Die Aufregung um den CDU-Abgeordneten Norbert Röttgen und seine geplante Übernahme des Postens des Hauptgeschäftsführers des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) zeigte manchmal reichlich skurrile Züge. Da wurde Röttgen zum Verzicht auf sein Bundestagsmandat aufgefordert, da er in Interessenkollisionen geraten könnte – hier die Interessen eines frei gewählten, seinen Wählern verpflichtenden Abgeordneten und da die pure »Lobbypolitik« der Industrie.
Politik
Yellow Fischer
Es war ein lauer Sommerabend 1998. Die Plakate hatte ich schon vorher gesehen. Wir schlenderten am Rhein entlang und plötzlich kam uns die Idee, die Rheinterrassen zu besuchen. Joschka Fischer hielt dort eine Wahlkampfrede. Es begann mit dem Kabarettist Volker Pispers, der einige Witzchen über Kohl und dessen (maroder) Regierung machte. Wir sehnten die Zeit herbei, dass solche Witze nicht mehr gemacht werden konnten.
Dann kam er. Hager, mönchisch, fast ein bisschen kränklich sah er aus. Er soll sogar, flüsterte man sich zu, vorher noch am Rhein gejoggt haben. 9/11 war noch sehr weit weg und ausserhalb unserer Vorstellungen. Die Stimme halbwegs fest; der Wahlkampf, »Ihr versteht«. Wenige Wochen danach erkennen wir Fischer beim Antrittsbesuch in Washington im Fernsehen kaum wieder – in edlem Zwirn, die Körpersprache fast unterwürfig, gar ängstlich; wie ein Gymnasiast, der guten Eindruck bei dem reichen Onkel machen möchte. Hundert Jahre später oder: Wie schnell geht das?
Deutschlands Familienpolitik im Blindflug
Kaum ein Thema hat in den letzten Monaten die Innenpolitik so bestimmt wie die demografische Entwicklung Deutschlands und das »Ausbleiben« von Kindern. Das ging bis zur Anprangerung ganzer Berufs- und Gesellschaftsgruppen. Die konservative Regression zur Familie und dem gängigen Familienbild der 50er Jahre (mitinitiiert beispielsweise von Udo di Fabios »Kultur der Freiheit« oder auch – klüger – von Schirrmachers »Minimum«) ging einher mit einem (teilweise national daherkommenden) Alarmismus – als wäre die Krisenhaftigkeit der Sozialsysteme monokausal erklärbar und liesse sich mit der blossen Zuführung neuer »Beitragszahler« lösen. (Woher dann die Arbeitsplätze kommen sollen, blieb in dieser Diskussion übrigens immer merkwürdig unterbelichtet.)
In seinem lobenswerten Artikel »Pokerspiele an der Wiege« decouvriert Björn Schwentker nun die statistischen (Fehl-)Methoden, die für die Politik die Grundlage zu ihrer neuen Hinwendung zur Familie führen. Deutschlands Familienpolitik befindet sich im Blindflug – die Erhebung der Geburtenziffern ist lückenhaft und geht teilweise von falschen Voraussetzungen aus.
Francis Fukuyama: Scheitert Amerika? – Supermacht am Scheideweg

Eines vorweg: Der deutsche Titel von „America at the crossroads“ ist wieder einmal Beleg für den unnötigen und primitiven Alarmismus, mit dem Verleger glauben, höhere Verkaufszahlen erzielen zu können. „Amerika am Scheideweg“ reicht nicht, es muss heissen: Scheitert Amerika? – Supermacht am Scheideweg.
Auch die Erwartung, die vom Verlag geschürt und gelegentlich von Rezensenten übernommen wurde, nämlich eine „Abrechnung“ des (ehemaligen) „Neocon“ (Neokonservativen) Francis Fukuyama, Professor der Politikwissenschaften, mit der Administration Bush, bleibt aus. Im grossen und ganzen kritisiert der Autor nur einen bestimmten Auswuchs einer von ihm im Kern durchaus richtig empfundenen Politik; da helfen auch alle Distanzierungen (auch in Interviews) nicht; an den Kernthesen des Neokonservatismus rüttelt er nicht.
Im Verlauf des Buches scheint sich seine Kritik immer mehr auf den Irakkrieg der Bush-Administration zu fokussieren (und zu monopolisieren), wobei er selbst diesen noch fast unfallhaft darstellt und den Spiess irgendwann schlichtweg umdreht: Die Krise des kollektiven Handelns der internationalen Staatengemeinschaft wurde nicht, wie viele annahmen, von der Bush-Regierung verursacht, sondern von den Vereinten Nationen und jenen Europäern, die im Rahmen der UNO Sicherheit gewähren wollten.
Peter Sloterdijk: Falls Europa erwacht

Der Essay von Peter Sloterdijk ist bereits 1994 erschienen und wurde 2002 als Taschenbuch neu aufgelegt (allerdings wohl nicht überarbeitet). Erschreckend ist, dass er von seiner Aktualität – ausser, dass Europa inzwischen aus 25 Mitgliedern besteht – nichts eingebüsst hat.
