Eigentlich eine gute Idee, Kindern so früh wie möglich die Fallstricke der Werbung aufzuzeigen, so dass sie die Versprechungen kritisch hinterfragen. Aber wieso dies ausgerechnet in Schulen stattfinden muss, wäre meine erste Frage. Und wieso bei 7–9jährigen dann schon meine zweite.
Die nordrhein-westfälische Schulministerin Barbara Sommer (CDU) sorgt dafür, dass diese Art von Unterrichtsfach sukzessive in Grundschulen gelehrt wird: „Augen auf Werbung«.
Den Lehrern werden umfangreiche Materialien an Hand gegeben – inklusive eines Videos, welches, so der Vorschlag, mehrmals den Kindern gezeigt werden soll. Das Grusswort in der Broschüre stammt von Johanna Wanka, der Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Kultusministerin des Landes Brandenburg. Das muss doch gut sein, oder?
Aber das Motto »Augen auf« ist hier angebracht. Denn hinter der Initiative steht eine Firma mit dem wohlklingenden Namen »Media Smart e. V.«. Man stellt sich vor:
Media Smart e.V. ist eine gemeinnützige Initiative zur Förderung von Medien- und Werbekompetenz von Kindern. Sie wurde 2004 von werbungtreibenden Unternehmen und Medien gegründet.
Ziel der Initiative ist es, Medien- und Werbekompetenz bereits im Grundschulalter zu fördern, und so einen Beitrag zur Bildung von mündigen Verbrauchern zu leisten.
Kinder sollen zu einem selbst bestimmten und konstruktiven Umgang mit Medien und Werbung als Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit angeleitet werden.
Klingt ja noch gut. Skeptisch wird man aber, wenn man liest, dass die Initiative von werbungtreibenden Unternehmen gegründet wurde.
Ein Klick und man ist im Bild:
Expertenbeirat
Das Material wurde entwickelt von Media Smart e.V. in Zusammenarbeit mit
- Prof. Dr. Stefan Aufenanger (Medienpädagogik an der Universität Mainz)
- Dr. Norbert Neuß (Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur GMK)
- Rainer Smits (Gemeinsame Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz der Landesmedienanstalten)
- Leopold Grün (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen)
- Uta Brumann (Redakteurin und Grundschullehrerin)
Mitglieder und Förderer
Die Mitglieder des Media Smart e.V. sind Burger King GmbH, Hasbro Deutschland GmbH, IP Deutschland GmbH, KELLOGG (Deutschland) GmbH, LEGO GmbH, Masterfoods GmbH, Mattel Deutschland GmbH, McDonald’s Deutschland Inc., Nokia GmbH, Super RTL, Zapf Creation (Central Europe) GmbH Co. KG
Fördermitglieder sind Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA e.V., Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM), Verband privater Rundfunk und Telekommunikation VPRT e.V.
Weitere Unterstützer sind castenow GmbH, Gruner + Jahr AG, Egmont Ehapa Verlag GmbH, iconkids & youth international research gmbH, Telemaz Commercials GmbH & Co. KG Berlin, tof intermedia GmbH, Wächter & Wächter Worldwide Partners
Das sieht doch jetzt schon ganz anders aus. Somit wird auch klar, warum inzwischen gegen die „didaktische Aufbereitung“ massive Proteste formuliert werden. Tatsache ist, dass hier tatsächlich nichts reflektiert, sondern bloss Werbung bebildert wird – Werbung für Werbung. Man kann durchaus von einem Missbrauch sprechen, und zwar der Schule als Institution und der Politik, die sich zum Büttel der Werbewirtschaft macht.
Vorsitzender des Vereins ist nämlich Claude Schmit. Seines Zeichens Geschäftsführer des Fernsehsenders »Super-RTL« – DEM Kinderfernsehsender in Deutschland. Womit sich der Kreis wieder schliesst.
Frau Wanka hat Pressemitteilungen zufolge inzwischen ihr Grusswort zurückgezogen und behauptet, sie habe das Material gar nicht gelesen. Das zeigt, mit welchen Stümpern in Deutschland derzeit Bildungspolitik gemacht wird. Und das Ergebnis sollte uns dann auch nicht mehr wundern.
Nachtrag: Bei der Recherche noch ein Interview mit Herrn Schmit in der »Welt« gefunden – hier zeigt sich nebenbei auch noch das Elend des liebedienerischen Journalismus dieser (dieser?) Zeitung.
Polemischer Epilog: Und WIR regen uns über Diktaturen à la Weissrussland auf?
Mal etwas allgemein: Wie will man die Öffentlichkeit für solche Themen erreichen? Die Masse interessiert sich überhaupt nicht, der »Report aus Köln«-Junkie braucht härteren Stoff. Somit ist der Weg der »Media Smart e.V.« ( und etliche andere Vereinigungen dieser Art ) klug und konsequent. Nur aus Ihrer Sicht natürlich. Wenn die Öffentlichkeit nicht die Kompetenz hat dies zu durchschauen und die Methodik als zielführend gewertet werden kann, was ergibt sich daraus für ein Schluss? Ich höre dann auf zu denken und nehme ein heißes Bad. Das beruhigt. Sonst würde ich vor mir selbst erschrecken.
Trojanisches Pferd
Natürlich ist das Handeln von »Media Smart e. V.« klug. Dies greife ich auch gar nicht an. Diese Firma agiert ihren Interessen gemäss.
Was ich infam finde ist, dass die Politik dieses trojanische Pferd in die Schulen stellt, ohne sich damit ausreichend auseinanderzusetzen. Was ich – quasi nebenbei – als sehr merkwürdig empfinde ist, dass Aufgaben, die im Elternhaus (altmodisches Wort: Erziehung) passieren müssten, immer weiter auf Schulen »abgeschoben« werden. Das wird dann mit der Überforderung vieler Eltern begründet. Die Ambivalenz hierzu im Vergleich mit der populistischen Forderung nach mehr Kindern wird dann wieder nicht gesehen.
Was meinen Sie konkret mit der Frage: »Wie will man die Öffentlichkeit für solche Themen erreichen?«
Übrigens herzlich willkommen!
@Trojanisches Pferd
Ich habe selbst zwei schulpflichtige Kinder, daher einen kleinen Einblick in den Rest der Elternschaft, die man deutlich in zwei Blöcke einteilen kann: Die, die mitdenken, schicken Ihre Kinder zum Gymnasium. Die, die passieren lassen, überlassen Ihre Kinder dem Dschungel. Erstere Gruppe mag Tendenzen à la »Media Smart e. V.« ablehnen, diskutieren dies vielleicht noch saturiert abends bei ihrem Lieblingsitaliener. Die anderen sind mit billigen Häppchen zu ködern (leider oft genug erfahren). Da muss es schon Florida-Rolf sein, um Empörung zu erreichen. Deine/Ihre gerechte Empörung finde ich nicht.
@Eberhard Gläser
Ihre Diagnose ist ein bisschen ernüchternd – deswegen mag sie ja gerade tendenziell richtig sein.
Das meine Empörung (Danke für das Attribut »gerecht«) in dieser Angelegenheit kaum verstanden wird, ist, wenn man genau überlegt vollkommen logisch: Die Medien hängen inzwischen bereits derart am Tropf der Werbewirtschaft, dass von Unabhängigkeit oft genug nicht mehr gesprochen werden kann.
Die Quelle zu diesem Beitrag war übrigens ein Bericht im Verbrauchermagazin »Markt« im WDR-Fernsehen (3. Programm).