Ro­bert Spae­mann / Rolf Schön­ber­ger: Der letz­te Got­tes­be­weis

Robert Spaemann / Rolf Schönberger: Der letzte Gottesbeweis

Ro­bert Spae­mann / Rolf Schön­ber­ger: Der letz­te Got­tes­be­weis

In Zei­ten fast blin­den Wis­sen­schafts­glau­bens scheint der neue Ver­such, ei­nen Be­weis für die Exi­stenz Got­tes zu füh­ren, fast schon rüh­rend. Dies in ei­ner Welt, in der Neu­ro­wis­sen­schaft­ler mit ih­ren Er­kennt­nis­sen gleich meh­re­re lä­sti­ge Flie­gen mit ei­ner Klap­pe schla­gen wol­len. Der gröss­te Brum­mer ist da­bei die Leug­nung des frei­en Wil­lens. Den ent­decken sie näm­lich (ge­nau wie die »See­le«) auf ih­ren Kin­der­bild­chen nicht mehr und glau­ben da­mit, et­was Neu­es oder An­de­res zu er­ken­nen. Die nur im Schafs­pelz ge­tarn­ten Wöl­fe über­bie­ten sich der­zeit mit den ab­stru­sen »Sen­sa­tio­nen«, die in Wirk­lich­keit nur ef­fekt­ha­sche­ri­sche Be­lang­lo­sig­kei­ten sind, die ih­re phi­lo­so­phi­sche Im­po­tenz nur ver­schlei­ern. Da ist von ei­ner »Ma­trix-Exi­stenz« die Re­de oder es wer­den Luft­bu­chun­gen wie »phä­no­me­na­le Selbst­mo­del­le« in die Welt ge­setzt – gro­sses Ge­tö­se in ei­nem hoh­len Kör­per. Der De­kon­struk­ti­ons­fu­ror hat, ist er erst ein­mal aus sei­nem Be­deu­tung si­mu­lie­ren­den Jar­gon her­aus­ge­löst, den Charme ei­nes ver­welk­ten Blu­men­strau­sses.

Noch ei­ne Stu­fe hin­ter die Auf­klä­rung zu­rück geht al­ler­dings Ro­bert Spae­mann mit sei­nem Büch­lein »Der letz­te Got­tes­be­weis«. Be­reits im zwei­ten Satz des Vor­wor­tes zieht er ei­ner­seits den hoch­tra­ben­den An­spruch, ei­nen neu­en Got­tes­be­weis lie­fern zu wol­len, zu­rück und spricht lie­ber von ei­nem Ar­gu­ment, das die Ver­nünf­tig­keit des Gott­glau­bens zei­gen soll – an­de­rer­seits sieht er sich je­doch durch­aus in der Tra­di­ti­on von Pas­cal und Kant, was wohl als gran­dio­se Selbst­über­schät­zung ge­se­hen wer­den muss. Spae­manns (und spä­ter auch Schön­ber­gers) Fu­ror, Nietz­sches Aus­spruch »Gott ist tot« als Got­tes­leug­nung zu in­ter­pre­tie­ren und den dia­gno­sti­schen Cha­rak­ter die­ses Dik­tums ent­we­der zu leug­nen oder schlicht­weg zu über­se­hen, ist fast pein­lich.

Die vom Ver­lag ge­prie­se­ne »klei­ne Sen­sa­ti­on« ist ein al­ter Hut

Den jetzt als Buch vor­ge­leg­ten Got­tes­be­weis hat­te Spae­mann be­reits seit 2005 in di­ver­sen Vor­trä­gen und Pu­bli­ka­tio­nen ent­wickelt (we­sent­li­che Text­stel­len des Bu­ches fin­den sich ein ei­nem Ar­ti­kel in der Welt und in dem Ar­ti­kel »Ra­tio­na­li­tät und Got­tes­glau­be«). Der ei­gent­li­che »Be­weis« folgt auf Sei­te 31 und um­fasst et­wa ei­ne Sei­te. Da­nach wech­selt der Au­tor dann (auf dem Co­ver ist das nicht zu se­hen; erst im Klap­pen­text) und Rolf Schön­ber­ger re­fe­riert über die Got­tes­be­wei­se von An­selm von Can­ter­bu­ry und Tho­mas von Aquin und ta­stet sich über Kant und Nietz­sche auf den letz­ten rund 10 Sei­ten des Bu­ches an ei­ne In­ter­pre­ta­ti­on von Spae­manns Be­weis.

Spae­manns »ver­nünf­ti­ges Ar­gu­ment« lau­tet:

    Ich möch­te das, was ich mei­ne, dass näm­lich Wahr­heit Gott vor­aus­setzt, an ei­nem letz­ten Bei­spiel ver­deut­li­chen, an ei­nem Got­tes­be­weis, der so­zu­sa­gen nietz­sche-re­si­stent ist, ei­nem Got­tes­be­weis aus der Gram­ma­tik, ge­nau­er aus dem so­ge­nann­ten Fu­tu­rum exac­tum. Das Fu­tu­rum exac­tum, das zwei­te Fu­tur ist für uns den­knot­wen­dig mit dem Prä­sens ver­bun­den. Von et­was sa­gen, es sei jetzt, ist gleich­be­deu­tend da­mit, zu sa­gen, es sei in Zu­kunft ge­we­sen. In die­sem Sin­ne ist je­de Wahr­heit ewig. Dass am Abend des 12. Ok­to­ber 2006 zahl­rei­che Men­schen in der Ka­tho­li­schen Aka­de­mie in Mün­chen zu ei­nem Vor­trag über »Ra­tio­na­li­tät und Got­tes­glau­be« ver­sam­melt wa­ren, war nicht nur an je­nem Abend wahr, das ist im­mer wahr. Wenn wir heu­te hier sind, wer­den wir mor­gen hier ge­we­sen sein. Das Ge­gen­wär­ti­ge bleibt als Ver­gan­gen­heit des künf­tig Ge­gen­wär­ti­gen im­mer wirk­lich. Aber von wel­cher Art ist die­se Wirk­lich­keit? Man könn­te sa­gen: in den Spu­ren, die sie durch ih­re kau­sa­le Ein­wir­kung hin­ter­lässt. Aber die­se Spu­ren wer­den schwä­cher und schwä­cher. Und Spu­ren sind sie nur, so­lan­ge das, was sie hin­ter­las­sen hat, als es selbst er­in­nert wird.

    So­lan­ge Ver­gan­ge­nes er­in­nert wird, ist es nicht schwer, die Fra­ge nach sei­ner Seins­art zu be­ant­wor­ten. Es hat sei­ne Wirk­lich­keit eben im Er­in­nert wer­den. Aber die Er­in­ne­rung hört ir­gend­wann auf. Und ir­gend­wann wird es kei­ne Men­schen mehr auf der Er­de ge­ben. Schließ­lich wird die Er­de selbst ver­schwin­den. Da zur Ver­gan­gen­heit im­mer ei­ne Ge­gen­wart ge­hört, de­ren Ver­gan­gen­heit sie ist, müss­ten wir al­so sa­gen: Mit der be­wuss­ten Ge­gen­wart — und Ge­gen­wart ist im­mer nur als be­wuss­te Ge­gen­wart zu ver­ste­hen — ver­schwin­det auch die Ver­gan­gen­heit, und das Fu­tu­rum exac­tum ver­liert sei­nen Sinn. Aber ge­nau dies kön­nen wir nicht den­ken. Der Satz »In fer­ner Zu­kunft wird es nicht mehr wahr sein, dass wir heu­te Abend hier zu­sam­men wa­ren« ist Un­sinn. Er lässt sich nicht den­ken. Wenn wir ein­mal nicht mehr hier ge­we­sen sein wer­den, dann sind wir tat­sach­lich auch jetzt nicht wirk­lich hier, wie es der Bud­dhis­mus denn auch kon­se­quen­ter­wei­se be­haup­tet. Wenn ge­gen­wär­ti­ge Wirk­lich­keit ein­mal nicht mehr ge­we­sen sein wird, dann ist sie gar nicht wirk­lich. Wer das Fu­tu­rum exac­tum be­sei­tigt, be­sei­tigt das Prä­sens.

