»Du hast ei­ne gu­te Stim­me« oder: Ver­such wi­der die Hoch­mü­ti­gen

Plä­doy­er für den Le­ser­kri­ti­ker

1968 schreibt der da­mals 25jährige Schrift­stel­ler Pe­ter Hand­ke über Mar­cel Reich-Ra­nicki (#1):

    Reich-Ra­nicki kann man mit Ein­wän­den nicht kom­men: er kennt die al­te List, sich dumm zu stel­len, weil er nicht ar­gu­men­tie­ren kann (und er ist nie fä­hig zu ar­gu­men­tie­ren, er äu­ßert sich nur mit kräf­ti­gem rhe­to­ri­schem Ge­stus). »Ich ge­ste­he«, lei­tet er dann in der Re­gel sei­ne Sät­ze ein. Nach­dem er aber sei­ne Ver­ständ­nis­lo­sig­keit ein­ge­stan­den hat, zieht er über das Nicht­ver­stan­de­ne her.

Schliess­lich bi­lan­ziert er:

    Reich-Ra­nicki stellt sich schon lan­ge kei­ne Fra­gen über sich selbst mehr. Er, der un­wich­tig­ste, am we­nig­sten an­re­gen­de, da­bei am mei­sten selbst­ge­rech­te deut­sche Li­te­ra­tur­kri­ti­ker seit lan­gem, kann frei­lich al­le An­grif­fe mit sei­nem Kom­mu­ni­qué­satz ab­weh­ren: »Ein Li­te­ra­tur­kri­ti­ker, der et­was taugt, ist im­mer ei­ne um­strit­te­ne Fi­gur.« Von mir aus ist Reich-Ra­nicki un­um­strit­ten.

Las­sen wir die Mo­ti­ve, die für die­sen Zor­nes­aus­bruch viel­leicht im Hin­ter­grund lau­er­ten, bei­sei­te. Hand­ke hat die­se Schluss­fol­ge­run­gen, die er nicht nur po­le­misch in den Raum stellt, son­dern durch­aus be­grün­det, viel­leicht be­reut, denn na­tür­lich war Reich-Ra­nicki nach­tra­gend und hat spä­ter kaum ein gu­tes Haar an Hand­kes Pro­sa ge­las­sen. Wer den Un­fehl­bar­keits­nim­bus des be­reits da­mals fast theo­kra­tisch agie­ren­den Reich-Ra­nicki an­zwei­fel­te, wur­de ent­we­der ver­ris­sen, oder – die höch­ste Stra­fe – gar nicht erst be­ach­tet; man galt (und gilt) als Pa­ria (#2). Man hat ge­le­gent­lich den Ein­druck, der­je­ni­ge mit den mei­sten Pa­ria im Gar­ten sei der wir­kungs­mäch­tig­ste und wich­tig­ste Kri­ti­ker.

Angst vor den »Mas­sen«

Aus­ge­rech­net die­se ver­stärkt auf per­sön­li­che Ani­mo­si­tä­ten und äs­the­ti­sche Degener­ationen fi­xier­ten Gross­kri­ti­ker (#3) und de­ren ser­vi­le As­si­sten­ten, die ir­gend­wann das lock­ende Er­be an­tre­ten wol­len, mo­kie­ren sich über die von ih­nen ab­schät­zig als »Lai­en­kri­ti­ker« de­nun­zier­ten Le­ser­kri­ti­ker, die in Blogs oder an­spruchs­vol­len On­line-Li­te­ra­tur­ma­ga­zi­nen Kri­ti­ken ver­öf­fent­li­chen und ih­re Le­se­er­leb­nis­se for­mu­lie­ren. Da­vid Hu­gen­dicks Bei­trag aus der »Zeit« er­scheint in der Text­zei­le nicht mit sei­nem Ti­tel (»Je­der spielt Reich-Ra­nicki«) son­dern mit der rhe­to­risch-ef­fekt­ha­sche­ri­schen Fra­ge »Wie ge­fähr­lich sind Lai­en­kri­ti­ken?« Als wür­den Schar­la­ta­ne ein un­wirk­sa­mes Me­di­ka­ment mas­sen­haft zum Wu­cher­preis ver­kau­fen (»Mil­lio­nen von Lai­en­kri­ti­kern« sieht der Au­tor alar­miert). Fehlt nur noch der Ein­wand, et­li­che Le­ser­kri­ti­ker schrie­ben un­ter »Pseud­onym« – als sei die Li­ste un­ter Pseud­onym schrei­ben­der Schrift­stel­ler (und Kri­ti­ker) nicht im­po­sant ge­nug.

Da wer­den Bei­spie­le dümm­li­cher so­ge­nann­ter Kurz­re­zen­sio­nen an­ge­führt, als sei­en die­se re­prä­sen­ta­tiv. Es wird vom »Kult der Ama­teu­re« ge­dröhnt, gar ein Kul­tur­ver­fall als Mög­lich­keit an­ge­deu­tet. »My­ria­den« von Kurz­re­zen­sio­nen wür­den ein »Parallel­universum« er­ge­ben, al­ler­dings »mei­stens fern der ana­ly­ti­schen Ausein­andersetzung mit Li­te­ra­tur«, wie der Au­tor süf­fi­sant an­merkt, aber im­mer­hin Par­al­le­len zwi­schen der Mei­nungs- und Le­bens­hil­fer­he­to­rik à la Hei­den­reich und die­sen Le­ser­re­zen­sio­nen ent­deckt.

Er ver­gisst, dass bei Hei­den­reich und bei­spiels­wei­se Den­nis Scheck (das ist der Mann, der Bü­cher, die ihm nicht ge­fal­len, ein­fach weg­wirft) in ei­nem fort und bis an die Gren­ze zur Pein­lich­keit Lo­bes­hy­men aus­ge­teilt wer­den, und zwar teil­wei­se für der­art ba­na­les Ge­schrei­be, dass man sich dem Lob des Ver­ris­ses von An­dre­as Öh­ler in die­sem Punkt un­be­dingt an­schlie­ssen muss. Öh­ler kon­sta­tiert ei­ne Nei­gung des heu­ti­gen Kri­ti­kers zum »Al­ler­welts­freund«. Da agier­ten et­li­che »zu­wei­len op­por­tu­ni­stisch als dienst­ba­re Gei­ster des Mark­tes«, statt »ih­ren Geist in den Dienst ei­ner gro­ssen tap­fe­ren Tra­di­ti­on zu stel­len«.

Der vom Li­te­ra­tur­be­trieb un­ab­hän­gi­ge Le­ser­kri­ti­ker ist ei­ne Be­dro­hung

Wel­chen Geist? möch­te man da bö­se fra­gen. Wer für ein neun­zig Se­kun­den Film­chen mit »Tintenherz«-Schöpferin Cor­ne­lia Fun­ke zum small talk nach Los An­ge­les kommt, um ihr ei­nen Le­se­tip zu ent­locken – wie frei ist der nach­her, bei der »Be­spre­chung« der »Spieg­el«-Bestsellerliste die­se Bü­cher durch­fal­len zu las­sen? Sie wer­den es er­ra­ten: Er schmeisst sie na­tür­lich nicht weg. Sei­ne bil­li­ge Er­re­gung gel­ten Leu­ten wie Pau­lo Coel­ho oder Ha­pe Ker­ke­ling. Scheck wirkt wie ein Bo­xer, der als sich als Schwer­ge­wicht ge­ne­riert, aber nur ge­gen Leicht­ge­wicht­ler boxt. Er, der To­ten­grä­ber je­der li­te­ra­tur­äs­the­ti­schen Dis­kus­si­on, de­ge­ne­riert zur Bar­bie­pup­pe des Li­te­ra­tur­kom­mer­zes. (#4)

Fest steht, dass im­mer mehr Le­ser von der durch­weg pas­si­ven Re­zep­ti­on (Le­sen des Bu­ches und der Kritik[en]) ei­ne ak­ti­ve­re (die Kri­tik wird sel­ber ge­schrie­ben) wäh­len. Man kann dies mit dem Auf­kom­men der »Do-It-Yourself«-Bewegung ver­glei­chen, die seiner­zeit eben­falls zu den pat­zig-trot­zi­gen, meist ab­schät­zi­gen Kom­men­ta­ren der betroff­enen Be­rufs­grup­pe führ­ten.

