Heute meldete die »Kleine Zeitung«, dass der ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz gestern das Ende des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs ab 2014 verkündet habe. Das heißt zunächst einmal nur, dass das ORF Landesstudio in Kärnten nicht mehr zur Verfügung stehen und dass es keine Übertragungen mehr geben wird. Das wird mit dem Ende des Bachmannpreises identisch gesetzt.
Seitdem gibt ein zum Teil heuchlerisches Gejaule in den (sogenannten) sozialen Netzwerken; zum Teil von denen, die keine Gelegenheit ausgelassen haben, den Bachmannpreis bei jeder Gelegenheit hämisch zu kommentieren. Ihnen ist nun die Spielwiese genommen worden, in der Mittagspause drei, vier Sätze einer Lesung und/oder eines Jurorbeitrags aus dem Zusammenhang zu reissen. Die durchironisierten Leistungsträger persiflieren schon eine Neuauflage in Konstanz. Was noch fehlt, aber unweigerlich droht, sind die Epitaphe des sogenannten Feuilletons, das seit Jahren bereits den Bachmannpreis auf der Abschussliste hat.
Wie ich den Artikel verstehe kostet die Übertragung dem ORF 350.000 Euro. All inclusive? Mit oder ohne Overhead-Kosten? Man weiß es nicht. Woran misst man diesen Betrag? Pro Sendeminute? Bei 15 Stunden Übertragung wären dies knapp EUR 400 pro Minute. Das ist ein lächerlicher Betrag und vielleicht kann mir jemand die Potenz nennen, die ein mittelmäßiger Film oder ein Confed-Cup-Fußball-Spiel pro Minute kostet. Oder rechnet man pro Zuschauer? Ich habe keine Zahl über die Einschaltquote gefunden (sie verschwinden so schnell, wie sie erscheinen). Aber anhand der spärlich genannten Zahlen zum Publikumspreis könnte man erkennen, dass es nicht sehr toll stand. Im Jahr 2007 gab man bekannt, dass es insgesamt 1.155 »Beurteilungen« gab; das Ergebnis zu Gunsten von PeterLicht war »knapp«. 2009 reichten 268 Stimmen zum Gewinn; 2010 schon 170. Da konnte schnell der Publikumspreis mit flashmobartigen Aktionen »unterwandert« werden.
Um es pointiert zu sagen: Die Veranstaltung kostet im Verhältnis zu anderen Ausgaben der öffentlich-rechtlichen Sender (sicherlich auch in Österreich) fast nichts. Wenn man den Zuschaueranteil steigern will, muss man zunächst die Zeiten der Lesungen verändern. Donnerstag morgen, Freitag morgen – seit einigen Jahren von 10.15 bis 15.15 Uhr. Wer kann da schon zuschauen und vor allem: zuhören – außer die üblichen Verdächtigen? Und warum nicht auch die Verlegung in eine für Literaturrezeption bessere Jahreszeit? Die Verlagerung von Ende Juni auf Anfang Juli ist in keinem Fall von Vorteil gewesen. Wie wäre es mit April? Oder September?
Vieles könnte man ändern, ohne dass eine Qualitätseinbuße die Folge sein müsste. Beispielsweise die Texte nicht mehr allen Juroren im voraus zu präsentieren. Sondern es auf die spontane Reaktion ankommen lassen. Auch eine Anonymisierung durch die Lesung von Schauspielern oder – warum nicht? – dem jeweiligen Juror, der den Kandidaten vorgeschlagen hätte wäre ein belebendes Element. Hier gibt noch andere Vorschläge – allesamt kostenneutral.
Neulich habe ich erfahren, dass man von Seiten des Fernsehens schon seit Jahren am Modus herumbasteln wollte. Aber nicht im Sinne einer besseren ästhetischen Durchdringung, sondern eher, um der Veranstaltung einen Eventcharakter zu geben, ihn »geschmeidiger« zu machen; die Lesezeiten zu verkürzen oder auch Performances einzubinden. Vielleicht dachte man an so etwas wie in diesen dummblöden Casting-Shows, in denen adipöse Juroren minderjährigen Mädchen die Taille vermessen und diese dann zu dick befinden oder schlecht frisierte Nicht-Notenleser Gesangsqualitäten bewerten.
Da wäre es tatsächlich besser, man schaffe den Preis bzw. die Übertragung ganz ab. Wenn man ehrlich ist, war die Qualität in den letzten Jahren bis auf wenige Ausnahmen eher bescheiden. Das liegt nicht zuletzt an den Juroren, die ja die (lieblos wie zutreffend »Texte« genannten) Beiträge vorschlagen. Hier schälten sich große, zum Teil unüberbrückbare Differenzen heraus. Manchmal fragte ich mich, warum dieser oder jener Juror (Neutrum) dort sitzt. Elementare Leseleistungen wurden zum Teil nicht erbracht. Überraschungen respektive wichtige Entdeckungen blieben weitgehend aus; Maja Haderlaps Roman hätte man auch ohne Bachmannpreis gefunden und für großartig befunden. Freilich diente er für viele Schriftsteller als Publizitätsbeschleuniger. So gelang es Sibylle Lewitscharoff 15 Jahre nach dem Gewinn des Bachmannpreises den Büchner-Preis zu gewinnen. Das hätte ohne Klagenfurt wesentlich länger gedauert.
