Stein und Schrift

Die fla­chen Stei­ne spre­chen nicht, sie bil­den kei­ne Zei­chen, aber sie wei­sen. Wo­hin? Zu ei­ner stei­ner­nen Schrift­ta­fel mit ge­mei­ßel­ten Zei­chen. Was ein­mal ge­sagt wer­den soll­te, ist in Stein ge­schrie­ben, da­mit es nicht mehr ver­geht. Nie­mand kann die Form der Bot­schaft, die viel­leicht schon ver­gan­gen ist, weil nicht mehr ent­schlüs­sel­bar oder un­be­deu­tend ge­wor­den, ge­gen­stands­los, der Emp­fän­ger ...

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My­thos und Öko­no­mie

Wie alt mag sie wohl sein? Die Zahl Hun­dert ist für uns, die wir so weit da­von ent­fernt le­ben, wie ein Tor zu ei­ner my­thi­schen Land­schaft. Et­wa so, als müß­te man, wenn man da ein­mal durch ist, nicht mehr ster­ben. Un­ter dem dün­nen ka­sta­ni­en­far­be­nen Haar der klei­nen, bucke­li­gen Frau scheint die wei­ße Kopf­haut durch. Ih­re ...

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Zick­zack

Ein Brumm­ge­räusch wie von ei­nem un­sicht­ba­ren Bom­ber hoch oben in den Lüf­ten. Der Brum­mer wird sicht­bar, kommt ins Bild, in den Raum, nä­hert sich dem Kör­per des sit­zen­den Man­nes, sei­ner un­ge­schütz­ten Haut. Ha­stig greift er nach sei­ner Jacke, zieht sie über sei­nen Kopf, sei­nen Nacken. Die Hor­nis­se be­rührt sei­ne jetzt ge­schütz­te Schul­ter, sie ist et­wa ...

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Hell-Dun­kel (8 Uhr 15)

In der Schu­le wur­de den Kin­dern ein Film über den Atom­bom­ben­ab­wurf und sei­ne Fol­gen ge­zeigt. Die Leh­re­rin mein­te, es sei not­wen­dig, daß sie das sä­hen, da­mit je­der von ih­nen ver­ste­he, dass Krieg et­was Schreck­li­ches sei. Die Leh­re­rin wein­te am En­de; die Kin­der nicht, au­ßer ei­nem Jun­gen, der nur ein biß­chen wein­te. Ei­ni­ge hat­ten beim Se­hen ...

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Ge­denk­tag

Heu­te sit­ze ich auf drei ho­ri­zon­tal ne­ben­ein­an­der lie­gen­den lan­gen, kräf­ti­gen, grau­en und trocke­nen Bam­bus­stäm­men. Hin­ter der Haupt­hüt­te des Schreins hat man sie auf zwei Gra­nit­stei­ne ge­stützt, die sich in der Nä­he ih­rer glatt ge­schnit­te­nen En­den be­fin­den, so daß ei­ne lan­ge, freie Mit­te ent­steht (die auch bei star­ker Be­la­stung nicht durch­hängt). Die Stäm­me sind ge­nau so ...

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Moos auf den Stei­nen

Moos auf den Stei­nen, das Buch die­ses Ti­tels stand vie­le Jah­re in mei­nem Bü­cher­re­gal, aber ge­le­sen ha­be ich es nie. Da­bei stell­te ich mir vor, der Ver­fas­ser ge­hö­re zu mei­nen Ah­nen; fast so, als könn­te ich oh­ne ihn, oh­ne die Lek­tü­re sei­nes Buchs über­haupt nie et­was schrei­ben (und wie lan­ge ha­be ich nichts ge­schrie­ben, nach­dem ...