    Aber noch ein­mal: Von wel­cher Art ist die­se Wirk­lich­keit des Ver­gan­ge­nen, das ewi­ge Wahr­sein je­der Wahr­heit? Die ein­zi­ge Ant­wort kann lau­ten: Wir müs­sen ein Be­wusst­sein den­ken, in dem al­les, was ge­schieht, auf­ge­ho­ben ist, ein ab­so­lu­tes Be­wusst­sein. Kein Wort wird ein­mal un­ge­spro­chen sein, kein Schmerz uner­lit­ten, kei­ne Freu­de un­er­lebt. Ge­sche­he­nes kann ver­zie­hen, es kann nicht un­ge­sche­hen ge­macht wer­den. Wenn es Wirk­lich­keit gibt, dann ist das Fu­tu­rum exac­tum un­aus­weich­lich und mit ihm das Po­stu­lat des wirk­li­chen Got­tes. »Ich fürch­te«, so schrieb Nietz­sche, »wir wer­den Gott nicht los, weil wir noch an die Gram­ma­tik glau­ben.« Aber wir kön­nen nicht um­hin, an die Gram­ma­tik zu glau­ben. Auch Nietz­sche konn­te nur schrei­ben, was er schrieb, weil er das, was er sa­gen woll­te, der Gram­ma­tik an­ver­trau­te.

Un­be­frie­di­gen­de Be­weis­füh­rung

Die ent­schei­den­de Fra­ge lau­tet: War­um »müs­sen« wir ein Be­wusst­sein den­ken, in dem al­les auf­ge­ho­ben ist? Wie ist das ge­meint? Ei­ne Art kol­lek­ti­ves Er­in­ne­rungs­de­pot mit Gott als Ober­bi­blio­the­kar? Oder ein kaf­ka­es­ker Ge­set­zes­hü­ter, der für das »jüng­ste Ge­richt« Be­weis­mit­tel sam­melt? Man ist ge­spannt auf Schön­ber­gers Aus­füh­run­gen. Aber in me­di­as res kommt er erst 90 Sei­ten spä­ter (vier Sei­ten vor En­de des Bu­ches):

    Im Be­wusst­sein … ist die Ver­gan­gen­heit nicht durch ih­re Fol­gen, son­dern durch das Er­in­nert­wer­den ge­gen­wär­tig. Auch hier­durch lässt sich kei­ne Ewig­keit den­ken. Denn das Be­wusst­sein ist das von Men­schen; es wird aber auch die Spe­zi­es Ho­mo sa­pi­ens, aus wel­chen Grün­den auch im­mer, un­ter­ge­hen. Dann gibt es kei­ne mensch­li­che Er­in­ne­rung mehr. Die Ver­gan­gen­heit ist dann wie nicht ge­we­sen. Aber ge­nau das kann nicht sein, denn es wi­der­sprä­che dem Aus­gangs­satz [Al­le Tat­sa­chen­wahr­hei­ten sind ewi­ge Wahr­hei­ten]…

    Kei­ne Tat­sa­che wird je­mals wie­der falsch. Dies heißt aber, dass we­der die Na­tur noch der mensch­li­che Geist der Ort die­ser Wahr­heit sein kön­nen. Es kann al­so nur ein un­end­li­ches Be­wusst­sein sein. Ein sol­ches ab­so­lu­tes Be­wusst­sein kön­nen wir nur Gott zu­schrei­ben.

Wenn es al­so kei­ne Men­schen mehr auf der Er­de ge­ben wird, dann blie­be doch die Tat­sa­che aus Spae­manns Bei­spiel, dass am Abend des 12. Ok­to­ber 2006 zahl­rei­che Men­schen in der Ka­tho­li­schen Aka­de­mie in Mün­chen zu ei­nem Vor­trag über »Ra­tio­na­li­tät und Got­tes­glau­be« ver­sam­melt wa­ren wahr. Nur: Wem ist dies dann noch ge­gen­wär­tig? Die Ant­wort wä­re (ge­mäss Schön­ber­ger): Gott.

Aber was ist die­se Tat­sa­che dann »wert«, wenn kein an­de­res Le­be­we­sen mehr Re­kurs hier­auf neh­men kann? Schon in ein­hun­dert Jah­ren dürf­te die­se »Wahr­heit« (1.) ir­rele­vant und (2.) ver­ges­sen sein (im Ge­gen­satz zu an­de­ren »Wahr­hei­ten«, wie bei­spiels­wei­se hi­sto­ri­schen Er­eig­nis­sen). Sie exi­stiert nur so­lan­ge, so lan­ge sie er­in­nert wird. Da­nach bleibt die­se Tat­sa­che zwar wei­ter­hin wahr, ist aber nicht mehr prä­sent. Gott wä­re al­so nur ei­ne Art Prä­senz­ver­wal­ter für ewi­ge Wahr­hei­ten – so ba­nal sie auch sein mö­gen. Aber was fin­ge ein Gott mit sol­chen Tat­sa­chen an? Was fin­ge er mit al­len Wahr­hei­ten der Welt an, wenn sie nur ihm be­kannt wä­ren? Und: Wem nüt­ze ei­ne Bi­blio­thek al­ler Wahr­hei­ten, wenn er nur al­lei­ne auf der Welt wä­re?

Das kei­ne Tat­sa­che je­mals wie­der falsch wird, ist zwar rich­tig (in­so­fern sind Na­tur­ge­set­ze eben nur so­lan­ge wahr, so lan­ge sie nicht wi­der­legt sind). Dies setzt aber kei­nen Statt­hal­ter vor­aus, der die­se in ei­nem ima­gi­nä­ren Be­wusst­seins­raum ar­chi­viert. Die­ser Statt­hal­ter ist aber nicht au­to­ma­tisch da­durch schon in­au­gu­riert, dass es so et­was wie Wahr­hei­ten gibt.

Zwar fragt Schön­ber­ger, ob denn für die Wahr­heit ei­nen Ort den­ken muss, an dem sie ge­dacht und ge­wusst wird, aber ei­ne nach­voll­zieh­ba­re und be­frie­di­gen­de Be­weis­füh­rung bleibt er schul­dig. Ge­nau­so wie die Fra­ge, wie man sich die­ses ab­so­lu­te Be­wusst­sein nun zu den­ken hat. Flugs ist das Büch­lein schon zu En­de, nicht oh­ne noch ein­mal her­aus­ge­stellt zu ha­ben, dass es sich nicht um ei­nen Be­weis im stren­gen Sin­ne han­de­le.

»Be­din­gungs­lo­se Un­ter­wer­fung«

Ob­wohl Spae­mann schreibt, dass die Ab­schaf­fung der Auf­klä­rung zum Ni­hi­lis­mus füh­re, be­treibt er sel­ber ein vor­auf­klä­re­ri­sches Spiel. Sein Gott ist gut, ge­recht, wahr­haf­tig und – vor al­lem – all­mäch­tig! Spae­mann kri­ti­siert Tei­le der heu­ti­gen Prie­ster­schaft, die Gott auf das »Gu­te« re­du­zie­ren wol­len und sei­ne All­macht »ver­ges­sen«. Das Theo­di­zee-Pro­blem, wel­ches er mit kei­nem Wort er­wähnt, wird durch die­ses Po­stu­lat nicht eben klei­ner. Da ver­wun­dert es al­ler­dings nicht, wenn be­din­gungs­lo­se Un­ter­wer­fung Gott ge­gen­über für Spae­mann ein ab­so­lu­tes Ge­bot ist. Für den heu­ti­gen Le­ser mu­tet dies arg ar­cha­isch an.