Na­tür­lich sind vie­le der Le­ser­kri­ti­ken schlecht, ober­fläch­lich und teil­wei­se von possier­licher Ah­nungs­lo­sig­keit. Häu­fig wer­den Klap­pen­tex­te zi­tiert (die »Perlentaucher«-Re­zensionssammlungen nach­ah­mend) und dar­un­ter prangt dann »mei­ne Mei­nung« und viel­leicht noch ei­ne Stern­chen- oder Punkt­wer­tung. Dort wird Mei­nung mit Kri­tik ver­wech­selt – ein Feh­ler, der im üb­ri­gen den Mei­nungs­ma­chern, die ih­re Welt­an­schau­ung zu­neh­mend im­mer gleich mit ver­ram­schen, nicht so fremd ist. Und na­tür­lich gibt es den li­te­ra­risch am­bi­tio­nier­ten Dumm­kopf, der zum Bei­spiel die Fi­gu­ren von Ste­fan Zweig blass fin­det und dem Au­tor vor­wirft, er kön­ne kei­ne Stim­mung er­zeu­gen.

Das ist na­tür­lich ein will­kom­me­ner An­lass, Le­ser­kri­ti­ker in Sip­pen­haft zu neh­men. Aber wer kä­me auf die Idee, Al­fred Kerrs Ver­riss von Tho­mas Manns »Tod in Ve­ne­dig« als An­lass für die Be­deu­tungs­lo­sig­keit der Kri­tik an sich zu neh­men? Es gibt sehr wohl fun­dier­te Le­ser­kri­tik, die sich oft ge­nug vom drö­gen, phra­sen­haf­ten Ger­ma­ni­sten­jar­gon wohl­tu­end un­ter­schei­det oh­ne gleich in ba­na­le Flach­hei­ten zu ver­fal­len. Vie­len Leser­kritikern merkt man die Lei­den­schaft an der Li­te­ra­tur an. Das al­lei­ne reicht na­tür­lich nicht aus, ist aber un­ab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung – wich­ti­ger als je­de noch so gu­te Formal­qualifikation. So stell­te Ri­chard Sen­nett neu­lich fest, dass für den Hand­wer­ker Mo­ti­va­ti­on wich­ti­ger sei als Ta­lent.

Das fall­beil­ar­ti­ge Ver­dam­mungs­ur­teil, wel­ches Öh­ler zum auf­klä­re­ri­schen Rich­ter­spruch im Gei­ste Kants ver­klärt, ist se­riö­sen Le­ser­kri­ti­kern mei­stens fremd; sie er­hal­ten sich in der Re­gel ei­nen Rest Re­spekt und ver­mei­den die Hy­bris des All­wis­sen­den. Aber nimmt man Öh­lers Po­le­mik ein­mal als Wunsch, sich auch mit dem ab­sei­ti­gen, bis­her ger­ne igno­rier­ten zu be­schäf­ti­gen, auch mit der Ge­fahr, es »ver­rei­ssen« zu müs­sen, dann plä­diert auch er für ei­ne in­ten­si­ve­re Text- bzw. Werk­aus­ein­an­der­set­zung. Ver­riss be­deu­tet ja nicht, ein Buch wie wei­land Reich-Ra­nickis »Ein wei­tes Feld« von Gün­ter Grass auf dem Ti­tel­blatt phy­sisch zu zer­rei­ssen.

Le­ser­kri­ti­ker ma­ßen sich nicht per se an, Au­tor und auch Le­ser be­leh­ren zu wol­len. Sie wis­sen, es gibt Grau­tö­ne und die dum­me Di­cho­to­mie des »gut oder schlecht«, des Dau­men hoch oder Dau­men run­ter ist ei­ne Tri­via­li­sie­rung der Li­te­ra­tur und Li­te­ra­tur­kri­tik. Wie ab­surd mu­tet es da an, Bü­cher als »Fäl­le« zu »be­han­deln«.

Den­noch ent­glei­ten sie nicht in lie­be­die­ne­ri­scher Sanft­heit. Sie ha­ben den un­ver­dor­be­nen Blick und sie kön­nen ihn im Ide­al­fall frucht­bar ma­chen. Kei­ne Re­dak­ti­on sagt ih­nen, was man viel­leicht noch hin­ein­zu­schrei­ben ha­be (oder weg­las­sen soll). Kein Ver­lag kö­dert sie, im Fal­le ei­ner mil­den oder gar gu­ten Re­zen­si­on ein ei­ge­nes Buch pro­mi­nent plat­zie­ren zu kön­nen. Kein Main­stream sagt ih­nen auf wel­cher Wel­le sie im Mo­ment bes­ser schwim­men, um viel­leicht ein­mal Feuil­le­ton-Chef zu wer­den. Sie ha­ben die Chan­ce, sich dem Zeit­geist (von Mar­tin Wal­ser un­längst ein­dring­lich be­schrie­ben) zu wi­der­set­zen. Sie kön­nen Sta­chel im Fleisch des brä­si­gen Li­te­ra­tur­klün­gels sein. Es gibt Kri­ti­ken von Le­ser­kri­ti­kern, die (viel­leicht nach ein biss­chen Re­di­gie­rung) kei­nen Ver­gleich mit den manch­mal so bluthttps://www.begleitschreiben.net/richard-sennett-handwerk/leeren, von »ar­ri­vier­ten« Kri­ti­kern ver­fass­ten Re­zen­sio­nen bei­spiels­wei­se aus »Zeit«, »F.A.Z.« oder »Süd­deut­sche Zei­tung« zu scheu­en brau­chen (»Spie­gel« so­wie­so).

Em­pha­ti­sche Sub­jek­ti­vi­tät

Der Grund für die ve­he­men­ten Ti­ra­den wi­der die Le­ser­kri­tik liegt so­wohl im dro­hen­den Ver­lust der Deu­tungs­ho­heit als auch in der nar­ziss­ti­schen Krän­kung, die den profess­ionellen Kri­ti­kern durch Leu­te zu­ge­fügt wird, die zum Teil noch et­was kul­ti­vie­ren, was sie selbst längst in jah­re­lan­gem Re­dak­ti­ons­einer­lei ver­lo­ren ha­ben, et­was, was im auto­matisierten Le­sen im Ak­kord­tem­po und der häu­fig des­il­lu­sio­nie­ren­den Be­kannt­schaft mit den Dich­tern, die sie doch einst so ver­ehrt hat­ten, ver­puff­te: Lei­den­schaft, Enthu­siasmus und, Jo­sef Has­lin­ger jetzt pa­ra­phra­sie­rend, »em­pha­ti­sche Sub­jek­ti­vi­tät« (#5). Und dies al­les – es wur­de schon an­ge­spro­chen – ba­siert auf Un­ab­hän­gig­keit.

Hin­zu kommt, dass sich das Feuil­le­ton (un­ver­än­dert) als eli­tär ge­ne­riert – und sich die Prot­ago­ni­sten da­mit sel­ber in ei­ne in­tel­lek­tu­el­le Jet-Set­po­si­ti­on be­för­dern. Sie über­tra­gen ih­re Ver­ach­tung der Mas­sen und der Mas­sen­kul­tur (ein al­ter To­pos auch und vor al­lem un­ter deut­schen In­tel­lek­tu­el­len) auf die Re­zep­ti­on von Li­te­ra­tur. Ähn­lich den Restaur­ationskräften im 19. Jahr­hun­dert, die an ei­ner Be­tei­li­gung des »ge­mei­nen Vol­kes« den Un­tergang des Abend­lan­des fest­mach­ten, se­hen sie ei­ne Be­dro­hung dar­in, die »Sa­che« der Li­te­ra­tur dem ge­mei­nen Mas­sen­ge­schmack preis­zu­ge­ben.

