Wie­der eine(r) we­ni­ger

Ich ha­be Ali­ce Schwar­zer nie be­son­ders »ge­mocht«. Sie war mir oft zu mi­li­tant, zu laut, zu po­le­misch. Aber viel­leicht muss­te man das sein, um ihr The­ma – die Eman­zi­pa­ti­on der Frau­en in un­se­rer Ge­sell­schaft – er­folg­reich an­zu­packen und dau­er­haft in den Köp­fen der brei­ten Mas­se zu ver­an­kern. Rück­wir­kend er­scheint es da­bei, dass Ali­ce Schwar­zer al­lei­ne ge­stan­den hät­te, was nach­weis­lich falsch ist (auch wenn es im­mer wie­der be­haup­tet wird – und neu­lich so­gar durch ei­nen ei­gent­lich re­nom­mier­ter Hi­sto­ri­ker wie Hans-Ul­rich Wehl­er). Es ist in­zwi­schen vie­les Le­gen­de ge­wor­den, was das Wir­ken von Ali­ce Schwar­zer an­geht. Den­noch sind ih­re Ver­dien­ste nicht zu leug­nen. Und die Ver­su­che, sie in di­ver­sen Kam­pa­gnen zu de­nun­zie­ren, ha­ben mich im­mer an­ge­wi­dert. Man kann sa­gen, ich ha­be Ali­ce Schwar­zer re­spek­tiert.

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Die Ab­schrei­ber

Am Sonn­tag wur­de in Kla­gen­furt im Rah­men der »31. Ta­ge der deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur« der In­ge­borg-Bach­mann-Preis ver­ge­ben. Die neun Ju­ro­ren be­nen­nen den­je­ni­gen, dem sie den In­ge­borg-Bach­mann-Preis ge­ben wol­len. Je­der lie­fert ei­ne kur­ze Be­grün­dung. Gibt es beim er­sten Mal kei­ne Mehr­heit, dann fin­den Stich­wah­len statt.

Im Ge­gen­satz zu den spä­te­ren Prei­sen (so­zu­sa­gen dem 2. bis 4. Preis) war die Kü­rung des Haupt­preis­trä­gers in die­sem Jahr schnell er­le­digt. Im er­sten Wahl­gang er­reich­te Lutz Sei­ler 6 von 9 Stim­men.

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Kla­ge über den ab­ge­holz­ten Wald

Klei­ne Weg­zeh­rung für Kla­gen­furt. Ein fast my­ste­riö­ser Ar­ti­kel des »Al­f­red-Kerr-Prei­s­trä­­gers« 2007, dem Li­te­ra­tur­kri­ti­ker Hu­bert Win­kels im »Ta­ges­spie­gel«: Der Kri­ti­ker als drit­ter Gott. In der Be­schwö­rung der gu­ten, al­ten (Kerr-)Zeit (die es – wie im­mer bei sol­chen Rück­blen­den – nie ge­ge­ben hat) und der Aus­lo­bung des grö­ssen­wahn­sin­ni­gen, apo­dik­ti­schen Kri­ti­kers mag ja ein ge­wis­ser Phan­tom­schmerz ei­nes 68er-Ver­­­fech­ters ...

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Al­ban Ni­ko­lai Herbst: Mee­re

Alban Nikolai Herbst: Meere (bei VOLLTEXT)
Al­ban Ni­ko­lai Herbst: Mee­re (bei VOLLTEXT)

Ju­li­an Kal­k­reuth und Fich­te sind ein und die­sel­be Per­son. Ir­gend­wann be­schloss Ju­li­an, Fich­te zu wer­den. Nein, nicht »be­schloss« – Ju­li­an ver­wan­del­te sich in Fich­te. Un­ter­schied­li­cher könn­ten bei­de nicht sein.

