Mi­chel Hou­el­le­becq: Ver­nich­ten

Vor drei Jah­ren er­schien Mi­chel Hou­el­le­becqs Ro­man »Se­ro­to­nin«. Er han­del­te, kurz zu­sam­men­ge­fasst, von Flo­rent, ei­nem sich als Ver­sa­ger emp­fin­den­den Mann von 46 Jah­ren, der in sei­ner Mi­d­­li­fe-Cri­­sis Sta­tio­nen sei­nes bis­he­ri­gen Le­bens auf­such­te (haupt­säch­lich Men­schen), um sich am En­de in sei­ne selbst­hass­erfüll­ten Dys­to­pien ein­zu­rich­ten. Der Ro­man – si­cher­lich ei­ner der schwä­che­ren von Hou­el­le­becq – lebt von ...

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Den­nis Coo­per: Die Schlam­pen

Dennis Cooper: Die Schlampen
Den­nis Coo­per:
Die Schlam­pen

Vor ei­ni­gen Jah­ren er­reg­te die Ab­schal­tung des Web­logs des Schrift­stel­ler Den­nis Coo­per für ei­ni­ges Auf­se­hen, auch in Deutsch­land. Die Goog­le-Toch­ter »Blog­spot« hat­te, wie sich erst spä­ter her­aus­stell­te, auf­grund ei­nes Bil­des, wel­ches als Kin­der­por­no­gra­fie ge­mel­det wur­de, die Sei­te vom Netz ge­nom­men. Zwei Mo­na­te spä­ter re­vi­dier­te man die Ent­schei­dung; der Blog ging wie­der on­line.

Coo­per ist tat­säch­lich das, was man ge­mein­hin ei­nen »Skan­dal­schrift­stel­ler« nen­nen kann. Dies zeigt sich auch in sei­nem neue­sten Ro­man »Die Schlam­pen« (Über­set­zung: Rai­mund Var­ga). Hier wer­den zwei auch in an­de­ren Tex­ten Coo­pers be­kann­te Mo­ti­ve ge­spie­gelt: Zum ei­nen die Fas­zi­na­ti­on von Iden­ti­täts­wand­lun­gen und ‑ver­mi­schun­gen in den di­gi­ta­len Me­di­en. Und zum and­ren die se­xu­el­le Lust an Ge­walt und Tod. Bei­de The­men wer­den auch ver­schränkt.

Das Buch spielt in den Ado­les­zenz-Jah­ren des In­ter­net 2001 und 2002; AOL und Pa­ger sind noch wich­tig. Der ge­sam­te Ro­man be­steht aus Po­stings bzw. so­ge­nann­ten »Re­zen­sio­nen« auf ei­ner Sex-Da­ting-Web­sei­te über »Es­corts« (»Twinks«), die von ho­mo­se­xu­el­len Män­nern fre­quen­tiert wer­den (Coo­per ist sel­ber be­ken­nen­der Schwu­ler). Hier be­rich­ten Frei­er un­ter Pseud­ony­men wie Bri­an, built­li­kea­truck, Elai­ne, the­gay­jour­na­list, Zack Young, the­bas­her, snaz­zy­stocky oder xtra­cu­te­bill von ih­ren re­al-life-Er­fah­run­gen mit Call­boys und be­ant­wor­ten Fra­gen nach de­ren kör­per­li­chen Merk­ma­len. Ei­ne Art vir­tu­el­ler, po­ly­pho­ner Brief­ro­man. Sehr bald kon­zen­triert sich die Auf­merk­sam­keit auf ei­nen ge­wis­sen Brad in Long Beach bzw. Los An­ge­les, der sehr jung aus­se­hen soll (die Al­ters­an­ga­ben va­ri­ie­ren zwi­schen 14 und 20) und auf­grund po­si­ti­ver Ur­tei­le sehr schnell in der Gunst der User auf­steigt.

Rasch wird aus Brad dann Ste­ve, dann Ke­vin, spä­ter Thad. Schließ­lich taucht ein ge­wis­ser Bri­an auf, ei­ne Art Ma­na­ger von Brad. Wahl­wei­se ist Brad psy­chisch krank, hat ei­nen Hirn­tu­mor, Leuk­ämie oder AIDS (was die Gier der Frei­er nichts im Ge­ring­sten stört; eher im Ge­gen­teil). Dann wie­der­um hat er ei­ne Freun­din, die schwan­ger von ihm ist. Al­le die­se Per­so­nen mel­den sich auf der Web­sei­te, po­sten State­ments und füh­ren das, was an­de­re ge­schrie­ben ha­ben, ad ab­sur­dum. Wer ist Brad wirk­lich? Ist das Fo­to von ihm, wel­ches im Um­lauf ist, ein Ori­gi­nal? Oder ist es je­mand an­ders? Bri­an ach­tet ei­gent­lich dar­auf, dass es we­der Fo­tos noch Ton­auf­nah­men gibt. Brads Dien­ste sind teu­er, rich­ten »sich an wohl­ha­ben­de Kli­en­ten mit ex­tre­men Fan­ta­sien«.