Sie kom­pen­sie­ren die­se Äng­ste durch die Pfle­ge ei­nes pa­ter­na­li­sti­schen Ge­ba­rens, ge­tarnt mit der At­ti­tü­de des für­sorg­li­chen »Le­ser­be­schüt­zers«. Bei­spiels­wei­se Den­nis Scheck, der in sei­ner Sen­dung »druck­frisch« mit ei­nem Mi­kro­fon durch ei­ne Buch­hand­lung streift und ver­sucht, Men­schen an Bü­cher­re­ga­len ein Buch zu emp­feh­len. War­um Scheck auf die Ant­wort »Al­les« auf die Fra­ge »Was le­sen Sie denn ger­ne?« ein Buch die­ses oder je­nes Schrift­stel­lers emp­fiehlt, bleibt sein Ge­heim­nis. Es ist die­ser pein­lich-bes­ser­wis­se­ri­sche Ha­bi­tus des Mis­sio­nars, der ab­strus und über­holt da­her­kommt (oder auch ein­fach nur ko­misch). Und wie al­le Mis­sio­na­re ver­ach­ten sie ins­ge­heim die­je­ni­gen, die sie mis­sio­nie­ren wol­len.

Vor­bei auch die Zei­ten, als es dem Le­ser ge­nüg­te, im »Li­te­ra­ri­schen Quar­tett« vier Men­schen über Bü­cher strei­ten zu se­hen. Der Zu­schau­er hat­te kaum Zeit und Mög­lich­keit, we­nig­stens ei­nes der Bü­cher im Vor­feld zu le­sen. Das An­schau­en des Quar­tetts galt als Sur­ro­gat – wer das ge­se­hen hat­te, konn­te über die Bü­cher dis­ku­tie­ren, oh­ne sie ge­le­sen zu ha­ben. So ur­teil­te man letzt­lich über et­was, was man nicht kann­te (ein Phä­no­men, das auf­merk­sa­me Zu­schau­er bei der Be­trach­tung der Sen­dung häu­fi­ger auch bei den Prot­ago­ni­sten be­mer­ken konn­te).

Da man den vor­ge­brach­ten Ar­gu­men­ten der Kri­ti­ker nur ein­ge­schränkt fol­gen konn­te, punk­te­te der­je­ni­ge, der die grif­fig­ste und mas­sen­taug­lich­ste For­mu­lie­rung fand. Der Af­fekt des Zu­schau­ers ten­dier­te eh ent­we­der zur be­lu­stig­ten Zu­stim­mung oder zum Spruch, der Kri­ti­ker sol­le es doch erst ein­mal bes­ser ma­chen. In bei­den Fäl­len wand­te man sich der Li­te­ra­tur eher ab. Öh­ler sieht den Be­deu­tungs­ver­lust auch dar­in be­grün­det, dass im Fer­nsehen das »Res­sen­ti­ment des ar­ro­gan­ten Kri­ti­kers« dra­stisch be­dient wur­de. »Statt das Werk in An­griff zu neh­men«, wur­den »nicht oh­ne Hä­me Au­toren vor­ge­führt«. Je­mand wie Mar­cel Reich-Ra­nicki, Selbst­dar­stel­ler par ex­cel­lence, nutz­te die Fern­seh­büh­ne zur Selbst­dar­stel­lung. Da­bei war sein Kri­ti­ker­be­steck et­wa so aus­ge­feilt, als wür­de ein Chir­urg mit ei­nem Kü­chen­mes­ser ope­rie­ren wol­len. Li­te­ra­tur und Kri­tik wur­de zum Zir­kus und Reich-Ra­nicki war der Clown. (#6)

Der Li­te­ra­tur­dis­kurs ist zu kost­bar…

War­um all die­se al­ten Ge­schich­ten auf­wär­men? Ist es die­ses Ge­fuch­tel ei­gent­lich wert? Im Herbst wird zum Bei­spiel ein her­aus­ra­gen­des Buch von Uwe Tell­kamp über die DDR der letz­ten Jah­re er­schei­nen (»Der Turm«). Man könn­te sich in sein Käm­mer­lein zurück­ziehen, das ge­nie­ssen und ge­ne­rell sei­ne Bü­cher le­sen und sich dar­an er­freu­en oder er­zürnen.

Aber Li­te­ra­tur und der Li­te­ra­tur­dis­kurs sind zu kost­bar, um sie aus­schliess­lich den Mei­nungs­füh­rern zu über­las­sen. Das ist der An­trieb so vie­ler Le­ser­kri­ti­ker (auch der Stüm­per); das ist ihr Fu­ror. In Ab­wand­lung zu den Bre­mer Stadt­mu­si­kan­ten: Et­was Bes­se­res als gro­sse Tei­le des­sen, was wir in­zwi­schen in den Feuil­le­tons, im Ra­dio und im Fern­se­hen als Li­te­ra­tur­kri­tik an­ge­bo­ten be­kom­men, fin­den wir über­all – und zur Not ma­chen wir es uns noch sel­ber, denn, so der Esel im Mär­chen: »Du hast ei­ne gu­te Stim­me«.

So sind die Le­ser­kri­ti­ker die er­wach­ten Stim­men – auch (und trotz) all ih­rer manch­mal fal­sche Bil­dern, ge­wag­ten Ver­knüp­fun­gen oder ge­le­gent­li­chen Ver­ir­run­gen. Aber all dies ist nicht re­ser­viert für sie, son­dern auch und ge­ra­de Be­stand­teil der pro­fes­sio­nel­len Kri­tik. Die Ver­füh­rung der di­cho­to­mi­schen Li­te­ra­tur­kri­tik liegt in ih­rem un­ver­schäm­ten, ver­ein­fa­chen­den Re­duk­ti­ons­mus.

Ich kann Leu­te wie Spie­gel, Ra­disch, Ma­tus­sek, Ka­ra­sek, Hei­den­reich, Hart­wig, Man­gold und wie sie auch im­mer hei­ssen, nicht mehr le­sen und nicht mehr hö­ren. Ich mag nicht glau­ben, dass dies die »Per­len« des Per­len­tau­chers sind; sie sind höch­stens Fall­obst. Ich kann die Al­lü­ren und Selbst­sti­li­sie­run­gen die­ser Feuil­le­ton­ap­pa­rat­schiks nicht mehr er­tra­gen. Na­tür­lich kann man sie igno­rie­ren. Aber sie be­ein­flus­sen das, wor­an dem Le­ser ge­le­gen ist. Längst usur­pie­ren ih­re Kri­te­ri­en nicht nur die Aus­wahl der Ver­la­ge, son­dern auch die Schreib­sti­le der Au­toren.

Da­bei ist läs­sig-coo­le Ge­ha­be von be­rufs­ju­gend­li­chen Kri­ti­ker­sur­ro­ga­ten, die ih­ren Zy­nis­mus rhe­to­risch spa­zie­ren füh­ren auch kei­ne Al­ter­na­ti­ve; im Ge­gen­teil: an­ti­po­disch zum Gross­kri­tiker­um imi­tiert man nur. Mit Netz­ar­ro­ganz ist die Gross­kri­ti­ker­ar­ro­ganz nicht zu kon­tern. Sie macht es den kon­ven­tio­nel­len Ver­fech­tern der Mei­nungs­füh­rer­schaft nur un­nö­tig leicht.

