Avant­gar­de als Nörg­ler

Or­na­men­ta­le Wort­kunst reicht nicht. »Der Plu­ri­mi-Fak­tor« von Bo­tho Strauß schwä­chelt an sei­nem ei­ge­nen An­spruch

Im Herbst 2007, ein Jahr nach den Tur­bu­len­zen um den Hei­ne-Preis der Stadt Düs­sel­dorf und sein Ju­go­sla­wi­en-En­ga­ge­ment, sag­te Pe­ter Hand­ke in ei­nem In­ter­view An­dré Mül­ler er wol­le sich aus der Öf­fent­lich­keit zu­rück­zie­hen und be­kann­te in ei­ner Mi­schung aus Re­si­gna­ti­on und Trotz: »Ich bin ein Idi­ot im grie­chi­schen Sin­ne, ein Nicht-Da­zu­ge­hö­ri­ger.« Um­gangs­sprach­lich steht Idi­ot syn­onym für Dumm­kopf. Hand­ke be­nutz­te den Aus­druck je­doch nicht in die­sem Sin­ne, son­dern nimmt ihn so­zu­sa­gen wört­lich. Für ihn ist der Idi­ot ein Pri­vat­mann, je­mand, der sich der Öf­fent­lich­keit ent­zieht, weil er nicht da­zu ge­hört. Der »Pri­vat­mann« Hand­ke hat­te sich jen­seits des ihm (von an­de­ren) zu­ge­wie­se­nen litera­rischen Re­fu­gi­ums in die Öf­fent­lich­keit be­ge­ben – und blieb un­ver­stan­den. Das Wit­t­­gen­stein-Wort aus dem Trac­ta­tus (6.43) pa­ra­phra­sie­rend könn­te man sa­gen: Die Welt des Idio­ten ist ei­ne an­de­re als die des­je­ni­gen, der in der Öf­fent­lich­keit steht.

Bo­tho Strauß’ vor ei­ni­gen Wo­chen im »Spie­gel« ab­ge­druck­ter Es­say heißt »Der Plu­ri­mi-Fak­tor«. Den Be­griff »Plu­ri­mi« er­klärt Strauß nicht di­rekt. Er steht für »die vie­len«, »die mei­sten«. Der sagt nicht »Mas­se«, ob­wohl dies ge­meint ist. Strauß’ be­ginnt sei­nen Es­say mit De­fi­ni­tio­nen des Idio­ten. Er sei »der Un­ver­bun­de­ne, der an­de­ren Un­be­greif­li­ches spricht.« Bo­tho Strauß ver­wen­det den Idio­ten­be­griff, aber er lässt ihn kurz dar­auf wie­der fal­len; er taucht dann nur am En­de wie­der auf. »An­mer­kun­gen zum Au­ßen­sei­ter« ist sein Text un­ter­ti­telt. Folgt man dem An­spruch des Au­tors ist be­reits der Be­griff des »Außen­seiters« ein Zu­ge­ständ­nis. Er ist ei­gent­lich zu un­ge­nau, zu mil­de. Der Au­ßen­sei­ter be­fin­det sich im­mer noch in ei­ner Ge­mein­schaft – er steht nur »au­ßen«. Das Außenseiter­sein ist durch­aus Be­stand­teil ei­nes Ge­mein­schafts­le­bens. Erst der Idi­ot ist der Ver­sto­sse­ne, der Ver­bann­te, der nicht Sa­tis­fak­ti­ons­fä­hi­ge.

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Ver­su­che über die Be­ginn­lo­sig­keit

Ei­ni­ge Ge­dan­ken zu Rai­ner Ra­bow­skis bril­lant-kom­­p­le­­xem Er­zähl­band »Un­se­re Sa­che« Sie hei­ßen Yvonne, Hel­ga, Ra­pha­e­la, auch No­vi­ko­va und An­gé­li­que oder – ge­heim­nis­voll – »H.N« und spie­len in fünf von sechs Er­zäh­lun­gen des Ban­des »Un­se­re Sa­che« ei­ne ent­schei­den­de Rol­le. Ober­flächlich be­trach­tet mit so­zio­lo­gi­schem Blick da­her­kom­mend sind es Er­in­ne­run­gen an ver­gan­ge­ne Be­­kannt- und Freund­schaf­ten aus ei­ner zurückge­lassenen Zeit. ...