Man kann sich des Ein­drucks nicht er­weh­ren, dass Spae­mann im (durch­aus be­rech­tig­ten) Fu­ror ge­gen die im­mer wei­ter fort­schrei­ten­de, Ver­wis­sen­schaft­li­chung der Welt, die nun ih­rer­seits re­li­giö­se Zü­ge an­nimmt und im­mer mehr der Theo­lo­gie und vor al­lem der Phi­lo­so­phie droht, den Rang ab­zu­lau­fen, ei­nen Kon­tra­punkt set­zen woll­te. Die Fas­zi­na­ti­on, et­was em­pi­risch be­wei­sen zu kön­nen, was ei­gent­lich je­der Em­pi­rie ent­zo­gen scheint und letzt­lich »nur« ge­glaubt wer­den kann, er­scheint of­fen­sicht­lich zu ver­lockend. Aber sein Be­weis, den er sel­ber schnell als Ar­gu­ment ab­wer­tet, hilft nur dort, wo es kei­ner Hil­fe be­darf.


Er­gän­zen­de Links:

  • Ro­bert Spae­mann im Ge­spräch mit Pe­ter Voß: »Büh­ler Be­geg­nun­gen – Wo­zu muss man Gott be­wei­sen, Herr Spae­mann«. Vi­deo­stream der Sen­dung hier (»Vi­deo im Play­er« emp­foh­len).
  • In­ter­view in der »Wirt­schafts­wo­che« – Spae­mann u. a. zu Krea­tio­nis­mus und In­tel­li­gent De­sign. In­ter­es­sant auch sei­ne Ver­schlüs­se­lungs­the­se zu Jo­hann Se­ba­sti­an Bachs Vio­lin­so­na­te in g‑moll, die, ge­mäss ei­nes be­stimm­ten Ver­schlüs­se­lungs­ver­fah­rens ei­nen Ro­sen­kreu­zer­text her­vor­brin­gen soll. Spae­mann hält es für un­mög­lich, dass dies ein »Zu­fall« sein kann und at­te­stiert Bach gött­li­che Schöp­fer­kraft. Von hier aus re­kur­riert er dann auf die Evo­lu­ti­ons­the­se. Die­se Ver­schlüs­se­lungs­the­se wird auch im be­han­del­ten Buch aus­ge­brei­tet, al­ler­dings in­ter­es­san­ter­wei­se oh­ne Nen­nung der Mu­sik­wis­sen­schaft­le­rin Hel­ga Thoe­ne.

23 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Der letz­te Ti­tel
    In ei­ner Buch­hand­lung wür­de ich viel­leicht ein biss­chen durch die Sei­ten blät­tern, um das Buch dann an­ge­wi­dert zur Sei­te zu le­gen.
    Der Ti­tel mit der Ad­jek­ti­vie­rung »letz­te« reicht aus, um das ge­sam­te Buch zu des­avou­ie­ren.
    Et­was so zu ti­tu­lie­ren zeigt von der Art von Jour­na­lis­mus oder Ge­schreib­se, der es nicht auf den In­halt an­kommt.
    Es wä­re aber zu hof­fen, dass es »das letz­te Buch« des Au­tors ist, ge­nau­so wie ich ihm wirt­schaft­li­chen Miss­erfolg da­mit wün­sche.
    Ich könn­te lang­at­mig be­grün­den, war­um mich der Ti­tel so auf­regt, doch glau­be ich, dass ich von den we­sent­li­chen Le­sern auch so ver­stan­den wer­de.

  2. Ja, der Ti­tel...
    ist reich­lich merk­wür­dig. Spae­mann ist aber ein se­riö­ser Re­li­gi­ons­phi­lo­soph – viel­leichst schaust Du Dir ja we­nig­stens den An­fang des Vi­deo­streams ein­mal an. Dort kommt ir­gend­wann her­aus, dass er sein Buch si­cher­lich an­ders ge­nannt hät­te (die Vo­ka­bel »Got­tes­be­weis« ne­giert er ja be­reits im zwei­ten Satz im Vor­wort). Da ist wohl auf den Ver­lag sehr viel »Rück­sicht« ge­nom­men wor­den.

    Er ist 80 Jah­re alt – viel­leicht meint er des­halb, es sei »der letz­te« – al­so sein letz­ter, so­zu­sa­gen. Be­zie­hungs­wei­se: der letz­te, den er noch ge­denkt zu den­ken.

  3. Fra­ge
    Erst­mal bin ich froh, dass ich nicht der ein­zi­ge bin, der das lan­ge Zi­tat nicht ver­steht. Bzw. der nicht ver­steht, wor­in die Be­weis­kraft lie­gen soll. Da ich in Phi­lo­so­phie ei­ne Nie­te bin, will ich aber nicht wei­ter dar­auf ein­ge­hen.

    Jetzt zur Fra­ge (führt ewas vom The­ma weg, sor­ry). Du schreibst von »Zei­ten fast blin­den Wis­sen­schafts­glau­bens« und am Schluss noch­mal vom »be­rech­tig­ten Fu­ror ge­gen die im­mer wei­ter fort­schrei­ten­de Ver­wis­sen­schaft­li­chung der Welt«. Mich wür­de in­ter­es­sie­ren, wor­an du die­se fest­machst. Mir scheint, dass die Welt vor z.B. 50 oder 70 Jah­ren viel »ver­wis­sen­schaft­lich­ter« war als heu­te.

  4. Viel­leicht
    Bei­spiels­wei­se mit fort­schrei­ten­den Do­mi­nanz der Neu­ro­wis­sen­schaf­ten (die der Phi­lo­so­phie den Rang ab­lau­fen wol­len – al­les wird jetzt über die Ge­hirn­funk­tio­nen er­klärt) oder auch ein­fach nur mit der Tech­nik­gläu­big­keit et­li­cher Prot­ago­ni­sten was die Gen­tech­nik an­geht (um dies sehr stark zu pau­scha­lie­ren), ha­ben wir m. E. ei­ne Di­men­si­on er­reicht, in der sich der Mensch (bzw. der Wis­sen­schaft­ler) sich schöp­fe­ri­sches an­masst.

    Viel­leicht ist aber auch nur die Qua­li­tät der »Ver­wis­sen­schaft­li­chung« ei­ne an­de­re, weil es (mit Beck ge­spro­chen) zu Ri­si­ken füh­ren kann, die glo­ba­le Aus­wir­kun­gen ha­ben kön­nen.

    [EDIT: 2007-08-07 20:06]

  5. Stirn­klatsch
    An das na­he­lie­gend­ste hatt ich gar nicht ge­dacht. Neu­ro­wis­sen­schaf­ten, ja klar. Und Gen­tech­nik, und Mi­kro­bio­lo­gie über­haupt. Ich war auf ei­ner ganz an­de­ren Schie­ne, zu­neh­men­de Ge­ring­schät­zung von (im wei­te­sten Sin­ne) wis­sen­schaft­li­cher Ge­dan­ken­füh­rung, oder über­haupt der vier Grund­re­chen­ar­ten. An­schein­dend sur­fe ich in letz­ter Zeit zu­viel auf spin­ner­ten Eso­te­rik­sei­ten her­um.

    [EDIT: 2007-08-07 21:57]

  6. Phä­no­me­na­les und nicht-sub­stan­zi­el­les Selbst­mo­dell
    hal­te ich nicht für Luft­num­mern, son­dern ei­gent­lich für recht klar ge­wähl­te Be­grif­fe mit recht ver­ständ­li­chen Grund­ge­dan­ken:

    Selbst­mo­dell: Al­le Wahr­neh­mun­gen, die wir über un­se­re Sin­ne ha­ben, wer­den im Ge­hirn in neu­ro­na­le Ak­ti­vi­täts­mu­ster ab­ge­bil­det. Da das nicht die Wirk­lich­keit selbst ist, son­dern ei­ne Ab­bil­dung, ist Mo­dell da­für ein ver­nünf­ti­ger Be­griff. Die Ak­ti­vi­tät ist da­bei räum­lich und zeit­lich ver­teilt, u.a. weil die Ob­jek­te selbst ei­ne Aus­deh­nung in der Raum­zeit ha­ben, al­so im Au­ge ver­schie­de­ne Sin­nes­zel­len an­ge­spro­chen wer­den und auch meist ver­schie­de­ne Sin­nes­or­ga­ne be­tei­ligt sind.

