Die neue Bi­got­te­rie

So­ge­nann­te Po­stings, al­so meist pseud­onym for­mu­lier­te Kom­men­ta­re von Informations­konsumenten im In­ter­net, ha­ben kei­ne Be­deu­tung, auch wenn sich die so­ge­nann­ten Po­ster, wenn sie mit ih­ren Mei­nun­gen und Ge­füh­len in die Öf­fent­lich­keit ge­hen, wich­tig vor­kom­men mö­gen. Aus die­sem Grund ist es mir ziem­lich egal, wenn ei­nes mei­ner Po­stings zen­su­riert wird. Die Zen­sur, die man in der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts für über­holt hielt, ein hi­sto­ri­sches Phä­no­men, ist im 21. Jahr­hun­dert wie­der­ge­kehrt. In der Re­gel wird sie au­to­ma­tisch vor­ge­nom­men, al­so von Ma­schi­nen, die den In­halt der Tex­te nicht wirk­lich ver­ste­hen kön­nen, son­dern auf Reiz­wör­ter und de­ren Kom­bi­na­tio­nen re­agie­ren.

Mei­ne Kom­men­ta­re wer­den öf­ters am öf­fent­li­chen Er­schei­nen ge­hin­dert, und in der Re­gel ver­ges­se ich den Vor­fall gleich wie­der. Neu­lich aber setz­te sich die er­lit­te­ne Zen­sur in mei­nem Kopf fest, weil sie mir viel­sa­gend schien. Es ging im so­ge­nann­ten Fo­rum, das den alt­ehr­wür­di­gen rö­mi­schen, auf die grie­chi­sche De­mo­kra­tie zu­rück­ver­wei­sen­den Na­men nicht ver­dient, um Pä­do­phi­lie, ein The­ma, das im In­ter­net kaum je mit Ver­nunft­grün­den be­spro­chen wird. Den Wort­laut mei­nes Po­stings ha­be ich nicht in Er­in­ne­rung, aber ich er­wähn­te un­ter Klar­na­men – die Ano- und Pseud­ony­mi­tät leh­ne ich für mich per­sön­lich ab – mei­ne Er­fah­rung, daß sich mei­ne klei­ne Toch­ter für mei­nen Pe­nis in­ter­es­siert. Ich bin über­zeugt, daß ähn­li­che Er­fah­run­gen die mei­sten Vä­ter ma­chen, aus­ge­nom­men die be­son­ders ver­schäm­ten, die sich ih­ren Kin­dern nie­mals nackt zei­gen. Nur die­se ei­ne Tat­sa­che ha­be ich im Po­sting kurz, oh­ne Emo­tio­na­li­sie­rung und oh­ne »schmut­zi­ge Wör­ter«, er­wähnt. Nicht ge­schrie­ben ha­be ich, daß ich ge­ge­be­nen­falls Be­rüh­run­gen mei­nes Ge­schlechts­teils durch mei­ne Toch­ter zu­las­se und daß mei­ne Emp­fin­dung da­bei am­bi­va­lent ist: zu­nächst gar nicht un­an­ge­nehm, in ei­ner zwei­ten, ver­mut­lich moral­geleiteten Re­ak­ti­on dann aber doch. Mein Kör­per re­agiert da­bei nicht so, wie er bei der Be­rüh­rung durch mei­ne Frau re­agiert. Das er­leich­tert mich grund­sätz­lich und be­stä­tigt: Ich bin nicht pä­do­phil und ha­be kei­ne Nei­gung zum In­zest. Ich bin aber auch froh, daß ich das in Er­fah­rung brin­gen konn­te – em­pi­risch über­prü­fen, wür­de ein Wis­sen­schaft­ler sa­gen. Al­les, was mich um­gibt, macht mich neu­gie­rig; neu­gie­rig wie mei­ne Toch­ter, von der ich im­mer wie­der ei­ni­ges ler­nen kann.

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Der Schwarm ist nicht nur di­gi­tal. Ei­ne Re­plik.

