Ein Nachmittag mit Peter Handke, im Juli 1983
AUSZUG AUS EINER TAGEBUCHEINTRAGUNG
Ich beginne Franz Werfels Stück »Das Königreich Gottes in Böhmen« zu lesen. Mittags mit Mutter zum Restaurant Steinlechner, treffen Hansi Ruth, eine Kindheitsfreundin der Mutter, sie ist 85 Jahre alt und wirkt keineswegs greisenhaft. Um 3h nachmittags mit PH verabredet, er kommt etwas spät, ist Fahrradfahrer geworden, sieht braungebrannt aus. Die Anfangs-Halbe-Stunde schwierig wie immer, aber dann wirds langsam besser. Seine Frage nach meiner Arbeit. Ob ich wirklich die FW-Sache1 machen wolle? Schenkt mir ein Vorausexemplar seines neuen Buchs, »Der Chinese des Schmerzes«. Ich erzähle ein wenig ad FW-Arbeit. PH’s Entsetzen, dass ich den Dichter nicht kenne, den er zur Zeit übersetzt: René Char. Er ist fassungslos. Beschimpft mich, meiner »Unbildung« wegen. Wie könne man denn etwas Sinnvolles schreiben wollen, ohne zu lesen?
(...)
Über Beziehungen sprechen wir – er hat seit ein paar Monaten eine Freundin in Salzburg, mit der es ihm gut zu gehen scheint. Über unser Nichtkönnen mit einer allzu typisch weibisch-weiblichen Frau – wie wichtig das Herbe sei. Sein Darauf-Bestehen, dass ich SOFORT das Buch von Franz Weinzettl kaufe, der von PH unterstützt wurde, »Auf halber Höhe« heißt es, er gibt mir Geld, in der Buchhandlung Mara kaufe ichs, will ihm Gustav Janouchs Gespräche mit Kafka schenken – nicht zu haben, vergriffen. Und gebe ihm die 1000 Schilling natürlich zurück. Da flucht er wieder, dass ich nichts lese, die österreichische Gegenwartsliteratur nicht kenne. Und geht heute überhaupt auf alle Schriftsteller los, die Großköpfe vor dem Krieg, diese Mammutwerke, für die Ewigkeit geschrieben, bei Thomas Mann sei ja jeder Satz ein Nachdenken darüber, wie man diesen Satz in die Ewigkeit hinüberretten könne – »in so eine abscheuliche Ewigkeit«, wie PH sagt. Oder Ulysses, so ein schreckliches Buch – oder diese Suche nach der verlorenen Zeit, so ein aufgeplustertes Gebilde. Aufgeproustet bemerke ich, der ich von der »Recherche...« höchstens den ersten Band kenne. Bücher wie Hamsuns »Hunger«, oder Faulkner, oder jener Char, das genüge ihm, das wolle auch er einmal zustandebringen. Oder auch wie Simenon zu schreiben, dieses Einfache, aber Perfekte. Auch auf Kafka geht er los, dass ihm dessen Werk überhaupt nicht mehr gefalle, er ihm »auf die Schliche« gekommen sei, alles Trick. (Auch von Thomas Mann sagte er zuvor: »alles Trick!«) Er habe sich durchgekämpft durch die Sprache Kafkas und den Bau seiner Sätze, er erkenne genau, wie Kafka das alles gemacht habe. Als ich widerspreche, gegen Kafka zu denken oder etwas zu sagen komme mir wie Blasphemie, wie Entheiligung vor, da lacht er mich aus. »Ja, wenn du mir Hölderlin sagst, gut, das stimmt, da würde das mit der Entheiligung zutreffen. Oder Vergil. Auch Heraklit. Aber Kafka?« PH sagt, er möge seinen kurzen Text Die Laternen auf der Place Vendôme sehr gerne – schreibe kaum noch je Kurzgeschichten. Mein neuerliches Jammern ad der Arbeit an dem FW-Buch –wie viel Zeit das in Anspruch nehmen werde. PH spricht über Werfel: dass ihm seine Romane berührt hätten, als er sie vor Jahren las, also müsse etwas an ihnen sein, unbedingt. Vielleicht sei es meine Aufgabe, meint er, FW in ein besseres Licht zu rücken, das Bedeutende an ihm hervorzustreichen, ihn sozusagen zu »rehabilitieren«. Vielleicht rechtfertige das allein schon mein FW-Biografie-Schreiben. PH befindet jedoch: ein Dreißigjähriger, der eine Biografie schreibe, das komme ihm seltsam vor. Und dass ich im Moment nicht EIGENES schreibe. Alle zwei Jahre gebe es doch bei einem wirklichen Schriftsteller das unbedingte Bedürfnis, etwas Neues zu schreiben! Er sei froh, nicht eine so erhabene Position wie die großen Dichter der Vorkriegszeit einzunehmen, sondern ein normaler Mensch mit Freunden sein zu können, der unmittelbar zu den Menschen spreche, in einfachen Büchern, statt in jenen Monumentalwerken der früheren Zeit. Er hasse das »große Werk« – im Gegenteil, wolle niemals ein solches verfassen. Etwas GÜLTIGES, das in den Weltlauf eingreife, ja, das wolle er schon schaffen – und glaube auch, das geschafft zu haben. Manchmal empfinde er so eine ZUVERSICHT, plötzlich, an manchen Tagen. Ob ich das kenne, will er wissen. (Sein Gefühl, meinem Gefühl nach, bereits »Unsterbliches« geschaffen zu haben – seine Überzeugung, nicht vergessen zu werden.)