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Pa­tri­cia Highsmith: Ta­ge- und No­tiz­bü­cher

Einst wur­de Fritz J. Rad­datz ein­mal ge­fragt, wer aus den Ta­ge­bü­chern von Tho­mas Mann all die­se In­ti­mi­tä­ten wis­sen soll­te oder gar müss­te. Rad­datz ant­wor­te­te osten­ta­tiv: »Ich. Ich ha­be al­le Bän­de ge­le­sen und kei­ne Zei­le aus­ge­las­sen. War­um sind Ba­na­li­tä­ten […] bei Tho­mas Mann so wun­der­bar? Ich fin­de, sie sind das Un­ter­fut­ter ei­nes gro­ßen Wer­kes. Selbst sei­ne ...

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Deutsch-deut­sche Pflicht­lek­tü­re

Ein Streif­zug durch die Ste­­fan-Heym-Wer­k­aus­­ga­­be Wer kennt ihn noch, Ste­fan Heym? Ein Mann mit ei­nem gro­ßen Kopf, bu­schi­gen wei­ßen Haa­ren an den Sei­ten, tie­fer Stim­me, fast ein Bass, bis­wei­len mit Bas­ken­müt­ze oder in ei­nem opu­len­ten Ses­sel sit­zend und ziem­lich lang­sam, fast su­chend, spre­chend. Da­mals, in den 1970er Jah­ren, kam er häu­fig in den Kul­tur­sen­dun­gen im ...

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Mar­tin von Arndt: Wie wir tö­ten, wie wir ster­ben

Martin von Arndt: Wie wir töten, wie wir sterben
Mar­tin von Arndt: Wie wir
tö­ten, wie wir ster­ben

Spät­herbst 1961. Der ita­lie­nisch­stäm­mi­ge 54jährige US-Ame­ri­ka­ner Dan Va­nuz­zi, mit ganz vie­len »Ex«-Titeln (Ex-US-Ar­my, Ex-CIC, Ex-Mos­sad), schlägt sich wört­li­chen Sinn als Bo­xer Ted Jack­son seit mehr als drei Jah­ren durch das Le­ben, und zwar in Es­sen, im Ruhr­ge­biet. Va­nuz­zi sieht jün­ger aus als er ist und er ist fit. Aber es ist kein Traum­job. Ei­gent­lich war er so et­was wie ein »un­ab­hän­gi­ger In­for­ma­ti­ons­be­schaf­fer«, der ab und an von west­li­chen Ge­heim­dien­sten Auf­trä­ge be­kam, mit de­nen man sich nicht sel­ber ab­ge­ben woll­te. Mit ihm der jun­ge, rot­haa­ri­ge Un­garn-Flücht­ling Ödön, der ihn wäh­rend der Kämp­fe coacht. Der Kampf ist zu­meist Show. Buch­ma­cher be­stim­men, wer wann wie ge­winnt und ver­liert. We­he, man rich­tet sich nicht da­nach. Das ist der Ein­stieg in Mar­tin von Arndts neue­stem Po­lit-Spio­na­ge­ro­man mit dem bi­blisch an­mu­ten­den Ti­tel »Wie wir tö­ten, wie wir ster­ben«.

In die­se leicht aus­sichts­lo­se Sze­ne­rie hin­ein wird er von zwei (zu­ge­ge­ben du­bio­sen) Fran­zo­sen an­ge­spro­chen, die zwei Al­ge­ri­er, die sich in Deutsch­land im Exil auf­hal­ten, su­chen und Va­nuz­zi be­auf­tra­gen, die­se zu fas­sen und ih­nen zu über­ge­ben. Es sind Kämp­fer der Un­ab­hän­gig­keits­be­we­gung FLN, die den Fran­zo­sen in Al­ge­ri­en zu schaf­fen ma­chen und wahl­wei­se als Kom­mu­ni­sten oder Ter­ro­ri­sten dar­ge­stellt wer­den. Ih­nen wer­den Mas­sa­ker ge­gen Fran­zo­sen und al­ge­ri­sche Zi­vi­li­sten nach­ge­sagt. Vie­les bleibt un­klar, aber da die bei­den die Ge­heim­dienst­re­geln be­herr­schen und Va­nuz­zi und Ödön Geld brau­chen, nimmt er an.

