oder: Wie ethische Werte in der Desinformationsgesellschaft zerbröseln
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Vor einigen Jahren fragte mich eine junge, kaum zwanzigjährige Verkäuferin in einer der Wiener Boutiquen, die sich in den Gassen hinter dem Stephansdom eingenistet haben, ob ich vielleicht in der Unterhaltungsbranche tätig sei. Ich suchte ein Kleidungsstück für meine Frau aus und hatte nebenbei mit diesem gut gelaunten Mädchen, das an seiner Arbeit offenbar Spaß fand, dahingeplaudert. Ich war perplex, als sie mir diese Frage stellte. »Unterhaltungsbranche«, allein das Wort hätte ich nicht in den Mund genommen. Ich fragte sie, wie sie darauf komme, und erfuhr, dass es meine Redeweise war, die sie auf die Vermutung gebracht hatte. Es hatte zwar keinerlei Verständigungsschwierigkeiten zwischen uns gegeben, doch die Art meiner Wortwahl und mehr noch die Tatsache, dass ich überhaupt Worte mit Bedacht auswählte in einem Gespräch ohne jede tiefere Bedeutung (auch das ein Ausdruck, den sie wahrscheinlich in der Unterhaltungsbranche zuordnen würde), hatte sie ins Staunen gebracht. Ich glaube, mit »Unterhaltungsbranche« meinte sie Fernsehen, Zeitungen, Zeitschriften... »News« oder »Wiener« oder was es damals so gab. Nicht eigentlich das, was in der Nachkriegszeit als »Showbusiness« importiert wurde. Nein, keine Schau, aber doch Unterhaltung, etwas Immaterielles; keine Stoffe und kein Büro. Zugleich aber: Geschäft, also ernstzunehmen. Vielleicht, dachte ich, ist Unterhaltung für dieses Mädchen das Höchste. Eher kleinwüchsig, kräftig, selbstbewusst, mit harmonischen Gesichtszügen (wieder so ein Ausdruck!), blickte sie zu mir auf, leicht amüsiert, guter Dinge, wie jeden Tag.