Va­ga­bund der Li­te­ra­tur

Knut Ham­sun, sei­ne We­ge und Ab­we­ge. Ei­ne Sich­tung zu sei­nem 70 To­des­tag am 19.02.2022 »Er hat die Lust am Le­ben ver­lo­ren« schrieb Ma­rie Ham­sun, ge­bo­re­ne An­der­sen, am 22. Au­gust 1951 an ih­re Toch­ter Ce­ci­lia, die in Dä­ne­mark leb­te. We­ni­ge Ta­ge spä­ter heiß es, dass auch sein Geist sich mehr und mehr ver­dun­ke­le. Es fol­gen bis­wei­len ...

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Ve­ra Vor­ne­weg: Kein Wort zu­rück

Vera Vorneweg: Kein Wort zurück
Ve­ra Vor­ne­weg:
Kein Wort zu­rück

Ich ken­ne Ve­ra Vor­ne­weg seit Som­mer 2018. Ei­nes Ta­ges fand ich ei­ne Aus­ga­be der (in­zwi­schen ein­ge­stell­ten) Li­te­ra­tur­zeit­schrift »Text+Bild« in mei­nem Brief­ka­sten. Ein po­si­ti­ve Fol­ge der Im­pres­sumpflicht. Wir wohn­ten da­mals nur ein paar Stra­ßen­zü­ge aus­ein­an­der und tra­fen uns fort­an zwei, drei Mal im Jahr im »Schweid­nit­zer Eck«, spra­chen über Li­te­ra­tur und Lek­tü­ren, über Pe­ter Hand­ke, Esther Kin­sky, Karl Ove Knaus­gård, Ger­hard Rühm oder Eva-Ma­ria Al­ves, und an­de­re.

Im Herbst 2018 er­hielt Vor­ne­weg ein Sti­pen­di­um des Lan­des Thü­rin­gen und leb­te ei­ni­ge Mo­na­te in der Ort­schaft Kal­ten­lengs­feld. Ih­re Ein­drücke und Ge­dan­ken wäh­rend des Auf­ent­halts hat­te sie von ih­rem No­tiz­buch in den Com­pu­ter über­tra­gen, dann aus­ge­druckt und an be­stimm­ten Stel­len im Ort an­ge­bracht, wie bei­spiels­wei­se an ei­ner Bus­hal­te­stel­le. Li­te­ra­tur wur­de so­mit öf­fent­lich. Vor­ne­weg be­ton­te in den un­ver­meid­li­chen Stel­lung­nah­men den Me­di­en ge­gen­über, dass die­ses Dorf sie zur Schrift­stel­le­rin ge­macht ha­be.

»Ein ganz be­son­de­res Buch« soll­te auf­grund die­ses Auf­ent­halts ent­ste­hen, so hieß es in ei­ner Lo­kal­zei­tung. Man kennt das: Aus­ge­zeich­ne­te sind an­ge­hal­ten, das neue Um­feld in ih­re Tex­te ein­flie­ßen zu las­sen. Da­bei gibt es Tex­te über Groß­stadt­men­schen in Dör­fern und/oder in an­de­ren re­gio­na­len Um­ge­bun­gen zur Ge­nü­ge. Sie dro­hen häu­fig in fal­sche Idyl­lik ab­zu­glei­ten, oder, noch schlim­mer, sich in gön­ner­haf­te Ar­ro­ganz zu ver­zet­teln. Ne­ben­bei stellt sich das Di­lem­ma, dass sich Orts­per­sön­lich­kei­ten un­ge­ach­tet ih­rer Ver­frem­dun­gen im Text wo­mög­lich falsch (oder rich­tig) ge­trof­fen füh­len. Es ist nicht ein­fach.

Bei ei­nem er­neu­ten Be­such in Thü­rin­gen 2019 ge­riet Vor­ne­weg in den Land­tags­wahl­kampf. Sie war em­pört über Aus­sa­gen auf den Pla­ka­ten der AfD, die sie un­mög­lich bei der Ein- oder Durch­fahrt igno­rie­ren konn­te. Aber es schien, als ha­be sie ihr The­ma ge­fun­den. Sie be­rich­te­te mir über das Schrei­ben an ei­ner Er­zäh­lung, die, wie sie sag­te, nur zum Teil mit ih­ren Er­fah­run­gen im Dorf zu tun ha­be, aber ei­ne Not­wen­dig­keit für sie sei.