    Den mei­sten „In­put“ er­fah­ren wir aber von uns selbst, hier nicht un­be­dingt, weil wir uns räum­lich am näch­sten sind, son­dern weil der Groß­teil der neu­ro­na­len Ver­schal­tun­gen in­ner­halb des Ge­hirns ver­läuft und weil na­tür­lich un­ser ei­ge­ner Zu­stand für uns (für un­ser Über­le­ben) die al­ler­größ­te Be­deu­tung hat.

    In die­ses un­ser Selbst wird al­so der al­ler­größ­te Teil un­se­rer Ner­ven­tä­tig­keit in­ve­stiert. Das un­ter­schei­det uns von den Tie­ren, un­ser Ge­hirn ver­braucht weit über­pro­por­tio­nal Res­sour­cen, ver­gli­chen mit an­de­ren Tie­ren. Die Neu­ro­wis­sen­schaft­ler ver­su­chen das mi­ni­ma­le neu­ro­na­le Kor­re­lat zu fin­den, al­so die kleinst­mög­li­che An­zahl von Neu­ro­nen und de­ren Ver­schal­tun­gen, um ein Selbst zu kon­sti­tu­ie­ren.

    Phä­no­me­nal: Das größ­te Rät­sel bei un­se­rem Be­wusst­sein ist, war­um es nicht nur ein­fach (un­be­wusst) funk­tio­niert, wir al­so wie Zom­bies durchs Le­ben stol­pern, son­dern war­um wir da­bei et­was er­le­ben, eben die „Phä­no­me­ne“ oder Qua­lia. We­ni­ger er­staun­lich fin­de ich die oft als ver­blüf­fend ge­schil­der­te weit­ge­hen­de Kon­stanz des Selbst, al­so dass man sich im Al­ter noch als die­sel­be Per­son wie in der Ju­gend emp­fin­det. Ganz ein­fach, weil un­se­re na­tür­li­che und so­zia­le Um­welt, un­se­re In­ter­ak­ti­vi­tät und un­ser Äu­ße­res kon­stan­te An­tei­le be­inhal­tet und un­se­re Ner­ven­tä­tig­keit auf ei­ner ziem­lich kon­stan­ten Hard­ware läuft.

    Nicht-sub­stan­zi­ell: Das macht Met­zin­ger in dem von dir ver­link­ten Ar­ti­kel an der Fa­den­ana­lo­gie deut­lich. Un­ser Selbst ist nicht-sub­stan­zi­ell, al­so kei­ne Sub­stanz, weil man, wenn ei­ner im Ge­hirn „den Stecker zieht“, als Per­son auf­hört zu exi­stie­ren. Nach An­sicht der Neu­ro­wis­sen­schaft­ler und der ih­nen na­he­ste­hen­den Phi­lo­so­phen (ala Met­zin­ger) ist die Exi­stenz ei­nes Selbst an ein funk­tio­nie­ren­des Ge­hirn ge­bun­den, das re­kur­riert auch wie­der auf das „neu­ro­na­le Kor­re­lat“. Aber der be­wuss­te Fo­kus springt im Ge­hirn stän­dig hin und her, es ist ein Pro­zess der stän­di­gen (elek­tri­schen und che­mi­schen) Ver­än­de­rung, kein Ding, des­halb „nicht-sub­stan­zi­ell“.

    Ein Dis­sens von Met­zin­ger mit den Neu­ro­wis­sen­schaft­lern be­steht dar­in – er­in­ne­re dich an die von Mi­ri­am bei Nensch los­ge­tre­te­ne Dis­kus­si­on – dass er be­fürch­tet, dass das Fin­den die­ses mi­ni­ma­len neu­ro­na­len Kor­re­lats da­zu die­nen kann, KI zu schaf­fen, al­so nicht­mensch­li­che be­wuss­te Selbste. Er plä­diert da­ge­gen, um das Leid auf der Welt nicht zu ver­grö­ßern. Erst da wird er mir merk­wür­dig. Er­stens se­he ich nicht, dass das über­haupt je­mals (oder in näch­ster Zeit) ge­lin­gen wird, und dann ist mir nicht klar, war­um ein re­la­tiv „dum­mes“ be­wuss­tes Et­was dar­un­ter lei­den soll. Ra­ben z.B., sie­he ei­nen mei­ner letz­ten Ar­ti­kel, ha­ben ver­mut­lich bei­spiel­wei­se ein der­ar­tig ein­fa­ches Be­wusst­sein, und sie be­nut­zen es ein­fach. Und es gibt sehr vie­le sehr dum­me Men­schen, die recht zu­frie­den mit sich le­ben kön­nen.

    Der An­satz für den Got­tes­be­weis ist ab­so­lut lä­cher­lich. Kurz­zu­sam­men­fas­sung: Weil ich mit nicht vor­stel­len kann, dass et­was end­lich ist, muss Gott her und für mich die Un­end­lich­keit ga­ran­tie­ren. Da ist nicht ein­mal ein Fünk­chen Lo­gik zu er­ken­nen. Für das Ver­schwin­den jeg­li­cher Er­in­ne­rung kann man im ein­fach­sten Fall so­gar die Quan­ten­theo­rie be­mü­hen. Selbst bei voll­stän­di­ger Kennt­nis des heu­ti­gen Zu­stands kann man we­der in die Ver­gan­gen­heit noch in die Zu­kunft un­end­lich weit ex­tra­po­lie­ren, weil Ge­vat­ter Zu­fall im­mer mit am Tisch sitzt, in bei­den Rich­tun­gen.

    Sum­ma sum­ma­rum: Met­zin­ger soll­te man nicht in die Nä­he von Leu­ten rücken, die sich an Got­tes­be­wei­sen ver­su­chen. Er ist ei­ne ganz an­de­re Li­ga.

  7. Mir ist klar, dass Met­zin­ger mit Spae­mann na­tür­lich nicht di­rekt »ver­gleich­bar« ist. Aber auch Met­zin­ger treibt ja in Wirk­lich­keit kei­ne bloß be­schrei­ben­de Wis­sen­schaft, son­dern lässt in dem In­ter­view in der ZEIT schon an­klin­gen, wor­um es ihm geht:

    Wenn wir das neu­ro­na­le Kor­re­lat des Be­wusst­seins ken­nen und ein ma­the­ma­ti­sches Mo­dell ha­ben, das er­klärt, wie In­for­ma­ti­on dar­in fließt und ver­ar­bei­tet wird, dann kön­nen wir auch Be­wusst­seins­in­hal­te di­rekt mo­du­lie­ren, sie hem­men, ver­stär­ken, op­ti­mie­ren (Her­vor­he­bung von mir).

    Auf die vor­sich­ti­ge Nach­fra­ge, ob das nicht auch ein biss­chen ge­fähr­lich ist, folgt ei­ne aus­wei­chen­de Ant­wort:

    Neu­ro­tech­no­lo­gie wird aber erst zur Be­wusst­seins­tech­no­lo­gie, wenn sie be­ginnt, phä­no­me­na­le Rea­li­täts­mo­del­le, al­so Be­wusst­seins­in­hal­te als sol­che, vor­sätz­lich und se­lek­tiv zu ver­än­dern oder zu er­zeu­gen.