Der mo­der­ne Li­te­ra­tur­kri­ti­ker soll­te we­der mit bla­sier­ter Ge­ste sei­ne »Be­le­sen­heit« zur Schau stel­len noch sich in selbst­ge­fäl­lig-ar­ro­gan­tem Ge­tö­se er­ge­hen oder gar mit wohl­fei­len Plat­ti­tü­den oder pseu­do-in­ve­sti­ga­ti­ver Alar­mis­mus-Rhe­to­rik dem Pu­bli­kum Ho­nig ums Maul schmie­ren. Die Angst, der Le­ser­kri­ti­ker tri­via­li­sie­re den Li­te­ra­tur­dis­kurs, ist un­be­grün­det. Jo­chen Jung ist ei­ner der we­ni­gen, der die neu­en Mög­lich­kei­ten er­kennt: »Das wah­re Ur­teil ist am En­de das Sum­me al­ler Ur­tei­le«. Jungs vor­sich­ti­ge An­nä­he­rung soll­te auf­ge­grif­fen wer­den. Den em­pha­ti­schen Sub­jek­ti­vis­mus der Le­ser­kri­ti­ker wird man auf Dau­er nicht un­ter­drücken kön­nen. Man soll­te ihn in den Dis­kurs ein­bin­den. Bis­her ver­sucht man, durch Igno­rie­ren den an­ge­kratz­ten Thron be­setzt zu hal­ten. Auf Dau­er wird dies nicht funk­tio­nie­ren. Und das ist gut so.

#1 Pe­ter Hand­ke: »Mar­cel Reich-Ra­nicki und die Na­tür­lich­keit« in: »Ich bin ein Be­woh­ner des Elfen­beinturms« (st 56, 1972) – ei­ne Re­ak­ti­on auf Reich-Ra­nickis »Li­te­ra­tur der klei­nen Schrit­te« von 1967. Ei­ne holp­ri­ge Tran­skrip­ti­on mit Her­vor­he­bun­gen, die im Hand­ke-Auf­satz nicht exi­stie­ren, fin­det sich hier.

#2 Es geht im fol­gen­den aber auch gar nicht nur um Reich-Ra­nicki – der muss (ein biss­chen stell­vertretend) für ei­ne gan­ze Grup­pe von Kri­ti­kern her­hal­ten, die hier (ein biss­chen un­ge­nau) als »Gross­kritiker« oder »Mei­nungs­ma­cher« be­zeich­net wer­den. Des­wei­te­ren ist zu er­wäh­nen, dass nie die Per­son Reich-Ra­nicki ge­meint ist, die hier an­ge­grif­fen wird, son­dern nur sei­ne Po­si­ti­on und wie er sie aus­füllt.

#3 Im fol­gen­den ei­ne un­ge­naue Ru­bri­zie­rung für Es­say­isten, Feuil­le­to­ni­sten und Kri­ti­ker, die in den gro­ssen, über­re­gio­na­len Zei­tun­gen, im Rund­funk und/oder Fern­se­hen ei­nen her­aus­ge­ho­be­nen Sta­tus ha­ben.

#4 Dass es auch im Fern­se­hen an­ders ge­hen kann, hat Hu­bert Win­kels mit sei­ner »Bestenliste«-Sendung von 1998–2002 be­wie­sen. Die Sen­dung wur­de je­doch vor­sorg­lich der­art un­gün­stig plat­ziert (im SWR Frei­tag Nacht und auf 3sat Sonn­tags un­ge­fähr ab 10.30 Uhr), dass der Quo­ten­gau schon vor­pro­gram­miert war.

#5 Jo­sef Has­lin­ger: »Haus­durch­su­chung im El­fen­bein­turm«, Fi­scher, 1996

#6 Im Schat­ten des »Li­te­ra­ri­schen Quar­tett« stand der »Li­te­ra­tur­club« des Schwei­zer Fern­se­hens. Als die Sen­dung in den letz­ten Jah­ren des Quar­tetts von Da­ni­el Cohn-Ben­dit mo­de­riert wur­de, der mit Kri­ti­kern wie Har­dy Ruoss, Pe­ter Hamm, Ga­brie­le von Ar­nim, Gun­hild Kü­b­ler oder An­dre­as Isen­schmid sei­ne be­wusst teil­wei­se nai­ve Sicht in die Dis­kus­si­on ein­brach­te, stel­le sich die­ses Ele­ment als ein be­le­ben­des her­aus, was nach dem Wech­sel der Mo­de­ra­ti­on von Cohn-Ben­dit zum voll­kom­men ver­kopften Ro­ger Wil­lem­sen (in­zwi­schen wird die Sen­dung von Iris Ra­disch mo­de­riert) noch deut­li­cher wur­de. Zwar wur­de der äs­the­tisch-theo­re­ti­sche Dis­kurs un­ter Wil­lem­sen sehr viel in­ten­si­ver und das markt­schreie­ri­sche Ge­ha­be ei­nes Reich-Ra­nicki ist ihm na­tür­lich fremd, aber in der be­wuss­ten Ze­le­brie­rung ei­ner im ger­ma­ni­sti­schen Duk­tus da­her­kom­men­den Au­ssen­sei­ter­po­si­ti­on liegt ein ab­schrecken­des Ele­ment der Kri­tik für den durch­schnitt­lich kon­di­tio­nier­ten Le­ser. Der möch­te näm­lich kei­ne durch­ge­styl­te Dis­kurs­theo­rie vor­ge­kaut be­kom­men, die ihm er­klärt, war­um die­ses Buch so und nicht an­ders zu be­wer­ten ist, son­dern er möch­te An­ge­bo­te er­hal­ten, sich die­ses Ur­teil sel­ber zu bil­den – durch­aus in ei­ner po­la­ri­sie­ren­den und ge­schlif­fe­nen Dis­kus­si­on, die aber nicht ok­troy­ie­rend da­her­kom­men darf.

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  1. Wie­der ein­mal ein Bei­trag von Ih­nen, den zu le­sen mir ein­fach Spaß mach­te. Mir ge­fällt Ih­re en­ga­gier­te, kennt­nis­rei­che Art der Ar­gu­men­ta­ti­on und der so an­ge­nehm les­ba­re Schreib­stil. Ich kann auch Ih­re Aus­gangs­the­se, dass sich die eta­blier­te Li­te­ra­tur­kri­tik durch die Ama­teu­re be­droht sieht und um ih­re Deu­tungs­ho­heit fürch­tet, Kul­tur­ver­fall in­klu­si­ve, nach­voll­zie­hen.
    Et­was Pro­ble­me ha­be ich da­mit, dass Sie die, ich nen­ne sie jetzt mal: „ernst­haf­te Feuil­le­ton­kri­tik“ mit den po­pu­lä­ren TV-Bü­cher­shows a la Hei­den­reich, Scheck oder Li­te­ra­ri­sches Quar­tett in ei­nen Topf wer­fen. Er­stens wer­den je­weils völ­lig ver­schie­de­ne Ziel­grup­pen an­ge­spro­chen und zwei­tens se­he ich die­se TV-Shows gar nicht so kri­tisch, wer­den dort doch plötz­lich Men­schen er­reicht und zum Le­sen an­ge­regt, die an­son­sten mit Bü­chern nur we­nig am Hut ha­ben. Das hal­te ich für ei­nen Wert an sich, selbst wenn da­bei mit Si­cher­heit auch kom­mer­zi­el­le In­ter­es­sen im Spiel sind.

  2. Die In­fil­tra­ti­on der »TV-Shows« auf die se­riö­se kri­tik ist doch un­ver­kenn­bar. Ich ge­he so­gar wei­ter: Die se­riö­se Kri­tik tritt den »TV-Shows« nicht ent­spre­chend ge­gen­über. Reich-Ra­nicki wird ver­ehrt (für was?). Die FAZ schreibt noch kri­tisch über Hei­den­reich, aber hier kommt auch bald min­de­stens die Se­lig­spre­chung.

    Ma­chen Sie sich mal die Mü­he und ver­glei­chen die ak­tu­el­le »Long-List« für den Deut­schen Buch­preis mit den in »Le­sen!« be­spro­che­nen Bü­chern – ich ha­be nur Wal­ser ge­fun­den. Kein Hand­ke, kein Bey­er, kein Bär­fuss – nichts. Von Tell­kamps »Der Turm« nicht zu re­den; das Buch er­scheint erst im Sep­tem­ber. Die Bü­cher, die in den letz­ten Jah­ren den Buch­preis ge­won­nen ha­ben oder in der »Short-List« wa­ren – nichts. Bei Frau Hei­den­reich kommt es nur auf die Ge­sin­nungs­kul­tur an – und nicht auf Äs­the­tik. Gräss­lich. Aber das hat sie mit ei­ni­gen Feuil­le­tons durch­aus ge­mein.

