Hell-Dun­kel (8 Uhr 15)

In der Schu­le wur­de den Kin­dern ein Film über den Atom­bom­ben­ab­wurf und sei­ne Fol­gen ge­zeigt. Die Leh­re­rin mein­te, es sei not­wen­dig, daß sie das sä­hen, da­mit je­der von ih­nen ver­ste­he, dass Krieg et­was Schreck­li­ches sei. Die Leh­re­rin wein­te am En­de; die Kin­der nicht, au­ßer ei­nem Jun­gen, der nur ein biß­chen wein­te. Ei­ni­ge hat­ten beim Se­hen Angst, an­de­re nicht oder kaum. Von Yu­ya-kun ist in der Schu­le nicht ge­spro­chen wor­den.

Mei­ne Toch­ter hat die Angst nach Hau­se ge­tra­gen. Am mei­sten be­ein­druckt ha­ben sie Sze­nen, in de­nen Strah­len­op­fer ih­re Au­gen ver­lie­ren. Am Abend vor dem Ein­schla­fen frag­te sie mich mehr­mals, ob ich noch Au­gen ha­be. Mit den Fin­gern be­ta­ste­te sie die Aug­äp­fel un­ter den Li­dern.

Am 6. Au­gust muß ich um 8 Uhr 15 bei ihr sein. Im Knie­sitz, auf den ei­ge­nen Fer­sen, ver­har­ren wir mit ge­schlos­se­nen Au­gen auf dem Fu­ton, aus dem Tran­si­stor­ra­dio kommt trau­ri­ge Strei­cher­mu­sik. Auch ih­re Mut­ter, mei­ne Frau, ist bei uns, wir ge­hö­ren zu­sam­men. Drei Sit­zen­de mit ge­schlos­se­nen Au­gen, ge­senk­tem Kopf. Wir den­ken an die To­ten, das ist un­ser Vor­satz, aber ich den­ke an den Raum, se­he den Raum über der Stadt, ein ab­strak­tes Bild. Spü­re das Dun­kel rechts, die Hel­le links, das Hell-Dun­kel vor mir. Auch das Ge­den­ken, über die Jah­re hin­weg, ist hier be­harr­lich.

© Leo­pold Fe­der­mair

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