Schlag­zei­len-Do­ping

Jetzt liegt sie al­so vor: die lan­ge un­ter Ver­schluss ge­hal­te­ne Stu­die zum Do­ping im west­deut­schen Spit­zen­sport. Am Wo­chen­en­de hat­te die »Süd­deut­sche Zei­tung« auf die­se Stu­die hin­ge­wie­sen und seit­dem ist in der Sport-Welt kein Hal­ten mehr: Es gab – wel­che Über­ra­schung! – auch Do­ping in West­deutsch­land.

Be­reits die er­sten Mel­dun­gen über­schlu­gen sich in Su­per­la­ti­ven. Da half es auch we­nig, dass Pro­fes­sor Gi­sel­her Spit­zer von der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät in Ber­lin (ei­ner der Au­toren der Stu­die) im »Ak­tu­el­len Sport­stu­dio« von Struk­tu­ren von »sy­ste­mi­schem« Do­ping in der Bun­des­re­pu­blik sprach (und die Un­ter­schie­de zum »Staats-Do­ping« in der DDR deut­lich be­nann­te). Die Jour­na­li­sten küm­mer­ten sich we­nig um den Un­ter­schied zwi­schen »sy­ste­misch« und »sy­ste­ma­tisch«. Um die Stim­mung ein biss­chen an­zu­hei­zen, ti­tel­te man mehr als nur ein­mal »sy­ste­ma­tisch«, was na­tür­lich präch­ti­ger und vo­lu­mi­nö­ser klang (bei­spiel­haft: »Spie­gel On­line«).

Aber selbst die Ver­öf­fent­li­chung der Stu­die trägt nicht zur Ver­sach­li­chung bei. Auf der Web­sei­te der ARD-»Sportschau« steht:

Die Ge­schich­te des Do­pings in der Bun­des­re­pu­blik be­gin­ne dem­nach nicht erst 1970, son­dern be­reits 1949. Bis 1960 sei­en im deut­schen Sport Am­phet­ami­ne »sy­ste­ma­tisch zum Ein­satz ge­kom­men«.

Da­bei wird sug­ge­riert, dass »sy­ste­ma­tisch zum Ein­satz ge­kom­men« ein Zi­tat aus der Stu­die sei. Ver­linkt wird auf die so­ge­nann­te »Zu­sam­men­fas­sen­de Dar­stel­lung«. Dort fin­det sich je­doch die­ses Zi­tat nicht. Ge­meint sein könn­te die­se Stel­le:

In der Sport­pra­xis ka­men Am­phet­ami­ne bis 1960 im deut­schen Sport nicht nur im Rad­sport oder in der Leicht­ath­le­tik zum Ein­satz. Die erst­mals aus­ge­wer­te­te Dis­ser­ta­ti­on des Göt­tin­ger Me­di­zi­ners (und Ober­li­ga Fuß­bal­lers) Heinz-Adolf He­per aus dem Jahr 1949 zeigt bei­spiel­haft Do­ping­prak­ti­ken ge­gen En­de der 1940er Jah­re im deut­schen Fuß­ball­sport.

Das klingt leicht an­ders.

Aber auf der »Sportschau«-Seite schreibt man von ei­nem »117-sei­ti­gen Ab­schluss­be­richt«. In­fra­ge kommt da nur der »In­halt­li­che Schluss­be­richt« (die Sei­ten­zäh­lung hört bei 120 auf). Hier steht dann tat­säch­lich:

Am­phet­ami­ne ka­men bis 1960 im deut­schen Sport teils sy­ste­ma­tisch zum Ein­satz.

Das Zi­tat auf der ARD-»Sportschau«-Seite ist al­so ver­fäl­schend wie­der­ge­ge­ben. Das Wört­chen teils hat man un­ter­schla­gen. Ich nen­ne so et­was Schlag­zei­len-Do­ping.

(Es geht mir nicht dar­um, die Stu­die an sich in ir­gend­ei­ner Form kom­men­tie­ren zu wol­len. Vie­les kann­te man als Zei­tungs- oder Buch­le­ser schon seit Jah­ren, auch wenn man sich nicht in­ten­siv mit der Ma­te­rie be­schäf­tigt hat­te. Die Sen­sa­ti­on scheint mir al­so bei nä­he­rer Be­trach­tung kei­ne. Viel­leicht ah­nen man­che Jour­na­li­sten dies und hel­fen dann ein biss­chen nach.)