Das Netz und al­le da­mit ver­bun­de­nen Phä­no­me­ne las­sen sich nicht nur un­auf­ge­reg­ter, son­dern auch bes­ser ver­ste­hen, wenn man zwei (an­son­sten ei­gent­lich üb­li­che) An­nah­men trifft: Er­stens: Das Netz gibt es nicht, al­len­falls als Ver­ein­fa­chung und Ab­strak­ti­on, es ist ein Me­di­um über das In­di­vi­du­en mit­ein­an­der in­ter­agie­ren und kom­mu­ni­zie­ren, und da­mit viel­fäl­tig, wie die Welt selbst, auch wenn es nur ei­nen Teil der­sel­ben dar­stellt oder re­prä­sen­tiert. Zwei­tens: Al­le die dar­an teil­ha­ben, es ge­stal­ten oder kon­su­mie­ren, sind Men­schen und brin­gen grund­sätz­lich je­ne Mo­ti­ve, Hand­lun­gen oder Ver­hal­tens­wei­sen mit, die sie aus ih­rem All­tag ge­wohnt sind; des­halb soll­ten al­le Phä­no­me­ne des Net­zes zu­nächst ein­mal da­hin­ge­hend be­trach­tet wer­den, ob sie auch in der Welt au­ßer­halb des Net­zes be­ob­acht­bar sind. Das schließt nicht aus, dass die­ses Me­di­um spe­zi­fi­sche Pro­ble­me oder Phä­no­me­ne her­vor­bringt, för­dert oder fil­tert: Ge­nü­gen die be­kann­ten Er­klä­run­gen nicht mehr, dann müs­sen neue ge­fun­den und be­grün­det wer­den, die dann mit dem Me­di­um selbst zu­sam­men­hän­gen, es kenn­zeich­nen und als ty­pisch an­zu­se­hen wä­ren.

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Frank Schirr­ma­cher: Payback

Frank Schirrmacher: Payback
Frank Schirr­ma­cher: Payback

In den 1980er Jah­ren ver­dich­te­te sich ins­be­son­de­re in links­in­tel­lek­tu­el­len Krei­sen die Furcht, ja Angst, vor ei­ner staat­lich kon­trol­lier­ten und re­gu­lier­ten Welt, ei­ner Art »Über­wa­chungs­staat« ge­mäß dem Schreckens­bild des En­de der 40er Jah­re ge­schrie­be­nen Bu­ches »1984« von Ge­or­ge Or­well. In der Bun­des­re­pu­blik be­ka­men die Vor­be­hal­te durch ei­ne ge­plan­te Volks­zäh­lung zu­sätz­li­che Nah­rung (wo­bei im Ver­gleich mit den heu­ti­gen tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten die Äng­ste von da­mals ge­ra­de­zu put­zig er­schei­nen). Frank Schirr­ma­cher zi­tiert in sei­nem Buch »Payback« ei­ne Stel­le aus Neil Post­mans Buch »Wir amü­sie­ren uns zu To­de« aus dem Jahr 1985, in dem die­ser die Dif­fe­renz zwi­schen Or­wells »1984« und dem an­de­ren, vi­sio­när-schau­ri­gen Ro­man des 20. Jahr­hun­derts, Al­dous Hux­leys »Schö­ne neue Welt«, her­aus­ar­bei­tet:

»Or­well warnt da­vor, dass wir von ei­ner von au­ßen kom­men­den Macht un­ter­drückt wer­den. Aber in Hux­leys Vi­si­on braucht man kei­nen Gro­ßen Bru­der, um die Men­schen ih­rer Au­to­no­mie, Ver­nunft und Ge­schich­te zu be­rau­ben. Er glaub­te, dass die Men­schen ih­re Un­ter­drückung lie­ben und die Tech­no­lo­gien be­wun­dern wer­den, die ih­nen ih­re Denk­fä­hig­keit neh­men. Or­well hat­te Angst vor den­je­ni­gen, die Bü­cher ver­bie­ten wür­den. Hux­ley hat­te Angst da­vor, dass es gar kei­nen Grund mehr ge­ben könn­te, Bü­cher zu ver­bie­ten. In ‘1984’ wer­den Men­schen kon­trol­liert, in­dem man ih­nen Schmer­zen zu­fügt. In der ‘Schö­nen neu­en Welt’ wer­den Men­schen kon­trol­liert, in­dem man ih­nen Freu­de zu­fügt.«

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Do-It-Yours­elf

Was der Spie­gel über­sieht.