»Mee­re« ist auch Er­zäh­lung die­ses Fich­te-Le­bens. Als bil­den­der Künst­ler und als Mensch. Als Mann. Wir er­fah­ren in dia­lo­gi­schen Re­tro­spek­ti­ven zwi­schen Ju­li­an und Fich­te über das Le­ben des gna­den­los pro­duk­ti­ven Künst­lers und Lieb­ha­bers Fich­te und über Ju­li­ans Le­bens­krän­kun­gen (Vam­pi­re), die Fich­te doch nicht los­wird. Und wir le­sen die Ge­schich­te sei­ner gro­ssen Lieb­schaf­ten, der Lie­be zur ab­ge­klärt wir­ken­den, fast gleich­alt­ri­gen Lu, die sieb­zehn Jah­re hielt (ei­ne Art ehe­li­cher Kul­tur­kon­stan­te) und – vor al­lem – der Lie­be zu Ire­ne, der mehr als zwan­zig Jah­re jün­ge­ren per­si­schen Göt­tin mit den ägyp­ti­schen Lip­pen, dem lang­sam­sten Geschöpf…das ihm je be­geg­net ist (aus­ge­rech­net ihm, dem von Arg­wohn ge­pei­nig­ten, no­to­risch Un­ge­dul­di­gen, schnell Er­reg­ba­ren und in hei­li­gem Zorn fal­len­den). Ei­ne Ge­schich­te ei­ner Ob­ses­si­on, ei­ner Be­ses­sen­heit. Und die Ge­schich­te des Schei­terns, weil Fich­tes Ma­nie, die ihn in der Kunst zu Hö­hen­flü­gen treibt (»Höl­len­pa­lä­ste«), ei­ne Lie­be nicht ent­wickeln, nicht »aus­hal­ten“ kann, son­dern sie zer­stört. Die Hin­ga­be Ire­nes, die aus dem Stolz kommt, ver­geht; sie trennt sich un­ver­söhnt – er bleibt zu­rück, fas­sungs­los; un­ver­stän­dig.

Al­ban Ni­ko­lai Herbst ver­mei­det Lar­moy­anz und Sen­ti­men­ta­li­tät. Es wird nicht kon­ven­tio­nell li­ne­ar er­zählt, son­dern in as­so­zia­ti­ven Zeit­sprün­gen. Die be­son­ders im er­sten Drit­tel dra­sti­schen Se­xu­alsze­nen er­schie­nen mir trotz ih­rer teil­wei­se de­tail­lier­ten Schil­de­run­gen nie­mals ob­szön. Sie ge­hö­ren zur Er­zäh­lung. Oh­ne sie fehlt dem Le­ser die Mög­lich­keit der Ein­ord­nung der Di­men­si­on die­ser rausch­haf­ten Be­ses­sen­heit, die Fich­te tra­gi­scher­wei­se mit Lie­be ver­wech­selt. Oh­ne sie wür­de das Aus­mass des Schei­terns nicht ver­steh­bar und blie­be blo­sse Be­haup­tung. Das an­fangs halb scherz­haf­te halb dro­hen­de Du wirst mich nie wie­der los wird zum Fa­tum: Selbst als Ire­ne ihn »phy­sisch« ver­las­sen hat­te, wur­de er sie nicht mehr los.

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Der fa­ta­le Fehl­schluss

In je­der Dis­kus­si­on um Ver­bes­se­run­gen des Bil­dungs­sy­stems in Deutsch­land fällt nach we­ni­gen Sät­zen fast un­aus­weich­lich die Be­haup­tung: In kei­nem an­de­ren Land (der OECD) be­stim­men die Her­kunft und die fi­nan­zi­el­len Mit­tel die Bil­dungs­chan­cen der­art stark wie in Deutsch­land. Kin­der aus Ar­bei­ter­aus­hal­ten oder an­de­ren »pre­kä­ren« Mi­lieus ha­ben – so die The­se – sy­stem­be­dingt schlech­te­re Chan­cen auf hö­he­re Schul­ab­schlüs­se wie bei­spielsweise das Ab­itur oder gar ein Stu­di­um. Der Schluss hier­aus lau­tet, dass Haus­hal­te mit grö­sse­ren pe­ku­niä­ren Mit­teln per se ei­ne bes­se­re Bil­dung für ih­re Kin­der er­rei­chen. Dies be­deu­tet auch, so die gän­gi­ge Mei­nung, dass »är­me­re« Kin­der be­dingt durch ih­re »Ar­mut« schlech­te­re Bil­dungs­chan­cen hät­ten.

Ne­ben den gän­gi­gen OECD-Stu­di­en wird auch die PI­SA-Stu­die hier im­mer wie­der zi­tiert. Be­fragt wird die­se The­se und vor al­lem ih­re Er­he­bungs­me­tho­de gar nicht mehr; sie ist der­art ka­no­ni­siert, dass es of­fen­sicht­lich ein Fak­tum zu sein scheint.

Da­bei müss­ten die­se The­sen ei­gent­lich ver­wun­dern, denn in Deutsch­land exi­stie­ren we­der Schul­geld noch Zu­gangs­be­schrän­kun­gen, die an fi­nan­zi­el­le Zu­wen­dun­gen ge­bun­den wä­ren (lässt man jetzt ein­mal die we­ni­gen pri­va­ten In­ter­nats­schu­len bei­sei­te). Wie wird ei­gent­lich ge­nau die­se Aus­sa­ge be­legt? Und: Stimmt es tat­säch­lich in die­ser Ein­fach­heit, dass die öko­no­mi­sche Aus­rü­stung des El­tern­hau­ses den Grad der Bil­dung be­stimmt?