    [EDIT: 2008-08-21 17:14]

  3. Mei­ne So­sse auf Keuschnig’s schö­nes Ge­richt
    Als Hand­ke Spe­zia­list ex­tra­or­di­naire klopf [te] ich die ge­nann­ten Kri­ti­ker dar­auf ab ob sie mir et­was an sei­nem Werk oder ein­zel­nen Buch er­öff­nen.
    Ob das Reichs-Ka­nickel der schmie­ren­den Hun­de­schei­ße Pas­sa­ge auf der Pi­ste in Handke’s St. Vic­toire auf­wiegt oder nur ein biß­chen Ha­sen­kot, muss ich in die­sem Fall
    Handke’s Dorf Sa­dis­mus wohl recht ge­ben. An­son­sten hat das Ka­nickel mit sei­nen frü­he­ren [60ger Jah­ren Samm­lun­gen] als ich wie­der ein Jahr in Deutsch­land ver­brach­te [1963–64] je­den­falls auf vie­les
    auf­merk­sam was in der Ame­ri­ka­ni­schen Ger­ma­ni­stik nicht er­wähnt wur­de, auch die frü­hen Sa­chen von Grass, John­son und Weiss ha­ben ech­te Wie­der­hall bei ihm er­weckt, al­so
    nicht ein vol­kom­me­nes Ko­pro we­nig­stens zu der Zeit. Da­durch wie er Hand­ke Wer­ke Links­hän­di­ge Frau und Lang­sa­me Heim­kehr ver­hunzt, hat er sich ei­gent­lich in ei­ne ewi­ge Nie­te ver­dammt. Das Del Gre­dos Buch woll­te er gar nicht le­sen, viel­leicht ist der Mensch jetzt voll­kom­men ver­kalkt. Handke’s Wut auf sei­nen Ver­le­ger Un­seld [in der Nie­madns­bucht] dass er sich auf’s Ka­nickel des Verkauf’s we­gen ein­lässt ist nur all­zu ver­ständ­lich und ge­recht, aber er hat sich ja auch selbst auf die­sen Groß­gau­ner für die Kul­tur ein­ge­las­sen. Die an­de­ren da ge­nann­ten [au­ßer Hart­wig die was taugt] guck ich mir nur an ob sich viel­leicht da mal was an der ober­fläch­li­chen oder gro­ßen Dumm- oder Ge­mein­heit zu­fäl­li­ger­wei­se ver­än­dert hat. Des­we­gen le­se ich auch ihr Zeug über an­de­re nicht. Au­ßer­dem ha­be ich ei­ni­ge Kat­zen­le­ben ver­geu­det kommt mir vor, und jetzt mit der von Der Wie­der­ho­lung ge­lern­ten kö­nig­li­chen Lang­sam­keit da­her zu schrei­ten, al­so die­ser Ka­ter ver­suchts mit der Fe­lin­en Spal­tung an mei­nem Kraft­werk! An­son­sten spricht Keu­sch­nig die Furcht der Fau­len an, dass ge­schei­te pas­sio­nier­te Le­ser Kri­ti­ker sie frü­her als sonst pen­sio­nie­ren wer­den, al­so, wie im­mer, ei­ne Fra­ge von Macht und Furcht. Im­mer nur dran, die mi­se­ra­blen pro­fes­sio­nel An­ge­stell­ten schön zer­rei­ssen und auf die Fin­ger klop­fen! »Keep ‘em ho­nest!« Es gibt an ei­ni­gen Hand­ke Ro­ma­nen – Stun­de der Wah­ren Emp­fin­dung, Chi­ne­se des Schmer­zen wirk­lich ei­ni­ges zu kri­ti­sie­ren, auch hie und da in der Nie­mands­bucht, und Del Gre­dos, auch wenn man Handke’s Werk­stadt und Aes­the­tik bei ei­ge­nem Wort nimmt, nicht dass ei­ne Kri­tik von der so­gar der Au­tor was hät­te je­mals zu­stan­de kommt. Die bei­nah ein­zi­ge Recht­fer­ti­gung für das Be­stehen der Kri­ti­ker­zunft ist doch er­stens ein sen­si­bles Echo den Ein­druck den ein Buch auf sie macht zu hin­ter­las­sen, sie sind doch er­stens als Brücke da, als Ein­füh­rung ge­dacht, erst dann kommt die Kri­tik mit ih­ren Ka­te­go­rien; oder Streit; oder zu­ge­ben des »Nicht­ver­stahn...«

  4. Ja, die Hart­wig mö­gen Sie! Das weiss ich.

    Spass bei­sei­te. Na­tür­lich gibt es bei Hand­ke auch Äs­the­ti­sches zu kri­ti­sie­ren – aber das fin­det doch nicht statt. Schau­en Sie sich die Re­zen­sio­nen von »Ka­li« oder der »Mo­ra­wi­schen Nacht« an. Ent­we­der man kon­sta­tiert freu­dig, dass Hand­ke zu ir­gend­was be­kehrt scheint oder man fa­selt nur her­um (Ra­disch).

    Der ver­meint­li­che An­ti­se­mi­tis­mus in der Äu­sse­rung der »Leh­re der St. Vic­toire« ist doch lä­cher­lich. Ka­ra­sek kram­te das 30 Jah­re nach der Lek­tü­re her­aus, weil Hand­ke für den Hei­ne-Preis 2006 de­nun­ziert wer­den muss­te. Ich ha­be das nach­ge­le­sen; es ist si­cher­lich ein biss­chen grenz­wer­tig, aber das hat mit An­ti­se­mi­tis­mus nichts zu tun; das ist ma­xi­mal doof.

    [EDIT: 2008-08-21 17:18]

  5. Wie Sie die Din­ge aber auch auf den Punkt brin­gen – das ist wirk­lich ‘pro­fes­sio­nell’, was in die­sem Fall aber ein­zig als auf­rich­ti­ges Kom­pli­ment zu ver­ste­hen ist. ‘Ih­re ‘Lai­en­pre­digt’ wi­der die pro­fes­sio­nel­le Buch­kri­tik ist auch des­halb so glän­zend, weil sie die Sa­che aus der rich­ti­gen Per­spek­ti­ve be­leuch­tet: Das Zau­ber­wort heißt ‘Deu­tungs­ho­heit’, und die muss sich in der Tat be­droht se­hen. Ich se­he mir, wenn ich se­he, Li­te­ra­tur­sen­dun­gen im Fern­se­hen – fast hät­te ich ge­sagt – aus­schließ­lich un­ter eth­no­lo­gi­schen Ge­sichts­punk­ten an. Es gilt, ei­ne aus­ster­ben­de Art zu be­trach­ten, was bei Reich-Ra­nicki kei­ner nä­he­ren Er­läu­te­rung be­darf. Bei Den­nis Schecks Kri­ti­ken mag ich die un­sta­ti­sche Ka­me­ra­füh­rung, die in ei­nem kras­sen Ge­gen­satz zur Ge­stalt des Kri­ti­kers steht. Ich kann mich nicht an e i n vor­ge­stell­tes Buch er­in­nern, das zu le­sen ich an­ge­regt wor­den wä­re. Das glei­che, bis auf die Ka­me­ra­füh­rung, gilt für El­ke Hei­den­reichs Bü­cher­sen­dung. Die zapp ich in der Re­gel des­halb auch schnell weg.
    Mir geht es da ähn­lich wie Ih­nen: Bei die­sen Groß­kopf­eten der Li­te­ra­tur­kri­tik ist mir Hö­ren & Se­hen schon längst ver­gan­gen und – schlim­mer noch – selbst die li­te­ra­ri­sche Kri­tik in den ein­schlä­gi­gen Feuil­le­tons sieht sich mitt­ler­wei­le von die­ser Aver­si­on an­ge­steckt. Wo­her aber kommt die­se Aver­si­on...?
    Bei der Be­grün­dungs­fin­dung ma­che ich mir ger­ne Ih­ren Ter­mi­nus zu ei­gen: Wor­an es die­ser Kri­tik man­gelt ist ge­nau das, was Sie ‘em­pha­ti­sche Sub­jek­ti­vi­tät’ nen­nen.
    Ich bin da­von über­zeugt, dass nur in ei­ner sol­chen ‘Sub­jek­ti­vi­tät’ die letz­ten Res­sour­cen ei­ner ‘Ob­jek­ti­vi­tät’ zu fin­den sind, die aus­drück­lich k e i n e nur so­ge­nann­te ist!
    Dass der Buch­markt ein Markt ist und des­halb öko­no­mi­schen Ge­set­zen un­ter­liegt, wis­sen wir al­le nur zu gut. Es be­darf al­so kei­ner ‘markt­schreie­ri­schen Mo­no­pol­stel­lung’ der Groß­kri­tik mehr. Das Buch ist zwar ei­ne Wa­re, aber muss der Le­ser sich des­halb gleich zum ‘Kon­su­men­ten’ de­gra­die­ren las­sen...? Mit­nich­ten, mei­ne ich und der Aus­weg aus die­ser Zwick­müh­le heißt nun mal: Mitschreiben/Mitstimmen!

