Mar­ga­ret MacMil­lan: Krieg

Margaret MacMillan: Krieg

Mar­ga­ret MacMil­lan: Krieg

Krieg hat in der Zunft der zeit­ge­nös­si­schen Ge­schichts­schrei­ber, um es sa­lopp aus­zu­drücken, kei­ne gu­te Pres­se. Auch die ka­na­di­sche Hi­sto­ri­ke­rin Mar­ga­ret MacMil­lan ist kei­ne Bel­li­zi­stin, aber sie möch­te mit ih­rem Buch »Krieg« (Über­set­zung von Klaus-Die­ter Schmidt) die­ses Phä­no­men sach­lich er­klä­ren und er­läu­tern »wie Kon­flik­te die Mensch­heit präg­ten«. Krieg sei, so MacMil­lan im Vor­wort, »kei­ne Ver­ir­rung […], die man am be­sten so schnell wie mög­lich ver­gisst. Auch ist er nicht ein­fach die Ab­we­sen­heit von Frie­den, dem ver­meint­li­chen Nor­mal­zu­stand. Wenn wir nicht be­grei­fen, wie tief Krieg und Ge­sell­schaft in­ein­an­der ver­wo­ben sind – so sehr, dass man nicht sa­gen kann, wer von bei­den do­mi­niert oder ur­säch­lich ist –, über­se­hen wir ei­ne wich­ti­ge Di­men­si­on der Mensch­heits­ge­schich­te.« Ihr Ziel ist es, die »or­ga­ni­sier­te Ge­walt« als Be­stand­teil der Ge­schich­te an­zu­er­ken­nen, oh­ne so­fort in mo­ra­li­sche Ka­te­go­rien zu ver­fal­len. Gleich­zei­tig möch­te sie die For­schung über den Krieg nicht mehr nur den Mi­li­tär­hi­sto­ri­kern über­las­sen, die »vor sich hin­for­schen, ih­re un­ap­pe­tit­li­chen Fun­de zu­ta­ge för­dern und ih­re we­nig er­bau­li­chen Ge­schich­ten ver­fer­ti­gen, oh­ne je­man­den zu stö­ren.«

Der Grat scheint schmal, den MacMil­lan (Jahr­gang 1943) be­tritt. Zu Be­ginn wirft sie die Fra­ge auf, was aus Eu­ro­pa ge­wor­den wä­re, wenn bei­spiels­wei­se »die mus­li­mi­schen Füh­rer den gan­zen Kon­ti­nent er­obert hät­ten, was ih­nen mehr­mals bei­na­he ge­lun­gen wä­re« oder wenn Hit­ler den Krieg ge­won­nen hät­te. Die­se kon­tra­fak­ti­schen Über­le­gun­gen sol­len nicht als Recht­fer­ti­gung für Krie­ge per se die­nen, aber wohl auf­zei­gen, wie krie­ge­ri­sche Hand­lun­gen die ak­tu­el­le Ge­gen­wart auch noch nach Jahr­hun­der­ten prä­gen. So sind die »star­ken Na­tio­nal­staa­ten von heu­te mit ih­ren Zen­tral­re­gie­run­gen und gut or­ga­ni­sier­ten Bü­ro­kra­tien […] das Pro­dukt von Jahr­hun­der­ten des Krie­ges.« Zum ei­nen sind im 19. Jahr­hun­dert Na­tio­nal­staa­ten als Fol­ge von Krie­gen ent­stan­den und hat­ten dann – zum an­de­ren – bis­wei­len durch­aus frie­dens­stif­ten­de Wir­kun­gen.