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Die Ver­ball­hor­nung von Nach­rich­ten zum Zweck des Skan­da­li­sie­rens oder ein­fach zur Er­re­gung öf­fent­li­cher Auf­merk­sam­keit be­geg­net ei­nem seit ei­ni­ger Zeit auf Schritt und Tritt. Ge­ra­de bei Nig­ge­mei­er ge­le­sen, wie aus­ge­rech­net die BILD jetzt für die Me­di­en die Leit­the­men setzt und dann Jour­na­li­sten von un­ter­ge­ord­ne­tem Rang, die nur noch Schnell­ab­schrei­ber zu sein schei­nen, die Irr­tü­mer und Ge­dan­ken­lo­sig­kei­ten mul­ti­pli­zie­ren und für ih­ren je­wei­li­gen ver­le­ge­ri­schen Exi­stenz­be­darf aus­schlach­ten. Man möch­te wirk­lich nicht an­dau­ernd über Nie­der­gang und Ver­fall grei­nen, doch es ist kaum noch von der Hand zu wei­sen, dass der pro­fes­sio­nel­le Jour­na­lis­mus nur noch ei­nen win­zi­gen Rest sei­nes frü­he­ren Ethos im Blut hat und zu­neh­mend die Nach­rich­ten­ver­sor­gung eher stört als för­dert. Das fällt das al­les aus­ein­an­der und in Scher­ben. Zum ei­nen sind vie­le Re­dak­tio­nen nicht nur ver­schlankt, son­dern nur noch Haut und Kno­chen, um »Pro­duk­ti­vi­tät« und »Ef­fi­zi­enz« zu er­hö­hen. Zum an­de­ren ver­su­chen die Zei­tun­gen mit ih­rem neu­en On­line-Um­satz­mo­tor bei den Tweets-per-mi­nu­te im Netz mit­zu­hal­ten. Wer kann den Kurz­zeit­tu­mult am schnell­sten mit wei­te­rem Non­sen­se füt­tern und die Klicks ab­fi­schen? Die Doo­fen sind da­bei zu­neh­mend die klas­si­schen Zei­tungs­le­ser, die er­stens für die Min­der­qua­li­tät Geld zah­len und die zwei­tens von den Gra­tis-Kor­rek­turme­cha­nis­men im Netz nichts mit­krie­gen. Zei­tungs­le­ser wis­sen we­ni­ger ... oder war das wo­mög­lich im­mer schon so?

  2. Na­ja, bei »Bild« er­war­tet man doch ir­gend­wie nichts an­de­res, oder? Aber das Pen­del des Jour­na­lis­mus in Rich­tung Bou­le­vard und Tri­via­li­tät schlägt ja auch im­mer mehr in Rich­tung der so­ge­nann­ten (sich selbst so be­zeich­nen­den) Qua­li­täts­me­di­en aus.

    Ich glau­be nicht, dass das »im­mer schon so« war. Bzw.: Frü­her gab es zum ei­nen das Kor­rek­tiv des Re­dak­teurs und zum an­de­ren den klas­si­schen Le­ser­brief. In­zwi­schen ist das al­les mehr oder we­ni­ger egal. Ich glau­be auch nicht, dass es mit dem Zu­sam­men­strei­chen von Re­dak­tio­nen al­lei­ne er­klär­bar ist: Schlam­pe­rei­en ha­ben nichts mit Geld zu tun. Sie sind – um die Sa­che fort­zu­spin­nen – längst sy­ste­misch ge­wor­den. Er­schreckend da­bei ist, dass der Jour­na­lis­mus sich bei je­der Ge­le­gen­heit als »Vier­te Ge­walt« selbst fei­ert.

  3. Ge­ra­de in der FAZ ge­le­sen zu Wa­shing­ton Post, dass den Mit­ar­bei­ter der Ver­kauf ver­kün­det wur­de mit der Auf­la­ge, 10 Mi­nu­ten dar­über nichts zu twit­tern oder zu face­boo­ken: »Zehn Mi­nu­ten: Dar­auf ist in der Zeit der Dau­er­ver­sen­dung von Auf­ge­le­se­nem die Gna­den­frist des Nach­den­kens ge­schrumpft, auch bei Nach­rich­ten in ei­ge­ner Sa­che. Ent­spre­chend dürf­tig fie­len vie­le So­fort­kom­men­ta­re zum Erd­be­ben von Wa­shing­ton auch un­ter se­riö­sen Adres­sen aus.« Das ist der Zu­sam­men­hang. Die Nach­richt lässt sich be­schleu­ni­gen, nicht das Nach­den­ken dar­über.

  4. Aber wann hät­te man als »Pri­va­ter« UND Be­trof­fe­ner denn sonst schon wirk­lich mal Grund für ei­ne »Nach­richt« ge­habt – so­gar in ei­ner Zei­tung! Und sei’s nur als ein ins so­for­ti­ge Ver­schwin­den adres­sier­te Text­bröck­chen auf Twit­ter!

    All den Scheiß, den sie Tag und Nacht und un­ent­wegt und kaum ent­rinn­bar ver­sen­den!!!
    Kann man über­haupt noch über ir­gend­was nach­den­ken? Will man wirk­lich noch? Soll man?

    MEIN Ge­fühl ist: Stop ma­king fuck­ing sen­se!

