Ka­tha­ri­na Pek­tor (Hrsg.): Re­né Char und Pe­ter Hand­ke – Gu­te Nach­barn

Bis­lang hat Pe­ter Hand­ke seit 1980 33 Bü­cher ins Deut­sche über­setzt. Nicht ein­ge­rech­net drei ei­ge­ne Thea­ter­stücke, die er vom Fran­zö­si­schen sel­ber über­tra­gen hat­te. Hand­ke hat im­mer dar­auf hin­ge­wie­sen, den pro­fes­sio­nel­len Über­set­zern nicht die Ar­beit weg­ge­nom­men zu ha­ben. Sei­ne Über­tra­gun­gen dien­ten auch (wenn nicht so­gar vor­dring­lich) da­zu, die Auf­merk­sam­keit auf an­de­re, bis da­hin un­be­kann­te Au­toren zu ...

Wei­ter­le­sen ...

An­ne We­ber: Bann­mei­len

Bann­mei­len – Ei­nen Ro­man in Streif­zü­gen nennt die seit vie­len Jah­ren in Pa­ris le­ben­de An­ne We­ber ihr neu­es Buch. Nach dem »rück­blicken­den Vor­spiel« fol­gen 18 Ka­pi­tel, in de­nen (bis auf ei­ne Aus­nah­me) ei­ne na­men­los blei­ben­de Ich-Er­­zäh­­le­rin zu­sam­men mit dem be­freun­de­ten Film­re­gis­seur Thier­ry durch die Pa­ri­ser Ban­lieues, die Vor­städ­te, streift. Ge­nau­er: Es ist das Dé­part­ment Sei­­ne-Saint-De­­nis, ...

Wei­ter­le­sen ...

Da­ni­el Kehl­mann: Licht­spiel

Licht­spiel ist von Da­ni­el Kehl­mann, hat fast 500 Sei­ten und ist ein Ro­man, ge­nau­er: ei­ne spe­zi­el­le Form von Künst­ler­bio­gra­phie. Im Zen­trum steht der deut­sche Film­re­gis­seur Ge­org Wil­helm Pa­bst (1885–1967), der sich ir­gend­wann G. W. Pa­bst nann­te. Seit den 1920er Jah­ren galt Pa­bst zu­sam­men mit Fritz Lang, Ernst Lu­bit­sch und Fried­rich Wil­helm Mur­nau als ei­ner der ...

Wei­ter­le­sen ...

Pe­ter Flamm: Ich?

Peter Flamm: Ich?
Pe­ter Flamm: Ich?

»Nicht ich, mei­ne Her­ren Rich­ter, ein To­ter spricht aus mei­nem Mund.« Das ist der er­ste Satz die­ses un­ge­wöhn­li­chen Buchs mit dem Ti­tel Ich? aus dem Jahr 1926, wel­ches dan­kens­wer­ter Wei­se nach fast ein­hun­dert Jah­ren wie­der neu auf­ge­legt wur­de. Es be­ginnt 1918 mit dem En­de des Krie­ges. Der Feld­we­bel Wil­helm Bettuch stol­per­te wäh­rend des Rück­zugs über die Lei­che ei­nes Dok­tor Hans Stern, ei­nes »Ge­bil­de­ten«. Fast ein biss­chen scha­den­froh, dass er, der Bäcker, im Ge­gen­satz zum Arzt den Krieg über­lebt hat­te, nahm er den Pass des To­ten re­flex­haft an sich und schlüpf­te mehr zer­streut als vor­sätz­lich ge­plant in die Rol­le des To­ten. Und so er­tapp­te er sich da­bei, nicht nach Frank­furt zu­rück zu fah­ren, zur Bäcke­rei sei­ner Mut­ter, son­dern nach Ber­lin, wo Dr. Stern als Chir­urg prak­ti­zier­te und mit Frau Gre­te, dem klei­nen Sohn und Hund Ne­ro leb­te.