»Der Krieg«, so MacMil­lan, »ist ver­mut­lich die am be­sten or­ga­ni­sier­te al­ler mensch­li­chen Ak­ti­vi­tä­ten, und er hat sei­ner­seits die Or­ga­ni­sa­ti­on der Ge­sell­schaft vor­an­ge­trie­ben.« Ei­ni­ge Bei­spie­le, die man zu­nächst nicht mi­li­tä­risch deu­ten wür­de wie das Ket­ten­hemd oder den Steig­bü­gel bringt sie an. Die Ent­wick­lung von Waf­fen hat­te im­mer auch Aus­wir­kun­gen auf die Zi­vil­ge­sell­schaft. Der Na­tio­na­lis­mus schließ­lich lie­fer­te, so MacMil­lan, »die Mo­ti­va­ti­on und die in­du­stri­el­le Re­vo­lu­ti­on die Mit­tel« für Krie­ge.

In neun Ka­pi­teln un­ter­sucht MacMil­lan Fa­cet­ten des Krie­ges und de­ren Aus­wir­kun­gen. Ei­nen gro­ßen Teil der Quel­len für ih­re Be­ob­ach­tun­gen und Hy­po­the­sen bil­den fik­tio­na­le Tex­te, wie je­ne von Ho­mer, Thuky­di­des, Ver­gil, Ho­raz, Sal­lust, Wil­liam Shake­speare, Fre­de­ric Man­ning, Erich-Ma­ria Re­mar­que oder Ernst Jün­ger. Tho­mas Hob­bes und Jean Jac­ques Rous­se­au kom­men mit ih­ren un­ter­schied­li­chen Ge­sell­schafts­mo­del­len zu Wort. Sun­zi (oder auch Sun Tsu), Ma­chia­vel­li und Clau­se­witz wer­den als Mi­li­tär­stra­te­gen her­an­ge­zo­gen. Es fin­den sich Zi­ta­te aus den Ta­ge­bü­chern von Sa­mu­el Pe­pys und Mar­ta Hil­lers. Ge­gen­wär­ti­ge Kron­zeu­gen für ih­re The­sen sind vor al­lem Swet­la­na Al­e­xi­je­witsch und Ste­ven Pin­ker.

Rasch er­kennt man, dass hier kei­ne Kul­tur­ge­schich­te des Krie­ges in­ten­diert war, son­dern eher ei­ne Art Epi­so­den­samm­lung durch die letz­ten zwei­ein­halb­tau­send Jah­re. Ob es um mög­li­che Kriegs­grün­de geht (ter­ri­to­ria­le, öko­no­mi­sche oder ein­fach nur po­li­tisch-stra­te­gi­sche), die sich wan­deln­de Stel­lung von Frau­en in Krie­gen, die in mo­der­nen Krie­gen schier un­ver­meid­li­che Aus­deh­nung von Kriegs­fol­gen auf Zi­vi­li­sten oder dar­um, wie Sol­da­ten und Krie­ger mit­ein­an­der um­ge­hen – stets hat MacMil­lan Re­fe­ren­zen, die the­ma­tisch die je­wei­li­ge Hy­po­the­se der Au­torin un­ter­stüt­zen.

Die mei­sten der Mo­sa­ik­stein­chen sind dem durch­schnitt­lich be­le­se­nen Le­ser durch­aus be­kannt. Man kann das Buch dem­zu­fol­ge als Auf­fri­schung oder als Stich­wort­bre­vier für am­bi­tio­nier­te Dis­kus­sio­nen im Freun­des- oder Be­kann­ten­kreis neh­men. Neue Er­kennt­nis­se oder in­ter­dis­zi­pli­nä­re Ein­sich­ten gibt es be­dau­er­li­cher­wei­se kaum.