Der Text sel­ber blieb mir ver­bor­gen. Ich be­grüß­te das, ob­wohl mei­ne Neu­gier mit je­der Er­ör­te­rung stieg. Lei­der gab es Schwie­rig­kei­ten für den Text ei­nen ad­äqua­ten Ver­lag zu fin­den, was sich auf­grund der Co­ro­na-Pan­de­mie noch ver­schärf­te. Zwi­schen­zeit­lich wid­me­te sich Vor­ne­weg der Ge­stal­tung des öf­fent­li­chen Rau­mes mit Li­te­ra­tur in Düs­sel­dorf. Auch hier half ein Sti­pen­di­um. Auf ei­ner Rollade (neue Schreib­wei­se ei­gent­lich »Roll­la­de«) ei­ner ver­las­se­nen Gast­wirt­schaft in Düs­sel­dorf Ober­bilk schrieb sie Ein­drücke auf, die beim Schau­en und Hö­ren von der Stra­ße und der un­mit­tel­ba­ren Um­ge­bung des Hau­ses ent­stan­den. Der Be­sit­zer der Lo­ka­li­tät hat­te ihr die­se Nut­zung ge­stat­tet. Erst wenn das Haus re­no­viert wird, ver­schwin­den auch die Rolläden mit den Tex­ten. Ver­gäng­li­che Kunst. Im­mer­hin: Ih­re Im­pres­sio­nen sind hier auch dar­über hin­aus fest­ge­hal­ten.

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Mar­ga­ret MacMil­lan: Krieg

Margaret MacMillan: Krieg
Mar­ga­ret MacMil­lan: Krieg

Krieg hat in der Zunft der zeit­ge­nös­si­schen Ge­schichts­schrei­ber, um es sa­lopp aus­zu­drücken, kei­ne gu­te Pres­se. Auch die ka­na­di­sche Hi­sto­ri­ke­rin Mar­ga­ret MacMil­lan ist kei­ne Bel­li­zi­stin, aber sie möch­te mit ih­rem Buch »Krieg« (Über­set­zung von Klaus-Die­ter Schmidt) die­ses Phä­no­men sach­lich er­klä­ren und er­läu­tern »wie Kon­flik­te die Mensch­heit präg­ten«. Krieg sei, so MacMil­lan im Vor­wort, »kei­ne Ver­ir­rung […], die man am be­sten so schnell wie mög­lich ver­gisst. Auch ist er nicht ein­fach die Ab­we­sen­heit von Frie­den, dem ver­meint­li­chen Nor­mal­zu­stand. Wenn wir nicht be­grei­fen, wie tief Krieg und Ge­sell­schaft in­ein­an­der ver­wo­ben sind – so sehr, dass man nicht sa­gen kann, wer von bei­den do­mi­niert oder ur­säch­lich ist –, über­se­hen wir ei­ne wich­ti­ge Di­men­si­on der Mensch­heits­ge­schich­te.« Ihr Ziel ist es, die »or­ga­ni­sier­te Ge­walt« als Be­stand­teil der Ge­schich­te an­zu­er­ken­nen, oh­ne so­fort in mo­ra­li­sche Ka­te­go­rien zu ver­fal­len. Gleich­zei­tig möch­te sie die For­schung über den Krieg nicht mehr nur den Mi­li­tär­hi­sto­ri­kern über­las­sen, die »vor sich hin­for­schen, ih­re un­ap­pe­tit­li­chen Fun­de zu­ta­ge för­dern und ih­re we­nig er­bau­li­chen Ge­schich­ten ver­fer­ti­gen, oh­ne je­man­den zu stö­ren.«

Der Grat scheint schmal, den MacMil­lan (Jahr­gang 1943) be­tritt. Zu Be­ginn wirft sie die Fra­ge auf, was aus Eu­ro­pa ge­wor­den wä­re, wenn bei­spiels­wei­se »die mus­li­mi­schen Füh­rer den gan­zen Kon­ti­nent er­obert hät­ten, was ih­nen mehr­mals bei­na­he ge­lun­gen wä­re« oder wenn Hit­ler den Krieg ge­won­nen hät­te. Die­se kon­tra­fak­ti­schen Über­le­gun­gen sol­len nicht als Recht­fer­ti­gung für Krie­ge per se die­nen, aber wohl auf­zei­gen, wie krie­ge­ri­sche Hand­lun­gen die ak­tu­el­le Ge­gen­wart auch noch nach Jahr­hun­der­ten prä­gen. So sind die »star­ken Na­tio­nal­staa­ten von heu­te mit ih­ren Zen­tral­re­gie­run­gen und gut or­ga­ni­sier­ten Bü­ro­kra­tien […] das Pro­dukt von Jahr­hun­der­ten des Krie­ges.« Zum ei­nen sind im 19. Jahr­hun­dert Na­tio­nal­staa­ten als Fol­ge von Krie­gen ent­stan­den und hat­ten dann – zum an­de­ren – bis­wei­len durch­aus frie­dens­stif­ten­de Wir­kun­gen.