Beunruhigender noch als die Meldung über das nahe Ende des Bachmannpreises ist eine Meldung, die vor einigen Tagen fast unbemerkt durch die Medien wehte: »Intendanten stehen zum gemeinsamen Kulturkanal 3sat« heißt es da. Man weiß ab einem gewissen Lebensalter, was man davon zu halten hat. Es fehlt nur ein Wort: »noch«. 2014 der Bachmannpreis, ein paar Jahre später 3sat. Die Oasen werden sukzessive stillgelegt. Die öffentlich-rechtliche Wüste wird nicht aufzuhalten sein. Die Beiträge versickern anderswo. Kulturauftrag? Nie gehört. ERT ist dann überall.
Getroffen und versenkt, wenns auf die Dramaturgie des Schiffeversenkens ankäme. Die Heuchelei ist Teil des Arrangements, was auch mit der ORF-Personalpolitik zusammenhängt. Die Produktionskosten sind im Vergleich zu einem läppischen Tatort lächerlich. Und wenn man sich im Vergleich dazu in betracht kommende Sponsoring-Budgets anschaut, kann man getrost die dreifache Summe des ORF-Budgets als realistisches Akquisitionsziel beziffern.
Also: Der Hauptbefund, die Verwüstung öffentlich-rechtlicher Grundversorgung, trifft den Sachverhalt, der Bachmannpreis ist da eher ein Nebenkriegsschauplatz.
Die Ideen für eine bessere Dramaturgie finde ich hervorragend. Kritik, Lektüre und Rezeption vertragen Zuspitzung, Kontroverse und Überraschung allemal.
Es würde mich wundern, wenn nicht binnen weniger Tage einige finanzkräftige Kulturförderer übernähmen. Dann allerdings nicht in Klagenfurt und kaum mit dem ORF. Darum Konstanz, Zürich oder Berlin.
Es geht natürlich nicht um die Kosten, sondern um die Quoten-Effizienz. Denn wer weiß, was die entsprechende Menge Ersatz-Programm kosten würde? Die Ersparnis wäre also, wenn überhaupt, minimal. Aber vielleicht kann man mit dem gleichen Mitteleinsatz eine höhere Quote erzielen?
Bedroht wird der Preis daher nur von der Panik der Intendanten (und anderer »Vermittler«?), bei etwas Unpopulärem erwischt zu werden. Das muss man sich einmal vorstellen: Da tauchen Leute im leibhaftigen deutschen Quotenfernsehen und lesen ... schwierige Literatur vor! Ohne groß herumzuhampeln.
99,8% der Gesellschaft möchten nicht einmal beim Durchzappen dran erinnert werden, dass es so etwas ja auch noch gibt. Eine Legitimation des Programms über Qualität oder Sinn ist gar nicht mehr vorgesehen ...
Diskussion ohne vorherige Kenntnis der Texte durch die Juroren fände ich besser. So lief das auch bis 1996 (wenn ich die Jahreszahl richtig im Kopf habe). Argument für den gegenwärrigen Modus war, daß sich die Juroren bei vorheriger Lektüre eingehender mit dem jeweiligen Text auseinandersetzen könnten. Tatsächlich taten das viele so oder so nicht. Sind ja alle immer so beschäftigt... Andererseits öffnet das Vorauswissen taktischen Erwägungen beim Werten und Abstimmen Tür und Tor. Fazit: Mehr Spontaneität wäre gut, Keuschnig hat recht.
Ich habe die Bachmannpreisveranstaltung immer in der Nachfolge der Treffen der Gruppe 47 gesehen. Vielleicht naiv, die Zeiten haben sich eben geändert, vor allem durch den Einfluß der visuellen Massenmedien. Oder könnte man es trotzdem – deswegen? – wieder auf diesem Weg versuchen? Ein Neustart ohne Dauerpräsenz der Kameras? Klagenfurt als Veranstaltungsort würde ich keine Träne nachweinen. Bachmann ist überall, nicht nur an Seeufern. Bachmann und Celan haben sich in Nierndorf (!) getroffen.
Niendorf heißt es. Neue Zeiten, Google-Zeiten.
Das letzte »reguläre« Treffen der Gruppe 47 fand 1967 statt (es gab dann noch 1972 und 1977 zwei Zusammenkünfte; bereits ohne etliche der üblichen Protagonisten; 1990 dann eine Art Veteranentreffen in Prag). In den Richter-Tagebüchern kann man schön lesen, wie ihm insbesondere die Kritiker MRR, Hans Mayer, Kaiser und Jens auf die Nerven fielen. Sie verhielten sich wie Diven. Richter begriff, dass ihnen ihre Person längst wichtiger war als die Literatur. Aber er konnte es auch nicht fertigbringen, sie nicht mehr einzuladen. So war er ihren Launen hinter den Kulissen ausgeliefert, was zu einem großen Teil zur Resignation führte. Bachmann starb 1973. Vier Jahre später fand der erste Bachmannpreis statt. Mit MRR war einer der Diven sofort dabei, später kamen dann noch Jens und Kaiser dazu; noch später die Palladine von Reich-Ranicki. Die Regeln waren ähnlich; auch in der Gruppe 47 durfte der Lesende anschließend nicht in die Diskussion eingreifen. Vieles spricht dafür, dass Reich-Ranicki einer der treibenden Kräfte war, diese Gruppe zu revitalisieren. Klagenfurt bot sich wegen des Bachmann-Todes an; die Kontakte für die Örtlichkeiten und Preis(e) konnte er einfädeln. MRR beschreibt ja heute noch die Bachmann mit der Emphase eines verliebten Backfischs. Inzwischen geht man auch ein wenig dazu über, ihre wohlgesetzten Inszenierungen zu untersuchen.
