Wie kommt es eigentlich dazu, dass auch zeitgenössische Kunst inzwischen bei Auktionen exorbitant hohe Preise erzielt? Wie ist dieser Hype zu erklären? Die Professorin, Kunstkritikerin und Publizistin Isabelle Graw untersucht in Ihrem Buch mit dem schön-doppeldeutigen Titel »Der große Preis« die Wechselwirkungen zwischen Kunst (gemeint ist stets der Sonderfall der bildenden Künste) und Markt. Wobei das Buch durchaus den Beginn der Wirtschaftskrise, die uns aufgrund medialer Aufbereitung ständig präsent ist, reflektiert (der Schluss, aufgrund der Spezialisierung des Kunstmarktes wären die Auswirkungen gedämpfter, erweist sich allerdings als falsch). Bereits auf den ersten Seiten ihres Vorworts (welches eine Zusammenfassung der später ausführlich ausgebreiteten Thesen darstellt) wird der hohe Anspruch dieses Projekts deutlich – und die Ambivalenzen, die sich für jemanden stellen, der, wie Graw mehrfach bemerkt, selber stark in das Geschehen des zu beurteilenden Gegenstandes involviert ist.
Kein kulturkritisches Lamento
Graw beschäftigt sich zunächst mit den Mechanismen des Marktes und wie diese auf Preis und Wert eines Kunstwerks wirken. Es gibt sehr kluge und bedenkenswerte Ausführungen zu Parallelen zwischen Kunstwerk und Luxusgut, wobei herausgestellt wird, dass dem Kunstwerk im Gegensatz zum Luxusgegenstand der Gebrauchswert fehlt. Während ein Luxusauto durchaus noch seiner eigentlichen Bestimmung (von A nach B zu kommen) genügt (wenn dieser Zweck auch in den Hintergrund gedrängt zu sein scheint bzw. als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird), besitzt ein Kunstwerk einen solchen Gebrauchswert nicht (das ästhetische Vergnügen lässt Graw – wohl zu Recht – in Bezug auf die Wertigkeit nicht gelten). Umgekehrt fehlt dem Luxusgut jedoch sowohl kulturelle[s] und soziale[s] Prestige als auch die Aura des kulturell Bedeutungsvollen.
Gleichzeitig stellt Graw fest, dass der Markt längst nicht mehr als gesellschaftlich abgekoppelte Realität begriffen werden kann, sondern dass er die ganze Ebene des Sozialen in Form eines Netzes umschliesst. Die »globale Industrie« und »archaische Tauschgesellschaft« sind für sie zwei Seiten derselben Medaille. Mehrfach wird betont, dass sie kein dezidiert marktfeindliches oder kulturkritisches Lamento in alarmistischem Tonfall anstimmen möchte. Eher im Gegenteil wird ein bisschen süffisant darauf verwiesen, dass Marktphobie…gut fürs Geschäft sei.
Kunst hat, so eine These des Buches, sowohl einen Markt- als auch einen Symbolwert, wobei das Verhältnis zwischen Symbol- und Marktwert…in Entsprechung zum Kunst-Markt-Verhältnis als spannungsgeladenes Wechselverhältnis aufgefasst wird. Dieser Bemerkung sagt jedoch leider alles und nichts aus. Und auch nach sehr vielen Erläuterungen zu Symbol- und Marktwert versteht es die Autorin nicht, ihre These mit mehr als Beliebigkeitsmetaphern zu unterstützen.
Dabei wird munter mit Denkgebäuden (unter anderem) von Kant, Marx, Benjamin, Adorno, Foucault und Pierre Bourdieu jongliert und auch neuere, zeitgenössische Denker wie Paolo Virno und Ulrich Bröckling oder Kunsttheoretiker wie Marcel Duchamp und Andy Warhol (für Graw eine besondere Figur) kommen zu Wort. In teilweise eklektizistischer Manier (es gibt immerhin 353 Fussnoten auf 235 Seiten) werden Thesen variiert, modifiziert und – je nach Gusto – auch (passkonform) korrigiert.