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Ein glo­ba­les To­le­do

Un­ter dem Ein­druck des da­mals hef­tig to­ben­den »Ka­ri­ka­tu­ren-Streits« schrieb Bo­tho Strauß Mit­te Fe­bru­ar 2006 ei­nen auch heu­te noch höchst in­ter­es­san­ten, ei­gent­lich er­staun­lich we­nig dis­ku­tier­ten, kur­zen Auf­satz im »Spie­gel« mit dem la­ko­ni­schen Ti­tel »Der Kon­flikt«.

Lässt man Strauß’ ge­le­gent­lich un­ter­schwel­lig an­klin­gen­de, pes­si­mi­sti­sche Sicht hin­sicht­lich ei­ner in näch­ster Zeit be­vor­ste­hen­den »Mehr­heits­ver­schie­bung« ein­mal bei­sei­te (frei­lich klar­stel­lend, nicht die Kö­ter­spur des Ras­sis­mus be­die­nen zu wol­len), so bleibt ei­ne prä­gnan­te Dia­gno­se:

Wie oft be­schrie­ben, be­zieht der Is­lam sei­ne stärk­ste Wir­kung aus sei­ner so­zia­len In­te­gra­ti­ons­kraft. Sei­ne dies­sei­ti­gen Vor­tei­le lässt man leicht au­ßer acht, wenn man sich mit dem po­li­tisch-spi­ri­tu­el­len Kon­flikt be­schäf­tigt.

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Bo­tho Strauß: Mi­ka­do (II)

DIE MÖBEL

Ein jun­ger Te­le­fon­tech­ni­ker, Züch­ter von Dal­ma­ti­nern im Ne­ben­be­ruf, kam am frü­hen Nach­mit­tag, et­was zu früh, von sei­ner Ar­beit nach Hau­se. Er fand sei­ne Woh­nung kahl, voll­kom­men aus­ge­räumt. Sei­ne Frau aber stand an der nack­ten Wand, lehn­te mit dem Rücken an, und ihr ge­gen­über, eben­falls mit dem Rücken an die Wand ge­lehnt, stand ein Mann, den er nie zu­vor ge­se­hen hat­te. Bei­de at­me­ten er­schöpft in den letz­ten Zü­gen ei­nes lan­gen Streits, ei­nes die Af­fä­re be­en­den­den, wie es schien, denn die Wor­te, die sie jetzt noch wech­sel­ten, trof­fen wie aus ei­ner aus­ge­preß­ten Lei­den­schafts­frucht und ihr Sinn ent­glitt ins Ab­stru­se.

Er, die­ser Frem­de, sag­te: Wenn wir die Mö­bel tie­fer ins Zim­mer ge­rückt hätten...Tiefer, ganz tief, nach hin­ten, noch tie­fer...

Sei­ne ihm nicht we­ni­ger frem­de Frau sag­te: Das Zim­mer ist nicht so tief, daß man sich ir­gend et­was hät­te vom Leib rücken kön­nen. Und schon gar nicht, um es ge­nau zu sa­gen, mich et­wa.

Da be­merk­te er an sei­ner Frau ein vor­her nie ge­se­he­nes Rucken des Kop­fes, und zwar zu dem an­de­ren hin, dem Frem­den, so wie man je­man­den mit an­ge­ho­be­nem Kinn auf- oder her­aus­for­dert: Komm Komm Komm! ... lch zeig es dir! Aber nichts kam mehr von der an­de­ren Sei­te. Sie ruck­te den Kopf auf­for­dernd, oh­ne noch et­was zu er­war­ten, als sei es ihr schon zur Ma­rot­te ge­wor­den.

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Bo­tho Strauß: Mi­ka­do (I)

RÜCKKEHR Da gab es den Bäcker­mei­ster Al­win, der ei­nes Mor­gens nicht mehr in sei­ne Back­stu­be kam, sei­ne Frau My­ri­am ver­ließ und nach Me­xi­ko aus­wan­der­te. Dort kauf­te er sich ei­ne Pa­pier­fa­brik ein und wur­de ein er­folg­rei­cher Fa­bri­kant. Schließ­lich ge­hör­ten ihm zwölf Pa­pier­fa­bri­ken in ganz La­tein­ame­ri­ka. Nach fünf­und­zwan­zig Jah­ren kehr­te er nach Han­no­ver zu­rück. Dort leb­te sei­ne ...

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