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Quoten-Effizienz hat natürlich mit Kosten zu tun; genauer gesagt: mit Legitimation. Die Lobby des Privatfernsehens in den Medien hat es ja geschafft, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an Zahlen zu messen. Sind die Quoten für eine Sendung gering, wird sofort die Kostenfrage gestellt; ist sie einmal gut, kehrt man den Spieß um und krittelt an der »Qualität« herum. In diese Falle ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk längst getappt. Durch die Zwangsabgabe in Deutschland wird die Situation noch mehr verschärft: alles wird jetzt gemessen an Quote und Marktanteil. Keiner befragt bspw. die Sinnhaftigkeit der sogenannten Zielgruppe zwischen 14–49 – als wäre diese homogen.
Mir hat man 2008 beim zehnten Veltliner hinter vorgehaltener Hand schon gesagt, daß man jedes Jahr feiere, als wäre es das letzte; der höchste, bis dahin gemessene Einschalt-Rekord lag bei 35.000. Wie auch immer man das gemessen haben will – jedenfalls eine Quote, die sogar für 3sat aus medienpolitischen Gründen noch ärmlich ist, deshalb wurde damals spekuliert, ob man nicht auf zdf.kultur ausweichen solle. Nun gut, das hat sich erledigt, zdf.kultur ist demnächst ja auch Geschichte. Offenbar auch 3sat. Großartig!
Ich frage mich, ob der Bachmann-Wettbewerb ohne TV nicht eine reale Chance hätte, den ganzen Kladderadatsch abzustreifen und sich mal wieder auf Texte zu konzentrieren, nicht auf die Juroren – die, mit den literarischen Gästen à la Ich-halte-mein-Gesicht-in-jede-Kamera-Trojanow, ja das eigentlich Wichtige waren. Wo man kein Kintopp erwartet, muß man es auch nicht bieten.
Denn, ich hatte es schon mal erwähnt, glaube ich: Am Auslosungsabend 2008 hörte ich die schönen Worte: »So, und dann kommen wir zur Auslosung, ich bitte jetzt, die Autoren vorzutreten. Sind die denn überhaupt schon da?«
Ja, wir waren schon da. Das hat aber niemand überprüft. Weil wir ja schön wurst waren für den geregelten Ablauf der Veranstaltung.
zdf.kultur, soso.
Ist es nicht verrückt, dass der sogenannte Bezahlsender »Sky« (spätestens durch die zwangsweise Haushaltsabgabe sind die öffentlich-rechtlichen ja auch »Bezahlsender« geworden) die »Harald-Schmidt-ShoW trotz einer Einschaltquote jenseits der 20.000 behält? (Die erste Sendung hatte die 20.000; danach angeblich deutlich weniger.)
Also: Bachmannpreis auf Sky!
@ Martin von Arndt
Da fällt mir doch gleich die wirklich wunderbar bezeichnende Anekdote von Thomas Bernhard ein, der, als er zu einer Preisverleihung an ihn schon eingetroffen war und sich hingesetzt hatte, hörte, wie die ignorante Ministerin in die Runde fragte: Ja, wo ist er denn, unser „Dichterling“. Ich glaube, da hätte ich mich auch wieder verdrückt.
@ G. K.
Und klar, wenn Kultur ja immer auch Comedy ist, kann man es wirklich auf Sky übertragen.
Aber vielleicht kommt, bei all den media-guerilla-Aktivitäten, demnächst ein Internet-TV Kanal darauf, die Lücke zu schließen?
@herr.jedermann
Wenn Sie Elke Heidenreich als Medien-Guerilla nehmen? Die hatte ja nach ihrem Krach mit dem ZDF ihr »Lesen!«-Kaffeekränzchen im Internet publiziert. Auch hier wurde die Quote schnell zum Problem; sie hat dann nach rund einem Jahr aufgegeben.
(Die Frage wäre ja, warum sie aufgegeben hat? War es nicht mehr profitabel? Oder legte man Geld zu? – Grundsätzlich stellt sich die Frage: Will man mit einer solchen Sache Geld verdienen? Oder macht man es aus Leidenschaft?)
Keuschnig beschreibt weiter oben die Kontinuität zwischen Gruppe 47 und Bachmannpreiswettbewerb. Ich meine einfach, diese Kontinuität sollte weitergehen. Wenn der Medieneventcharakter stirbt – gut. Es muß nicht alles gleich ins Fernsehen. Wichtiger wäre, daß es überhaupt solche Gespräche über neue Literatur gibt, bei denen sich die unmittelbar Beteiligten austauschen können. Kritiker-Diven wird es auch in Zukunft geben, das Beurteilt-Werden wird auch in Zukunft für viele schmerzhaft sein.
Oft habe ich mich gefragt, ob sich eine Gerichtsurteilssituation überhaupt vermeiden läßt. Ich fürchte, nein. Der Autor ist immer ein wenig in der Position des Angeklagten. Sogar wenn er freigesprochen wird (also »gewinnt«), haftet ihm noch etwas von der Figur des Angeklagten an. Wie soll er sich gegen eine Übermacht verteidigen? Am besten gar nicht. Aus solchen Beobachtungen haben manche geschlossen, gar nicht erst hinzugehen.
@Leopold Federmair
Ist es nicht auch so, dass Autoren solche Urteilssituation wollen und vielleicht wollen müssen?: Was in einem Werk steckt, zweigt sich eben erst dadurch, dass man es mit anderen teilt und diese darüber befinden (klar, angenehm ist das nicht, meistens zumindest).
Letztlich sind all das, was Klagenfurt ausmacht – Performanz des Autors, „Kritik“, Spektakel und „Betrieb“ – ersatzhafte Instanzen für die Einsamkeit des Lesers – so wie der zuallerletzt eine Instanz des Marktes ist, der in den Text hineinregieren will.