Wie selbst­ver­ständ­lich wur­de Wil­helm von Gre­te als Hans freu­dig emp­fan­gen und »ein blau­er Strahl von un­säg­li­cher Zärt­lich­keit glänz­te aus ih­ren Au­gen, und wäh­rend Trä­ne auf Trä­ne un­auf­halt­sam über die Wan­ge tropf­te, öff­ne­ten sich die Lip­pen feucht und weich zu un­lös­li­chem Kuss.« Er kann sein Glück nicht fas­sen, »es war al­les Traum, ein Glück wie in der Luft, das gab es, man durf­te nicht auf­wa­chen, man muss­te sehr lei­se sein«. Er, der in der Schu­le un­ter sei­nem Na­men ge­lit­ten hat­te (»…in der Pau­se stan­den sie um mich, zo­gen mich an der Ho­se, an der Jacke, am Hemd. Bettuch, Tüch­lein!«), gibt sich die­ser wun­der­ba­ren Frau hin, die ihn liebt, »ich kann doch nichts da­für, dass ich schwach bin, dass ich sie lie­be, ja, da­mals schon, so­fort, ich sah ihr Ge­sicht und lieb­te sie und hat­te kei­ne Kraft, ihr zu sa­gen, dass ich es ja gar nicht war, dass sie ei­nen an­de­ren mein­te mit ih­ren Küs­sen, ei­nen an­dern lieb­te, ei­nen an­dern, ei­nen an­dern!«

Auch der stil­le Ver­eh­rer Gre­tes, Staats­an­walt Sven Bor­ges, und die Freun­din der Fa­mi­lie, Bus­sy San­dor, be­merk­ten nicht, dass ih­nen ein an­de­rer ge­gen­über stand. Nur der Hund biss ihn zur Be­grü­ßung ins Bein. Ins­ge­samt fügt sich Wil­helm pro­blem­los ein. Nur manch­mal kommt er sich wie Kas­par Hau­ser vor, »aus ei­nem dunk­len Kel­ler, ich se­he Licht zum er­sten Mal, zum er­sten Mal ei­nen Baum, ei­ne Wol­ke, ei­nen Stein, ei­nen an­de­ren Men­schen, ei­ne Frau, mei­ne Frau, die Er­in­ne­rung kommt ganz lang­sam, man muss mir sehr viel Zeit las­sen, ich bin wie krank, ich se­he al­les ganz neu, ich er­le­be al­les zum er­sten Mal.« In Be­zug auf Gre­te ent­wickelt er, wie er er­fährt, ei­ne ähn­li­che Ei­fer­sucht wie Hans. Und er ent­deckt »hin­ter der wei­ßen Stirn« sei­ner Frau ih­re »klei­ne See­le, krank«, sie »blu­tet aus tau­send Wun­den.« Groß die Über­ra­schung als Bus­sy ihn in ei­nem stil­len Au­gen­blick heim­lich zu sich be­stell­te: Der Herr Dok­tor hat­te ein Ver­hält­nis mit ihr.

Auch als Arzt kam Wil­helm über­ra­schend gut zu­recht. Er nahm nach sei­ner Rück­kehr die Ar­beit so­fort wie­der auf, führ­te so­gar ei­ne Blind­darm­ope­ra­ti­on durch, frei­lich nicht oh­ne dar­über nach­zu­den­ken, war­um es die­sen un­nüt­zen Ap­pen­dix über­haupt gibt. Man setzt ihn als Ge­richts­gut­ach­ter ein, schickt ei­ne Blut­pro­be. Es soll un­ter­sucht wer­den, ob das Blut von der An­ge­klag­ten stammt oder, wie die­se be­haup­tet, von ei­nem Hund. Mord oder Un­fall? Ei­ne ein­fa­che Un­ter­su­chung; er weiß so­fort, was zu tun ist. Und das Er­geb­nis ist ein­deu­tig.

Als er den Ge­richts­saal be­trat, staun­te er nicht schlecht: Die An­ge­klag­te war Em­ma Bettuch, sei­ne Schwe­ster, auch sie er­kann­te ihn, sei­nen Bru­der, nicht und die­ser hör­te ih­re Ge­schich­te, ih­re Rei­se nach Ber­lin, um Geld für die kran­ke Mut­ter zu ver­die­nen, die An­stel­lung als Dienst­magd, die Aus­sicht, noch mehr als den Lohn zu er­hal­ten, wenn sie sich dem Guts­her­ren hin­ge­ben soll­te, was sie tat, »sie war be­schmutzt, ent­ehrt«, aber »es gab kein Geld«, und dann ih­re Ge­schich­te von die­sem Hund, der den Mann in die Keh­le ge­bis­sen hät­te. Wilhelm/Hans wuss­te es bes­ser, er wuss­te, es war Mord, aber er sagt et­was an­de­res, der Staats­an­walt, Sven Bor­ges, der sich als Freund ein­ge­schmei­chelt hat­te, ge­rät in Ra­ge, aber »es ist al­les gut, das Mäd­chen ist frei, sie geht schwan­kend hin­aus, Emmchen, im Vor­bei­glei­ten se­he ich ih­re Zü­ge, sie blickt mich an, sieht sie mich, mich, mich selbst?«

Wei­ter­le­sen ...

