Anbetracht der Tatsache der Streiks in Frankreich – Aktualität. Wäre dies ein Unternehmen wie jedes andere, wäre dies zwar immer noch beklagenswert, aber würde eigentlich nicht besonders kommentiert. Hier handelt es sich jedoch um eine Organisation, die sich Transparenz und Offenheit und ethisches Verhalten auf die Fahne geschrieben haben. Also typischer Fall von Wasser predigen und Wein trinken?
Aus diesem Gegensatz bezieht der Eintrag seine Brisanz und könnte eigentlich Basis für eine professionelle Recherche in ähnlichen Organisationen werden.
Interessant wird es jedoch erst, als wenige Tage später die Bloggerin eine Mail (nebst später entsprechendem Brief) erhält, mit folgendem Inhalt:
Sehr geehrte Frau xxx,
Sie haben unter der Adresse innerhalb des von der Fa. Knallgrau New Media Solutions GmbH betriebenen European Weblog Hosting Service twoday.net einen Text unter der Überschrift „Transparency Deutschland“ ins Netz gestellt, der in erheblichem Maße die Persönlichkeitsrechte der von mir vertretenen Organisation verletzt. Der Text basiert offensichtlich im wesentlichen auf Informationen unserer ehemaligen Mitarbeiterin Frau xxx, der ebenfalls erhebliche Rechtsverletzungen vorzuwerfen sind.
Die von Ihnen aufgestellten Behauptungen entsprechen im wesentlichen nicht den Tatsachen, da wo es sich um Ihre Bewertungen handelt wird der Tatbestand der rechtswidrigen Schmähkritik erfüllt.
Ich erspare es mir zunächst, auf Einzelheiten einzugehen, sondern gebe Ihnen Gelegenheit, den Text unverzüglich, spätestens bis zum 26.03.2006, 24.00 Uhr aus dem Netz zu nehmen.
Sollte das nicht erfolgen, kündige ich Ihnen schon jetzt eine strafbewehrte Unterlassungserklärung und ggf. eine einstweilige Verfügung an. Ich gehe davon aus, dass Sie sich über die rechtlichen, aber auch finanziellen Konsequenzen, die sich daraus für Sie ergeben werden, klar sind.
Mit freundlichen Grüssen
Dieses Schreiben ist in mehrfacher Hinsicht eine Unverschämtheit:
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1. Ein Unternehmen bzw. eine Organisation hat nur ein eingeschränktes Persönlichkeitsrecht. Es bezieht sich u. a. auf die „Unternehmensehre“, die verletzt sein muss. In diesem Fall ist diese jedoch nicht beschädigt worden – sofern die Äusserungen im Text der Wahrheit entsprechen. Sollte dies nicht der Fall sein, dürfte es sich aber immer noch nicht um eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts handeln.
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2. Das die Behauptungen in dem Beitrag „im wesentlichen“ nicht den Tatsachen entsprechen mag ja sein, aber dies muss in einem solchen Schreiben dann auch belegt werden. Die Formulierung „Ich erspare es mir zunächst, auf Einzelheiten einzugehen...“ lässt darauf schliessen, dass der Verfasser dieses Schreibens sich überhaupt nicht damit auseinandergesetzt hat. Denn so steht Behauptung gegen Behauptung – dies ist aber überhaupt nicht justitiabel – und wenn, dann nur mit einer entsprechenden Gegendarstellung bzw. einer Bitte dazu.
Das Bundesverfassungsgericht hat Schmähkritik wie folgt definiert:
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»Eine Meinungsäußerung wird nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung. Auch eine überzogene und selbst eine ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähung. Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht«
Hiervon kann im Text jedoch gar keine Rede sein. Zumal rekurriert wird, die Schmähungen gingen zurück auf die »Bewertungen«.
Worin könnten die Rechtsverletzungen von Frau xxx bestehen, also der Frau, die bei TI gearbeitet hat? Zum einen könnte sie gegen den Passus, beispielsweise über Interna der Firma (das Gespräch mit dem Geschäftsführer) oder über die Höhe ihres Gehaltes nichts zu sagen, verstossen haben. Diese Punkte gelten jedoch in dem Moment nicht, wo sich die Frau einer Freundin privat anvertraut. Ausserdem handelt es sich hier nicht primär um Geschäftsgeheimnisse.
Das die Freundin diese „Daten“ ins Internet gestellt hat (anonymisiert!), ist sicherlich riskant, aber es könnte aufgrund der Vorgehensweise der Geschäftsführung eine öffentliches Interesse aus dieser Aktion abgeleitet werden.
Warum diese unsouveräne Aktion? Nun, in Unternehmen ist es häufig so, dass unmissliebige Angestellte oder auch Wettbewerber mit hochtrabenden juristischen Schreiben und Drohungen mit Einstweiligen Verfügungen mit hohen Summen eingeschüchtert werden sollen. Konsultieren sie einen Anwalt, bemisst sich das Honorar des Anwalts an der festgesetzten Summe, was für viele finanziell nicht zu schultern ist, da der Ausgang des Verfahrens oft jahrelang gedehnt werden kann.
Häufig sind solche Vorgehensweisen tatsächlich juristisch nicht haltbar. Der Angeschriebene gibt jedoch bei, da ihm das Risiko zu hoch ist. Die Bloggerin hat dies auch getan, was verständlich ist und einen abgeschwächten Text hierzu ins Netz gestellt, der vager ist, die Fakten jedoch nicht verändert darstellt.