Insofern war Klagenfurt für mich immer „eine Farbe“ … und außerdem eben ein (relativ originelles) Fernsehformat: Etwa wie ein Quizz mit Fragerunden und Jury, im besten Falle unterhaltsam auch für jemanden, mit solchen Neigungen wie ich.
Die Literatur aber braucht das ja eigentlich nicht. (Braucht sie mehr Kritik als in der Verlags- und anschließend der Arbeit des Lesers? Womöglich ist das gewachsene Selbstbewusstsein der Kulturkonsumenten der Grund für das schleichende Versagen der Literaturkritik?)
Das soll aber auch kein Plädoyer für die Abkehr von Vermittlung sein. (Und der Markt ist in unzähligen Formen eh immer schon da.) Aber so, wie etwa die bildende Kunst längst ein höheres Bewusstsein von ihrer Verfertigung in einem Marktumfeld hat – der Markt und seine Mechanismen (und wiederum: Instanzen) erzeugt erst einen Großteil der Produktion – scheint mir das immer mehr ins Schreiben einzusickern. (Ich meine, das lässt sich ganz gut an der Prominenz von Leipzig und Hildesheim und dann auch in der Blogosphäre rund ums Schreiben erkunden.)
Aber tut es der Aufmüpfigkeit von »Jugendkulturen« gut, wenn es auf einmal „Pop-Beauftragte“ und in jeder Kreisstadt ein „Rock-Büro“ gibt? Wie gesagt, Bestseller gab es seit Luthers Zeiten schon, aber nach meinem Gefühl wächst eine immer stärkere Einrede VOR dem Text. Die Literatur im Zeitalter der medialen Evaluierbarkeit.
Es gab auf diesem Blog ja schon öfter die Diskussion um ein für Literatur taugliches Fernsehformat (respektive seiner notorischen Abwesenheit). Klagenfurt ist für mich eine Art fixes Datum im Jahr – und die soziale Auslegung auch der Leserschaften braucht wohl ihre „social“ Komponenten (Publikums-Jury!). Aber etwas der Literatur irgendwie Fehlendes wäre die Abschaltung von Klagenfurt für mich nicht.
Man muß im Auge behalten, dass die Gruppe 47 zuerst als eine Art Werkstattgespräch gedacht war. Man traf sich anfangs 2x im Jahr um aus seinen Manuskripten vorzulesen und andere Ansichten und Meinungen einzuholen. Schon Ende der 50er Jahre zeichnete sich ab, dass die Kritiker begannen, die Veranstaltung zu dominieren. Das ging parallel mit dem Interesse der Medien, aber vor allem der Verleger, die hier »Scouting« betrieben. Das Drumherum, die Inszenierung des Autors (des Textes) erlangte immer mehr Bedeutung. Diese schleichende Eventisierung der Gruppe 47 arbeitet Böttiger in seinem Buch sehr schön heraus [pdf]. Richter vermochte die Geister, die er rief, nicht mehr in die Flasche zu stecken; er befürchtete Bedeutungsverlust. Aus seinen Tagbüchern kann man entnehmen, wie Grass bis zum Schluss diesen Werkstattcharakter neu beleben wollte. Das klingt ehrlich gemeint, obwohl Grass natürlich längst selber wie eine Diva reagierte.
Ich glaube, es spielt auch noch ein anderer Faktor mit, den Leopold Federmair schon andeutete: Es ist leidlich aus der Mode gekommen, Kritik sozusagen wortlos über sich ergehen zu lassen. Ich will das gar nicht kulturkritisch einordnen oder gar in Pessimismus verfallen, aber Klagenfurt zeigte häufig, mit welch grandiosem Selbstvertrauen die Autoren ihre Texte und sich präsentiert haben, etwa wenn sie sich nachträglich über ungerechte Kritik beschwerten. Das Problem liegt dabei weniger bei den Autoren als bei den Juroren, die allzu oft höchst mittelmässig agierten (einige zeigten, dass sie den Beitrag nicht oder nicht mit vollem Ernst gelesen haben können). Der Tiefpunkt war zumeist erreicht wenn es hieß, es handele sich bei dem Text um einen Auszug aus einem Roman. Bis sich dann jemand erbarmte und darauf hinwies, dass es nur um das Geschriebene gehen kann, welches vorliegt, waren meist schon wieder fünf Minuten nutzloses Gerede vergangen.
Warum eigentlich Fernsehen? Wäre das Radio nicht geeigneter? Weil es schon, von sich aus, auf die Sprache hinweist...
@metepsilonema
Das Problem bei der Urteilssituation, wie sie in Klagenfurt gegeben war (und wenigstens dieses Jahr noch ist), hat Keuschnig ebenfalls schon berührt: Der Autor kann sich nicht verteidigen. In eigener Sache zu sprechen, ist so gut wie unmöglich, und derjenige Kritiker, der ihn zur Lektüre vorgeschlagen hat, kann auch nicht im vollen Sinn als Verteidiger auftreten. Die Gerichtssituation ist irgendwie schief, der Autor bewegt sich auf einer schiefen Ebene. (In diesem Sinn waren die Kulissenfenster, die letztes Jahr zu sehen waren, unfreiwillig sinnbildlich: allesamt schief.) Nicht wie in einem realistischen Gerichtssaal, eher wie in Kafkas »Prozeß«. Josef K. wird auch von niemandem verteidigt, sein Kampf ist aussichtslos, er weiß immer weniger, worum es geht, wie seine Chancen stehen usw.