    PS:
    ‘Oh, die Na­tur schuf mich im Grim­me!
    Sie gab mir nichts als ei­ne schö­ne Stim­me’
    .
    Clau­di­us, Ge­dich­te: Der Esel

  6. Ich bin da­von über­zeugt, dass nur in ei­ner sol­chen ‘Sub­jek­ti­vi­tät’ die letz­ten Res­sour­cen ei­ner ‘Ob­jek­ti­vi­tät’ zu fin­den sind, die aus­drück­lich k e i n e nur so­ge­nann­te ist!
    Ja, das ist ein sehr schö­ner Ge­dan­ke, über den klü­ge­re Men­schen als ich viel­leicht mal was schrei­ben könn­ten.

    Ih­re em­pha­ti­sche Eu­pho­rie lob’ ich mir – al­lei­ne ich kann nicht ganz ein­stim­men. Ich ha­be näm­lich das Ent­schei­den­de in mei­ner Re­de nur kurz auf­ge­grif­fen: Das ein­zi­ge, was der »Be­trieb« zur Ab­schot­tung macht – und auch nur ma­chen kann – ist das Igno­rie­ren. Da ha­ben sie al­le ih­ren Ha­ber­mas und Ga­da­mer ganz schön pa­rat. Und da der Ap­pa­rat na­tür­lich von Kom­mu­ni­ka­ti­on lebt und die Ent­kopp­lung vom Kom­mu­ni­ka­ti­ons­strom letzt­lich be­deu­tet, nicht exi­stent zu sein, bleibt das Pro­blem, wie aus die­semn Kä­fig aus­zu­bre­chen ist.

    Viel­leicht spä­ter da­zu mehr.

  7. Ge­fähr­li­cher Kom­men­tar
    Wenn Alan Green­span ein be­sorg­tes Ge­sicht macht und mur­melt: »Der Ak­ti­en­markt wird ein­bre­chen.« fal­len am näch­sten Tag die Kur­se in den Kel­ler.
    Wenn MRR sich be­sorgt über ein Buch äu­ßert, ist sehr in Fra­ge ge­stellt, ob es noch ein Best­sel­ler wer­den kann.
    Äu­ße­re ich mich ne­ga­tiv über MRR, könn­te ich mich eben­so gut auf den Haupt­platz stel­len und brül­len: »Ich bin An­ti­se­mit.« Ei­ne Kri­tik an sei­ner Per­son wird zu­erst ein­mal – so will es mir schei­nen – ei­ner po­li­ti­schen Rich­tung oder Hal­tung zu­ge­schrie­ben.
    Ich ha­be das li­te­ra­ri­sche Quar­tett nur ganz sel­ten ge­se­hen, weil ich es wi­der­lich fand. Da ich aber kei­ne deut­schen Fern­seh­sen­der emp­fan­gen kann, pas­siert ein ver­se­hent­li­ches An­wäh­len im­mer nur auf Dienst­rei­sen.
    Ich hal­te die Kri­tik von Hand­ke für au­ßer­ge­wöhn­lich. Er hat 1968 schon et­was er­kannt, was sich spä­ter nach mei­nem Ein­druck noch ver­stärkt hat.
    Ich per­sön­lich muss an­er­ken­nen, dass MRR ein be­weg­tes Le­ben ge­habt hat und vie­les dar­aus ge­macht hat. Als Per­son wä­re er für mich be­wun­derns­wert, wenn da nicht zwei Din­ge wä­ren.
    Dass er er­stens als Papst ge­fei­ert wird, kann ich hin­ge­hen las­sen. Wenn sich die Men­schen so ma­ni­pu­lie­ren las­sen, dass sie ihm die­sen »Ti­tel« ge­ben, so kann ich ihm das nicht zum Vor­wurf ma­chen. Ich mag es nur nicht.
    Wenn ich aber zwei­tens in Wi­ki­pe­dia le­sen kann, dass er für den Ge­heim­dienst (egal wel­cher Na­ti­on) ge­ar­bei­tet hat, ist er für mich ei­ne Un-Per­son. Vor al­lem dann, wenn er spä­ter öf­fent­lich auf­tritt. (Es fal­len mir da ja noch ein paar an­de­re ein, da liegt die po­li­ti­sche Si­tua­ti­on aber et­was an­ders.)
    Aber in dem Po­sting wird auf die Lai­en­kri­ti­ker um­ge­schwenkt, die Be­dro­hung des klas­si­schen Li­te­ra­tur­be­triebs. Kri­ti­ker ha­ben im­mer ei­nen un­dank­ba­ren Ruf, ob­wohl sie manch­mal durch­aus ver­nünf­ti­ge und auf­bau­en­de Ar­beit lei­sten.
    Ein Gour­met-Kri­ti­ker wie Chri­stoph Wag­ner kann mir sym­pa­thisch sein, ein Kunst­kri­ti­ker wie Hanslick, der An­ton Bruck­ner zur Sau ge­macht hat, ist für mich ein A...loch. Und da gibt es noch ge­nü­gend Bei­spie­le.
    Ich brau­che kei­ne Li­te­ra­tur­kri­ti­ker.
    Er­stens glau­be ich nicht dar­an, dass ein »con­tem­po­ra­ry« ei­nen Künst­ler ver­nünf­tig be­ur­tei­len kann. Das ge­schieht in der Mu­sik und der bil­den­den Kunst im­mer erst ein bis meh­re­re Jahr­hun­der­te da­nach.
    Zwei­tens fin­de ich mei­ne le­sens­wer­ten Bü­cher so­wie­so durch Em­feh­lun­gen oder durch Schmö­ke­rei in ei­ner Buch­hand­lung. Ich grei­fe ein Buch an, blät­te­re durch, le­se ei­ni­ge Pas­sa­gen und spre­che dar­auf an oder nicht.
    Bei Bel­le­tri­stik ist es mehr der Stil, bei Sach­bü­chern ist es das Ni­veau, wel­ches tun­lichst et­was hö­her als mein ei­ge­nes sein soll­te. Schließ­lich will ich et­was ler­nen und In­for­ma­ti­on ge­win­nen.
    Aber dann ken­ne ich je­de Men­ge Leu­te, die mir ab und zu ein Buch emp­feh­len.
    Wenn ein Buch vom Haus­herrn oder von köpp­nick emp­foh­len wird, ist es ziem­lich si­cher, dass ich es über kurz oder lang le­sen wer­de. Es sei denn, dass mir das The­ma ab­so­lut gleich­gül­tig ist oder es be­reits durch an­de­re Lek­tü­re ab­ge­hakt ist.
    Wenn ich – von Bar­ba­ra Leh­ner glau­be ich – die Ele­ganz des Igels von Mu­ri­el Bar­be­ry emp­foh­len be­kom­me, dann le­se ich es auch ver­suchs­wei­se, was da­zu führt, dass ich es schon 5 oder 6 mal wei­ter­ver­schenkt ha­be.
    Im we­sent­li­chen lebt ei­ne Buch­emp­feh­lung oder Re­zen­si­on im­mer da­von, ob ich den Re­zen­sen­ten als in­te­gre und in­ter­es­san­te Per­son emp­fin­de. Wenn das nicht der Fall ist, le­ge ich eher ei­ne Trotz­hal­tung ein.
    Aber wie ge­sagt: »Ich ver­ste­he da­von nichts. Ich wun­de­re mich nur, dass doch so vie­le Leu­te sich et­was sa­gen las­sen. Es scheint das Pro­blem un­se­rer Zeit zu sein, dass man lie­ber an­de­re für sich selbst den­ken las­sen will.«