So man­che Fest­stel­lung ist ge­nau­er Sicht an Bau­ern­re­gel­sch­licht­heit kaum zu über­bie­ten. Et­wa wenn es heißt, dass ei­ne »wei­te­re un­an­ge­neh­me Wahr­heit über den Krieg [sei], dass er so­wohl Zer­stö­rung bringt als auch Neu­es schafft«, Oder: »Hab­gier, Ver­tei­di­gung so­wie Ge­füh­le und Ideen sind nach wie vor die Ge­burts­hel­fer des Krie­ges«. Auch die Aus­sa­ge, dass »Staa­ten und Rei­che durch Er­obe­rungs­krie­ge oder durch die Ka­pi­tu­la­ti­on schwä­che­rer Mäch­te [wuch­sen], die ei­nen hoff­nungs­los ein­sei­ti­gen Kampf ver­mei­den woll­ten« ist eher schlicht. Wie bei­spiels­wei­se auch: »Der Krieg treibt die tech­ni­sche Ent­wick­lung vor­an, greift aber auch auf Vor­han­de­nes zu­rück.« Wo­bei ei­ni­ge Epi­so­den über die tech­ni­schen und lo­gi­sti­schen In­no­va­tio­nen, die auf das Mi­li­tär zu­rück­zu­füh­ren sind, durch­aus in­ter­es­sant sind.

Die epi­so­dische Rei­hung von Er­eig­nis­sen hat häu­fig Leer­stel­len. Zwar wer­den auch Auf­stands­be­we­gun­gen und ih­re Le­gi­ti­ma­ti­on er­ör­tert, aber in­wie­weit dies bei­spiels­wei­se für die Ko­lo­ni­al­kämp­fe gilt, bleibt weit­ge­hend amorph. We­nig er­fährt man zum so­ge­nann­ten Kal­ten Krieg und den »Stell­ver­tre­ter­krie­gen« in der »Drit­ten Welt«. Auch die Se­zes­si­ons­be­we­gun­gen der ju­go­sla­wi­schen Krie­ge in den 1990er und 2000er Jah­ren bil­den nur ein kurz auf­flackern­des Un­ter­fut­ter für die Be­schäf­ti­gung mit Bür­ger­krie­gen.

Bis­wei­len wi­der­spricht sich die Au­torin. Da wird bei­spiels­wei­se zum ei­nen be­haup­tet, dass die USA den Viet­nam­krieg auch als »Schlacht um die öf­fent­li­che Mei­nung« ver­lo­ren ha­be, »weil die Abend­nach­rich­ten im Fern­se­hen und die Re­por­ta­gen der Druck­me­di­en gro­ße Tei­le der Be­völ­ke­rung zu der Über­zeu­gung brach­ten, dass der Krieg so­wohl un­ge­recht als auch schänd­lich sei.« Ei­ni­ge Ka­pi­tel wei­ter ist es dann plötz­lich »frag­lich, ob die Be­richt­erstat­tung der Haupt­fak­tor für den Um­schwung der öf­fent­li­chen Mei­nung war.«

Das Bei­spiel Viet­nam­krieg zeigt auf frap­pie­ren­de Wei­se die geo­po­li­ti­schen Lücken die­ses Bu­ches. Mit kei­nem Wort ist die po­li­ti­sche Ur­sa­che für die In­ter­ven­ti­on der USA in Viet­nam prä­sent: Der gras­sie­ren­de An­ti­kom­mu­nis­mus als Aus­läu­fer des Mc­Car­thy­is­mus der 1950er Jah­re, der in die »Domino«-Theorie mün­de­te. Kriegs­grün­de wer­den zu­meist nur mit kur­zen, all­ge­mein ge­hal­te­nen Aus­sa­gen ab­ge­han­delt: »Ab­dan­kun­gen, Ro­man­zen, Re­li­gio­nen, dy­na­sti­sche Strei­tig­kei­ten, Er­obe­run­gen, Im­pe­ria­lis­mus, At­ten­ta­te, Lü­gen­ge­schich­ten. Aber be­stimm­te Mo­ti­ve tau­chen im­mer wie­der auf: Hab­gier, Selbst­ver­tei­di­gung, Ge­füh­le und Ideen.« Das ist al­les und nichts zu­gleich.