Andererseits ist Klagenfurt kein unendliches Fragment, das Fernsehen führt dort ein strenges Zeitregiment. Wünschenswert scheint mir genau wie seinerzeit Günter Grass ein Werkstattgespräch, in dem Rankings und überhaupt das Eventmäßige nicht so im Vordergrund steht. Es wird immer Konkurrenz geben. Geschäftsinteressen. Das wirkt womöglich als Salz in der Suppe. Aber der Literatur dient man nur, wenn man versucht, sich von diesen Äußerlichkeiten frei zu machen.
Ich habe zweimal an der Veranstaltung als Autor teilgenommen. Von den Texten der anderen habe ich wenig mitbekommen und bin sicher, daß es den meisten anderen Autoren ebenso ging. Durch den allgemein herrschenden Druck ist es anders kaum möglich. Immerhin bin ich auf den und jenen aufmerksam geworden und habe danach seine Bücher zu lesen begonnen. Das Werkstattmäßige wird aber durch das mediale Setting behindert, die Kritiker sind zur Selbstdarstellung fast gezwungen.
Schönes Ideal: Der Literatur zu dienen. Ist sie nicht zumeist längst Mittel zum Zweck geworden? Und zwar von allen Seiten. Wobei ich den Medien, dem ach so edlen Feuilleton, die Hauptschuld gebe: Man erzeugt – ähnlich wie in anderen Berichtsfeldern wie z. B. der Politik – Hypes, und geht dabei nicht mehr in die Tiefe, sondern verwaltet die Aufregung nur durch Rede und Gegenrede (wenn überhaupt). Dann natürlich die Verlage, die endlosen, zum Teil schrecklichen Publikationen. Ich gehe inzwischen ungern in Buchläden, besonders in große, weil dort nicht nur die üblichen Bestseller hysterisch angepriesen werden, sondern weil mich die Fülle geradezu erdrückt (wie ich auch keine 120 Fernsehprogramme haben möchte). Und auch hier versagen die Medien, die zwar 30 x Grass oder Franzen besprechen, aber über den Tellerrand nicht oder nur sehr eingeschränkt hinaussehen. Sie glauben in vorauseilendem Gouvernantentum, das Publikum vor dem bösen, schwierigen, vielleicht abseitigen in Schutz nehmen zu müssen.
Die Zustandsbeschreibung trifft zu. Trotzdem kann ein Autor, der diesen Namen verdient, gar nicht anders, als der Literatur dienen wollen – und hoffen, daß im Umfeld sich einzelne ebenso verhalten. Es werden ja immer noch gute Bücher geschrieben. Und man schreibt vielleicht aus einer Widerständigkeit heraus. Widerständigkeit zunächst gegen das Umfeld, wenn es zu verkommen droht.
In den Großbuchhandlungen geht es mir ähnlich wie ihnen. Es gibt aber immer noch kleine Läden, die allein schon aus Platzgründen eine Auswahl aus der Masse bringen, und wo man mit den Buchhändlern auch reden kann. In den üblichen Großbuchhandlungen haben die Verkäufer in der Regel keine Ahnung von Literatur. Wenn es darum geht, etwas außerhalb des Mainstreams zu bestellen, muß ich ihnen zeigen, wie es geht. Den Verkäufern ist egal, was sie verkaufen, und zunehmend ist auch denen, die Bücher herstellen, egal, was sie herstellen, wenn es sich nur verkauft (was nicht heißt, daß es auch gelesen wird).
Neulich sagte E. S. Özdamar einen dieser einfachen und wahren Sätze, die mir im Gedächtnis haften bleiben: »Aber es wird immer sensible Menschen geben.«
@Leopold Federmair
Ich meinte das gar nicht hinsichtlich Klagenfurt, sondern ganz allgemein: Wer einer Öffentlichkeit einen Text übergibt, erwartet ein Urteil, ich denke da weniger an ein Gericht, aber der Rahmen sollte natürlich passen, klar.
Die Frage ist, wie weit das Werkstattmäßige gehen soll: Landet man da nicht womöglich schnell in einer Detailtiefe, die für Nichtautoren und Laien (Leser und Liebhaber) gar nicht mehr interessant ist? Oder soll es gerade ganz in diese Richtung hin gehen?
Der Literatur dienen? Ihr freundschaftlich verbunden sein, wäre das nicht einfacher und zugleich mehr?
Etwas anderes: Eben bekam ich von der österreichischen IG Autoren einen offenen Brief, den ich unterschreiben soll. Darin wird vom ORF gefordert, seinem Bildungsauftrag nachzukommen und den Bachmannpreiswettbewerb weiterhin mitzuveranstalten und zu übertragen. Den in gewerkschaftlich-gesellschaftspolitischem Jargon gehaltenem Brief habe ich rasch überflogen. Gut, die neue Literatur soll weiterhin im Fernsehen vertreten sein. Soll sie? – Es soll alles so weiterlaufen wie bisher. Soll es? – Ich würde mir eine Erneuerung des ganzen Veranstaltungskonzepts wünschen, bei dem das Augenmerk nicht in erster Linie auf TV, Medienpräsenz, Honoraren und Preisgeldern liegt, aber trotzdem die jährliche massenmediale Dokumentation des Ganzen gesichert wird. Gruppe 47, dritte Phase, gewissermaßen. Etwas Neues, oder Alt-Neues. No casting, please! Aber eine solche Denkanstrengung kann man von einer Gewerkschaftsgruppe nicht erwarten.
@metepsilonema
Da haben wir gleichzeitig geschrieben...