Für mich ist nicht entscheidend, wie TI ihre Mitarbeiter honoriert. Das ist freier Markt; wer für 1000 Euro arbeiten möchte, soll es tun. Entscheidend ist die Koinzidenz zwischen einem „Angebot“ mehr Stunden zu arbeiten (übrigens zu einem geringeren Stundenlohn) und der Kündigung nach der Probezeit, als dieses Angebot nicht angenommen wird. Dabei ist die Kündigung nach der Probezeit sicherlich rechtens, aber in Verbindung mit dem „Angebot“ liegt die Vermutung nahe, dass eine Kausalität entstanden ist. Diese Kausalität nachzuweisen, dürfte schwierig sein.
Inzwischen hatte der Justitiar Prof. Dr. Marten, der auch Ethikbeauftragter von TI‑D ist, von der Bloggerin Moni verlangt, den von ihm verfassten Brief und die von der Bloggerin verfasste abgeschwächte Geschichte ebenfalls zu löschen. Das hatte Moni nicht gemacht und sich einen Anwalt genommen; die Sache stand soeben auf tagesschau.de.
Der Fall ist interessant, weil er zeigt, wie durch ein falsches oder überzogenes Vorgehen inzwischen eine ganze Organisation in Misskredit zu geraten droht – was natürlich unberechtigt und schade wäre. Er zeigt also eine Menge über Medienmacht und ist ein interessantes Indiz für Möglichkeiten von Menschen sich Gehör zu verschaffen – womit nicht gesagt ist, dass Moni diese Welle vorsätzlich losgetreten hat.
Neben der Freude, welche Möglichkeiten hier entstehen, mischt sich bei mir auch die Überlegung, dass eine solche Gegenöffentlichkeit auch sehr schnell missbraucht werden kann (wie gesagt, der Bloggerin mache ich ausdrücklich diesen Vorwurf nicht).
Auf die entsprechenden Links verzichte ich diesmal.
Ergänzung 29.03.06 – Der Anwalt von Moni geht nun zum Gegenschlag über, und bezichtigt TI‑D der »Üblen Nachrede«. nachdem von seiten von TI‑D mehrfach behauptet wurde, die Äusserungen der Bloggerin seinen »an den Haaren herbeigezogen«. Diese Offensive halte ich für folgerichtig, wenn die Behauptungen im oben abgegebenen Text tatsächlich stimmen. Damit kommt die Sache selber in den Blickpunkt.
Tippe darauf, dass es irgendwann einen »Waffenstillstand« gibt; eine Einigung, in der beide Seiten bekanntgeben, nichts mehr zur Sache publik zu machen.
Chronistennachtrag 30.03.06 – Man hat sich geeinigt. Ende des Transparenz; die Bloggerin zieht sich erst einmal zurück.
Der Fall an sich wird nicht ausgebreitet. Was denn stimmt, hätte ich schon gerne gewusst.
Deine Geschichte
bezieht ihre »Faszination« aus der Mischung sehr vieler verschiedener Ebenen:
Ich denke, die französischen Jugendlichen haben mit ihren Streiks das richtige Gefühl. Mit dem Gesetz geht es nicht um mehr Arbeitsplätze für Jugendliche, sondern um mehr Druckmöglichkeiten seitens der Unternehmer.
Nachtrag: hier gibt es weitere Links zum Thema.
Stimmt, ist irgendwie »faszninierend«
Hierarchische Organisationen wie TI‑D stehen solchen Entwicklungen sicherlich einigermassen hilflos gegenüber. Sie finanzieren sich von Spenden und werben mit grossen Namen für ihre Ziele. Ich weiss nicht, ob Beirats- und/oder Vorstandsmitglieder Vergütungen oder Aufwandsentschädigungen erhalten; ich vermute mal nicht.
Generell hege ich eine gewisse Skepsis diesen NGOs gegenüber, da sie eine Art Gegenmacht erschaffen, die zwar vordergründig mit hehren Zielen korrespondiert, aber letztlich fehlt ihnen immer Legitimation. Das ist natürlich zum Teil sicherlich immanent, aber auch bedenklich, da in der öffentlichen Betrachtung über den guten Zweck häufig die Mittel vergessen werden und eine unterschwellige suggestive Stimmung erzeugt wird.
Diese Stimmung »NGO »X« ist gut, weil...« setzt sich dermassen in den Köpfen fest, das eine kritische Reflexion der Aktionen kaum noch stattfindet oder gleich abgebürstet wird.
Die Macht der »Bloggosphäre« ist einerseits Ausdruck einer demokratischen Meinungsstruktur, andererseits birgt sie auch Gefahren. Ihre Stärke liegt m. E. in ihrer Möglichkeit, sich binnen kürzester Zeit zu vernetzen und eine Gegenöffentlichkeit zu mobilisieren. Dieser Fall zeigt, dass nach »erfolgreicher« Arbeit der Blogger der »Vorgang« dann den konventionellen Medien »übergeben« wird. Nebenbei könnte sich zeigen, wer recherchiert und wer einfach nur abschreibt. Warten wir’s mal ab.
Leider spielt der Sachverhalt selbst (die Kündigung nach der Probezeit) kaum noch eine Rolle, zumal von TI‑D auch auf Vertraulichkeit in Personalangelegenheiten rekurriert wird.