Der Mann mit dem Kas­set­ten­re­kor­der

Malte Herwig: Austrian Psycho
Mal­te Her­wig:
Au­stri­an Psy­cho

Au­stri­an Psy­cho ist ein Ver­such, das in­tel­lek­tu­el­le Öster­reich von Jack Un­ter­we­ger zu ex­or­zie­ren.

»Al­les ist Ver­wand­lung.« So be­ginnt der Jour­na­list und Pu­bli­zist Mal­te Her­wig sei­ne Bio­gra­phie Mei­ster der Däm­me­rung über den Schrift­stel­ler Pe­ter Hand­ke. Und er fügt hin­zu: »Wer die Bio­gra­phie ei­nes Künst­lers schreibt […], soll­te sich ei­ne Neu­gier auf die Me­ta­mor­pho­sen be­wah­ren, die zwi­schen Kunst und Welt hin- und her­füh­ren.« Her­wigs Neu­gier be­schränkt sich nicht nur auf Künst­ler wie Hand­ke. Das The­ma der »Ver­wand­lung« ist der ro­te Fa­den in all den bis­he­ri­gen grö­ße­ren Re­cher­che­ar­bei­ten Her­wigs. Da sind die Flak­hel­fer, 17, 18jährige, die 1944/45 Mit­glied in der NSDAP ge­wor­den wa­ren, und dies, so das Er­geb­nis der Nach­for­schun­gen, mit ih­rem aus­drück­li­chem Wunsch, da es kei­ne »au­to­ma­ti­schen« Par­tei­mit­glied­schaf­ten gab. Aber die­se Men­schen wur­den nach 1945 zu Säu­len der neu­en, de­mo­kra­ti­schen und plu­ra­li­sti­schen Bun­des­re­pu­blik. Her­wig woll­te nicht die Le­bens­lei­stung die­ser Leu­te dif­fa­mie­ren. Es ging um die Su­che nach der Er­klä­rung der Ver­wand­lung von ver­blen­de­ten Na­zi-An­hän­gern zu De­mo­kra­ten. Ei­ne an­de­re Me­ta­mor­pho­se er­leb­te er bei der Pi­cas­so-Ge­lieb­ten Fran­çoi­se Gi­lot, die sich ir­gend­wann dem ver­meint­li­chen Ge­nie als blo­ße Ge­spie­lin ver­wei­gert hat­te, ih­ren ei­ge­nen Weg ging und ei­ne an­ge­se­he­ne Ma­le­rin wur­de – trotz al­ler An­fech­tun­gen und Ran­kü­ne aus dem Be­trieb. Ei­ni­ge Jah­re spä­ter kon­zi­pier­te Her­wig ei­nen wun­der­ba­ren Pod­cast über die so­ge­nann­ten Hit­ler-Ta­ge­bü­cher. Der Ver­wand­lungs­künst­ler hieß dies­mal Kon­rad Ku­jau, der sich als ima­gi­nä­rer Adolf Hit­ler in ei­ne Art Rausch ge­schrie­ben hat­te. Auf­klä­re­risch woll­te die­ser Be­trü­ger nicht wir­ken, son­dern nur sein Ver­mö­gen auf­bes­sern. 2021 ent­deck­te Her­wig die Ver­zau­be­run­gen des »Gro­ßen Ka­l­a­nag« ali­as Hel­mut Schrei­ber, ei­nes Ma­gi­ers, der nicht nur die Va­rie­tés in Eu­ro­pa und Ame­ri­ka, son­dern auch sei­ne Na­zi-Sym­pa­thie als Al­lein­un­ter­hal­ter bei der Fa­mi­lie Gö­ring Weih­nach­ten 1938 »ver­wan­del­te«.