Als Autor setzt man sich Urteilen aus, gewiß. Die Frage ist dann, wie man damit umgeht, und das muß jeder für sich beantworten. Ich weiß von vielen Autoren, daß sie Rezensionen ihrer Bücher entgegenfiebern. Ich habe das nie ganz nachvollziehen können. Einerseits will man natürlich, daß das, was man macht, Verbreitung findet. Andererseits ist da die schlichte Tatsache, daß ich am fertigen Buch nichts mehr ändern kann und wahrscheinlich durch solche Rezensionen für mein weiteres Schreiben gar keine Anregungen erhalte. Also warum Rezensionen lesen? Die doch für alle anderen geschrieben sind, nur nicht für mich? Und warum soll ich mir in Klagenfurt die Kommentare der Juroren anhören, die doch gar nicht zu mir sprechen, sondern für dieses abstrakte Fernsehpublikum, ein bißchen vielleicht noch für die im Saal Anwesenden? Werkstattgespräch, das hieße eher, daß man mit dem Autor über seinen Text spricht. Hin und Her. Auch Autoren mit Autoren. In Klagenfurt waren die Juror-Autoren doch immer nur Feigenblätter (für die Macht der Kritik und der Medien). So ein Werkstattgespräch käme der Situation näher, die zwischen einem Autor und seinem Lektor besteht. Da besteht nicht nur die Möglichkeit, daß der Autor noch etwas am Text ändert, es ist geradezu der Sinn des Treffens. Etwas davon ist natürlich schon auch in Klagenfurt, bei der Veranstaltung in der jetzigen Form, möglich. Eine Frau aus dem Publikum machte letztes Jahr eine Bemerkung zu einer Stelle, und sie hatte recht, ich habe die Stelle nachher geändert. Einer fragte mich neugierig, aber nur so im Vorbeigehen, ob ich beim »Stern der Erlösung« an Franz Rosenzweig gedacht hätte. Ja, hatte ich. Große Freude, daß ein »normaler« Leser/Zuhörer sowas bemerkt. Von den Juroren ist niemand darauf gekommen...
@Leopold Federmair
Ich möchte ganz allgemein antworten: Ein anderer nimmt meinen Text anders wahr, er ist für ihn fremd, für mich aber vertraut und diese Vertrautheit verschwindet für den Autor nur langsam: Es gibt daneben sicherlich eine Menge banaler und weniger banaler Gründe Rezensionen zu lesen oder die Meinung seiner Leser einzuholen, wenn ich aber wissen will, was tatsächlich in meinem Text steckt, muss ich einen anderen als mich selbst fragen.
Mir wurde das vor ein paar Jahren schlagartig klar, als Gregor mir einen kurzen Kommentar per mail zu einem meiner Texte sandte: Auch wenn es seltsam klingt, erst danach hatte ich ihn tatsächlich verstanden.
Es ist ja bezeichnend, dass es jetzt nur noch darum geht, Klagenfurt so zu erhalten wie es ist. Änderungen will man wohl gar nicht erst versuchen. Ich lese ein wenig amüsiert all die Stellungnahmen von Autoren, Verlegern und Kritikern, die so tun, als würden dort österreichische Taliban die Bamiyan-Statuen von Kärnten sprengen wollen.
Natürlich ist das »Argument« – sei es nun kosten- oder quotenbegründet – heuchlerisch. Die Kosten sind minimal; die Quoten hat man selber zu verantworten, weil man sich nicht traut, die Sendungen zu publikumsfreundlichen Zeiten auszustrahlen. Federmairs Episode von dem Leser, der eine Parallelität entdeckt hat, die der Jury nicht aufgefallen war, spricht doch Bände: Der Leser kam beim Hören drauf; die Juroren haben den Text Wochen im voraus – und merken alle nichts.
Vor Jahren gab es einen Text von Gregor Hens, der damit begann, dass John F. Kennedy exakt zu dem Datum in Costa Rica eintrifft, als es dort ein Erdbeben gab. Die Diskussion der Jury begann damit, dass einer die Koinzidenz dieser beiden Ereignisse als fiktional begriff und es für übertrieben hielt. Ein anderer Juror meinte sinngemäss, das sei nicht so wichtig. Eine simple Google-Recherche hätte ergeben, dass es diese Koinzidenz tatsächlich gab. In der Zusammenfassung der Jury-Diskussion sind diese Szenen natürlich getilgt worden.
Das sind winzige Beispiele; ich könnte mit viel Mühe etliche herausarbeiten. Und wenn Federmair schreibt, dass die Jury längst für das Fernsehen spricht und nicht mehr mit dem Autor, so ist das ja auch ein Prozess, der sich über Jahre entwickelt hat.
Ich bin froh, dass mich niemand direkt auffordert, solche Schreiben zu zeichnen. Ich könnte das nämlich nicht, weil ein »Weiter so« genau so falsch wäre wie dieses abrupte Einstampfen.
(Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, sind die Lesungen der Gruppe 47 nur ein- oder zweimal ausschnittweise im Radio übertragen worden; das Fernsehen mühte sich damals noch nicht. Es ist dennoch zu Ende gegangen, weil die Eitelkeiten innerhalb des Betriebs, d. h. der rund 500 [oder vielleicht 1000?] Leute, die damit direkt zu tun hatten, die ursprüngliche Intention in den Hintergrund drängten. So ist ja immer in der erfolgreichen Institutionalisierung auch der Keim des Scheiterns gelegt, weil andere Aspekte plötzlich wichtig werden.)
Aber es ist doch Casting! UND es ist Fernsehen!
So lange es um Bewertungen und Kriterien und Sieger (und Geld!) geht, ist Textkritik etc. aus der Perspektive des medialen Formats eigentlich Beiwerk. Natürlich, es geht um die Lust am Streit – aber zuletzt geht es um ein Urteil, um Urteilsfindung. „Kein objektives Urteil – nur ein lebendiges“: Ingeborg Bachmann.