Da­bei stecken Chan­cen im Buch. So be­kommt man bei­spiels­wei­se en pas­sant mit­ge­teilt, dass jun­ge, auf­stre­ben­de Groß­mäch­te zu über­eil­ten Krie­gen nei­gen. Man denkt so­fort an Chi­na und die von vie­len Sei­ten be­schwo­re­ne Kriegs­ge­fahr um Tai­wan. Aber lei­der wird nicht ge­nau­er dar­auf ein­ge­gan­gen. Statt­des­sen wie­der ein jour­na­li­sti­scher Satz: »Heu­te gibt es so­wohl in Pe­king als auch in Wa­shing­ton Leu­te, die ei­nen Kon­flikt zwi­schen Chi­na und den Ver­ei­nig­ten Staa­ten für un­ver­meid­lich hal­ten.« Na­tür­lich kann man auch um­ge­kehrt ar­gu­men­tie­ren: Groß­mäch­te, de­ren stra­te­gi­sche und mi­li­tä­ri­sche Po­tenz schwin­den, könn­ten eben­falls da­zu nei­gen, kon­flikt­freu­di­ger zu sein. Bei­spiel wä­re hier Russ­land. Aber auch hier­zu fin­det man bei MacMil­lan we­nig tief­ge­hen­des.

Dass der Fo­kus bei der ka­na­di­schen Au­torin, die in Groß­bri­tan­ni­en ge­ar­bei­tet und ge­forscht hat, auf den an­gel­säch­si­schen Raum liegt, ver­wun­dert nicht. So gibt es sehr vie­le Re­kur­se auf die Krie­ge Bri­tan­ni­ens vom Hun­dert­jäh­ri­gen Krieg an­ge­fan­gen bis hin zum Er­sten Welt­krieg. Der Zwei­te Welt­krieg fin­det be­son­de­re Be­rück­sich­ti­gung, wenn es um die Be­hand­lung der Zi­vil­be­völ­ke­rung geht. MacMil­lan ist hier spür­bar be­müht die ver­üb­ten Ver­bre­chen von bei­den Sei­ten, al­so Hit­ler und Sta­lin, zu re­ka­pi­tu­lie­ren. Ver­stö­rung er­zeugt in die­sem Zu­sam­men­hang al­ler­dings, dass die sin­gu­lä­re Be­stia­li­tät des Hitler’schen Ver­nich­tungs­kriegs und der Sho­ah (ins­be­son­de­re für deut­sche Le­ser) er­schreckend un­ter­re­prä­sen­tiert ist.

In die­sem Zu­sam­men­hang ist ih­re Be­mer­kung über die Ge­wich­tung zwi­schen Er­stem und Zwei­ten Welt­krieg ge­gen En­de des Bu­ches min­de­stens teil­wei­se ir­ri­tie­rend: »Der Zwei­te Welt­krieg, der so oft als ein­deu­ti­ger Kampf zwi­schen Gut und Bö­se be­schrie­ben wird (wo­bei man prak­ti­scher­wei­se über­sieht, dass die West­mäch­te mit der So­wjet­uni­on ver­bün­det wa­ren, ei­ner der größ­ten Ty­ran­nei­en der Welt), hat die heu­ti­ge Sicht auf den Er­sten Welt­krieg be­ein­flusst, der jetzt als mo­ra­lisch frag­wür­dig, tö­richt und sinn­los er­scheint. Die Män­ner, die zwi­schen 1914 und 1918 kämpf­ten und star­ben, wer­den heu­te nicht be­wun­dert, son­dern be­dau­ert.« Letz­te­res konn­te man deut­lich bei den Ju­bi­lä­ums­fä­hig­kei­ten rund um das En­de des Er­sten Welt­krie­ges fest­stel­len. Aber wenn man die Al­li­an­zen zwi­schen den West­mäch­ten und der So­wjet­uni­on in den 1930er Jah­ren be­müht, müss­te man sie nä­her be­schrei­ben. Es wa­ren näm­lich vor al­lem Wirt­schafts­ver­trä­ge. Meint sie die­se Ab­kom­men oder be­fragt MacMil­lan ernst­haft die mi­li­tä­ri­sche Zu­sam­men­ar­beit ge­gen Na­zi-Deutsch­land?

