Gestern Heribert Prantl im Interview in »Kulturzeit«. Er beklagt, dass der Staat den Bürger überall bevormundet und die »Freiheit« durch überzogene »Präventionsmassnahmen« einschränkt. Prantl versuchte eine Differenzierung – die Schäuble-Gesetzesentwürfe (die tatsächlich eine grundlegende Neudefinition des Rechtsverständnisses dieses Staates bedeuten würden) nicht in einen Topf zu schmeissen mit Rauchverbot und Diätdiskussion. Dass die Süddeutsche Zeitung wesentlichen Anteil an der alarmistischen »Deutschland-ist-zu-dick«-Diskussion durch Zitierung einer dubiosen Studie hat, wurde übrigens nicht thematisiert.
Der Sturz des Helden
Jetzt geht’s an die Dekonstruktion eines Helden: Michael Moore. Die kanadischen Filmemacher Debbie Melnyk und Rick Caine haben herausgefunden, dass Moore, die Verkörperung des »guten Amerika« in seinen Filmen Tatsachen unterschlagen, verdreht und/oder manipuliert haben soll.
Das Geschütz, dass die beiden in ihrem Film »Manufacturing Dissent« (»Die Herstellung von Dissenz« – offizielle Erstausstrahlung in Deutschland am 5. Mai auf dem Dokumentarfilmfestival in München) auffahren, ist wohl enorm. Zwar hat das deutsche Feuilleton bisher eher milde reagiert (man mag ja so schnell nicht das aufgeben, was man – mangels eigener Recherchen und Betriebsblindheit – jahrelang kritiklos gefeiert hat). Aber es ist sicher keine Kleinigkeit, wenn Moore in Permanenz in seinem Film »Roger and Me« behauptet, der GM-Chef Roger Smith habe selbst nach mehrfachem Anfragen nicht auf Moores Wunsch zu einem Gespräch über die drohende Schliessung eines grossen Werkes geantwortet. Im Film der Kanadier tritt Moores ehemaliger Mitarbeiter James Musselmann auf, der exakt das Gegenteil behauptet. Demnach habe es ein 10–15 minütiges Gespräch zwischen Smith und Moore im Waldorf=Astoria gegeben, in dem der Industrieboss durchaus pointiert Moores Fragen beantwortet haben soll.
»Virtueller Vandalismus«
Ein herzerfrischender und wahrer Beitrag von Jürgen Wimmer im »Novo-Magazin« mit dem etwas skurillen Titel »Meinungsfreiheit? LOL!!!!!!!!!!!!!!!!!!«:
Mit dem Internet … ist für jeden Berufspöbler das goldene Zeitalter der missverstandenen Meinungsfreiheit angebrochen. […] Es wird beleidigt und gegeifert, bis die Tastatur qualmt. […] Für ganze Armeen von Kindsköpfen ist virtueller Vandalismus inzwischen zu einer Art Hobby geworden.
Im weiteren Verlauf des Aufsatzes fällt Wimmers Diagnose reichlich ernüchternd aus. Das, was die Verfechter der »heimlichen Medienrevolution« noch als Möglichkeit einer neuen Demokratisierung der Gesellschaft feierten (und teilweise immer noch feiern), ist vielerorts längst trivialisiert und oft genug haben Berufspöbler ihre Claims im Netz abgesteckt.
Einzelgänger
Bei Amokläufen (bzw. das, was als solcher bezeichnet wird) oder ähnlichen Verbrechen kommt eine Charakterisierung bei der Beschreibung des Täters immer wieder zur Anwendung: Der Einzelgänger.
Immer war / ist der Täter ein eigenbrötlerischer Einzelgänger, der – im nachhinein betrachtet – eigentlich immer schon »komisch« war. Soviel schlechter Krimi ist fast immer. Insbesondere die Massenmedien haben schnell ihre Verurteilung gefunden. Mit grossem Vergnügen weidet man sich an denjenigen, der nun (posthum oder mindestens post festum) noch zum »Abschuss« freigegeben wurde.
»Das Verhängnis schreitet fort...«
Der furchtbare Politiker
Da zeigt die CDU wieder ihre alte, hässliche 50er-Jahre-Fratze – und das während sich in Berlin Merkel, von der Leyen & Co. um eine moderne CDU bemühen.
Bei der Beerdigung des ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, belässt es der amtierende Ministerpräsident Günther Oettinger nicht bei allgemeinen, floskelhaften Reden, sondern verklärt denjenigen, der kaum wie ein anderer als Prototyp des »furchtbaren Juristen« gilt. Die Zitate, die seit gestern Nachmittag in den Agenturen zu lesen sind, sprechen eine deutliche Sprache.
Kleines Plädoyer für eine neue Naturbetrachtung
Im Feuilleton der aktuellen Ausgabe der »Zeit« ist ein kleiner, fast ein wenig verstecker, feiner Artikel der deutschen Schriftstellerin Marion Poschmann zu lesen.
Innerhalb einer Artikelserie mit dem eher schwammigen Titel »Die Zukunft der Natur« ist Poschmanns »Traut dem Augenschein!« ein kurzes, aber emphatisches Plädoyer für einen radikal anderen Umgang mit dem, was wir (oft genug fälschlicherweise) Natur nennen.
Ein bisschen fühlte ich mich bei ihren Gedanken an die seinerzeit heftig diskutierten Fernsehfilme des Journalisten Horst Stern erinnert, der in den 70er Jahren unter anderem mit dem verkitschten Blick einerseits und dem rein ökonomischen Blick andererseits aufräumen und in drastischen Worten (und Bildern) die Naturlosigkeit des »modernen Menschen« aufzeigte.
Wider die Kirche als »Marke«
Christian Nürnbergers flammende Polemik im letzten »Süddeutsche Zeitung Magazin« »Korinther 9,99 Euro« ist auch (und gerade!) für Atheisten oder Agnostiker eine interessante und bewegende Lektüre. Denn hinter der Wut des Autors auf eine seelenlose Funktionärskirche verbirgt sich ja der innige (nicht zu denunzierende) Wunsch, es möge anders sein.
So wie die Kirche nach Nürnbergers Beobachtung voranschreitet, wird das aber nichts. Das Einzug gehaltene Denken von den Missionaren einer fremden Religion passt natürlich nicht zur christlichen Botschaft. So werden auch noch die letzten Getreuen mit dem ökonomisch-wichtigtuerischen Vokabular schicker Werbelümmel vertrieben. Man könnte, nein: man muss fragen, wie verzweifelt die Kirche sein muss, sich derart auszuverkaufen.