Ich habe mir die Frage gestellt, ob ich das anhören wollte, würde es vom Radio übertragen – die Antwort ist – obwohl ich diese Aula-Atmo nicht mag, die Interviewer kaum ertrage, die Videos und auch die Elogen schlussendlich fast immer lächerlich finde, usw. – nein. Und eine „Werkstatt“ würde im Fernsehen auch nicht funktionieren.
@metepsilonema
Einen Tag lang ist mir Ihre Bemerkung im Kopf herumgegangen, Sie hätten Ihre Erzählung nach einem Kommentar Gregor Keuschnigs erst voll verstanden. Und bin zu dem Schluß gekommen, daß es nicht meine Aufgabe als Autor ist, meine Texte voll zu verstehen. Je besser er ist, desto weniger gibt es das auch, ein volles Verstehen. Ich denke auch an die Fälle, wo mir Autoren gesagt haben, nachdem ich über sie geschrieben hatte, daß sie diesen oder jenen Aspekt überhaupt nicht bedacht, beim Schreiben überhaupt nicht im Auge gehabt hätten. Die Interpretationen Ihrer Texte können für die Autoren große Überraschungen sein. Positive Überraschungen, meine ich. – In Klagenfurt war ich nicht überrascht, sondern enttäuscht, wie wenig das Geschriebene ausgeschöpft wurde.
Und jetzt stelle ich mir noch vor, daß der wirkliche Gregor Keuschnig, also der fiktionale, Ihre Erzählung liest und kommentiert.
@herr.jedermann
Naja, es gibt ja diese monatliche »Studio LCB«-Veranstaltung in einem der Deutschland-Radios, die ich regelmässig verpasse, weil es keine Podcast-Version davon gibt. Das ist natürlich eher wie die berühmte Lesung in der Buchhandlung. Und es gibt in SWR2 die »Bestenliste«-Sendung, in der drei Kritiker die vier Bücher aus der SWR-Bestenliste besprechen. Es gibt sogar ein kleines Lesestück jeweils vorab.
Ich glaube, es zeigt sich eine grundlegende Diskrepanz in der Auffassung: Ist Literatur eher etwas hermetisches, was erst als fertiges Produkt dem/einem Publikum präsentiert wird. Oder kann es auch zuweilen eine Art Austausch hierüber geben, dessen Resultate dann evtl. in den Text einfließen? Und dann stellt sich die Frage, wie ob dieser Austausch öffentlich sein kann oder sein soll.
Das führt zu @Leopold Federmair und dem Werkstattcharakter. Dieser wurde schon in der Gruppe 47 durch die sich immer mehr stärker abzeichnenden gruppendynamischen Umgangsformen konterkariert. Irgendwann gab es dann die Schriftsteller auf der einen und die Kritiker auf der anderen Seite. Anfangs hatten ja Schriftsteller Schriftsteller kritisiert. Das geschah auch weiterhin, aber immer weniger, weil die Kritiker das Kommando übernahmen. Inzwischen existiert ja im Feuilleton eine Mauer zwischen Schriftsteller und Kritiker. Ein Kritiker, der Prosa schreibt, tut dies, wenn überhaupt nur unter Pseudonym. Und Schriftsteller kritisieren untereinander nicht in der Öffentlichkeit. Dass Schriftsteller Kritiken schreiben, wird immer weniger. Wenn, dann sind es ausnahmslos Hommagen. Oder es sind Kritiken, die nichts mit den Texten, sondern Gesinnungen zu tun haben.
Vor ein paar Tagen hat Spinnen den Bachmannpreis im Interview als »Nachwuchswettbewerb« bezeichnet. Er hatte vergessen zu erwähnen, dass dies erst im Laufe der Jahrzehnte so entstanden ist: Für arrivierte Literaten war es irgendwann ein zu großes Risiko teilzunehmen und dann nicht einen Preis zu bekommen. Frau Hoppe oder Frau Lewitscharoff würden kaum mehr teilnehmen wollen. (Auch für die Juroren wäre es eine schwierige Sache: Gewänne ein arrivierter Autor geriete man in Kungelei-Verdacht; bekommt er nichts, interpretierte man dies u. U. als positive Diskriminierung.)
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Und jetzt stelle ich mir noch vor, daß der wirkliche Gregor Keuschnig, also der fiktionale, Ihre Erzählung liest und kommentiert.
Schöne Gedanke.
Einverstanden.
Man kann es jetzt sicher auf noch auf viele Arten rum sagen, aber (auch wenn es zuerst mal paradox klingt): Die „Tage der deutschen Literatur“ sind ja auch keine Sendung für Autoren!
Wahrscheinlich würde ich mich auch sehr ärgern, bei dummer Kritik nicht auch tüchtig zurückgeben zu können. Aber es eben Teil des Konzepts, dass Autoren sich mit ihrem Text äußern und nicht mit Verteidigungsreden, die eigentlich nur das Sekundärgerede vervielfachen. Das ist doch das Primat: Dass der Text (hoffentlich!) klüger ist als all das ihm folgende Gerede – und sich dennoch nicht vollständig erklären kann. Und das auch zu erleben! In einem Bildmedium, das die Bilder nie ausreden lässt. Die (zumindest im besseren Falle) Unabsehbarkeit, Nicht-Weg-Erklärbarkeit von irgendetwas Geistigem vorgesetzt zu bekommen. Im „Nullmedium“!
Und ob Hermetik oder Kolportage oder Werkstatt und historische Vorläufer und Nachwuchs und die ganze unter Menschen offenbar unvermeidbare Betriebsnudelei – gut. Aber jetzt gilt der Text! Das ist für mich Klagenfurt. Alles andere ist eben notwendig mediales, event-logisches Format.