Nun al­so der Frau­ense­ri­en­mör­der Jack Un­ter­we­ger. 2022 re­cher­chier­te Her­wig für den ins­ge­samt sechs­stün­di­gen Pod­cast »Jack. Gier frisst Schön­hei­ten«. Auch hier be­ließ er es nicht bei den üb­li­chen Er­klä­run­gen, die man in je­der True-Crime-Do­ku zu hö­ren be­kommt. Her­wig be­such­te die Hei­mat­keu­sche Un­ter­we­gers in Kärn­ten, fand Zeu­gin­nen, die ihn kann­ten, mit ihm als Kind zu­sam­men­leb­ten. Er zi­tiert aus Brie­fen, Ta­ge­buch­auf­zeich­nun­gen, Un­ter­we­gers »Ge­dich­ten« (die zu­meist Pla­gia­te sind), sei­nem ge­fei­er­ten Ro­man Fe­ge­feu­er und den an­de­ren, we­ni­ger bril­lan­ten Bü­chern, die da­nach ent­stan­den. Es gibt Ori­gi­nal­mit­schnit­te aus In­ter­views mit Un­ter­we­ger, den Re­por­ta­gen und sei­nen Te­le­fon­ge­sprä­chen mit der Ex-Ver­lob­ten. Er be­frag­te ehe­ma­li­ge Ge­lieb­te, Er­mitt­ler, den stell­ver­tre­ten­den Ge­fäng­nis­di­rek­tor, der Un­ter­we­ger im­mer durch­schau­te, des­sen Ur­teil je­doch nie­mand hö­ren woll­te. Bei al­ler Fas­zi­na­ti­on über die Ver­wand­lungs­fä­hig­keit Un­ter­we­gers, wer­den die Ta­ten und de­ren Op­fer nie ver­ges­sen. Vie­les war neu, wie auch El­frie­de Je­lin­eks Sprach­nach­richt, in der sie fast fehlt, her­aus­zu­be­kom­men, wer Fe­ge­feu­er wirk­lich ge­schrie­ben hat.

Wei­ter­le­sen ...

An­drea Gio­ve­ne: Der letz­te San­se­vero

Andrea Giovene: Der letzte Sansevero
An­drea Gio­ve­ne:
Der letz­te San­se­vero

Mit Der letz­te San­se­vero liegt jetzt der fünf­te und letz­te Band der fik­ti­ven Au­to­bio­gra­phie des Giu­lia­no di San­ser­vo des 1995 ver­stor­be­nen ita­lie­ni­schen Au­tors An­drea Gio­ve­ne vor. Es ist der In­itia­ti­ve des Über­set­zers Mos­he Kahn zu ver­dan­ken, dass die­ses be­mer­kens­wer­te li­te­ra­ri­sche Werk im Ga­lia­ni Ver­lag wie­der­auf­ge­legt wur­de.

Der fik­ti­ve Her­zog San­se­vero, 1903 ge­bo­ren, Spross ei­ner nea­po­li­ta­ni­schen Fa­mi­lie, wächst zu­sam­men mit sei­nen Ge­schwi­stern in groß­bür­ger­li­cher At­mo­sphä­re auf. Ei­ne Wand im El­tern­haus zeig­te den im­po­san­ten Stamm­baum des San­se­vero-Ge­schlechts, der bis ins 11. Jahr­hun­dert zu­rück­reich­te. Be­reits im er­sten Band er­in­nert sich der Ich-Er­zäh­ler Giu­lia­no rück­wir­kend an die klei­nen Flecken und Ab­plat­zun­gen am Stamm­baum – sanf­te An­deu­tung für den schlei­chen­den Zer­fall. Mit zehn Jah­ren en­de­te Giu­lia­nos Kind­heit (so der pa­the­ti­sche Be­fund) und er wird in ei­ne Klo­ster­schu­le ver­bracht. Un­nah­bar­keit und Käl­te der El­tern be­stim­men den Le­bens­weg des Jun­gen. Hin­zu kommt, dass sich der Va­ter mit sei­nen Bau­pro­jek­ten mut­maß­lich ver­kal­ku­liert hat­te. Ir­gend­wann müs­sen die so stolz aus­ge­stell­ten An­ti­qui­tä­ten ver­kauft wer­den; es droht der Bank­rott. Ein­zig On­kel Ge­de­one, Staats­an­walt in Nea­pel, wird zum ste­ti­gen mo­ra­li­schen An­ker, Rat­ge­ber und Halt in Giu­lia­nos Le­ben.