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Ka­ka­ni­en ist ab­ge­sackt

Ich blick­te vom Buch auf, um mir ein poe­ti­sches Bild aus den Fleurs du mal vor Au­gen zu füh­ren (sto­isch und oh­ne zu kla­gen ge­hen Müt­ter durch das Cha­os der wim­meln­den Städ­te) als vom Platz her durch das som­mer­abend­li­che Fen­ster ein fer­nes Stim­mens­ir­ren zu schwel­len be­gann. Vö­gel, dach­te ich zu­erst, Am­seln, ein ver­irr­ter, ver­wirr­ter Schwarm... Dann fiel mir ein, daß es da drau­ßen nur noch Spat­zen gab. Und Krä­hen, die sich im Som­mer ver­zo­gen. Aber jetzt knack­te und knarr­te es schon im Luft­ge­fü­ge. Das Sir­ren kam nä­her und ver­wan­del­te sich in ein mensch­lich-weib­li­ches Krei­schen. Ich stand auf, schob mei­ne Sil­hou­et­te in den Fen­ster­rah­men. Der Lin­den­baum ruh­te wind­still in sei­nem stau­bi­gen Grün. Zwi­schen sei­nen Wur­zeln ni­ste­ten die Au­tos der An­rai­ner. Ei­ne un­glaub­lich dicke Frau wat­schel­te auf den Kin­der­spiel­platz zu, in ei­nem fort Flü­che und Be­schimp­fun­gen aus­sto­ßend, die ziel­si­cher auf ein Mäd­chen am Rand des Sand­ka­stens zu­flo­gen. Die­se dicke Frau, jün­ger, als ich beim er­sten An­blick dach­te, noch nicht drei­ßig, stieß mit dem Bauch ge­gen die nied­ri­ge Um­zäu­nung. Das Git­ter hielt ih­ren mas­si­gen Kör­per zu­rück, wäh­rend ihr Ge­kreisch an­schwoll und an­schwoll. Von dem, was sie schrie, ver­stand ich nichts au­ßer zwei Wör­tern, die sie wie ei­nen Re­frain wie­der­hol­te, wäh­rend ein hel­les Glöck­chen an ih­rer Hand­ta­sche den Rhyth­mus be­ton­te: »...tür­ki­sche Fut, du tür­ki­sche Fut...«

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War­um ich kei­ne Li­te­ra­tur­kri­tik mehr schrei­be

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Daß ich über­haupt Li­te­ra­tur­kri­tik ge­schrie­ben und ver­öf­fent­licht ha­be, liegt dar­an, daß ich als jun­ger Mann auf den Be­sitz von Bü­chern ver­ses­sen war, aber nicht ge­nug Geld hat­te, mir wel­che zu kau­fen. Als Re­zen­sent hat man ein Recht auf sein Re­zen­si­ons­exem­plar, man läßt sich nicht mit lo­sen Druck­fah­nen ab­spei­sen. Spä­ter dann, als ich nach Ar­gen­ti­ni­en und von dort nach Ja­pan ging, trenn­te ich mich von mei­ner mitt­ler­wei­le statt­li­chen Bi­blio­thek. Schon vor­her wa­ren mir die Bü­cher mehr und mehr zur Last ge­wor­den: die Woh­nung ver­staub­te, und es wur­de im­mer schwie­ri­ger, ei­ne Ord­nung auf­recht­zu­er­hal­ten. Ich sag­te mir, das We­sent­li­che die­ser Ge­brauchs­ge­gen­stän­de, ih­ren In­halt so­zu­sa­gen, hät­te ich oh­ne­hin in mei­nem Kopf ge­spei­chert, und so ver­kauf­te ich die ge­sam­te Bi­blio­thek zu ei­nem Spott­preis (ab­ge­se­hen von ei­ni­gen Aus­nah­men wie der Plé­ia­de-Werk­aus­ga­be von Bor­ges). Ich fühl­te mich er­leich­tert und ha­be die­sen Schritt nie be­reut.

Mit mei­ner kri­ti­schen Tä­tig­keit fuhr ich fort, aus Träg­heit und an­hal­ten­der Neu­gier. Hat­te ich die Bü­cher ge­le­sen, ver­schenk­te ich sie oder ließ sie ir­gend­wo zu­rück. Das di­gi­ta­le Zeit­al­ter hat­te in­zwi­schen be­gon­nen, und ich war froh, daß mir die Ver­la­ge pdf-Da­tei­en schick­ten an­stel­le von Bü­cher­pa­ke­ten. Sie ta­ten es an­fangs mit ei­nem ge­wis­sen Miß­trau­en, ganz so, als kön­ne man mit di­gi­ta­lem Gut mehr Schind­lu­der trei­ben als mit ana­lo­gem. Daß ich auf die Zu­sen­dung ei­nes »ech­ten« Buchs ver­zich­te­te, ver­stan­den sie nicht; hart­näckig schick­ten sie mir das Re­zen­si­ons­exem­plar, das mir zu­stand.