Was man schmerz­lich ver­misst ist ei­ne Er­ör­te­rung der mo­der­nen Kriegs­füh­run­gen mit Droh­nen und Cy­ber­krie­gen. Das Ka­pi­tel »Mo­der­ner Krieg« be­ginnt mit Na­po­le­on und en­det mit 1918; et­was spä­ter wer­den dann doch noch »Kil­ler­ro­bo­ter« er­wähnt. Zwar weist MacMil­lan auf die in­du­stri­el­le Auf­rü­stung hin, die den Er­sten Welt­krieg lan­ge er­hal­ten hat­te, aber der bis­wei­len exi­sten­ti­el­le Schock über die­se für den ein­zel­nen Sol­da­ten nicht mehr fass­ba­re Si­tua­ti­on, die sich u. a. in der Kunst bei den Ex­pres­sio­ni­sten zeig­te, ist ihr kei­ne Er­wäh­nung wert.

»Der Zünd­stoff künf­ti­ger Kon­flik­te«, so MacMil­lan – plötz­lich un­ter Ver­mei­dung des Wor­tes »Krieg« – spei­se sich »aus den Fol­gen des Kli­ma­wan­dels« und der Po­la­ri­sie­rung von Ge­sell­schaf­ten, et­wa durch »in­to­le­ran­ten Na­tio­na­lis­mus«. Hier hat sie schein­bar nur die plu­ra­li­stisch or­ga­ni­sier­ten Staa­ten im Blick. Vom Auf­stieg neu­er Groß­mäch­te nebst Ver­la­ge­rung der Welt­öko­no­mie von Europa/Amerika nach Asi­en und das hier­aus ent­ste­hen­de Kon­flikt­po­ten­ti­al gibt es in die­sem Buch lei­der zu we­nig.