»Der Krieg«, so MacMil­lan, »ist ver­mut­lich die am be­sten or­ga­ni­sier­te al­ler mensch­li­chen Ak­ti­vi­tä­ten, und er hat sei­ner­seits die Or­ga­ni­sa­ti­on der Ge­sell­schaft vor­an­ge­trie­ben.« Ei­ni­ge Bei­spie­le, die man zu­nächst nicht mi­li­tä­risch deu­ten wür­de wie das Ket­ten­hemd oder den Steig­bü­gel bringt sie an. Die Ent­wick­lung von Waf­fen hat­te im­mer auch Aus­wir­kun­gen auf die Zi­vil­ge­sell­schaft. Der Na­tio­na­lis­mus schließ­lich lie­fer­te, so MacMil­lan, »die Mo­ti­va­ti­on und die in­du­stri­el­le Re­vo­lu­ti­on die Mit­tel« für Krie­ge.

In neun Ka­pi­teln un­ter­sucht MacMil­lan Fa­cet­ten des Krie­ges und de­ren Aus­wir­kun­gen. Ei­nen gro­ßen Teil der Quel­len für ih­re Be­ob­ach­tun­gen und Hy­po­the­sen bil­den fik­tio­na­le Tex­te, wie je­ne von Ho­mer, Thuky­di­des, Ver­gil, Ho­raz, Sal­lust, Wil­liam Shake­speare, Fre­de­ric Man­ning, Erich-Ma­ria Re­mar­que oder Ernst Jün­ger. Tho­mas Hob­bes und Jean Jac­ques Rous­se­au kom­men mit ih­ren un­ter­schied­li­chen Ge­sell­schafts­mo­del­len zu Wort. Sun­zi (oder auch Sun Tsu), Ma­chia­vel­li und Clau­se­witz wer­den als Mi­li­tär­stra­te­gen her­an­ge­zo­gen. Es fin­den sich Zi­ta­te aus den Ta­ge­bü­chern von Sa­mu­el Pe­pys und Mar­ta Hil­lers. Ge­gen­wär­ti­ge Kron­zeu­gen für ih­re The­sen sind vor al­lem Swet­la­na Al­e­xi­je­witsch und Ste­ven Pin­ker.

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Mi­chel Hou­el­le­becq: Ver­nich­ten

Vor drei Jah­ren er­schien Mi­chel Hou­el­le­becqs Ro­man »Se­ro­to­nin«. Er han­del­te, kurz zu­sam­men­ge­fasst, von Flo­rent, ei­nem sich als Ver­sa­ger emp­fin­den­den Mann von 46 Jah­ren, der in sei­ner Mi­d­­li­fe-Cri­­sis Sta­tio­nen sei­nes bis­he­ri­gen Le­bens auf­such­te (haupt­säch­lich Men­schen), um sich am En­de in sei­ne selbst­hass­erfüll­ten Dys­to­pien ein­zu­rich­ten. Der Ro­man – si­cher­lich ei­ner der schwä­che­ren von Hou­el­le­becq – lebt von ...

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Ei­ne klei­ne Sticho­my­thie

Li­te­ra­tur­dis­kus­sio­nen im di­gi­ta­len Zeit­al­ter

Ge­le­gent­lich, in ver­schie­de­nen Tex­ten und Kon­tex­ten, wei­se ich dar­auf hin, daß ich die seit ei­ner Rei­he von Jah­ren welt­weit ver­brei­te­te Ge­wohn­heit zahl­lo­ser Pri­vat­per­so­nen oder viel­leicht auch – man kann es nicht wis­sen – öf­fent­li­cher Per­so­nen, sich nur un­ter so­ge­nann­ten nick­na­mes oder ganz oh­ne Na­men öf­fent­lich, al­so im In­ter­net, zu äu­ßern, für ei­ne Un­sit­te hal­te, die al­les in al­lem ne­ga­ti­ven Ein­fluß auf die Ent­wick­lung des ge­sell­schaft­li­chen Zu­sam­men­le­bens aus­übt. Ich selbst äu­ße­re mich in so­ge­nann­ten Fo­ren und Kom­men­tar­spal­ten grund­sätz­lich nur un­ter mei­nem so­ge­nann­ten Klar­na­men. Das tat ich un­längst im On­line­fo­rum ei­ner öster­rei­chi­schen Ta­ges­zei­tung, nach­dem ich dort ei­ne Er­zäh­lung ei­nes öster­rei­chi­schen Schrift­stel­lers ge­le­sen hat­te, die sich auf die ge­gen­wär­ti­ge Pan­de­mie be­zog. Die mei­sten Re­ak­tio­nen der On­line­le­ser die­ser Er­zäh­lung wa­ren ne­ga­tiv und nicht son­der­lich klug, ge­schrie­ben von Leu­ten, die we­nig Ah­nung ha­ben von Li­te­ra­tur.