    Das ist kei­ne Ant­wort auf den Ein­wand, son­dern ge­nau das (mit an­de­ren Wor­ten) was er vor­her sag­te. Was ihn durch­aus mit den Got­tes­be­wei­sern vom Mit­tel­al­ter bis heu­te ge­mein­sam um­treibt ist sei­ne apo­dik­ti­sche Be­deu­tungs­auf­plu­ste­rung (die fällt bei Spae­mann zu­ge­ge­be­ner­ma­ssen durch die ex­or­bi­tan­te Schwä­che sei­nes »Be­wei­ses« eher ge­ring aus). Met­zin­ger hebt die Neu­ro­wis­sen­schaf­ten als kon­sti­tu­ie­rend für ein neu­es Welt­bild an.

    Die Dis­kus­si­on auf Nensch hat mich schnell nicht mehr in­ter­es­siert; u. a. des­we­gen, weil dort sehr spe­zi­fisch um Be­griff­lich­kei­ten ge­run­gen wur­de, die für mich we­nig Re­le­vanz hat­ten und des­sen Be­deu­tung ich auch ir­gend­wann nicht mehr ver­stan­den ha­be (in die­sem Th­read wird üb­ri­gens schon Spae­mann be­han­delt [und als »üb­ler Ge­sel­le« ein biss­chen harsch be­lei­digt]; s. hier). Met­zin­gers Selbst­mo­dell ist mir im­mer su­spekt vor­ge­kom­men, da es das ei­ne Dog­ma (die Re­li­gi­on) durch ein an­de­res er­setzt; nein: weil es dem neu­en Dog­ma weit die Tü­ren öff­net.

    Über­spitzt könn­te ich auch sa­gen, dass die ei­nen Gott be­wei­sen wol­len – die an­de­ren es Gott gleich tun wol­len.

    Na­tür­lich hat Met­zin­gers Mo­dell bei vie­len »IT-Men­schen« ei­ne ho­he At­trak­ti­vi­tät (das be­le­gen auch die Le­ser-Kom­men­ta­re nach dem In­ter­view in der ZEIT).

  8. Die Neu­ro­wis­sen­schaf­ten sind kon­sti­tu­ie­rend für ein neu­es Welt­bild, wenn ih­nen der Nach­weis ge­lingt, dass die Qua­lia aus­schließ­lich auf neu­ro­na­le Vor­gän­ge rück­führ­bar sind. Aber dar­an glau­be ich nicht, dass das mach­bar ist. Es wird ei­ne zwar em­pi­risch sehr gut un­ter­mau­er­te aber doch Theo­rie blei­ben, da­für wird ih­re Hei­lig­keit, die Emer­genz, schon sor­gen.

    Aber be­reits die An­nah­me als Hy­po­the­se führt zu sehr merk­wür­di­gen Dis­kus­sio­nen, wie die um den frei­en Wil­len. Ab­ge­se­hen von dem da­mit ver­bun­de­nen Ka­te­go­rien­feh­ler wird heu­te die Mög­lich­keit be­reits als Tat­sa­che dis­ku­tiert. Das ver­mischt sich auf in­ter­es­san­te Wei­se mit der Dis­kus­si­on über die KI, die seit 40 Jah­ren mit je­weils ei­nem Zeit­ho­ri­zont von »in spä­te­stens 20 Jah­ren« an­ge­kün­digt wird.

  9. Wel­che Be­deu­tung hat die Kon­sti­tu­ie­rung ei­nes neu­en Welt­bil­des für die Men­schen, die das De­tail­wis­sen der Spe­zia­li­sten zwar ver­mit­telt be­kom­men, des­sen Re­le­vanz für ihr ei­gent­li­ches Le­ben aber wei­ter­hin kei­ner­lei Be­deu­tung hat? Wenn ich mal im Po­si­ti­ven da­von aus­ge­he, dass Die Er­kennt­nis­se der Neu­ro­wis­sen­schaf­ten nicht zum Miss­brauch führ­ten (Ein­schrän­kung der Per­sön­lich­keits­rech­te etc.), dann er­gänz­ten sie doch le­dig­lich das Ver­ständ­nis von bio­lo­gi­schen Funk­ti­ons­wei­sen und, zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen, das Ver­ständ­nis um ih­re Aus­wir­kun­gen auf un­ser so­zia­les Ver­hal­ten.

    Wür­de ich mich aber des­we­gen an­ders ver­hal­ten? (Das Par­fum, dass wir heu­te be­nut­zen ent­hält Stof­fe die an­ma­chen, dass wuss­te man schon vor­her. Fern­se­hen ist schlecht für Kin­der – so what?) En­ste­hen an­de­re so­zia­le Be­din­gun­gen? Bleibt der Mensch nicht wei­ter­hin stär­ker in sei­nen Tra­di­tio­nen ver­haf­tet und den Fra­ge­stel­lun­gen in Zu­sam­men­hang mit sei­ner Exi­stenz? Die Be­haup­tung der Neu­ro­wis­sen­schaft, wie auch an­de­rer hoch spe­zia­li­sier­ter Wis­sens­be­rei­che, das Le­ben zu er­klä­ren, er­löst den Men­schen doch nicht von den klas­si­schen Sinn­fra­gen. Das sind die Räu­me, die von der Phi­lo­so­phie, der Psy­cho­lo­gie, den Re­li­gio­nen, der Li­te­ra­tur, der Kunst zu fül­len sind (je nach Ge­schmack und Be­darf). Ich hof­fe, das war nicht am The­ma vor­bei.

    Dan­ke für den span­nen­den Bei­trag. Ach so: Der Got­tes­be­weis zeigt le­dig­lich auf, wel­che Not­wen­dig­keit der­je­ni­ge hat, der die Be­weis­füh­rung ver­sucht. Das ist nicht ab­fäl­lig gemeint.Ich le­se da et­was über die Sehn­sucht nach Sinn­haf­tig­keit über sich selbst hin­aus. Das klas­si­sche Mo­tiv des: Was kommt nach mir durch mich. Es ist die Fra­ge nach dem Le­ben nach dem To­de, die den 80-jäh­ri­gen Spea­mann be­schäf­tigt. Das ist nicht un­lau­ter und wenn ich rich­tig ver­stan­den ha­ben, eher ein Ver­such, denn ein Po­stu­lat.

  10. @Köppnick
    Tja, wenn und aus­schliess­lich...

    Die Ge­mein­sam­keit zwi­schen dem (ver­krampf­ten?) Got­tes­be­weis und dem Ver­such, die Welt aus­schliess­lich bio­lo­gi­stisch er­klä­ren zu wol­len, liegt m. E. dar­in, dass bei­de das vor­aus­set­zen, was sie vor­ge­ben er­klä­ren zu wol­len. Die Fra­ge ist al­ler­dings, in­wie­weit dies nicht im­ma­nent ist.

  11. @nerone
    Ver­än­de­rung un­se­res Welt­bilds: Nimm als Bei­spiel die Dis­kus­si­on um den frei­en Wil­len. Ge­setzt den Fall, es ge­lingt der Nach­weis, dass al­le Vor­gän­ge im Ge­hirn so wie im Com­pu­ter ab­lau­fen. Streng de­ter­mi­niert, aus dem In­put kann man den Out­put er­rech­nen, die Re­ak­tio­nen des und im Or­ga­nis­mus sind al­le vor­her­sag­bar. Gibt es kei­nen frei­en Wil­len, dann bricht un­ser Rechts­ver­ständ­nis (und Ju­stiz­sy­stem) zu­sam­men. Wenn der Ein­zel­ne in ei­ner be­stimm­ten Si­tua­ti­on kei­ne freie Wahl zwi­schen meh­re­ren Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven hat, kann man ihm sei­ne Tat nicht vor­wer­fen.