  8. Hier ist nichts ge­fähr­lich
    Wie der »Be­trieb« sich hin­ter Reich-Ra­nicki (MRR) un dge­gen die Kri­ti­ker an sei­ner Kri­tik ge­stellt hat, fand ich schon in­ter­es­sant, zu­mal er ja sel­ber nicht un­um­strit­ten (sic!) ist. Ich mei­ne da ins­be­son­de­re das fast ein­hel­li­ge Ver­dam­men von Walsers (me­dio­krem) Ro­man »Tod ei­nes Kri­ti­kers«, ein­ge­lei­tet von Schirr­ma­cher, der auf Wal­ser ei­ni­ge Jah­re vor­her in der Pauls­kir­che noch ei­ne Lau­da­tio ge­hal­ten hat­te und ihn im Streit mit Bu­bis ver­tei­dig­te. Ich glau­be, dass sich ei­ne sol­che Kri­tik an der Kri­tik, die ganz schnell mit den »Anti«-Wörtern um sich wirft, auf Dau­er sel­ber ent­larvt.

    Die Au­to­bio­gra­fie von MRR (»Mein Le­ben«) ist für mich ex­em­pla­risch: Der er­ste Teil, der sei­ne Ju­gend und die Zeit un­ter dem NS-Re­gime zeig­te, war be­ein­druckend und be­we­gend. Im zwei­ten Teil, der sei­ne An­fän­ge in Deutsch­land und sei­nen be­gin­nen­den Ein­fluss in die Li­te­ra­tur­sze­ne zeig­te, war er dann wie­der der eit­le Pfau. Manch­mal hat­te ich das Ge­fühl, da hät­ten zwei ver­schie­de­nen Men­schen an ei­nem Buch ge­schrie­ben.

    Üb­ri­gens mit ei­ner Aus­nah­me: Als MRR er­zählt, wie er auf ei­ner Par­ty sei­nes da­ma­li­gen Chefs Joa­chim Fest plötz­lich und oh­ne »Vor­war­nung« mit Speer als Mit-Gast stösst und wie sich die­se Freund­schaft zwi­schen Fest und MRR prak­tisch von die­sem Mo­ment an auf­löst.

    Den­noch möch­te ich das »Li­te­ra­ri­sche Quar­tett« dort ein biss­chen in Schutz neh­men, wo dies auch ti­ni­us macht: Die Aus­wahl der Bü­cher war sehr gut. An­fangs war mit Bü­sche auch ein Ge­gen­po­le­mi­ker da­bei, der MRR Pa­ro­li bot (und ge­le­gent­lich ge­nau­so viel Un­sinn er­zähl­te). Als Bu­sche ging (Kla­ra Ober­mül­ler hielt es nicht lan­ge aus, dann war die Po­si­ti­on va­kant und wur­de im­mer durch ei­nen Gast er­setzt, bis ge­gen En­de dann Iris Ra­disch kam) do­mi­nier­te nur noch MRR – und das war scha­de, weil er die Kri­tik tri­via­li­sier­te.

    Und in ei­nem an­de­ren Punkt möch­te ich MRR in Schutz neh­men: Wenn man be­rück­sich­tigt, was die­ser un­ter den Na­tio­nal­so­zia­li­sten er­lebt hat, ist die »Ver­ir­rung«, in den 50er Jah­ren für ei­nen kom­mu­ni­sti­schen (sta­li­ni­sti­schen) Ge­heim­dienst ge­ar­bei­tet zu ha­ben, ver­ständ­lich. Ich wer­fe da nicht den Stein, weil ich nicht weiss, wie ich mich ver­hal­ten hät­te (und froh bin, es nie er­fah­ren zu müs­sen). Das be­ein­flusst aber mein Ur­teil über sei­ne Kritik(en) in kei­ner Wei­se. Ich er­war­te al­ler­dings auch, dass je­mand wir MRR dies bei an­de­ren »Ver­irr­ten« ge­nau so sieht und nicht so­fort die »Mo­ral­keu­le« schwingt. Das hat er oft ge­nug ge­macht, wes­halb ihm die Hä­me ins Ge­sicht schlug.

    Was mich stört ist, dass die Maß­stä­be für die Ka­no­ni­sie­rung der Kri­tik bei de­nen liegt, die sel­ber ka­no­ni­siert sind und an­de­re Ur­tei­le, die kei­ne Ge­sin­nungs­ur­tei­le sind, des­halb igno­rie­ren. Was mich stört ist, dass man of­fen dar­über re­det, dass Frau Hei­den­reich die Bü­cher, die sie emp­fiehlt (oder eben nicht emp­fiehlt) be­sten­falls nur an­liest oder ganz auf das Ur­teil an­de­rer ver­traut. De­ren Maß­stä­be sind aber nicht be­kannt; es sind wohl mei­stens kei­ne äs­the­ti­schen. Mir ist da­her ei­ne voll­kom­men miss­glück­te, aber ehr­li­che Kri­tik lie­ber, als das glat­te Ge­säu­sel, was ei­nem oft ge­nug da in text­bau­stein­haf­tem Tre­mo­lo prä­sen­tiert wird.

    Es gibt ja Kri­ti­ker, die ich ger­ne le­se, auch wenn ich oft mit ih­nen nicht über­ein­stim­me (Ul­rich Grei­ner wä­re so ei­ner; in Gren­zen Rad­datz auch). Ich ha­be aber bei ih­nen das Ge­fühl, dass sie sich für das, über das sie ge­schrie­ben ha­ben, in­ter­es­sie­ren.

    [EDIT: 2008-08-22 08:24]

  9. Wenn ich die Wahl ha­be zwi­schen ei­nem Lai­en, des­sen Ge­schmack ich ken­ne und be­ur­tei­len kann, z.B. weil er schon mal über ein Buch ge­schrie­ben hat, das ich auch ge­le­sen ha­be, und des­sen Text­ver­ständ­nis et­wa auf mei­nem Ni­veau liegt, und ei­nem »Pro­fi«, der sei­ner Kri­tik ei­ne Men­ge Theo­rie zu­grun­de le­gen kann – dann wür­de ich, wenn ich ge­nü­gend Zeit ha­be, ver­mut­lich bei­de le­sen. Der Er­ste ver­rät mir, was ich im Buch fin­den wer­de, der Zwei­te, was ich fin­den könn­te. Wenn ich nur ei­nen le­sen kann, dann wäh­le ich den mir be­kann­ten Ama­teur. Weil sein Ur­teil für mich nütz­li­cher ist.

    Ei­ne Fra­ge zu Hand­ke: Wenn ich ge­nau ein Buch von ihm le­sen möch­te, wel­ches emp­fiehlst du mir?

