Bret Easton Ellis ist im deutschsprachigen Raum vor allem durch seinen Roman American Psycho bekannt, teilweise berühmt, mitunter auch berüchtigt geworden. Vermutlich würde man den Roman allerdings ohne die Indizierung (die Jahre nach seiner Veröffentlichung in Deutschland 1991 erfolgte), den hieraus anschließenden Rechtsstreit und die Wiederzulassung 2001, vermutlich weit weniger rezipiert haben. So umgab ihn lange eine Aura des Verbotenen.
Die Geschichte dürfte weitgehend bekannt sein: Aus Ich-Perspektive erzählt der New-Yorker-Wallstreet-Yuppie Patrick Bateman von seinem luxuriösen Leben, seinen Restaurant‑, Club- und Konzertbesuchen, schildert detailliert die verwendeten Marken seiner Kleidung, Körperpflegeprodukte und Automobilisierung und kommentiert die Marken, die seine Bekannten und Kollegen verwenden. Die Eintönigkeit seines Lebens wird durch Sex, exzessiven Drogenkonsum aber vor allem gelegentliche Frauenmorde und entsprechenden Massakrierungen der Leichen durchbrochen.
American Psycho konnte durch ein raffiniertes Zeichenspiel des Autors als eine Art US-amerikanisches Gesellschaftsbild der Post-Reagan-Jahre gelesen werden, als eine Bilanz eines moralisch derangierten, hedonistisch-kapitalistischen Landes. Später erschienen einigen die Stellen im Roman über Donald Trump als prophetisch. Ellis’ Manie, den Markenfetischismus seines Protagonisten auszubreiten, wurde von Autoren übernommen und galt lange als ein Clou postavantgardistischer Charakterdarstellung (und sorgte für ein Revival des Begriffs »Pop-Roman«). ¬
Obwohl nach American Psycho weitere Prosa von Ellis erschienen war, weckt jetzt der neue Roman The Shards (etwa: Die Scherben) zum ersten Mal wieder ein umfassendes Interesse im Feuilleton. Der Roman wurde von Stephan Kleiner übersetzt. Somit hat man für die neunte Publikation von Bret Easton Ellis in deutscher Sprache den siebten Übersetzer (Drechsler und Hellmann als Einheit gezählt).
Die Reaktionen hier waren in den letzten Monaten trotz etlicher »Textlieferungen« mehr als bescheiden. Ein, zwei Kommentatoren, die sich ab und zu einmal die Mühe machten. Und ab und zu russische Bots. Viele derer, die hier früher für Belebung sorgten – sie sind im virtuellen Nirwana verschwunden. Klar, Zeiten ändern sich. Zugangsweisen auch. Recht so. ...
9. November 2020. Deutschland steht vor einem neuen, womöglich »harten« Lockdown und in den USA wurde gerade ein neuer Präsident gewählt. Kurt Siebenstädter ist 51 Jahre alt, lebt in Berlin und moderiert dort eine politische Radiosendung eines öffentlich-rechtlichen Senders am frühen Morgen. Seine Ehefrau Irene ist Lehrerin, 13 Jahre jünger (die Tochter Nora ist ebenso alt). Das ist das Setting in Christoph Peters’ neuem Roman »Der Sandkasten«.
Siebenstädter sieht seine journalistische Pflicht darin, allen Protagonisten die gleichgroße Distanz entgegenzubringen. Er bezeichnet sich als Skeptiker, widerspricht aus Prinzip, weil »erst aus der Kontroverse Erkenntnisgewinn entsteht«. Er ist ein Verfechter eines breiten Meinungsspektrums, und versucht gleichzeitig »Phrasendrescher, aalglatte Verbandssprecher, schmierige Sportfunktionäre mit Hinterhalten, Provokationen aus der Reserve zu locken, ihnen klare, am besten entlarvende Antworten zu brennenden, heiklen oder auch einfach belanglosen Themen zu entlocken« und dies unabhängig von zeitgeistabhängigen Moden. Seine Telefoninterviews sind gefürchtet. Wie ein Chamäleon ist er in der Lage, die andere politische Position als die seines jeweiligen Gesprächspartners anzunehmen und in bohrende, mitunter grenzwertige Fragen zu verwandeln.