Symbolwert und Marktwert
Graw folgt Bourdieu noch in der Feststellung, dass der Symbolwert von Kunst Manifestation einer materiell nicht messbaren, schwer zu quantifizierenden Auszeichnung sei. Dann braucht sie Marx, um den Symbolwert im gesellschaftlichen Verhältnis von Ware zu Ware zu erkennen. Demnach ist Symbolwert als zweifache gesellschaftliche Aufladung zu definieren weil er für einen Überschuss und eine Aufgeladenheit steht, die jenseits von dem mit ihm Bezeichneten liegen. Der Symbolwert drückt jene schwer dingfest zu machende, symbolische Bedeutung aus, die sich aus unterschiedlichen Faktoren – Singularität, kunsthistorische Zuschreibung, Etabliertheit des Künstlers, Originalitätsverheissung, Versprechen auf Dauer, Autonomiepostulat oder intellektuellem Anspruch – zusammensetzt. Richtigerweise konstatiert sie, dass die Entlassung der Kunst aus ihrer Zweckgebundenheit durch die Ästhetik im 18. Jahrhundert erst die Voraussetzungen zu ihrer Vermarktung schaffte (wobei reichlich spät ein kurzer Hinweis auf das Werkstattwesens Rembrandts aus dem 17. Jahrhundert folgt). Nun stellt sich das Problem, dass das, was von berufener Seite (Kunstkritik und Kunstgeschichte) als ästhetische Leistung einer künstlerischen Arbeit behauptet wird nicht ohne weiteres in einen Preis »überführt« werden kann.
Trotz der Feststellung, dass der Marktwert immer auf einen »Symbolwert« angewiesen [ist], der ihn [den Marktwert] letztlich legitimiert begeht Graw einen Denkfehler, in dem sie behauptet, dass der Symbolwert nicht im Marktwert auf[geht]…obwohl, wie sie selber konzidiert, für ihn ein Preis verlangt wird. Dieser Preis rechtfertigt sich umgekehrt mit einem Symbolwert, der grundsätzlich nicht verrechenbar ist. Das führt zu ihrem Paradoxon, dass das Kunstwerk von seiner symbolischen Bedeutung aus gesehen preislos sei und dennoch hat es seinen Preis. In dem sie den Symbolwert jedoch am Markt »bilden« lässt (eben durch Institutionen wie Kritik, Galeristen, Sammler, Kunstwissenschaftler), wird der Symbolwert sozusagen sozialisiert und ist nicht beispielsweise nur eine Wertzuweisung eines einzelnen Sammlers oder einer kleinen Gruppe von Enthusiasten. Dies wiederum führt zu einer Quantifizierung, die zwar nicht real nachprüfbar ist, aber durchaus mit der Zeit durchaus Parameter entwickelt, die mindestens für eine gewisse Zeit Gültigkeit besitzen.
Daher trifft der Vergleich zwischen dem Kunstwerk und der Markenware (sieht man – ähnlich wie beim Luxusartikel – von dessen Gebrauchswert ab) durchaus mehr zu, als Graw einräumt. Der Gedanke, dass die Designerbrille nicht [an] die Vorstellung eines von ihr abgeworfenen, erkenntnistheoretischen Mehrwerts geknüpft ist und damit im Gegensatz zum Kunstwerk steht, welches enorme intellektuelle Leistungen vollbringen soll, verhindert nicht, dass nicht nur der Preis in der Kunst als etwas Arbiträres angesehen werden muss. Auch der Wert der Designerbrille ist in diesem Sinne willkürlich, weil vom reinen Material- und Produktionswert abgekoppelt. Die Aufladung des Kunstwerks als »intellektuelles« Produkt ist letztlich nur wiederum Teil des Symbolwertes des Kunstwerkes. Das wäre, salopp gesagt, letztlich der (einzige) Grund, warum eine Designerbrille normalerweise preiswerter (!) ist als ein Bild eines angesagten Malers.
Da hilft dann die Feststellung der Überdeterminiertheit des Symbolwerts, der sich in horrenden Preisen zeigt (wie beispielsweise für Damian Hirsts »Totenschädel«, der noch im August 2008 für 100 Millionen US-Dollar versteigert wurde, jedoch einen reinen »Materialwert« von nur rd. US$ 30 Millionen haben soll), nicht weiter.