(...)
Bis 17h30 sind wir zusammen. PH’s T‑Shirt mit der Aufschrift KEY WEST – und seine Schuhe zog er aus, kaum angekommen, auch die Strümpfe, sitzt mit nackten Füßen im Gastgarten des Cafés. Er trinkt Weißwein, ich Pfefferminztee – (Er sagt ad Wein: wie wichtig Wein sei zum Konzipieren!) Sein Schimpfen, dass ich im Café Pfefferminztee nehme, das müsse man in der Natur pflücken und selbst machen! Man esse ja auch nicht in einem Restaurant Pfifferlinge, sondern sammle sie selbst, im Wald. Dasselbe gelte für Beeren. Dieses Schulmeisterliche an ihm! Er kanns nicht lassen. Begleite ihn zu seinem herrlichen Fahrrad, Marke Flying Dutchman, am Weg zum Rad unser gemeinsames Fluchen auf Karl Kraus. Das BÖSE und seine Kraft. Und dass KK’s Sprachpräzision doch gar nicht so groß sei, bemerke ich. P gibt mir ganz recht. Gemeinsam zur Hauptpost – lese ein paar Seiten in seinem neuen Buch – mir kommt vor: Weinzettl kopiert ihn schamlos, darum gefällts ihm so! Und bis zur Kaigasse zusammen, dort Abschied. Rufe ihm noch zu: »Arbeite gut!« Er widerspricht, vom Rad aus: »Aber was, ich arbeite doch überhaupt nicht, zur Zeit!« Ich hätte ihm zurufen sollen: »Sei glücklich!« Oder: »Lebe gut!« »Freue dich des Lebens!«
© Peter Stephan Jungk
Gemeint ist "Franz Werfel- Eine Lebengeschichte", erschienen 1987 bei S. Fischer, die ich im Frühjahr 1983 zu recherchieren begonnen hatte. ↩
26.10.2009, Prag: Peter Handke kommt zur Franz Kafka Preisverleihung nach Prag. Brožík Saal des Rathauses. 40 Lesejahre – 70 Bücher verbinden mich mit dem Schriftsuchenden aus Griffen. Die Mitglieder der Franz Kafka Gesellschaft nehmen Platz am Podium. Die üblichen Begrüßungsreden. Die Laudatio von Marianne Gruber geht auf Peter Handkes Werk ein, aus der Sicht einer Leserin. Handke nimmt den Preis entgegen, wird gebeten, zu sprechen. Er stellt sich neben das Mikrofon, umringt von Fotografen. Fragt, kann ich hier auf Deutsch antworten? Bezieht sich in seiner Dankesrede auf Sätze von Franz Kafka, dass jeder Ruhm mit Reue verbunden ist. Goethe zitierend fühlt er, Peter Handke, sich dem Gesellen näher als dem Meister.
Das Tschechische Fernsehen hat zwei Fragen, die zweite lautete was machen sie zur Zeit. Handkes Antwort „Nichts“. Der Interviewer von Radio Praha geht dieser Frage nach und Handke sagt „Das stimmt so nicht, ich lüge – oft.“
Er signiert einige Bücher und verlässt mit seiner Tochter den Saal.
Eine schreckliche Sekunde lang dachte ich, keuschnig hätte diesen Artikel geschrieben. Denn seine Handke-Liebe ist ja bekannt. Und dass man die Liebe von Freunden nicht kommentiert, ist eine Selbstverständlichkeit.
Er hat diesen unsäglichen Artikel nicht geschrieben, natürlich nicht, denn ansonsten hätte sich seine Liebe in eine Obsession verwandelt.
Und die geht über Leichen.
Schreibt Sätze wie: »Über Beziehungen sprechen wir – er hat seit ein paar Monaten eine Freundin in Salzburg, mit der es ihm gut zu gehen scheint.«
Das ist Bild der Frau!
Wie konnte ich nur darauf kommen, keuschnig habe einen solchen erbärmlichen Unsinn verfasst?
Vielleicht, weil der Unsinn in seinem Blog steht?
Liebe? Herr Griebe, ich liebe meine Frau.