Es gab immer Gegenwind, Proteste gegen seinen Stil, von allen Seiten, je nachdem, wer sich angegangen fühlte. Aber mit dem Internet hatte dies noch einmal eine andere Dimension angenommen. Er bemerkt aktuell hinsichtlich der Pandemie-Berichterstattung gewisse redaktionelle Zwänge; es »brodelt«. Sein perfekt gendernder Vorgesetzter (der älter ist als er) warnt ihn: »Da sind diverse Leute, die finden, dass du mit deinen Anmoderationen, aber auch bei den Fragen immer häufiger Grenzen überschreitest, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht überschritten werden sollten.« Und »je nachdem, wer wo was aufgreift, bist du innerhalb von zwei, drei Tagen weg vom Fenster.« Siebenstädter hörte dies kurz zuvor auch aus der politischen Ecke.
Er merkt: »Das Ritual war verbraucht, er war verbraucht«. Er hatte längst »sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der amerikanischen Präsidentschaftswahl mit Politikern jedweder Couleur durchgekaut, wie im Übrigen auch jede These hinsichtlich des Coronavirus, es gab keinen Aspekt des Islam, den er nicht mit Dutzenden Gesprächspartnern besprochen hatte, kein Fragepartikel, das er nicht in allen Varianten schon Tausende Male aus seinem eigenen Mund gehört hatte. Ganz gleich, was er sagte, es klang, als äffte er sich selber nach.«
Natürlich ist Siebenstädter in den Berliner Politkosmos eingebunden. Er hat in allen Parteien Politiker, die ihn mit (scheinbaren) Insider-Informationen versorgen – natürlich nicht ohne Hintergedanken. So erhält er von einer Sozialdemokratin die Information, dass der Gesundheitsminister vor seiner Corona-Infektion und vor dem Lockdown ein Spendendinner veranstaltet habe. Dieser Rohstoff müsste recherchiert werden. Aber Siebenstädter ist eher daran interessiert, eine Affäre mit dieser Frau anzufangen, die auch nicht abgeneigt zu sein scheint.
Nachdem der Penguin Verlag in rascher Folge 2021/22 mit »Das verlorene Paradies« und »Ferne Gestade« zwei länger zurückliegende Romane (1994 bzw. 2001) des Nobelpreisträgers Abdulrazak Gurnah in deutscher Sprache publizierte, liegt nun das 2020 in Großbritannien unter dem Titel »Afterlives« erschienene Buch mit dem Titel »Nachleben« vor. Die Übersetzung übernahm diesmal Eva Bonné. Nach Inge Leipold und Thomas Brückner ist dies die dritte Übersetzerin, was natürlich nicht ideal ist. Auf ein Glossar wurde diesmal ebenso verzichtet wie auf ein Nachwort; ersteres ist bedauerlich. Die übliche wie unsinnige Triggerwarnung ist allerdings geblieben.
Der Roman spannt einen zeitlichen Bogen von den 1880ern bis in die 1950er Jahre. Er spielt zumeist im heutigen Tansania, zu Beginn Deutsch-Ostafrika; am Ende wird der Leser noch in die Adenauer-Bundesrepublik geführt. Die personale Erzählperspektive wechselt im Verlauf des Romans mehrmals. Zunächst ist man beim elfjährigen Khalifa, der gute Privatschulen besuchte um Buchführung, Mathematik und Englisch zu erlernen, was dem Vater, einem indischen Emigranten, einst nicht vergönnt war. Die Ausbildung fruchtete. Khalifa arbeitete zunächst zehn Jahre bei Geldverleihern, bis er dann ein Angebot von einem Kaufmann erhielt und dort als Buchhalter und Faktotum begann. Sein Chef war es auch, der ihn mit Asha verkuppelte, einer Schwester der Mutter des Kaufmanns. Asha wird als »energische und eigensinnige« Frau beschrieben, die 11 Jahre jünger war. Sie heirateten 1907, als der »Maji-Maji«-Aufstand »in den letzten Zügen« lag.