Der letz­te Band be­ginnt 1945 und en­det mit dem letz­ten Ein­trag Giu­lia­nos im Sep­tem­ber 1957, we­ni­ge Ta­ge vor sei­nem Tod. In ei­nem kur­zen An­hang wird der Le­ser durch be­hörd­li­che Brie­fe über ei­ni­ge of­fe­ne Fra­gen auf­ge­klärt. So er­fährt man, dass der sechs Jah­re äl­te­re Bru­der Giu­lia­nos, Ferran­te, kurz zu­vor ver­stor­ben war. Da bei­de männ­li­chen Nach­kom­men wie auch die Schwe­stern for­mal kin­der­los blie­ben, ist die Fa­mi­lie nach 900 Jah­ren aus­ge­stor­ben. Die Kin­der­lo­sig­keit wird im Lau­fe des Ro­mans noch ein­mal be­fragt wer­den, frei­lich oh­ne end­gül­ti­gen Be­fund.

Nach den Wir­ren des Krie­ges, die aus­gie­big im vier­ten Band er­zählt wer­den, kommt Giu­lia­no wie fast im­mer eher zu­fäl­lig in ei­ne Po­si­ti­on. Er wird Be­am­ter in ei­nem Mi­ni­ste­ri­um und küm­mert sich um die gro­ße Zahl der Kriegs­flücht­lin­ge im Land. Die Be­hör­de steht un­ter kom­mu­ni­sti­scher Ägi­de, was ir­gend­wann zu Pro­ble­men führt, da Giu­lia­no nicht Mit­glied der Par­tei wer­den möch­te. Hin­zu kommt, dass sei­ne Vor­ge­setz­ten die von ihm er­folg­reich im­ple­men­tier­ten Maß­nah­men für sich be­an­spru­chen. Ge­nau so plötz­lich, wie die­ses Mi­ni­ste­ri­um ent­stand wur­de es auch auf­ge­löst. Giu­lia­no kehrt zum schon ge­brech­li­chen Ge­de­one nach Nea­pel zu­rück und wird dort Re­dak­ti­ons­mit­glied ei­ner neu ge­grün­de­ten Zei­tung. Als im Mai 1949 der ge­lieb­te On­kel stirbt und der Her­aus­ge­ber der Zei­tung in den lo­ka­len Po­lit­sumpf ein­zu­sin­ken droht, ver­lässt er Nea­pel, um in Gua­stal­la so et­was wie sei­ne Me­moi­ren zu ver­fas­sen. Der Le­ser kann sich nun den­ken, dass er die­se Me­moi­ren in den er­sten vier Bän­den ge­le­sen hat.

Wei­ter­le­sen ...

Letz­te Aus­fahrt 2023

Lutz Ra­the­now: Trot­zig lä­cheln und das Welt­all strei­cheln Per Leo: Noch nicht mehr Wolf­gang Her­mann: Der Gar­ten der Zeit Pe­ter Hand­ke: Die Bal­la­de des letz­ten Ga­stes En dé­tail: Lutz Ra­the­now: Trot­zig lä­cheln und das Welt­all strei­cheln Im letz­ten Jahr wur­de der in Je­na ge­bo­re­ne und in­zwi­schen in Ber­lin le­ben­de Lutz Ra­the­now 70 Jah­re alt. Da­zu ...

Wei­ter­le­sen ...