  10. Es gibt vie­le Au­toren, die für den Ge­heim­dienst ih­res Lan­des tä­tig wa­ren (ge­ra­de in GB ei­ne recht häu­fi­ge Er­schei­nung), z.B. Gra­ham Gree­ne, Ian Fle­ming, John Le­Car­re. Das dis­kre­di­tiert in mei­nen Au­gen al­len­falls und wenn über­haupt die Per­son, nicht de­ren kul­tu­rel­les Wir­ken, au­ßer die­ses fließt übel pro­gram­ma­tisch da hin­ein, im Fal­le von Bü­chern wä­re das aber auch kei­ne gu­te Li­te­ra­tur mehr.
    Am Li­te­ra­ri­schen Quar­tett schätz­te ich die Aus­wahl der be­spro­che­nen Bü­cher, die weit ober­halb des­sen an­ge­sie­delt war, was sich heu­te in Bü­cher­sen­dun­gen tum­melt, und ein we­nig­stens teil­wei­ses Ar­gu­men­tie­ren am Text und In­halt, so po­le­misch und manch­mal un­ver­dau­lich das auch ab­lief. Das pas­siert in­zwi­schen gar nicht mehr.
    Ich den­ke, ich ha­be recht vie­le Re­zen­si­ons­blogs und In­ter­net­sei­ten in mei­nen Le­se­zei­chen. Die Bi­lanz sieht ziem­lich durch­mischt aus, so­daß ich Ein­wän­de ge­gen die Blog – Re­zen­sen­ten zum Teil nach­voll­zie­hen kann. Nach mei­nen Er­kennt­nis­sen gibt es 10 – 20 gu­te Re­zen­sen­ten im In­ter­net, die das in ih­rer Frei­zeit und mit ho­hem Auf­wand be­trei­ben, noch ein­mal so vie­le, die ak­zep­ta­bel sind und ei­nen auf Bü­cher hin­wei­sen kön­nen, die man selbst nicht wirk­lich im Blick­feld hat, auf de­ren Mei­nungs­äu­ße­rung al­ler­dings man eher ver­zich­ten kann. Und der Rest, der sich in Blogs und vor al­lem Fo­ren tum­melt, ist schlicht un­zu­mut­bar (für mich). Aber auch die er­fül­len ei­ne Funk­ti­on : sie be­schäf­ti­gen sich mit Bü­chern, für die das Feuil­le­ton und die Li­te­ra­tur­kri­tik kei­nen Raum las­sen, ob­wohl auch bei den Le­sern die­ser Ela­bo­ra­te ein Be­dürf­nis nach Ori­en­tie­rung und Wer­tung be­steht. Von da­her ha­be ich ein bun­tes Spek­trum in mei­nem Blog ver­linkt und be­wußt auf ein kom­men­tier­tes Link­ver­zeich­nis ver­zich­tet, so­daß je­der aus­te­sten kann, bei wel­chem Schrei­ber / Fo­rum er sich wohl­fühlt.

  11. #9 – @Köppnick
    Hand­ke hat die­se Fra­ge neu­lich be­ant­wor­tet. Er mein­te, er konn­te ei­gent­lich bis­her kei­nes sei­ner Bü­cher so rich­tig emp­feh­len, da sie sehr spe­zi­fisch sei­en. Bis zu ei­nem ge­wis­sen Punkt ver­ste­he ich das so­gar. Er mein­te dann, dass er die »Mo­ra­wi­sche Nacht« nun emp­feh­len kön­ne, weil dort so ei­ne Art Bi­lanz (das ist mein Wort) sei­nes epi­schen Schaf­fens zu le­sen sei. Ich fin­de, das stimmt.

    Von den Jour­na­len Hand­kes (No­ti­zen ähn­lich) gibt es den Klas­si­ker »Das Ge­wicht der Welt« und – na­tür­lich – auch »Ge­stern un­ter­wegs«. Soll­ten Dir die Bü­cher zu dick sein, dann viel­leicht der »Ver­such über die Juke­box« und/oder »Ver­such über den ge­glück­ten Tag«.

  12. #10 – @tinius
    ein we­nig­stens teil­wei­ses Ar­gu­men­tie­ren am Text und In­halt, so po­le­misch und manch­mal un­ver­dau­lich das auch ab­lief. Das pas­siert in­zwi­schen gar nicht mehr.
    Na­ja, es bleibt noch der »Li­te­ra­tur­club« des Schwei­zer Fern­se­hens (auf 3sat wie­der­holt), ob­wohl sich hier auch Wech­sel nicht zum Gu­ten hin voll­zo­gen ha­ben.

    An­son­sten stim­me ich Dir ja was die Blog-Kri­ti­ken an­geht durch­aus zu. Ich sa­ge ja nicht, dass al­les, was man dort liest, gut ist. Aber wenn Du (mit der zweifl­los bes­se­ren Über­sicht) 10–20 (sa­gen wir 20) gu­te Re­zen­sen­ten im In­ter­net aus­macht, dann fra­ge ich mich, wo die­se Stim­men in den Main­stream-Me­di­en auf­tau­chen. Und vor al­lem: War­um sie nicht auf­tau­chen. Und dann: War­um an­de­re Leu­te im­mer noch prä­sent sind.

  13. Hal­lo Herr Keu­sch­nig,

    ich ha­be mal wie­der gern ge­le­sen.

    An ei­ner Stel­le ha­be ich mich dank ei­nes Tipp­feh­lers Ih­rer­seits ver­le­sen und fand, dass das was ich da ver­stand ihr Plä­doy­er ganz gut zu­sam­men fasst.

    Sie schrei­ben: »Das wah­re Ur­teil ist am En­de das (hier müss­te ei­gent­lich »die« ste­hen – schön das es es an­ders ist) Sum­me al­ler Ur­tei­le«

    Ich las ha­stig: Das wah­re Ur­teil ist am En­de das Sum­men al­ler Ur­tei­le.

    Herz­lich­ste Grü­ße aus Süd­deutsch­land

  14. Wow, sehr ag­gres­si­ver Ton, was mir über­aus gut ge­fällt. Reich-Ra­nicki in al­len Eh­ren, die er uns so krampf­haft aber­langt, aber was er sich heu­te lei­stet – es ist höch­stens dreist und dumm.

    Al­so: Mein lie­ber Gre­gor Keu­sch­nig, Ih­re Wort­wahl ist zu­wei­len ei­ne schau­lu­sti­ge Hass­ti­ra­de vol­ler Pa­thos, wenn nicht ei­ne Ver­ge­wal­ti­gung der »Status-Quo«-Liste deut­scher (li­te­ra­tur-kri­tisch hoch­ge­lob­ter) Stil­mit­tel. Ich bin si­cher­lich kein dum­mer Le­ser, je­doch über­for­dern mich ei­ni­ge Ih­rer For­mu­lie­run­gen und ich wet­te (dreist wie ich bin), dass Ihr Dis­kurs nicht bloß der bil­dungs­tech­ni­schen Su­per-Eli­te vor­be­hal­ten wer­den müss­te. Vie­le Men­schen sind an Li­te­ra­tur in­ter­es­siert, man­che gar, von de­nen man denkt, sie könn­ten we­der le­sen noch schrei­ben! Ich wünsch­te, es gä­be ei­ne fai­re »Über­set­zung« für die­je­ni­gen, die ih­re An­sicht wo­mög­lich tei­len und sich eben­falls wei­ter­bil­den wol­len, in­dem sie zum Bei­spiel Zu­gang zu Ih­rem hoch­qua­li­ta­ti­ven Res­sort fein­ster Jetzt-Kri­tik hät­ten.

  15. Ge­stat­ten Sie mir, dass ich je­man­dem, der ei­ne so treff­lich for­mu­lier­te Dia­gno­se wie »schau­lu­sti­ge Hass­ti­ra­de vol­ler Pa­thos, wenn nicht ei­ne Ver­ge­wal­ti­gung der »Status-Quo«-Liste deut­scher (li­te­ra­tur-kri­tisch hoch­ge­lob­ter) Stil­mit­tel« ab­gibt, nicht ganz die Über­for­de­rung ab­neh­me und ein biss­chen Ko­ket­te­rie da­hin­ter ver­mu­te?

    Aber: Wie soll­te denn die »Über­set­zung« aus­se­hen? (Ich fra­ge das nicht rhe­to­risch)