Dieser wurde von den Deutschen niedergeschlagen und »je klarer das Ausmaß des Widerstands gegen die deutsche Herrschaft wurde, desto brutaler und unbarmherziger fiel die Reaktion der Kolonialmacht aus. Als die deutschen Kommandanten erkannten, dass der Revolte mit militärischen Mitteln allein nicht beizukommen war, gingen sie dazu über, die Bevölkerung durch Hunger zu unterwerfen.« Hundertausende starben, aber Khalifa und Asha lebten in einem anderen Teil des Landes; sie erfuhren nur durch Hörensagen davon.
Stattdessen kam ein junger Mann mit dem Namen Ilyas in die (fiktive) Stadt – mit einem Empfehlungsschreiben der deutschen Besatzung, die es ihm ermöglichte, eine gute Stelle in einer Fabrik zu finden. Er freundete sich mit Khalifa an und als Ilyas seine Eltern nach langer Zeit wieder besuchte und nur noch die kleine Afiya, seine Schwester, antraf, nahm er sie mit in die Stadt. Die Jahre vergingen und der Erste Weltkrieg warf seine Schatten voraus. Es drohte ein Krieg zwischen Deutschland und den Briten. Ilyas war germanophil und meldete sich freiwillig zu den Askari, den Hilfstruppen der Deutschen, die aus Einheimischen bestanden und zu großer Brutalität neigten. Khalifa wollte ihn zum Bleiben überzeugen, aber Ilyas ging zur Ausbildung nach Daressalam. Wie damals üblich, rechnete er mit baldiger Rückkehr.
Den Einblick in den deutsch-britischen Krieg in Ostafrika bekommt der Leser durch die Figur Hamza, die nun zur Hauptfigur wird. Auch Hamza (um die Jahrhundertwende geboren) meldete sich freiwillig in die Askari-»Schutztruppe«, und manipulierte sogar sein Alter, um aufgenommen zu werden. Sehr schnell desillusioniert ob des rauen Umgangs dort, hatte er noch Glück im Unglück, weil ihn ein deutscher Oberleutnant als Ordonnanz auswählte. Später kommen wohl noch andere, homoerotische Motive dazu. Hamza bekam Privatunterricht vom Offizier, er lernte lesen, schreiben und die deutsche Sprache. Ziel war es, dass Hamza irgendwann Schiller lesen sollte. Zunächst konnten die Deutschen die Briten noch schlagen, es gab Angriffe, Überrumpelungen und dann wieder Rückzüge. Aber irgendwann war die Schutztruppe am Ende, viele wurden krank. »Sie ernährten sich von dem, was sie in Dörfern und auf Farmen fanden, sie plünderten und sie beschlagnahmten, so viel sie konnten.« Sie »hinterließen ein verwüstetes Land, auf dem Hunderttausende Menschen hungerten und starben, während sie selbst immer weiter in blindem und mörderischem Eifer für eine Sache kämpften, deren Hintergrund sie nicht kannten, die vergeblich war und letztlich auf ihre eigene Unterdrückung hinwirkte.« Aber, so die sarkastische Sentenz, die deutschen Offiziere »sorgten derweil für die Wahrung des europäischen Ansehens.« Hamzas Einheit war irgendwann am Ende; viele Askari desertierten. In blindwütigem Hass verletzte ein eifer- und tobsüchtiger Feldwebel Hamza schwer. Der wurde in eine deutsche Missionsstation gebracht, die den Krieg überstand. Nach vielen Monaten machte sich Hamza immer noch stark beeinträchtigt durch seine Verwundung an der Hüfte auf den Weg in die Stadt, auf der Suche nach dem Haus, in dem er verschleppt worden war, bevor er sich der Askari-Truppe angeschlossen hatte.
Andrea Giovene: Die Autobiographie des Giuliano di San Severo – Ein junger Herr aus Neapel
Es ist natürlich ein verlegerisches Wagnis, diese fünf autobiographischen Bücher der fiktiven Figur Giuliano di Sansevero, erschaffen von Andrea Giovene, bis Ende 2023 erstmalig vollständig in deutscher Übersetzung vorzulegen. Ein Risiko deshalb, weil Duktus und Stil des 1904 geborenen Italieners (1995 verstorben) so gar nicht in die Zeit zu passen scheinen, in der die zeitgenössische Literatur mit Weltschmerz- und/oder Identitätsfragen derart ausgiebig beschäftigt ist.