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Mi­cha­el Hel­ming: Bye Bye Ba­bel

Wie leicht über­sieht man in der Mas­se ein Buch wie »Bye Bye Ba­bel«. Noch da­zu, wenn es in ei­nem klei­nen Ver­lag er­schie­nen ist (»catware.net Ver­lag«). Aber spä­te­stens beim Un­ter­ti­tel wird man neu­gie­rig: »Rei­se zu fünf ver­ges­se­nen Au­toren Ost­eu­ro­pas«. Das Au­toren­bild zeigt ei­nen träu­me­risch da­her­schau­ern­den Mann mit sanft ge­neig­tem Kopf, der ei­nen Spie­gel vor sei­nem Ohr ...

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Hen­ri-Pierre Ro­ché: Don Ju­an und…

Henri-Pierre Roché: Don Juan und ...
Hen­ri-Pierre Ro­ché:
Don Ju­an und ...

Beim Er­schei­nen sei­nes er­sten Ro­mans »Ju­les und Jim« 1953 war Hen­ri-Pierre Ro­ché 74 Jah­re alt. Ir­gend­wann kam Fran­çois Truf­f­aut, zeig­te gro­ßes In­ter­es­se dar­an, das Buch zu ver­fil­men und kon­tak­tier­te den Au­tor. Ro­ché starb al­ler­dings 1959 und be­kam nur er­ste Ideen Truf­f­auts mit. 1962 war der Film fer­tig; es wur­de ein gran­dio­ser Er­folg. Truf­f­aut ver­film­te ei­ni­ge Jah­re spä­ter auch Ro­chés zwei­ten Ro­man von 1956 »Die bei­den Eng­län­de­rinn­nen und der Kon­ti­nent« und setz­te sich für die Ver­öf­fent­li­chung der Ta­ge­bü­cher Ro­chés ein.

Die­se bar­gen durch­aus Skan­da­li­sie­rungs­po­ten­ti­al. Nach au­ßen war Ro­ché vor al­lem Kunst­samm­ler und ‑händ­ler, be­kannt mit al­len gän­gi­gen Künst­lern der Zeit; ein Kos­mo­po­lit, der meh­re­re Fremd­spra­chen be­herrsch­te, dar­un­ter auch deutsch. Er war wäh­rend des Er­sten Welt­krie­ges so­gar den fran­zö­si­schen Be­hör­den zu deutsch­freund­lich und galt kur­ze Zeit als Spi­on. Aber er war auch das, was man ei­nen Frau­en­held nennt. Die Drei­ecks­be­zie­hung aus »Ju­les und Jim« war ei­ne au­to­bio­gra­phisch grun­dier­te Ver­frem­dung sei­nes Ar­ran­ge­ments mit He­len Hes­sel und ih­rem Mann, dem (in Frank­reich sehr ge­schätz­ten) Schrift­stel­ler Franz Hes­sel. Par­al­lel hat­te Ro­ché zeit­wei­se meh­re­re »Dau­er­be­zie­hun­gen« und Af­fä­ren gleich­zei­tig.

In den 1920er Jah­ren nä­her­te sich Ro­ché der Don Ju­an-Fi­gur li­te­ra­risch. Das Buch – si­cher­heits­hal­ber un­ter Pseud­onym ver­öf­fent­licht – ging da­mals im­mer­hin in sechs Auf­la­gen und wur­de 1993 in Frank­reich neu auf­ge­legt. Nun hat der öster­rei­chi­sche Kle­ver-Ver­lag un­ter dem Ti­tel »Don Ju­an und…« ei­ne deut­sche Fas­sung her­aus­ge­bracht – über­setzt und mit ei­nem er­gie­bi­gen, kennt­nis­rei­chen Nach­wort von Dör­te Lys­sew­ski (dem die hier zu­sam­men­ge­stell­ten bio­gra­phi­schen Fak­ten ent­nom­men sind).

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Li­te­ra­tur fur­niert

Über­le­gun­gen zu Ten­den­zen ge­gen­wär­ti­ger Li­te­ra­tur Nach der Lek­tü­re von Hel­mut Böt­ti­gers »Die Jah­re der wah­ren Emp­fin­dung« möch­te man Hans Ma­gnus En­zens­ber­gers Text über den »Tod der Li­te­ra­tur« vom Kurs­buch 1968 in Gän­ze le­sen. Mög­lich ist es u. a. im Sam­mel­band »Pa­la­ver – Po­li­ti­sche Über­le­gun­gen 1967–1973«, der 1974 er­schie­nen war. Der Text trägt den et­was kryp­ti­schen ...

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