Die Aufregung um den CDU-Abgeordneten Norbert Röttgen und seine geplante Übernahme des Postens des Hauptgeschäftsführers des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) zeigte manchmal reichlich skurrile Züge. Da wurde Röttgen zum Verzicht auf sein Bundestagsmandat aufgefordert, da er in Interessenkollisionen geraten könnte – hier die Interessen eines frei gewählten, seinen Wählern verpflichtenden Abgeordneten und da die pure »Lobbypolitik« der Industrie.
Wohl schweren Herzens hat Röttgen dem öffentlichen Druck nachgegeben (interessant: auf seiner Webseite kein Wort dazu). Er verzichtet auf das BDI-Amt und bleibt für die verbleibende Legislaturperiode Abgeordneter. Er hat vermutlich als Intimus von Angela Merkel mehr Einfluss auf die Politik und wie diese in seinem Sinne stattfinden soll, als ein reiner Verbandsfunktionär, der dann irgendwann nur noch als solcher wahrgenommen wird.
Die Empörungsmaschinerie war ziemlich heiss gelaufen. Das muss überraschen, da Röttgen ja beileibe nicht der einzige Bundestagsabgeordnete gewesen wäre, der seine Interessen in diversen Aufsichtsräten, Verbänden oder semi-politischen Interessenorganisationen in Übereinstimmung mit seinem Abgeordnetenmandat hätte bringen müssen. Der CDU-Landesvorsitzende Mecklenburg-Vorpommerns, Jürgen Seidel, meinte gar: »Ich halte es für schwierig, wenn hauptamtlich bezahlte Lobbyistenvertreter gleichzeitig Mitglieder des Bundestages sind und zwei zeit- und arbeitsintensive Funktionen gut ausfüllen sollen.«
Einerseits hat Seidel natürlich Recht. Andererseits ist das ganze Theater eine grosse Heuchelei. Denn es gibt etliche Politiker, die in Nebentätigkeiten (ob bezahlt oder nicht spielt dabei m. E. keine Rolle) gleich mehreren Herren dienen. Das geht von Aufsichtsratsposten über führende Gewerkschaftspositionen (die CDU will hier bei einigen SPD-Abgeordneten jetzt »nachtreten«) bis hin zu Firmenbeteiligungen über Dritte. Das meiste bleibt schön im Dunkel, da es (nach wie vor) keine Veröffentlichungspflicht über alle Nebentätigkeiten (und deren Einkünfte) gibt. Wer es dennoch tut – beispielsweise aus moralischen Erwägungen – gilt als schwach.
Schlimmer als beim Fall Röttgen sind diejenigen, die im Verborgenen bestimmten Interessen »dienen«, die sich (irgendwann) mit ihrem Politikerethos nicht vereinbaren. Man entdeckt sie – wenn überhaupt – meist später. An ihnen entzünden sich Skandale; Ihre »Politik« haben sie längst durchgezogen, wenn ihre Machenschafften publik werden.
Ein Patentrezept gibt es nicht. Wenn man keine »Berufspolitiker« möchte (wofür einiges spricht), die gezwungenermassen am ihren Posten und Mandaten »kleben«, da sie nicht anderes können, dann muss man die Gefahr von gewissen Verflechtungen immer einkalkulieren. Und selbst gut bezahlte Berufspolitiker dürften nicht immer vor zusätzlichen Einnahmen »zurückschrecken«; in der Wirtschaft kennt Korruption keine Einkommensgrenzen.
Politiker sind auch Menschen – unter Umständen fehlbar und schwach. Aber es sollten endlich Mechanismen implementiert werden, die das Vertrauen in die politische Klasse wieder vergrössern. DAS wäre mal eine Aufgabe für den Bundespräsidenten. Aber Horst Köhler wird hier kaum aktiv werden – er erscheint in Anbetracht seiner vorherigen Ämter befangen dafür. Stattdessen beteiligt er sich am Grosse-Koalition-Bashing. Das schafft Popularität. Billige Popularität.
Das heuchlerische Theater um Röttgen hat mich allerdings auch überrascht, da doch die meisten MdB’s Interessenvertreter irgendeiner Gruppe oder von irgendeinem Verband genau zum Interessenvertreten in den Bundestag geschickt worden sind. Wäre die CDU noch in der Opposition, ich bin sicher, man hätte keinen Mucks gehört.
Erwarten Sie ernsthaft von Köhler einen konstruktiven Beitrag zum Thema „Vertrauen in die politische Klasse“? Der Mann ist doch eine einzige, peinliche Fehlbesetzung. Verglichen mit diesem farblosen Präsidentendarsteller hatte selbst der alte, Gott hab ihn selig, Lübke geradezu Charisma.
Erwartung
Nein, natürlich erwarte ich von Köhler nichts in dieser Hinsicht. Es war eine rein rhetorische Frage.
Ihr Urteil der Fehlbesetzung teile ich; der Lübke-Vergleich ist vielleicht ein bisschen zu hart. M. E. hatten wir allerdings ausser Gustav Heinemann und Richard von Weizsäcker fast nur Präsidentendarsteller. So farblos wie Köhler waren sie allerdings selten.