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Liest sich, wie Ste­ven Pin­kers opus ma­gnum »Ge­walt«, das im Ori­gi­nal üb­ri­gens sehr freund­lich be­ti­telt ist: The bet­ter An­gels of our Na­tu­re, – ich glau­be, ein Satz von Lin­coln. Man könn­te glau­ben, dass McMil­lan ei­nen Wi­der­hall die­ses pi­vo­ta­len Wer­kes schrei­ben woll­te, und das ist auch gar nicht schlecht. Im Ge­gen­teil! Ge­ra­de heu­te, – ja, das lohnt sich bei­na­he täg­lich, so zu de­kla­mie­ren, – ge­ra­de heu­te ist die tie­fe Am­bi­va­lenz des We­stens zum Krieg mit Hän­den zu grei­fen. Je­de Pres­se­ver­laut­ba­rung zum The­ma gibt dar­über Aus­kunft. Die neue­ste Ab­sur­di­tät ist der kol­lek­ti­ve Main­stream-Ge­stot­ter-Ver­such, auf ir­gend­ei­nem kom­mu­ni­ka­ti­ven We­ge fest­zu­stel­len, ob... »der Krieg in der Ukrai­ne« schon an­ge­fan­gen hat. Sind sie »heu­te« ein­mar­schiert, gibt es be­glau­big­te »Fo­tos« (Han­dy-Auf­nah­men?!) von den Pan­zern, da­mit wir un­se­re Be­richt­erstat­tung auf den fak­ti­schen Be­griff hin zu­recht set­zen kön­nen?! Rüh­rend un­be­hol­fen, und doch ganz und gar un­heim­lich, den Leut­chen bei der Fa­bu­la­ti­on der Ge­gen­wart zu­zu­hö­ren. Es gibt sie ganz of­fen­sicht­lich, die ei­ne »Schwel­le«, die nie­mand mehr über­schrei­ten möch­te, weil es dann kein »Zu­rück« mehr gibt, und ge­ra­de des­halb ganz und gar un­ser ethi­sches Den­ken be­herrscht.
    In Zu­kunft sieht die Au­torin al­so nur noch »in­ter­ne Kon­flik­te«, die er­satz­wei­se die Schat­ten­sei­te un­se­res Le­ben und un­se­rer Er­fah­run­gen prä­gen wer­den?! Ein biss­chen Kli­ma-Ran­da­le, ein biss­chen »Mau­er­schüs­se« auf die un­ge­be­te­nen Zu­wan­de­rer?! Ja, die­se stark ge­schmä­ler­te »Hoff­nung« kann man bei ei­nem Aka­de­mi­ker nach­voll­zie­hen. Aber ich fürch­te, das ver­fälscht ein we­nig die es­sen­zi­el­le Bot­schaft. Tat­säch­lich darf man die Mög­lich­keit ei­nes Krie­ges in ei­ner tech­nisch be­gab­ten Zi­vi­li­sa­ti­on nicht aus­schlie­ßen, so we­nig wie man die Vor­be­rei­tun­gen zur Selbst­ver­tei­di­gung un­ter ei­nem rein »hu­ma­ni­tä­ren Aspekt« ver­kau­fen kann, wie es der ty­pi­sche de­fault-Po­li­ti­ker (#Frie­dens­en­gel­Beim­Lü­gen­Er­tappt) ger­ne tun. Ge­wiss ha­ben sie ei­ner­seits recht, un­se­re herr­li­chen An­füh­rer, an­de­rer­seits nützt uns die­se hal­be Wahr­heit ab­so­lut rein gar nichts. Das Un­be­ha­gen bleibt. Es könn­te sein, dass wir un­ser Le­ben auf’s Spiel set­zen müs­sen, für ir­gend­so ein Ter­ri­to­ri­um, für ir­gend­so ei­ne »Idee«, und da­bei so ein ganz klein biss­chen die Kon­trol­le ver­lie­ren... Krieg ist nichts für schwa­che Ner­ven.

  2. Der We­sten hat in den letz­ten Jah­ren im­mer dann in ei­nen Krieg ein­ge­grif­fen oder ihn so­gar be­gon­nen, wenn er sich si­cher war, ihn ge­win­nen zu kön­nen. Aber die In­ter­ven­tio­nen in Ju­go­sla­wi­en 1998, Irak 2003 und Li­by­en 2011 sind al­le auf ih­re Wei­se al­le ge­schei­tert. In den letz­ten bei­den Fäl­len er­reich­te man eher das Ge­gen­teil als ei­ne Be­frie­dung. Der letz­te wirk­lich gro­ße Krieg des We­stens, der 2001 in Af­gha­ni­stan be­gann, en­de­te in ei­ner Schmach 2022. Hoch­tech­ni­sier­te Ar­meen schei­ter­ten an ei­ner San­da­len-Gue­ril­la und wur­den wie Hun­de aus dem Land ge­scheucht.

    Es hat mich über­rascht, dass MacMil­lan die­se Aspek­te nicht be­rück­sich­tigt hat (Af­gha­ni­stan konn­te man min­de­stens er­ah­nen, auch wenn der Zu­sam­men­bruch erst nach dem Buch pas­sier­te). Es er­gibt sich ein Bild, dass der We­sten we­der lo­gi­stisch noch mi­li­tä­risch in der La­ger ist, lang­fri­sti­ge (d. h. jahr­zehn­te­lan­ge) mi­li­tä­risch-ro­bu­ste Un­ter­neh­mun­gen zu füh­ren. Am En­de fehlt ein­fach das Geld. Es ist so ba­nal.