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Die Am­bi­va­lenz­ge­sell­schaft

Ge­stern He­ri­bert Prantl im In­ter­view in »Kul­tur­zeit«. Er be­klagt, dass der Staat den Bür­ger über­all be­vor­mun­det und die »Frei­heit« durch über­zo­ge­ne »Prä­ven­ti­ons­mass­nah­men« ein­schränkt. Prantl ver­such­te ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung – die Schäub­le-Ge­set­zes­ent­wür­fe (die tat­säch­lich ei­ne grund­le­gen­de Neu­de­fi­ni­ti­on des Rechts­ver­ständ­nis­ses die­ses Staa­tes be­deu­ten wür­den) nicht in ei­nen Topf zu schmei­ssen mit Rauch­ver­bot und Di­ät­dis­kus­si­on. Dass die Süd­deut­sche Zei­tung we­sent­li­chen An­teil an der alar­mi­sti­schen »Deutschland-ist-zu-dick«-Diskussion durch Zi­tie­rung ei­ner du­bio­sen Stu­die hat, wur­de üb­ri­gens nicht the­ma­ti­siert.

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Der Sturz des Hel­den

Jetzt geht’s an die De­kon­struk­ti­on ei­nes Hel­den: Mi­cha­el Moo­re. Die ka­na­di­schen Fil­me­ma­cher Debbie Mel­nyk und Rick Cai­ne ha­ben her­aus­ge­fun­den, dass Moo­re, die Ver­kör­pe­rung des »gu­ten Ame­ri­ka« in sei­nen Fil­men Tat­sa­chen un­ter­schla­gen, ver­dreht und/oder ma­ni­pu­liert ha­ben soll.

Das Ge­schütz, dass die bei­den in ih­rem Film »Ma­nu­fac­tu­ring Dis­sent« (»Die Her­stel­lung von Dis­senz« – of­fi­zi­el­le Erst­aus­strah­lung in Deutsch­land am 5. Mai auf dem Do­ku­men­tar­film­fe­sti­val in Mün­chen) auf­fah­ren, ist wohl enorm. Zwar hat das deut­sche Feuil­le­ton bis­her eher mil­de re­agiert (man mag ja so schnell nicht das auf­ge­ben, was man – man­gels ei­ge­ner Re­cher­chen und Be­triebs­blind­heit – jah­re­lang kri­tik­los ge­fei­ert hat). Aber es ist si­cher kei­ne Klei­nig­keit, wenn Moo­re in Per­ma­nenz in sei­nem Film »Ro­ger and Me« be­haup­tet, der GM-Chef Ro­ger Smith ha­be selbst nach mehr­fa­chem An­fra­gen nicht auf Moo­res Wunsch zu ei­nem Ge­spräch über die dro­hen­de Schlie­ssung ei­nes gro­ssen Wer­kes ge­ant­wor­tet. Im Film der Ka­na­di­er tritt Moo­res ehe­ma­li­ger Mit­ar­bei­ter Ja­mes Mus­sel­mann auf, der ex­akt das Ge­gen­teil be­haup­tet. Dem­nach ha­be es ein 10–15 mi­nü­ti­ges Ge­spräch zwi­schen Smith und Moo­re im Waldorf=Astoria ge­ge­ben, in dem der In­du­strie­boss durch­aus poin­tiert Moo­res Fra­gen be­ant­wor­tet ha­ben soll.

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»Vir­tu­el­ler Van­da­lis­mus«

Ein herz­er­fri­schen­der und wah­rer Bei­trag von Jür­gen Wim­mer im »No­vo-Ma­ga­zin« mit dem et­was sku­r­il­len Ti­tel »Mei­nungs­frei­heit? LOL!!!!!!!!!!!!!!!!!!«:

Mit dem In­ter­net … ist für je­den Be­rufs­pöb­ler das gol­de­ne Zeit­al­ter der miss­ver­stan­de­nen Mei­nungs­frei­heit an­ge­bro­chen. […] Es wird be­lei­digt und ge­gei­fert, bis die Ta­sta­tur qualmt. […] Für gan­ze Ar­meen von Kinds­köp­fen ist vir­tu­el­ler Van­da­lis­mus in­zwi­schen zu ei­ner Art Hob­by ge­wor­den.

Im wei­te­ren Ver­lauf des Auf­sat­zes fällt Wim­mers Dia­gno­se reich­lich er­nüch­ternd aus. Das, was die Ver­fech­ter der »heim­li­chen Me­di­en­re­vo­lu­ti­on« noch als Mög­lich­keit ei­ner neu­en De­mo­kra­ti­sie­rung der Ge­sell­schaft fei­er­ten (und teil­wei­se im­mer noch fei­ern), ist vie­ler­orts längst tri­via­li­siert und oft ge­nug ha­ben Be­rufs­pöb­ler ih­re Claims im Netz ab­ge­steckt.

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