Ich ver­spür­te kein Be­dürf­nis, da­zu selbst et­was zu äu­ßern, bis ich auf ei­nen – na­tür­lich pseud­ony­men – Kom­men­tar stieß, der mir das Pro­blem die­ser Er­zäh­lung zu be­rüh­ren schien. Jetzt griff ich doch noch zur Fe­der, ließ mei­ne Fin­ger über die Ta­sta­tur des Com­pu­ters glei­ten. Aus­drück­lich schrieb ich, daß ich die ab­schät­zi­ge Wer­tung die­ses Le­sers nicht tei­le, und ver­such­te, die von ihm ver­mu­te­te per­sön­li­che Pro­ble­ma­tik auf ei­ne li­te­ra­ri­sche Ebe­ne zu he­ben: Ich stell­te die Fra­ge, ob ei­ne vor­sätz­lich und ra­di­kal ab­strak­te Li­te­ra­tur, bei der man nicht ein­mal die ge­schlecht­li­che Zu­ord­nung (»El­tern­tei­le«), ge­schwei­ge denn ir­gend­wel­che – sei es auch fik­ti­ve – Na­men und erst recht kei­ne Ge­füh­le er­fährt, denn funk­tio­nie­ren kön­ne. Soll­te Li­te­ra­tur nicht ge­ra­de das Kon­kre­te, Be­son­de­re, Ein­zig­ar­ti­ge im Au­ge ha­ben?

Die­se Fra­ge kann man so oder so be­ant­wor­ten. Es gibt Au­toren, auch sehr be­rühm­te, die vor­wie­gend mit Ste­reo­ty­pen, de­ren Kon­struk­ti­on und De­kon­struk­ti­on ar­bei­ten. Mit sol­cher Li­te­ra­tur ha­be ich zu­ge­ge­ge­be­ner­ma­ßen Schwie­rig­kei­ten. Ich se­he aber nicht, was dar­an eh­ren­rüh­rig sein soll­te, die­se Fra­ge am Bei­spiel ei­nes kon­kre­ten (und zwar ab­strak­ten) Er­zähl­tex­tes auf­zu­wer­fen.

Kurz nach der Ver­öf­fent­li­chung mei­nes Kom­men­tars er­hielt ich im Mes­sen­ger mei­nes »Face­book-Ac­counts« (so nennt man das wohl) ei­ne Nach­richt die­ses Au­tors. Er woll­te wis­sen, ob ich der­je­ni­ge sei, der un­ter dem Na­men »Leo­pold Fe­der­mair« in je­nem On­line­fo­rum »ge­po­stet« hat­te. Die Fra­ge wirk­te selt­sam, zu­mal der Au­tor bei sei­ner Auf­for­de­rung zur Ant­wort das Wort »Mut« ge­brauch­te und da­mit im­pli­zit die Mög­lich­keit von Feig­heit in den Raum stell­te. Ich ant­wor­te­te frei­mü­tig: Ja, klar, so hei­ße ich, so po­ste ich.

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Den­nis Coo­per: Die Schlam­pen

Dennis Cooper: Die Schlampen
Den­nis Coo­per:
Die Schlam­pen

Vor ei­ni­gen Jah­ren er­reg­te die Ab­schal­tung des Web­logs des Schrift­stel­ler Den­nis Coo­per für ei­ni­ges Auf­se­hen, auch in Deutsch­land. Die Goog­le-Toch­ter »Blog­spot« hat­te, wie sich erst spä­ter her­aus­stell­te, auf­grund ei­nes Bil­des, wel­ches als Kin­der­por­no­gra­fie ge­mel­det wur­de, die Sei­te vom Netz ge­nom­men. Zwei Mo­na­te spä­ter re­vi­dier­te man die Ent­schei­dung; der Blog ging wie­der on­line.

Coo­per ist tat­säch­lich das, was man ge­mein­hin ei­nen »Skan­dal­schrift­stel­ler« nen­nen kann. Dies zeigt sich auch in sei­nem neue­sten Ro­man »Die Schlam­pen« (Über­set­zung: Rai­mund Var­ga). Hier wer­den zwei auch in an­de­ren Tex­ten Coo­pers be­kann­te Mo­ti­ve ge­spie­gelt: Zum ei­nen die Fas­zi­na­ti­on von Iden­ti­täts­wand­lun­gen und ‑ver­mi­schun­gen in den di­gi­ta­len Me­di­en. Und zum and­ren die se­xu­el­le Lust an Ge­walt und Tod. Bei­de The­men wer­den auch ver­schränkt.