Dass es dazu kommen wird, ist wohl der Hartnäckigkeit und dem Enthusiasmus des Übersetzers Moshe Kahn zu danken. Die ersten beiden Bände der »Autobiographie des Giuliano di Sansevero« – »Ein junger Herr aus Neapel« (Band 1) und »Die Jahre zwischen Gut und Böse« (Band 2) – liegen jetzt vor. Die drei anderen Bücher sollen im Laufe des Jahres 2023 erscheinen. Zur Einstimmung des Lesers zeigen die Cover kongeniale Gemälde des italienischen Malers Felice Casorati (1883–1963). So könnte das »Portrait des Ingenieurs« (entstanden 1924/25; Umschlag von Band 1) die Titelfigur Giuliano darstellen, der, nach dem Wunsch des Vaters, Ingenieurswesen studieren sollte. Die portraitierte Frau auf Band 2 (»Raja«, 1925) könnte einer der Liebschaften gewesen sein.
Im ersten Band gibt Ulrike Voswinkel im Nachwort einen kundigen Überblick über Genese und Rezeption der zwischen 1966 und 1970 in Italien erschienenen Bücher. Den zweiten Band ließ Giovene auf eigene Kosten drucken und schickte ihn an Kritiker, Verlage und Agenten. Eine begeisterte Rezension verhalf ihm 1970 zu einem Preis, bevor dann der revolutionär-progressive Zeitgeist Giovenes Ästhetik widersprach und die Rezeption stockte. Voswinkel schreibt, dass Giovene für den Nobelpreis vorgeschlagen worden wäre. Auf der Webseite der Akademie gibt es allerdings keinen Eintrag zu ihm; vermutlich war die empfehlende Person nicht um Umfeld des Komitees.
Die »Autobiographie« beginnt 1912 in Neapel. Giuliano der Ich-Erzähler, der mit dem Wissen der Ereignisse fast immer chronologisch erzählt (gelegentliches Aufzeigen von Entwicklungen zwanzig oder dreißig Jahre später sind selten), ist neun Jahre alt. Seine drei Jahre jüngere Schwester Checchina ist sein Spielkamerad. Ältere Geschwister sind Cristina, 16 und Ferrante, 15. Giuliano und Checchina starren in einer Mischung aus Ehrfurcht und Beklommenheit auf den an einer Wand im Salon üppig aufgezeichneten Stammbaum der »launenhaften Familienzweige«, die bis ins 11. Jahrhundert zurück reichen. Aber bei aller Überwältigung gab es durch Feuchtigkeit in den Wänden erste Flecken und sogar kleinere Abplatzungen am Stammbaum – subtile Zeichen für den beginnenden Zerfall der alten Ordnung, aber noch »rollte die langsame Pferdedroschke weiter« und auch »das goldene Zeitalter der Kirche« hatte noch Bestand. Erst nachträglich werden aus Prozessen die Zäsuren deutlich.
Wer sich auch nur ein bisschen mit den Regularien multinationaler Sportkonzerne wie UEFA, FIFA oder IOC auskennt, war wohl nicht überrascht, als es vor ein paar Tagen hieß, dass die sogenannte »One-Love-Binde«, mit der mehrere nationale Fußballverbände Europas ihre Mannschaftskapitänen zum Zeichen von – ja was denn eigentlich? – auflaufen lassen wollten, nicht gestattet ist. Sie verstößt gegen die in den Verträgen genannten Kleidungsvorschriften – ein Tatbestand, den man sich hätte schon vorher klarmachen können, sofern man des Lesens kundig gewesen wäre.