Vielleicht geht es da ja etwas mit mir durch, aber mir scheint, dass auch das Denken (und die Forderungen etc.) der Autoren längst immer zu kleinmütig geworden sind. (Weil sie sich ja auch körperlich auf fremdem Terrain bewegen? Weil sie sich als Randfiguren erleben? Weil Schreiben, ob im mainstreaming oder nicht, in Gesellschaften wie unseren etwas von Narrensein hat?)
Apropos Narr und Narrenweisheit: Das fand ich immer so rundum überzeugend bei Handke (der sich natürlich auch nicht immer dran halten konnte):
„Ich bin Schriftsteller und habe keine weiteren Erklärungen abzugeben!“
Und einmal im Jahr darf man das der genug sedierten Zuschauerschaft auch zumuten.
Ja! Der Text sei klüger als das Gerede! Aber das Gerede hallt nach; wer liest denn noch mal den Text nach? Es gab ja in den letzten fast 20 Jahren, die ich diesen Wettbewerb in 3sat verfolge, immer mal wieder Autoren, die was gesagt haben. Komischerweise wurde ihnen das fast immer negativ ausgelegt. Aber warum ist man nicht einmal auf die Idee gekommen, dem Autor ein Schlusswort nicht nur zu erlauben, sondern sozusagen aufzuerlegen? Damit das Gerede gebannt wird. Oder, um Federmairs Gerichts-Vergleich aufzunehmen: Der Angeklagte hat auch immer das letzte Wort.
Ich hab’s mir immer wieder gerne angetan. Ich lernte neue Autoren kennen und ein bisschen auch das »Gerede«. Es gab Juroren, die ich sehr schätze (und schätze). Und das Gegenteil. Manchmal konnte ich beobachten, dass ein Beitrag, der schlecht beurteilt oder gar verrissen wurde, und dann später in einem Buch erschien (teilweise durchaus werkstatthaft verändert) von der Kritik plötzlich gelobt wurde. Späte Wiedergutmachung?
@Leopold Federmair
Ich hätte damals nicht sagen können, was der Text eigentlich soll, im Sinne einer Deutung, einer Zusammenfassung, usf; seit Gregors Kommentar habe ich eine Möglichkeit, die sich mit dem Text verträgt: Ich will nicht sagen, dass das volles Verstehen ist, aber augenöffnend war es schon oder, wie Sie schreiben: überraschend.
Die Unmöglichkeit vollen Verstehens ist es auch, die den Text bestehen lässt, gegenüber dem Gerede.
Letztes Jahr meinte Burkhard Spinnen in seiner Rede bei der Eröffnung der Veranstaltung, das Alter des teilnehmenden Autors spiele keine Rolle. Da hat es mich gleich gerissen, ich dachte: Ist es denn nötig, das hervorzuheben? Tatsächlich wies Spinnen bei der Diskussion meines Beitrags, zu dem er sonst nicht viel zu sagen hatte, auf eher unangenehme Weise auf mein Alter hin. Das alles kann man im Internet nachsehen.
Casting? Nein, nicht im üblichen Wortsinn. So gut wie alle beim Bachmannpreislesen teilnehmenden Autoren haben schon mindestens ein Buch veröffentlicht. Als Anfänger hat man kaum Chancen, vorgeschlagen zu werden. Es gibt ja ohnehin Preise, die Debütanten vorenthalten sind: Aspekte-Preis, Rauriser Literaturpreis, Ponto-Preis...
Ich habe bei Spinnen in den letzten Jahren das Gefühl, dass er zunehmend eine Rolle spielt, statt einfach nur, wie zu Beginn, seine Eindrücke referiert (und begründet). Man hat das ja gelegentlich, dass Leute mit der Zeit eine gewisse Bräsigkeit an den Tag legen, die sie mit gelegentlicher Jovialität versehen. Die Anfangseuphorie ist einem Denken in gewissen institutionellen Grenzen gewichen; als Jurysprecher meint er vielleicht eine besonders herausgehobene Rolle als »Übervater« spielen zu müssen. Dadurch wirken seine Wortmeldungen plötzlich auf einen gewissen Affekt abzielend, was sie vielleicht vorher auch schon waren, aber man hatte das anders wahrgenommen. (Es ist ein diffuses Gefühl, sehr subjektiv, aber ich habe das Gefühl, dass Spinnens Rollenspiel fast exemplarisch für diese Veranstaltung steht.)
Dieses Gefühl bei Spinnen habe ich auch – früher nannte man so was »Entfremdung« (etwa »durch die Institution«). Und eben dieses Gefühl übertrage ich anscheinend auch auf die ganze Sache: Gerade wird es mir klar.
Diese ganze Chose hat längst etwas zu sehr Repräsentatives für das gesellschaftliche Teilsystem (Nachwuchs-)Literatur. Etwas Lebendiges, eine Spielwiese, hat sich in eine evangelische Gemeinde-Kita mit viel pädagogischer Aufsicht und Absicht verwandelt. Und jetzt ist es wirklich nur noch der einzelne gelungene, der rare Text, der die ganze Sache rausreißen kann. Auch wenn das Format als Sendeform billig ist, scheint da ein Missverhältnis von Ertrag und Aufwand.
Vielleicht sind Evaluationen von Zeit zu Zeit ja doch ganz hilfreich als reflexartige Forderungen nach Bestandsgarantien.
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(Übrigens, G.K., seit Längerem fällt es mir auf: ihre Seite ist zunehmend langsamer im Aufbau ... ?)