Das Buch spielt in den Ado­les­zenz-Jah­ren des In­ter­net 2001 und 2002; AOL und Pa­ger sind noch wich­tig. Der ge­sam­te Ro­man be­steht aus Po­stings bzw. so­ge­nann­ten »Re­zen­sio­nen« auf ei­ner Sex-Da­ting-Web­sei­te über »Es­corts« (»Twinks«), die von ho­mo­se­xu­el­len Män­nern fre­quen­tiert wer­den (Coo­per ist sel­ber be­ken­nen­der Schwu­ler). Hier be­rich­ten Frei­er un­ter Pseud­ony­men wie Bri­an, built­li­kea­truck, Elai­ne, the­gay­jour­na­list, Zack Young, the­bas­her, snaz­zy­stocky oder xtra­cu­te­bill von ih­ren re­al-life-Er­fah­run­gen mit Call­boys und be­ant­wor­ten Fra­gen nach de­ren kör­per­li­chen Merk­ma­len. Ei­ne Art vir­tu­el­ler, po­ly­pho­ner Brief­ro­man. Sehr bald kon­zen­triert sich die Auf­merk­sam­keit auf ei­nen ge­wis­sen Brad in Long Beach bzw. Los An­ge­les, der sehr jung aus­se­hen soll (die Al­ters­an­ga­ben va­ri­ie­ren zwi­schen 14 und 20) und auf­grund po­si­ti­ver Ur­tei­le sehr schnell in der Gunst der User auf­steigt.

Rasch wird aus Brad dann Ste­ve, dann Ke­vin, spä­ter Thad. Schließ­lich taucht ein ge­wis­ser Bri­an auf, ei­ne Art Ma­na­ger von Brad. Wahl­wei­se ist Brad psy­chisch krank, hat ei­nen Hirn­tu­mor, Leuk­ämie oder AIDS (was die Gier der Frei­er nichts im Ge­ring­sten stört; eher im Ge­gen­teil). Dann wie­der­um hat er ei­ne Freun­din, die schwan­ger von ihm ist. Al­le die­se Per­so­nen mel­den sich auf der Web­sei­te, po­sten State­ments und füh­ren das, was an­de­re ge­schrie­ben ha­ben, ad ab­sur­dum. Wer ist Brad wirk­lich? Ist das Fo­to von ihm, wel­ches im Um­lauf ist, ein Ori­gi­nal? Oder ist es je­mand an­ders? Bri­an ach­tet ei­gent­lich dar­auf, dass es we­der Fo­tos noch Ton­auf­nah­men gibt. Brads Dien­ste sind teu­er, rich­ten »sich an wohl­ha­ben­de Kli­en­ten mit ex­tre­men Fan­ta­sien«.

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Von »zei­chen­ba­sier­ten Epi­de­mien«

Me­di­en­theo­rie rührt an das me­dia­le Un­be­wuß­te von so­zia­len Groß­kör­pern, die seit dem 18. Jahr­hun­dert als Po­pu­la­tio­nen von Na­tio­nal­staa­ten ver­faßt sind, zu­meist in For­ma­tie­run­gen von zehn Mil­lio­nen bis 300 Mil­lio­nen Men­schen und mehr. Im Blick auf die­se über­gro­ßen Ge­bil­de sta­tu­iert die un­be­lieb­te Theo­rie: Der ak­tu­el­le men­ta­le Zu­sam­men­hang sol­cher nie­mals phy­sisch ver­samm­lungs­fä­hi­gen Rie­sen­kol­lek­ti­ve kann nur durch Mas­sen­me­di­en ...

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Pa­tri­cia Highsmith: Ta­ge- und No­tiz­bü­cher

Einst wur­de Fritz J. Rad­datz ein­mal ge­fragt, wer aus den Ta­ge­bü­chern von Tho­mas Mann all die­se In­ti­mi­tä­ten wis­sen soll­te oder gar müss­te. Rad­datz ant­wor­te­te osten­ta­tiv: »Ich. Ich ha­be al­le Bän­de ge­le­sen und kei­ne Zei­le aus­ge­las­sen. War­um sind Ba­na­li­tä­ten […] bei Tho­mas Mann so wun­der­bar? Ich fin­de, sie sind das Un­ter­fut­ter ei­nes gro­ßen Wer­kes. Selbst sei­ne ...

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