     

  5. Ich weiß nicht – mir ist das zu »kul­tur­pes­si­mi­stisch«. Na­tür­lich kann man noch über Sach­ver­hal­te nach­den­ken. Man muß es nur tun! Die Leu­te glau­ben, es nicht mehr tun zu kön­nen... (Ha­ben Sie Bo­tho Strauß’ Text im Spie­gel ge­le­sen? Wer­de mir da­zu was ein­fal­len las­sen...)

  6. Es war ja auch nur so ein Im­puls – jetzt soll mir näm­lich auch noch die Wahr­heit über den »Sport« ver­mit­telt wer­den, ei­ne die ich, oh­ne mich je da­für in­ter­es­siert zu ha­ben, in­tui­tiv im­mer schon wuss­te. Der Witz ist, auch die Hälf­te die­ser uns ver­meint­lich leuch­ten sol­len­den »Lei­stun­gen« ist seit je im­mer schon ein Fake / Zu­fall / Er­geb­nis glück­lich-ma­ni­pu­lier­ter Um­stän­de – ei­ne gi­gan­ti­sche ge­sell­schaft­li­che Lü­ge. Aber al­le fie­bern zum neu­en Event von was auch im­mer oder auf die neue »Sai­son«.

    Die »Auf­klä­rung« über noch den letz­ten Mist und die zer­mür­ben­de Su­che wer was nicht ge­wusst ha­ben will scheint mir aber jetzt in der Per­spek­ti­ve letzt­lich viel pes­si­mi­sti­scher, ge­ra­de­zu zer­set­zend. Nicht, dass ich je dar­an glau­ben woll­te. Aber wie oft muss­te ich mir, und war es auch nur die Se­kun­de in der Ta­ges­schau, die ich bis zum Fin­den der Stumm­ta­ste brauch­te, die Mut­ma­ßun­gen an­hö­ren, ob es Jan Ul­rich denn die­ses Jahr schafft... ein Rad­fah­rer, mit nicht ei­nem Na­no­gramm Per­sön­lich­keit oder gar Gla­mour sonst.

    1. Ge­bot: Bit­te nie­mals mehr ei­nem Sport­ler ein Mi­kro­phon hin­hal­ten! Nie mehr. Dan­ke!

    Ich weiß, ich ha­be selbst Schuld an solch ei­ner Welt noch teil­zu­neh­men, aber – wie schon ein­mal hier ge­fragt: Wo soll ich hin mit mei­nem Zu­ge­hö­rig­keits­ver­lan­gen? Auch weiß ich, dass al­le Kla­ge ver­geb­lich ist, aber manch­mal packt mich der Ekel.

    Und ja, auch der Strauß-Text hat mich rat­los zu­rück­ge­las­sen. Es wä­re ja doch ein Trost ge­we­sen , ver­blie­be (gern auch an­de­ren, mir sonst fer­nen Gei­stern) zu­min­dest noch die ei­ne oder an­de­re Ex­klu­siv­po­si­ti­on. Aber es schei­nen eben die­se, sich in ih­ren im­mer ent­le­ge­ne­ren Son­der­fäl­len ver­lie­ren­den Gei­ster ge­nau­so ob­so­let ge­wor­den – ir­gend­wie sind sie auch nur Sport­ler. Die es zu­letzt eben auch nicht mal end­lich ernst mei­nen.

    Tat­säch­lich ist nur Schwei­gen noch rät­sel­haft., nichts sonst. Aber es ist na­tür­lich aus­ge­rech­net für Schrift­stel­ler und Platz­hal­ter in den Me­di­en kei­ne Lö­sung.

    ***

    (Al­ler­dings fand ich auch die mir be­kann­ten Stim­men zu Plu­ri­mi bis­her schwach. Des­halb, ja, bit­te: Las­sen Sie sich et­was ein­fal­len... Und Ent­schul­di­gung: Ich hal­te dem­nächst mei­nen Mund.)

  7. Nein, bit­te nicht auch noch den Mund hal­ten. Die­ser in Strauß’ Text im­pli­zi­te Wunsch, die­ses Her­bei­seh­nen von hier­ar­chi­schen Struk­tu­ren, lie­fe ei­nem sol­chen Blog ja dia­me­tral ent­ge­gen.

    Ja, die Sport­ler sind na­tür­lich auch so et­was wie »Hel­den« ge­we­sen (bzw. im­mer noch). Das Cha­ris­ma, die Au­ra wird ih­nen durch die Zu­schau­er ver­passt und ba­siert auf der Lei­stung. Wenn die Lei­stung er­gau­nert wur­de, bleibt nichts mehr üb­rig – der Held wird sau­er.

    Längst sym­pa­thi­sie­re ich mit der Frei­ga­be von Do­ping (be­son­ders hier, aber auch hier). Und sei es nur, dass ich es leid bin, die­ses Schmie­ren­thea­ter er­tra­gen zu müs­sen. Sol­len sie sich doch ka­putt­sprit­zen. Wer’s dann noch mag...