    Man kann jetzt meh­re­re Dis­kus­si­ons­li­ni­en auf­bau­en, die an die­ses Pro­blem voll­kom­men un­ter­schied­lich her­an­ge­hen:
    a) Re­li­gi­ös: Es stimmt nicht, dass al­les na­tur­wis­sen­schaft­lich de­ter­mi­niert ist, „da drau­ßen“ ist noch mehr. Mei­ner Mei­nung nach löst aber die­se Ar­gu­men­ta­ti­on das Pro­blem in un­se­rem Fall nicht, denn wer ent­schei­det denn nun? Wenn Gott die bö­se Tat ver­ur­sacht, kann der Be­tref­fen­de eben­falls nicht ver­ur­teilt wer­den, es war ja qua­si gött­li­cher Be­fehl. Wenn Gott aber wie­der Frei­heits­gra­de für den Ein­zel­nen ein­führt, wie äu­ßern sie sich na­tur­wis­sen­schaft­lich?

    b) Quan­ten­theo­re­tisch: Auf der un­ter­sten Ebe­ne der uns be­kann­ten Na­tur­be­schrei­bung gibt es den ech­ten Zu­fall. Die­ser soll dann ver­schie­de­ne mög­li­che Ent­schei­dun­gen kau­sal ver­ur­sa­chen. Auch das ei­ne ab­sur­de Si­tua­ti­on, weil rei­ner Zu­fall ja das Ge­gen­teil ei­ner frei­en und be­wuss­ten Ent­schei­dung ist.

    c) Emer­genz: Es ist un­er­heb­lich, wie gut und ge­nau die Be­schrei­bung auf neu­ro­na­ler Ebe­ne wird, sie kann nie­mals er­schöp­fend sein in dem Sinn, dass al­le hö­he­ren Ebe­nen auf sie rück­führ­bar sind. Es gibt im­mer Er­klä­rungs­lücken. Ma­the­ma­tisch-phy­si­ka­lisch ein­fach da­durch, dass die Zahl der Neu­ro­nen und die Zahl der Ver­knüp­fun­gen und mög­li­chen In­ter­ak­tio­nen zu groß für ei­ne voll­stän­di­ge Mo­del­lier­bar­keit ist. Und zwar nicht bloß prak­tisch, son­dern auch theo­re­tisch. Glei­ches gilt üb­ri­gens auch für die Be­zie­hung zwi­schen den Quan­ten und den Neu­ro­nen. Auch hier gibt es ei­ne Lücke, was in mei­nen Au­gen auch den quan­ten­theo­re­ti­schen An­satz auf die­sel­be Stu­fe wie den re­li­giö­sen stellt. Er klärt nichts auf.

    Er­go: Die Neu­ro­wis­sen­schaft­ler glau­ben, sie wür­den un­ser Welt­bild ver­än­dern, wenn ih­nen die voll­stän­di­ge Re­duk­ti­on auf das Spiel der Neu­ro­nen ge­lingt. Das kön­nen sie ru­hig glau­ben, aber sie wer­den es nicht schaf­fen – weil es theo­re­tisch gar nicht mög­lich ist.

    Es ist al­so nicht mein Ar­gu­ment, dass die Neu­ro­wis­sen­schaft ALLES auf den Kopf stellt. Aber es ist zwei­fel­los ei­ne der drei gro­ßen Wis­sen­schaf­ten des 21. Jahr­hun­derts: Physik/Kosmologie, Biologie/Genetik, Neurowissenschaften/Philosophie/Religion. Al­le drei be­stim­men un­ser Welt­bild.

  12. Das Ju­stiz­bei­spiel ist er­schreckend ein­leuch­tend, im­pli­ziert es doch die Auf­lö­sung der tra­dier­ten ethi­schen und mo­ra­li­schen Im­pli­ka­tio­nen. Met­zin­ger äu­ßert ja die Be­fürch­tun­gen deut­lich, wenn er von »vul­gä­rem Ma­te­ria­lis­mus« spricht, oder ei­nem »pri­mi­ti­ven He­do­nis­mus«, der in die Ent­so­li­da­ri­sie­rung führt. Sei­ne nicht ganz über­zeu­gen­de Ant­wort auf die­se Mög­li­chen ge­sell­schaft­li­chen Aus­wir­kun­gen wä­re dann der »evo­lu­ti­ve Hu­ma­nis­mus«, was­im­mer­d­asist.
    Den Weg in die­ses neue Welt­bild se­he ich je­doch noch dunk­ler vor uns lie­gen, als das Ziel. Die Ge­fahr, die Met­zin­ger in dem Fun­da­ment­lis­mus sieht, die se­he ich auch. Die Ge­fahr, dass cha­ris­ma­ti­sche Wer­te­ge­mein­schaf­ten grö­ße­re At­trak­ti­vi­tät ha­ben, als die wis­sen­schaft­lich be­grün­de­ten kann für Ge­sell­schaf­ten ver­hee­ren­de Fol­gen ha­ben. Wenn Met­zin­ger wei­ter kon­sta­tiert, er ge­be Ame­ri­ka ver­lo­ren, dann ist das auch ei­ne Fol­ge des »blin­den Wis­sen­schafts­glau­bens« (Keu­sch­nig). Ich be­fürch­te ei­ne Welt mul­ti­pler Wahr­hei­ten, die sich nicht mehr ei­nig wird. Busi­ness as usal al­so, aber un­ter ver­schärf­ten Vor­zei­chen.

    Das wa­ren jetzt die Schreck­ge­spen­ster. An­son­sten kann ich Ih­ren Aus­füh­run­gen be­stens Fol­gen, Köpp­nick, bis hin zu Ih­rer Schluss­fol­ge­rung. Vie­len Dank.

  13. @Köppnick
    In dem ver­link­ten In­ter­view der SZ wird noch »d)« auf­ge­macht (Ar­beits­ti­tel: So­zia­ler Druck).

    Wu­ke­tits sagt da:

    Die Exi­stenz ei­nes frei­en Wil­lens ist je­doch kei­ne not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung für mo­ra­lisch rich­ti­ges Han­deln. Wir ha­ben ja bei­spiels­wei­se auch so­zia­le Zwän­ge zu be­rück­sich­ti­gen. Nicht Mo­ral, son­dern das Be­dürf­nis, in mei­ner Ge­sell­schaft nicht zum Au­ßen­sei­ter zu wer­den, bringt mich da­zu, mei­ne Ver­spre­chen ein­lö­sen.

    Und wei­ter:

    Stel­len wir uns ei­nen Mann vor, der ei­ne Frau ver­ge­wal­tigt und tö­tet und dann sagt: „Tut mir Leid, ich konn­te nicht an­ders, weil ich kei­nen frei­en Wil­len ha­be. Mei­ne Hor­mo­ne, Ge­ne, Neu­ro­ne ha­ben mich da­zu ge­zwun­gen“. Dann könn­ten wir ant­wor­ten: „Das se­hen wir schon ein. Aber Sie müs­sen zur Kennt­nis neh­men, dass an­de­re Men­schen nicht ver­ge­wal­tigt und ge­tö­tet wer­den wol­len. Des­halb müs­sen wir Sie aus dem Ver­kehr zie­hen.“

    Die­ses gan­ze ar­chai­sche Kon­zept von Schuld und Süh­ne brau­chen wir nicht zu be­mü­hen. Wenn je­mand da­zu neigt, an­de­re phy­sisch oder psy­chisch zu schä­di­gen, dann hat die Ge­sell­schaft das Recht, ihn dar­an zu hin­dern. Was das im Ein­zel­nen be­deu­tet, muss man dis­ku­tie­ren. Ich den­ke aber, dass das klas­si­sche Sche­ma der Be­stra­fung, der Ra­che ob­so­let ge­wor­den ist.

    Zwar wird dann noch die Fra­ge nach der Re­so­zia­li­sie­rungs­fä­hig­keit ge­stellt, aber »span­nen­der« wä­re es si­cher­lich, wer be­stimmt, wann je­mand »auf dem Ver­kehr ge­zo­gen« wird.

