
Wie frei ist die Kunst?
Kunst, die als Verunglimpfung, Herabsetzung oder Diskriminierung einer Person oder Personengruppe oder gesellschaftlichen Gruppierung aufgrund von Hautfarbe, Glauben, Geschlecht, körperlicher Verfassung, Alter oder nationaler Herkunft verstanden werden könnte sollte grundsätzlich von staatlichen Fördermitteln ausgeschlossen werden.
Diese Forderung könnte durchaus als Imperativ im Rahmen eines zeitgenössischen Diskurses um einen sich neu formierenden Kunst- und Kulturbegriff stehen. Formuliert wurde er aber nicht von einem AStA, einer Gleichstellungsbeauftragten oder vermeintlich progressiven Kunstkritikern sondern bereits im Jahr 1989 vom 2008 verstorbenen republikanischen US-Senator Jesse Helms im Rahmen dessen, was man post festum »Culture wars« nannte. Helms wollte unter anderem diese Richtlinie als Zusatz zur amerikanischen Verfassung implementieren. Die Pointe: Er war ultra-konservativ, homophob und trat vehement gegen die Gleichberechtigung von Weißen und Schwarzen ein. Sein Vorstoß galt den damals »unzüchtigen« und »blasphemischen« Kunstprodukten beispielsweise eines Fotografen wie Robert Mapplethorpe, der Sängerin Madonna oder Martin Scorseses »Die letzte Versuchung Christi«.
Helms’ Zitat ist aus Wie frei ist die Kunst?, dem neuesten Buch des ZEIT-Feuilletonredakteurs Hanno Rauterberg. Es trägt den Untertitel Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus. Aus vier Sichtweisen – Produktion (Künstler), Distribution (Museen), Rezeption und Integration – untersucht Rauterberg das gewandelte Verständnis von Kunst von der Moderne über die Postmoderne hin zur Gegenwart, die im Buch Digitalmoderne genannt wird.
In der Einleitung benennt Rauterberg an einigen Beispielen der letzten Zeit die sich strikt an »Werte« orientierenden Ansprüche an Kunst. Da werden Personen aus Filmen herausgeschnitten, die wegen sexueller Übergriffe angezeigt wurden. Da wird ein Gedicht an einer Häuserfassade übermalt, weil es frauenverachtend und sexistisch sein soll. Als diskriminierend empfundene Wörter sollen aus Büchern getilgt werden. Werkschauen werden aufgrund von Sexismus-Vorwürfen an den Künstler abgesagt oder als anstößig empfundene Kunstwerke aus Ausstellungen entfernt. Karikaturen bleiben ungezeigt, weil sie religiöse Gefühle verletzen könnten.