In der vergangenen Woche gab es im Feuilleton der ZEIT ein Stürmchen im Latte-macchiato-Glas. Florian Kessler, freier Autor und Journalist, beklagt, dass sich die deutsche (sic!) Gegenwartsliteratur fast nur aus Akademikerhaushalten rekrutiert, was naturgemäss Auswirkungen auf die Literatur selbst habe. Dies gelte sowohl für die Schreibenden wie für das Rezeptions‑, Preis- und Funktionärswesen des Betriebs. Salopp gesagt: Akademikersöhne und –töchter schreiben wie Akademikerväter und –mütter dies schon immer gewollt haben. Alles andere, abseitige, proletarische (dieses Wort fehlt, wird aber suggeriert) habe keine Chance. Um seinen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, versucht er es mit einer guten Portion Selbstironie. Zum einen beschreibt er durchaus humorig, wie er selber in den Betrieb eingedrungen ist (die Brille!), zum anderen »outet« er sich (!) selber als Professorensohn (ich habe dieses »oder auch ich« tatsächlich zwei Mal überlesen). Selbstbezichtigung zur rechten Zeit ist ja aus diversen Revolutionen bekannt, kostet aber heute noch nicht einmal mehr den Kopf.
Kessler findet in Enno Stahl in der taz einen Fürsprecher. Stahl ist seit Jahren Pfahl im Fleisch der Literaturkritik (naja, jenseits der bürgerlichen Zeitungen). Unlängst ist seine Aufsatzsammlung »Diskurspogo« erschienen. Sein Programm lässt sich – mit seinen eigenen Worten – ungefähr so zusammenfassen: »Die idealistisch-romantische Perspektive auf künstlerische Elaborate, die – speziell im Feuilleton – unverändert auf die werkimmanente Methode pocht, impliziert ein konkurrierendes Wertungsdispositiv, eines, das meiner Meinung nach im Zeichen der gravierenden Umgestaltungsprozesse der westlich-kapitalistischen Gesellschaftsformation ausgedient hat«. Kurz – und womöglich nicht dialektisch ausgewogen: Literatur muss politisch sein, alles andere ist kapitalistischer Mist.