  14. Sacri­fi­zio del­l’in­tel­let­to
    Herr­lich! Die ka­tho­li­sche Kir­che mar­schiert ei­nem neu­en Sacri­fi­zio del­l’in­tel­let­to ent­ge­gen. Du ar­bei­test sehr klar her­aus, was hier funk­tio­niert, näm­lich gar nichts mehr (ab­ge­se­hen da­von, daß der Herr wohl ei­nen Kampf ge­gen Wind­müh­len führt, wie vie­le ka­tho­li­sche In­tel­lek­tu­el­le, und zwar ge­gen Wind­müh­len des 19. Jahr­hun­derts, die »Ver­su­chung« für die Theo­lo­gie des 21. Jahr­hun­derts und die feh­len­den Ant­wor­ten auf bren­nen­de Fra­gen lie­gen eher in der Psy­cho­lo­gie und Hirn­phy­sio­lo­gie be­grün­det als in der Phi­lo­so­phie des deut­schen Idea­lis­mus.)

    Mein Haupt­pro­blem liegt im­mer in Sprün­gen auf die dog­ma­ti­sche oder pa­sto­ra­le Ebe­ne, die sich die Theo­lo­gen lei­sten. Bis da­hin ist al­les gut, aber Sät­ze wie: »Wir müs­sen ein Be­wusst­sein den­ken, in dem al­les, was ge­schieht, aufge­hoben ist, ein ab­so­lu­tes Be­wusst­sein« sind für mich stets er­staun­lich. Wir müs­sen? Wes­halb müs­sen wir? Da­mit sich der Zir­kel­schluß in sei­ner Ar­gu­men­ta­ti­on voll­endet? Da­mit die rö­misch-ka­tho­li­sche Kir­che, Ge­mein­schaft der Hei­li­gen, nicht ins Lee­re läuft? Müs­sen wir? Das ein­zi­ge, was wir müs­sen, ist – na, ich schenk’s mir. Spol­che Sprün­ge sind m.E. awis­sen­schaft­lich und al­bern. Ca­mus gei­ßelt sie als Aus­wit­schen vor dem of­fen­sicht­lich Ab­sur­den in die Me­ta­phy­sik, sie sei­en der fi­na­le Ret­tungs­ver­such, et­was Un­rett­ba­res zu ret­ten, und zwar mit rei­ner Ir­ra­tio­na­li­tät. Da fei­ert für mich der Satz »cre­do quia ab­sur­dum« fröh­li­che Ur­ständ. Et er­go: Amen.

  15. @Gregor
    Mei­ner Mei­nung nach macht Wu­ke­tits den­sel­ben Feh­ler wie schon Li­bet. Die­ser hat­te fest­ge­stellt, dass je­der be­wuss­ten Hand­lung un­be­wuss­te neu­ro­na­le Ak­ti­vi­tät vor­an­geht. Man kann al­so durch die Mes­sung von Ge­hirn­strö­men be­reits vor­her wis­sen, dass ein Mensch gleich ei­ne be­stimm­te Hand­lung aus­füh­ren wird. Aber was sagt das über den frei­en Wil­len aus? Nichts! Es ist ein simp­ler Fall von Kau­sa­li­tät: Wenn das Au­to fah­ren soll, muss der Mo­tor lau­fen und ein Gang ein­ge­legt wer­den. Das Au­to wird nie­mals fah­ren, wenn kein Gang drin ist. Ein Mus­kel kann sich nicht be­we­gen, wenn er nicht zu­vor elek­trisch da­zu auf­ge­for­dert wur­de.

    Man kann sich ja über­le­gen, was die Al­ter­na­ti­ve wä­re: Das Ich / Selbst / Ge­hirn trifft ei­ne Ent­schei­dung, oh­ne dass es neu­ro­na­le Ak­ti­vi­tät gibt. Ja wie soll das denn ge­hen, wer soll dann an un­se­ren Strip­pen zie­hen? Es steckt hin­ter all die­sen schein­ba­ren Pro­ble­men im­mer der­sel­be Ka­te­go­rien­feh­ler: Selbst­ver­ständ­lich ist je­der Ge­dan­ke, je­de Ent­schei­dung, je­de Emp­fin­dung mit neu­ro­na­ler Ak­ti­vi­tät ver­bun­den, und selbst­ver­ständ­lich be­ginnt die­se Ak­ti­vi­tät BEVOR es uns be­wusst wird.

    Aber die­se neu­ro­na­le Be­schrei­bung sagt aber über die phä­no­me­na­le Ebe­ne nichts Neu­es aus. Ein Pro­blem ha­ben da­mit nur al­le, die den­ken, man kön­ne die Ebe­ne der Ge­dan­ken und Emp­fin­dun­gen auf die neu­ro­na­le Ebe­ne re­du­zie­ren. Es ist ei­ne Fra­ge an un­ser Ver­ständ­nis von „Wirk­lich­keit“ in un­se­rer Welt. Wenn wir in ihr Ge­dan­ken und Ge­füh­le ha­ben, uns als frei han­deln­de We­sen emp­fin­den, dann ist das ge­nau­so wirk­lich wie die Er­kennt­nis­se, die aus­ge­feil­te wis­sen­schaft­li­che Ex­pe­ri­men­te brin­gen. BEIDES ist in un­se­rem Kopf gleich­zei­tig prä­sent. Und je­de Theo­rie muss sich hier dar­an mes­sen las­sen, bei­des zu­gleich wirk­lich sein zu las­sen. Ver­mag sie das nicht, ist der Denk­an­satz ein­fach falsch.

  16. @Gregor
    Ich ha­be heu­te über die Su­che nach Ste­fan Schleim auch noch ei­nen in­ter­es­san­ten Link ge­fun­den: ICH oder mein Ge­hirn? Die Farb­wahl fin­de ich zwar grau­en­voll, aber der Grund­ge­dan­ke, den ich aus dem Text ex­tra­hiert ha­be, scheint sehr in­ter­es­sant: In­wie­weit kann man über­haupt ei­nen »frei­en Wil­len« fin­den, wenn man sich auf ein ein­zel­nes In­di­vi­du­um kon­zen­triert? Kon­sti­tu­iert sich das Ich nicht ge­ra­de durch die fort­wäh­ren­de In­ter­ak­ti­on mit der ge­sam­ten Um­welt?

    Den Au­tor Jür­gen Al­brecht fin­det man im Netz (ne­ben ei­nem of­fen­sicht­lich künst­le­risch be­gab­ten Na­mens­vet­tern) auch hier: Glo­ba­le Auf­klä­rung – Glo­ba­le Chan­ce.

  17. @Köppnick – Links
    Dan­ke für die Links (trotz der Farb­wahl; im Druck­mo­dus ist’s bes­ser).

    In »ICH oder mein Ge­hirn« wer­den letzt­lich die bei­den an­ti­po­di­schen Po­si­tio­nen des Chri­sten auf der ei­nen Sei­te und des Neu­ro­wis­sen­schaft­lers auf der an­de­ren Sei­te ge­gen­über­ge­stellt. Dann wird ein Kom­pro­miss for­mu­liert, der (zu­nächst) ein biss­chen frei­en Wil­len her­aus­ar­bei­tet, aber auch nur in­ner­halb der je­wei­li­gen Art (die merk­wür­di­ger­wei­se »Schicht« ge­nannt wird).

    Ich ha­be mich nach der Lek­tü­re ge­fragt, was ein auf­ge­klär­ter Agno­sti­ker ma­chen soll. Al­so je­mand, der sich in bei­den Ex­trem­po­si­tio­nen nicht wohl fühlt, aber – be­dingt durch So­zia­li­sa­ti­on oder auch schlicht­weg Dumm­heit – eher der The­se des christ­li­chen Welt­bil­des zu­stimmt, aber eben oh­ne den re­li­giö­sen Über­bau (was ja nach Kant streng ge­nom­men nicht mög­lich ist).

    Dass das Ge­hirn »au­to­no­me Ent­schei­dun­gen« trifft, müss­te man ge­nau­er de­fi­nie­ren. Mir scheint die An­nah­me, dass »un­ter­be­wuss­te« Ak­tio­nen des Ge­hirns mit ei­ner Au­to­no­mie be­schrie­ben wer­den, reich­lich kühn.