Ei­gent­lich woll­te ich im­mer schon Schrift­stel­ler wer­den, aber es man­gel­te mir am nö­ti­gen Selbst­be­wußt­sein. So war ich über­rascht und glück­lich, als mir ge­gen En­de mei­nes Stu­di­ums, als ich no­lens vo­lens ir­gend­wel­che be­ruf­li­chen Schrit­te un­ter­neh­men muß­te, wo­zu ich gänz­lich un­fä­hig war, der Lei­ter ei­ner Li­te­ra­tur­sen­dung im Ra­dio auf mei­ne An­fra­ge zu­rück­schrieb, er wol­le mich un­ter sei­ne frei­en Mit­ar­bei­ter auf­neh­men. Kurz dar­auf er­gab sich für mich, nach­dem zwei an­de­re Be­wer­ber ab­ge­sagt hat­ten, die Mög­lichkeit, als Lek­tor an ei­ne Uni­ver­si­tät nach Frank­reich zu ge­hen, und ich ließ sie nicht ver­strei­chen. Erst ei­ni­ge Jah­re spä­ter, als ich im­mer­hin schon ei­nen Ro­man in der Schub­la­de hat­te und ein we­nig aus dem Fran­zö­si­schen über­setz­te, be­gann ich wirk­lich, Li­te­ra­tur­kri­tik zu schrei­ben, aus dem ein­gangs er­wähn­ten Grund, denn mein Brot­be­ruf war nie be­son­ders ein­träg­lich. Da­mals ging man noch per­sön­lich in Re­dak­tio­nen, um Text zu lie­fern, an­fangs tat­säch­lich noch auf Pa­pier, dann auf ei­ner Dis­ket­te, die ich in ei­nen Schlitz am Haupt­com­pu­ter der Zei­tung, für die ich schrieb, stecken muß­te.

Der zu­stän­di­ge Re­dak­teur frag­te mich da­mals, was ich sonst so tä­te. Ich wuß­te kei­ne rech­te Ant­wort, von mei­nen Schub­la­den woll­te ich nicht er­zäh­len, und so lau­te­te der Kom­men­tar des Re­dak­teurs zu mei­nem Ge­stot­ter: »Aber vom Ar­ti­kel­schrei­ben kann man doch nicht le­ben.« Dan­ke für die Aus­kunft, dach­te ich und war zu per­plex, um zu ant­worten. Auf die Idee, mir ir­gend­wel­che Hin­wei­se, ei­ne klei­ne Hand­rei­chung zu ge­ben, kam der Mann nicht. Um­ge­kehrt kam ich nicht auf die Idee, die mir auf ab­strak­ter Ebe­ne durch­aus be­kannt war, daß man näm­lich sei­ne Ell­bo­gen ein­set­zen muß, um sich im Me­di­en­be­trieb ein sei es auch noch so klei­nes Plätz­chen zu ver­schaf­fen (im Literatur­betrieb gilt das­sel­be, auch un­ter Über­set­zern). Bei der Wo­chen­end­bei­la­ge der­sel­ben Ta­ges­zei­tung be­kam ich nach an­nä­hernd zehn Jah­ren frei­er Mit­ar­beit Schwie­rig­kei­ten, weil ich in an­de­ren Or­ga­nen zu ver­öf­fent­li­chen be­gon­nen hat­te. Man er­war­te­te von uns Schrei­ber­lin­gen, daß wir dem Blatt treu blie­ben – so sah die Frei­heit aus. Aus­nah­men wur­den bei so­ge­nann­ten Be­rühmt­hei­ten ge­macht, die durf­ten ver­öf­fent­li­chen, wo sie woll­ten.

Die­se Ge­schich­ten spie­len in Öster­reich, ei­nem en­gen Länd­chen mit so­ge­nann­ter Pres­se­kon­zen­tra­ti­on, wo Ei­fer­süch­te­lei­en und Miß­trau­en gang und gä­be wa­ren. An­de­rer­seits: Vom Ar­ti­kel­schrei­ben kann man nicht le­ben – vor al­lem nicht, wenn man nur für ein Or­gan schreibt. Ich ver­such­te zu wech­seln, was mir auch nicht recht ge­lin­gen woll­te, und war froh, als sich die Mög­lich­keit er­gab, re­gel­mä­ßig für ei­ne Schwei­zer Zei­tung zu schrei­ben, die über sol­chen Klein­kram er­ha­ben war und ist, ob­wohl ja auch die Schweiz, nach dem Be­kun­den ei­ni­ger von dort stam­men­der Au­toren, ein en­ges Länd­chen ist: wahr­schein­lich doch, trotz der ver­bin­den­den Al­pen, mit et­was wei­te­rem Ho­ri­zont.

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