Fi­gu­ren der Um­wer­tung: Nietz­sche und Ge­net (III)

Teil I
Teil II

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1963 schrieb Ge­net an sei­nen Ver­le­ger Marc Bar­be­zat, Nietz­sche ha­be Die Ge­burt der Tra­gö­die in ei­nem Zug ge­schrie­ben, oh­ne je in Grie­chen­land ge­we­sen zu sein. »In Kor­fu«, fuhr er fort, »ha­be ich al­les von ihm ge­le­sen. Was mir ge­fal­len hat, die Ideen, die mir ent­spre­chen: jen­seits von Gut und Bö­se: der Über­mensch. Na­tür­lich nicht der von Hit­ler oder Gö­ring. Lä­cher­lich zu den­ken, der Be­sitz von Schlös­sern und Tau­sen­den Hekt­ar Land er­mög­li­che es ei­nem, wie ein Über­mensch zu le­ben. Nietz­sche for­der­te ei­ne viel här­te­re Mo­ral für den Über­men­schen.« (LB 261) Auch an die­ser Stel­le be­zieht sich Ge­net aus­drücklich auf ei­ne po­si­ti­ve Mo­ral, die er bei Nietz­sche zu fin­den meint (ver­mut­lich hat er be­son­ders die kur­zen Skiz­zen ei­nes neu­en Bar­ba­ren­tums im Kopf). Die Por­träts der Sti­li­ta­no, Mi­gnon, Har­ca­mo­ne und Kon­sor­ten sind hand­fe­ste Ge­stal­tun­gen des Über­menschen, den sich Nietz­sche al­les in al­lem doch et­was ele­gan­ter vor­stell­te, »aus ei­nem Holz ge­schnitzt, das hart, zart und wohl­rie­chend zu­gleich ist.« (EH 267) Jün­gers Ar­bei­ter ist ei­ne wei­te­re Aus­ge­stal­tung die­ses Ty­pus; ei­ne Ge­stalt, die frei­lich, ver­gleicht man sie mit Ge­nets Hel­den, ab­strakt bleibt und sich au­ßer­dem als ver­bind­li­cher Vor­schlag an die Mehr­heits­ge­sell­schaft rich­tet. Han­delt es sich bei die­sen li­te­ra­ri­schen und ideo­lo­gi­schen Schöp­fun­gen um »Ent­stel­lun­gen« von Nietz­sches Ge­dan­ken? Nein, son­dern um unter­schiedliche Rea­li­sie­run­gen ei­nes Mo­dells, das in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hunderts in der Luft lag und von Nietz­sche so el­lip­tisch ge­zeich­net wur­de, daß sehr ver­schie­de­ne Rea­li­sie­run­gen der Leer­for­men mög­lich wa­ren. Auch der »Neue Mensch«, wie er Er­ne­sto Gue­va­ra auf­grund sei­ner Guer­ril­la-Er­fah­rung vor­schweb­te, hat noch Teil an die­ser Aus­le­gungs­ge­schich­te.

Wei­ter­le­sen ...