    Sei­ne The­sen zum frei­en Wil­len sind ein biss­chen un­ge­lenk und wer­fen neue Fra­gen auf: Wenn je­de Schicht (Art) so­zu­sa­gen im­ma­nent be­trach­tet wer­den muss, kann es kei­ne Quan­ti­fi­zie­run­gen un­ter­ein­an­der ge­ben, d. h. Men­schen und Tie­re sind nicht mit­ein­an­der ver­gleich­bar. In­so­fern ist die Aus­sa­ge, dass Men­schen mehr Frei­heits­gra­de in sei­nem art­ty­pi­schen Ver­hal­ten, als Tie­re ha­ben, nicht nur un­sin­nig, son­dern gar nicht zu tref­fen. Spä­ter ni­vel­liert er die­se Aus­sa­ge noch, und spricht von kei­nem ab­so­lu­ten frei­en Wil­len. Die­se The­se steht dann üb­ri­gens im Wi­der­spruch zu dem an­de­ren von Dir ver­link­ten Bei­trag, in dem er (arg blau­äu­gig) die UNO in der Pflicht sieht, ei­ne neue Epo­che der Auf­klä­rung durch­zu­füh­ren. So et­was ist aber mit der Un­ter­stel­lung ei­ner »Schwarm-In­tel­li­genz« m. E. nicht schaff­bar.

  18. Die beim Men­schen mehr zur Ver­fü­gung ste­hen­den Frei­heits­gra­de kön­nen mit fol­gen­der Ana­lo­gie ver­stan­den wer­den: Ein klü­ge­rer Mensch kann düm­me­re Ant­wor­ten ge­ben und folg­lich düm­mer wir­ken, ein düm­me­rer aber kann kei­ne klü­ge­ren Ant­wor­ten ge­ben, da es ihm hier­für schlicht an In­tel­li­genz man­gelt. Der Klü­ge­re hat al­so mehr Frei­heits­gra­de, weil er so­wohl klug als auch dumm er­schei­nen kann.

    Auch für den »auf­ge­klär­ten Agno­sti­ker« se­he ich ei­ne Mög­lich­keit: So­lan­ge die Neu­ro­wis­sen­schaft (oder die sich da­mit be­schäf­ti­gen­de Phi­lo­so­phie) das phä­no­me­na­le Emp­fin­den (al­so die Qua­lia) nicht auf der Grund­la­ge neu­ro­na­ler Vor­gän­ge kau­sal er­klä­ren kön­nen, ha­ben wir die »Er­klä­rungs­lücke«. Das lässt den Raum für den Emer­gen­tia­lis­mus, der so­wohl athe­istisch als auch the­istisch in­ter­pre­tiert wer­den kann: »Auf hö­he­rer Sy­stem­ebe­ne tre­ten Ei­gen­schaf­ten her­vor, die nicht auf die Ei­gen­schaf­ten ei­ner nie­de­ren Sy­stem­ebe­ne rück­führ­bar sind.«

    Denn der jet­zi­ge Er­klä­rungs­stand der Neu­ro­wis­sen­schaf­ten ist ja nur ein Glau­ben. Näm­lich der Glau­ben, dass neu­ro­na­le Vor­gän­ge phä­no­me­na­le Er­leb­nis­se kau­sal ver­ur­sa­chen. Be­wie­sen aber ist le­dig­lich Kor­re­la­ti­on, d.h. das zeit­glei­che Auf­tre­ten von neu­ro­na­len Vor­gän­gen mit den Er­leb­nis­sen in der Ich-Per­spek­ti­ve. Der ge­rin­ge Zeit­ver­satz gibt eben­falls nichts her, denn gä­be es die­sen nicht, wä­re der athe­isti­sche An­satz be­reits ge­schei­tert.

  19. @Köppnick – Man »lan­det« bei Kant
    Ich fürch­te, die »Frei­heits­gra­de« kön­nen nicht nach In­tel­li­genz und/oder Dumm­heit de­fi­niert wer­den. Es be­ginnt ja schon da­mit, dass nicht ein­deu­tig de­fi­nier­bar ist, was dumm und was schlau ist. Kaum ein Mensch ist durch­ge­hend blöd und voll­kom­men klug. Es gibt aus der Zeit des NS-Re­gimes ge­nü­gend Bei­spie­le, in dem ver­meint­lich klu­ge Köp­fe der Ideo­lo­gie der Na­zis folg­ten – und schein­bar »düm­me­re« Men­schen wi­der­ständ­le­risch tä­tig wa­ren (teil­wei­se mit fa­ta­len Fol­gen für sie).

    Bei­den Grup­pen (ich las­se jetzt die weit­aus gröss­te Grup­pe der »Mit­läu­fer« weg) stan­den im­mer auch Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven zur Ver­fü­gung. Nie­mand hat Le­ni Rie­fen­stahl zu ih­ren Mo­nu­men­tal­fil­men ge­zwun­gen. Und Ge­org El­ser hat­te je­der­zeit die Mög­lich­keit, den Spreng­satz nicht zu ver­stecken.

    Im Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kel über den frei­en Wil­len wird ei­ne schö­ne Zu­sam­men­fas­sung des Den­kens von Kant in die­sem Zu­sam­men­hang ge­ge­ben: Man sei durch die Not­wen­dig­keit des mo­ra­li­schen Ge­set­zes als ober­sten prak­ti­schen Ge­set­zes für ver­nünf­ti­ge We­sen ge­zwun­gen, ein­zu­se­hen, dass man dem Wil­len ei­ne Frei­heit von der Na­tur­kau­sa­li­tät bei­mes­sen müs­se. Denn die Kau­sa­li­tät des Wil­lens selbst sei als ei­ne Kau­sa­li­tät aus Frei­heit zu den­ken.

    Die Frei­heit von der Na­tur­kau­sa­li­tät liegt in der Mög­lich­keit des »ver­nunft­be­gab­ten We­sen« Hand­lun­gen zu be­gin­nen oder zu un­ter­las­sen. (Da­mit ist na­tür­lich nicht ge­meint, dass man plötz­lich flie­gen kann oder ei­nen Baum mit blo­ssen Hän­den ent­wur­zeln.)

    Kant kommt aus ei­ner Art Drei­klang nicht her­aus: Frei­heit -> Wil­len -> Ver­nunft bzw. Frei­heit -> Wil­len <-> Ver­nunft -> Frei­heit, usw.

    Zu dei­nem zwei­ten Punkt: Dass die Neu­ro­wis­sen­schaf­ten letzt­lich nur ein Glau­be sind, ist ei­ne in­ter­es­san­te Aus­sa­ge, die ich von Dir so nicht er­war­tet hät­te. Spae­mann (um den Bo­gen zu dem Buch zu wer­fen) geht so­gar noch wei­ter und hält letzt­lich al­le Na­tur­wis­sen­schaf­ten für »Täu­schun­gen der Mo­der­ne« (er schiebt hier Witt­gen­stein als Zi­tat­ge­ber vor; aber ich ha­be das aber nicht ge­fun­den [was nichts hei­ssen muss]. Ir­gend­wo an­ders spricht er gar vom Aber­glau­ben. Das ist na­tür­lich über­trie­ben po­le­misch for­mu­liert. Aber letzt­lich lan­den wir wie­der bei Kant, der sinn­ge­mäss mein­te, al­le Wahr­neh­mun­gen sei­en so­zu­sa­gen nur durch un­se­ren Sin­nes­ap­pa­rat »ge­fil­tert«. So et­was wie ein »Ding an sich« gibt es nicht bzw. es zeigt sich uns nicht. In­so­fern stel­len na­tür­lich die je­wei­li­gen Kennt­nis­se der Na­tur­wis­sen­schaf­ten im­mer nur den ak­tu­el­len Stand dar. Da kann der Theo­lo­ge dann wie­der tri­um­phie­ren.

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