Es ist eine Binsenweisheit: Die oben genannten Konzerne (nicht: Sportverbände!) tun alles, um die absolute Kontrolle über die jeweilige Veranstaltung zu gewinnen. Das geht vom Abkleben falscher Sponsoren auf T‑Shirts über Markenschutz für bestimmte Wettbewerbsslogans bis hin zu Kleidervorschriften der Mannschaften, die selbst im Training nicht frei wählbar ist. Wohl gemerkt: Dies sind alles Dinge, die mit dem eigentlichen Spiel, dem Fußball, und deren Regeln, nichts zu tun haben. Die Kontrolle dient nur einem Ziel: einen möglichst reibungslosen, für die teuer zahlenden Sponsoren und die Konzerne selber lukrativen Verlauf der Veranstaltung zu garantieren. Der Veranstalter vor Ort bleibt dabei sinnigerweise auf seinen Kosten meist sitzen; er bekommt nur Bruchteile der erwirtschafteten Gewinne. Katar ist das egal. Sie sollen 220 Milliarden US-Dollar ausgegeben haben. Pro zu erwartender Fußballminute wäre dies 3,8 Millionen Dollar. Vielleicht wird deswegen auch so lange nachgespielt, um den Preis pro Minute ein bisschen zu drücken.
Eine weitere Folge dieser Vereinbarung: Die Fußballstadien und alle Orte, die mit dem Wettbewerb zu tun haben (Trainingsplätze, Pressecenter, Quartiere) werden zu exterritorialen Zonen, ähnlich wie diplomatische Vertretungen in anderen Ländern. Diese Zonen sind für die Dauer des Wettbewerbs der Kontrolle des Staatsgebiets des Veranstalters entzogen. Sie werden zu FIFA-Land.
Das ist bei der WM in Katar nicht anders als bei den Austragungsorten zuvor. Umso überraschter muss man jetzt sein, dass die FIFA die sozialen und gesellschaftlichen Normen des Gastgeberlandes für absolut erklärt zu haben scheint. Sie bestehen z. B. in Alkoholverboten im Stadion, aber auch in spürbaren Einschränkungen der journalistischen Berichterstattung vor Ort. Der größte Dissens besteht jedoch im Verbot der in den letzten Jahren üblich gewordenen Bekenntnismanie sei es gegen Rassismus und Diskriminierung und, vor allem, um sexuelle Freizügigkeit und Rechte der »LGBTQIA+«-Personen.
Da hat jemand in einem Zimmer sitzend eine Frage aufgeschrieben und zweihundertachtundfünfzig Menschen befragt, wann sie zum letzten Mal »gute« Literatur gelesen haben und darüber sollten diese Menschen ein, zwei Sätze schreiben (oder fünf Zeilen?) aber manche schreiben mehr, eigentlich alle, so ist das eben mit den Intellektuellen, sie halten sich an Nichts. Da ist ...
Gabriele Riedle: In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg.
In Nicolas Borns Roman »Die Fälschung« von 1979 sitzt der Reporter Laschen, der vom libanesischen Bürgerkrieg berichtet, täglich zusammen mit anderen Journalisten in einem Hotel und sortiert die jeweiligen Pressemitteilungen der Kriegsparteien. Der Publikationsdruck zwingt ihn Propagandamaterial zu lesen, Fotos zu machen, Interviews zu führen, unzuverlässige Augenzeugen zu befragen. Für Ortstermine außerhalb des Schutzraums Hotel sind die Journalisten auf zuverlässige Übersetzer und vor allem das Goodwill der jeweiligen Warlords und deren Schutz angewiesen. Dabei weiß Laschen, dass er immer droht, von einer Seite vereinnahmt zu werden und doch versucht er, so etwas wie die Wirklichkeit einzufangen.
Joris Luyendijk, Arabist und Korrespondent des niederländischen Fernsehens von 1998 bis 2003, beschrieb 2007 in seinem Buch »Wie im echten Leben« desillusioniert die Unmöglichkeit einer auch nur halbwegs objektiven Berichterstattung. Der Reporter würde zerrieben zwischen der Propaganda der unterschiedlichen Parteien. Von seinen Auftraggebern blieb immer weniger Raum für die ausführliche Darstellung von Konfliktlinien; es galt, die schnelle, knallige Schlagzeile zu liefern. Komplexe Sachverhalte werden eingedampft. Die Entscheidung, was gesendet, was wie gedruckt wird, treffen andere.