Die gan­ze Dis­kus­si­on er­in­nert mich fa­tal an das Auf­kom­men der »Do-It-Yourself«-Bewegung, die in Deutsch­land ir­gend­wann En­de der 60er/Anfang der 70er Jah­re durch­brach. Kern war ja nicht, dass je­mand in sei­nem Häus­chen oder Woh­nung klei­ne­re Re­pa­ra­tu­ren vor­nahm oder der heu­te noch teil­wei­se in Dör­fern prak­ti­zier­te »Aus­tausch« von Fer­tig­kei­ten un­ter­ein­an­der (der Schrei­ner hilft dem Flie­sen­le­ger und vice ver­sa).

Hin­ga­be und en­ga­gier­tes Tun

Es ging um die Er­mög­li­chung ei­ner Aut­ar­kie von dem, was (1.) viel Geld ko­ste­te und (2.) dann doch qua­li­ta­tiv hin­ter dem zu­rück­fiel, was man sich vor­stell­te. Im Wirtschafts­wunderland wur­de sei­ner­zeit oft ge­nug hand­werk­lich un­zu­rei­chend ge­ar­bei­tet (in­zwi­schen wer­den die er­sten Bau­ten, in den 60er Jah­ren ha­stig er­rich­tet, ab­ge­ris­sen). Hand­wer­ker sein hiess da­mals: Man hat­te kei­ne Zeit – und nicht ge­nug Fach­kräf­te. Der Woh­nungs- oder gar Häus­le­be­sit­zer war mit dem an­ge­bo­te­nen nicht mehr zu­frie­den. Der Heim­wer­ker wur­de er­schaf­fen – an­fangs be­lä­chelt, spä­ter wenn nicht be­wun­dert, dann ge­ach­tet. Und wie so oft wur­de der Trend vom Fern­se­hen auf­ge­grif­fen – und massen­kompatibel ge­macht. »Voll­endet« wur­de die­se Ent­wick­lung durch die Bau­märk­te, die die­ses Kon­zept per­fekt um­setz­ten, in dem sie al­le Pro­duk­te für den Mas­sen­ver­kauf zur Ver­fü­gung stell­ten.

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Ret­tungs­ver­such

Ge­dan­ken zu Kom­men­ta­ren in Blogs am Bei­spiel und mit Hil­fe von Ste­fan Nig­ge­mei­er

War­um kom­men­tiert man auf Blogs? Was sind die Be­weg­grün­de de­rer, sich in teil­wei­se zä­hen Wort­ge­fech­ten mit Leu­ten strei­ten, die sie (in der Re­gel) nicht ken­nen und ver­mutlich auch nie­mals ken­nen­ler­nen wer­den? Mit­te März stell­te Ste­fan Nig­ge­mei­er die­se Fra­ge auf sei­nem Blog – viel­leicht um her­aus­zu­fin­den, wie die Leu­te »ge­strickt« sind, aber auch, um Ma­te­ri­al für sei­nen Ar­ti­kel in der FASZ zu er­hal­ten.

Sehr wohl war mir auf­ge­fal­len, dass Nig­ge­mei­er die Kom­men­ta­re auf sei­nem Blog mit ei­ner of­fen­bar zu­neh­men­den Am­bi­va­lenz be­trach­te­te. Seit ei­ni­ger Zeit kann man die­se so­gar »ab­schal­ten«.

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