Tom Kri­sten­sen: Ab­sturz

Tom Kristensen: Absturz
Tom Kri­sten­sen: Ab­sturz

Ole Ja­strau ist 34 Jah­re alt, ver­hei­ra­tet mit Jo­han­ne, hat ei­nen drei­jäh­ri­gen Sohn Oluf, lebt in Ko­pen­ha­gen und re­zen­siert dä­nisch­spra­chi­ge Bü­cher beim »Dag­bla­det«. Es ist Früh­jahr 1929, ein Tag vor ei­ner Wahl zum dä­ni­schen Fol­ke­ting. Die Re­zen­si­ons­exem­pla­re sta­peln sich bei ihm in der Woh­nung; er muss le­sen und vor al­lem schrei­ben, kann sich aber nur schwer kon­zen­trie­ren. Plötz­lich klin­gelt es an der Tür. Zu­nächst er­kennt er den »Kom­mu­ni­sten­ben­gel« Bern­hard San­ders nicht, ver­mut­lich, weil er ihn an sei­ne ei­ge­ne po­li­ti­sche Ver­gan­gen­heit er­in­nert. Er ist in Be­glei­tung ei­nes ge­wis­sen Ste­fan Stef­fen­sen, der ei­gent­lich Ste­fa­ni heißt, und der Sohn ei­ner an­ge­se­he­nen Ko­pen­ha­ge­ner Per­sön­lich­keit ist, des Dich­ters und Apo­the­kers H. C. Ste­fa­ni. Auch Stef­fen­sen scheibt Ge­dich­te.

Die bei­den bit­ten um Asyl für ei­ne Nacht, um ei­ne dro­hen­de Haft­stra­fe we­gen Ver­brei­tung ih­rer kom­mu­ni­sti­schen Zeit­schrift nicht ab­sit­zen zu müs­sen. Ih­re Spe­ku­la­ti­on geht da­hin, dass bei ei­nem Wahl­sieg der So­zi­al­de­mo­kra­ten ei­ne all­ge­mei­ne Am­ne­stie für sol­che Fäl­le aus­ge­spro­chen wer­den dürf­te. Die Gä­ste be­die­nen sich ger­ne und las­sen sich noch lie­ber aus­hal­ten. Ja­strau gilt beim blitz­ge­schei­ten San­ders als Re­ne­gat, der sei­ne ein­sti­gen Idea­le ver­ra­ten ha­be und er läßt kei­ne Ge­le­gen­heit aus, ihm dies mit­zu­tei­len. Ne­ben­bei wird das »Dag­bla­det« als »Lü­gen­blatt« be­zeich­net. Jo­han­ne zeigt sich von dem Be­such nicht be­gei­stert. Sie kocht zwar für die bei­den mit, reist dann je­doch mit Oluf zu den El­tern. Ja­strau geht in die Re­dak­ti­on.

Das ist die Aus­gangs­si­tua­ti­on für Ab­sturz, des 1930 erst­mals ver­öf­fent­lich­ten Ro­mans des dä­ni­schen Schrift­stel­lers Tom Kri­sten­sen (1893–1974), den der Gug­golz-Ver­lag in ei­ner neu­en Über­set­zung von Ul­rich Son­nen­berg her­aus­ge­bracht hat. Kri­sten­sen nahm sich auf den 620 Sei­ten Zeit, viel Zeit. Mit gro­ßer Be­hut­sam­keit wird der Le­ser in die Cha­rak­ter­rol­len, Freund- wie Feind­schaf­ten, Rän­ke­spie­le und Ge­heim­nis­se von Jour­na­li­sten und Ko­pen­ha­ge­ner Kul­tur­schicke­ria her­an­ge­führt. Da ist die »Rat­ten­wa­che« zum Bei­spiel, in der nach Fei­er­abend Re­dak­teu­re die Pa­pier­kör­be ih­rer Kol­le­gen aus­lee­ren, zer­ris­se­ne Zet­tel zu­sam­men­set­zen und auf die­se Art zu­erst an In­for­ma­tio­nen über bri­san­te Re­cher­chen kom­men oder Pri­va­tes von ih­ren Kol­le­gen er­fah­ren. Die äl­te­ren Re­dak­teu­re le­ben häu­fig in pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen, sind des­il­lu­sio­niert, dem Al­ko­hol ver­fal­len. Ihr Stamm­lo­kal ist die »Bar des Ar­ti­stes« nebst an­lie­gen­dem Ho­tel, ein Kos­mos, der hin­ter ei­ner schwe­ren, dunk­len Por­tie­re ei­ne an­de­re Welt of­fen­bart, in der die gül­ti­gen Hier­ar­chien und Wert­vor­stel­lun­gen au­ßer Kraft ge­setzt sind. Hier sit­zen nur Män­ner, ei­ni­ge von ih­nen tag­aus, nacht­ein.

Wei­ter­le­sen ...