In teilweise abenteuerlich-luziden historischen Allegorien erzählt Sloterdijk von einem Europa, welches sich durch das Trauma von 1945 von der politischen Bühne imperialer Mächte erst einmal verabschieden musste – eingezwängt zwischen den USA und der Sowjetunion, symbolisiert durch die Besatzung und Teilung Deutschlands. Aus dem ehemaligen „Subjekt“ (gescheiterter) wurde für ein halbes Jahrhundert ein halbmündiges Objekt von Moskauer und Washingtoner Kalkülen. Sloterdijk prägt den Begriff der Absence dafür. In kurzen Rückblenden belegt er, dass Europa vom Römerreich über das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ über die beginnende Weltkolonialiserung ab spätestens 1492 immer in Reichs- bzw. imperialen Strukturen agierte (freilich unter wechselnden Ägiden) – gipfelnd in den Katastrophen der Nationalstaaterei des 19. Jahrhunderts – lauter „kleine Reiche“, die, als die Kolonien verteilt waren, gegenseitig übereinander herfielen, um ihren Vorbildern nachzueifern.
Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus
Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus
In Anbetracht der jüngsten Merkel-Rede, in der die „transatlantische Freundschaft“ wieder beschworen wurde, kam mir Wolfgang Koeppens Roman „Das Treibhaus“ von 1953 wieder in Erinnerung – und auch die kongeniale Verfilmung von 1987 (eingerahmt mit jeweils einem kleinen Interview mit dem damals bereits über 80jährigen Autor).
Der Film beginnt mit einem Redeausschnitt einer Regierungserklärung von Helmut Kohl, gipfelnd in dem Satz „Wir sind keine Wanderer zwischen Ost und West“ und ebenfalls auf die Aussen- und Sicherheitspolitik Adenauers rekurrierend („auf der Seite der Freiheit“). Dann wird die Geschichte des Abgeordneten Keetenheuve erzählt, der zur entscheidenden Debatte nach Bonn anreist. Es geht um das, was man „Wiederbewaffnung“ nannte. Als Koeppen diesen Roman 1953 herausbrachte, waren die Weichen gerade gestellt. Der Roman sorgte für Aufsehen, da er eine Sicht der Dinge zeigte, die man (1.) gar nicht sehen wollte und (2.) für obsolet hielt; Rückblenden galten als hinderlich.
Koeppen hat seinem Roman die wholesale nfl jerseys politische Dimension stets die der Person Keetenheuves untergeordnet – so auch im Interview mit dem Filmemacher Peter Goedel. „Das Treibhaus“ sei, so Koeppen sinngemäss, kein politisches Buch, sondern ein Roman um die Gestalt des Abgeordneten Keetenheuve; eines „unglücklichen Menschen“, der es (!) „wieder gut machen will“.
Das ist natürlich einerseits Koketterie – andererseits aber auch durchaus cheap jerseys online ernst zu nehmen: Koeppen sah sich als Poet. Dennoch, die berühmten „drei Romane“ Koeppens, die „Trilogie des Brunnen Scheiterns“, („Tauben im Gras“, „Das Treibhaus“ und Alabilece?iniz „Tod in Rom“) alle innerhalb kürzester Zeit in den 50er Jahren erschienen, spiegeln, so unterschiedlich ihre Sujets sind, doch immer nur ein Thema: Die Bundesrepublik der cheap nba jerseys Restaurationszeit; das Vergessen der gerade erst zu Ende gegangenen Diktatur; die vergeblichen Versuche, die Bundesrepublik dauerhaft einer irgendwie gearteten (sei sie auch noch so gut gemeinten) Realpolitik zu entziehen und das Scheitern and der wenigen Aufrechten, die einen „anderen“ Staat wollten und sich entweder zu arrangieren hatten oder in die Bedeutungslosigkeit zu verfallen oder gar den Freitod zu wählen.
Keetenheuve, Lyrikliebhaber (Cummings und Beaudelaire), der Exilant, bei Kriegsende 39, der „ohne besondere Anstrengung“ über cheap nba jerseys eine Sonderregelung in den Bundestag für die SPD (»die Opposition«) gewählt wurde, ist bereits knapp vier Jahre nach Gründung der Bundesrepublik vollkommen desillusioniert.
Würde des Parlaments? Gelächter in den Schenken, Gelächter auf den Gassen. Die Lautsprecher hatten das Parlament in die Stuben des Volkes entwürdigt, zu lange, zu willig war die Volksvertretung ein Gesangverein gewesen, ein einfältiger Chor zum Solo des Diktators. Das Ansehen der Demokratie war gering. Sie begeisterte nicht. Und das Ansehen der Diktatur? Das Volks schwieg. Schwieg es in weiterwirkender Furcht? Schwieg es in anhänglicher Liebe? Die Geschworenen sprachen die Männer der Diktatur von jeder Anklage frei. Und Keetenheuve? Er diente der Restauration und reiste im Nibelungenexpreß