    Das ist die Si­tua­ti­on, die uns der­zeit mit der Ukrai­ne und der Don­bass-La­ge um­treibt. Wir sind zum Zu­schau­en ver­ur­teilt, weil wir nicht be­reit sind, krie­ge­risch für ein paar Koh­le­ge­bie­te in der Ost­ukrai­ne ein­zu­tre­ten. Auf Twit­ter schrieb je­mand, am Dne­pr wür­de die Frei­heit ver­tei­digt (wie einst am Hin­du­kusch). In Wahr­heit ist der We­sten kriegs­mü­de, ja kriegs­un­fä­hig. Es exi­stiert zwar ei­ne gu­te Mi­li­tär­tech­nik und auch Atom­waf­fen sind ge­bun­kert. Aber um wel­che Kon­se­quenz wil­len sol­len sie ein­ge­setzt wer­den? Es könn­te sein, dass in Zu­kunft die Ge­sell­schaf­ten, die kriegs­be­reit sind, wie­der die Über­macht ge­win­nen wer­den. Es müs­sen frei­lich kur­ze und ein­deu­ti­ge Ak­tio­nen sein. Be­ru­hi­gend ist das al­les nicht.

  3. Man kann nicht al­les ha­ben, wuss­te mei­ne Mut­ter. Und schon gar nicht die gan­ze Welt! Uni­ver­sa­lis­mus und Geo­po­li­tik schei­nen in ei­nem ge­nu­in igno­ran­ten Ver­hält­nis zu ko­exi­stie­ren. Ich hät­te es schon nach 2011 an­ge­sichts der Sy­ri­en-Kri­se ver­ste­hen müs­sen, aber mit Ih­rer Hil­fe wird es mir jetzt klar. Ich ha­be im­mer die Öko­no­mie des Krie­ges über­se­hen, al­so ge­nau die Fi­nan­zie­rungs­fra­ge, die Hit­ler noch so läs­sig weg­wi­schen konn­te (»Der Krieg er­nährt den Krieg!«). Ge­stat­ten Sie mir den Ka­lau­er: Krieg ist ei­ne Win-Win-Si­tua­ti­on... Aber die Öko­no­mie des We­stens ver­hin­dert den Ein­satz dra­sti­scher und lang­fri­stig teue­rer Mit­tel. Man möch­te mit Bil­lig-Droh­nen den Welt­frie­den her­bei­füh­ren, nur je­weils ein hand­li­ches Bömbchen auf die we­ni­gen Schur­ken, und schon wird die Welt­ge­schich­te »li­nea­ri­siert«. Bom­bing-just-on-But­thead! – Ihr Hin­weis ist kei­nes­wegs tri­vi­al. Der Ein­satz und die Zie­le müs­sen ab­ge­wo­gen wer­den, man muss sich fo­kus­sie­ren, man muss aus­wäh­len kön­nen, und das heißt sich be­schrän­ken. Das wuss­ten die ver­damm­ten Im­pe­ria­li­sten. Du kannst den Irak be­frei­en, aber nicht Sy­ri­en. Du kannst Tai­wan be­schüt­zen, aber nicht die Ui­gu­ren. Tat­säch­lich mei­ne ich so­gar ein Mu­ster des Schnäpp­chen-Krie­ges zu ent­decken, da man of­fen­bar die bil­li­gen In­ter­ven­tio­nen (Af­gha­ni­stan) im Hin­blick auf die Nach­hal­tig­keit des Er­geb­nis­ses zu po­si­tiv ein­ge­schätzt hat. Ist wie bei bil­li­ger Elek­tro­nik: macht kurz Mu­sik, hält aber nicht lan­ge...

  4. Pu­tins Ukrai­ne-Ag­gres­si­on hat das Weg­se­hen und die De­ka­denz des We­stens bru­tal sicht­bar ge­macht. Und ich fürch­te, das ist erst der An­fang. Wenn Chi­na erst ins Groß­macht­ge­schäft ein­steigt, gna­de uns Gott. (Aber wir ha­ben ja kei­nen mehr.)