Graw folgt Bourdieu in dem Augenblick nicht mehr, als dieser Symbolwert und Marktwert in relative[r] Unabhängigkeit sieht. Sie plädiert für eine eng geführte Parallelität und kommt zu dem sibyllinischen Schluss, sie machten sich beide gegenseitig das Leben schwer, um doch aufeinander angewiesen zu sein; ihr Verhältnis sei von Anziehung und Abstossung geprägt. Dies wäre jedoch nur richtig, wenn es sozusagen zwei »Preise« gäbe, die auch getrennt ermittelt würden. Statt die Schnittstelle, wenn der Symbolwert zum Marktwert wird und die einzelnen Implikationen zu definieren und eventuell eine Art Phänomenologie des Marktwerts zu versuchen, wird eine schlaffe Schwebeposition konstruiert.
Tatsächlich betont Graw die Sonderstellung des Kunstwerks aufgrund dieser »bipolaren Wertermittlung« (die sie als polare Grundkonstellation bezeichnet). Sie vergisst dabei, dass beispielsweise auch der Börsenhandel ähnlichen Bewertungen unterliegt (streng genommen ist sogar der Wert des Geldes selber ein höchst symbolischer). Zwar wäre hier (theoretisch) der (Markt-)Wert des Unternehmens über die buchhalterischen Kennziffern der Bilanz quantifizierbar. Der Aktienkurs jedoch schafft eine zweite, extrem variable Grösse, der nun den »Symbolwert« des Unternehmens ausdrückt. Beide Werte können sich beträchtlich unterscheiden, wie man am Beispiel der Spekulationen um die VW-Aktie Ende 2008 sehen kann, als die Volkswagen AG vorübergehend zum »wertvollsten« Unternehmen der Welt wurde. Dieser »Wert« entsprach jedoch keinesfalls der »realen« Bewertung des Konzerns. Im Gegensatz zum Kunstwerk sind zwar beide Werte viel eher zu ermitteln, da sie an konkreten Zahlen festzumachen sind. Aber durch die Volatilität des Aktienmarktes (der sich übrigens verblüffenderweise in Teilen dem nähert, was Graw als Spezifikum des Kunstmarktes herausarbeitet) bleibt der »Symbolwert« (Börsenwert) des Unternehmens ungewiss, ja spekulativ, obwohl er reflexiv auch wieder in den eigentlichen Marktwert einfliesst (wenn auch nur indirekt, beispielsweise durch immaterielle Zuordnungen). Dennoch hat ein Unternehmen (um diesen Vergleich fortzuführen) letztlich nur einen »Wert« – genau wie das Kunstwerk (welches ja auch Schwankungen unterworfen ist).
Networking statt Einzelkämpfer
Ergiebig ist Graws Buch in der Schilderung der Veflechtung der einzelnen »Institutionen«, die den Markterfolg…zum Maß aller Dinge und zum Gradmesser künstlerischer Qualität machen. Da sie sich gelegentlich nicht mit normalen Vokabular zufriedengibt, wird hierfür den sperrige (vermutlich jedoch passende) Begriff der Konsekrationsinstanzen eingeführt. Nicht nur hier zeigt sich, dass die Autorin von der (zunächst) deskriptiv-neutralen Haltung, die eine gewisse Reserviertheit gegenüber der beschriebenen Dynamik zeigt, irgendwann sozusagen zwischen den Zeilen immer mehr ins Bejahende abdriftet, so dass es dem Leser gelegentlich erscheint, als sei das Buch von zwei Autoren geschrieben worden, deren Sätze irgendwann zusammenmontiert worden seien.
Einerseits ist es für sie folgerichtig, dass der Markt à la longue auf bestimmte Konsekrationsinstanzen angewiesen ist, die künstlerische Produktion legitimieren, andererseits konstatiert sie, dass der Markt eine Art »permanentes ökonomisches Tribunal« sei. Sie moniert das Vordringen einer Marktlogik, die sich in letztlich undurchschaubaren Rankingsystemen oder obskuren Hitlisten zeigt und beanstandet teilweise emphatisch, dass Kritiker immer mehr ihre neutrale Position zu Gunsten einer Rolle von Glaubwürdigkeitslieferanten übernehmen, die gut fürs Geschäft sind, weil sie jene Bedeutung produzieren, die den Marktwert letztlich legitimiert (die Kritiker wollen wohl auch ein bisschen von der Goldrauschstimmung profitieren, in dem sie dem privaten Galeristen erlauben, sie für einen Text gut zu bezahlen) und problematisiert andererseits das marktferne Selbstverständnis von Teilen der Kritik. Einerseits scheint sie den Paradigmenwechsel, der den Markterfolg als ästhetisches Kriterium festschreibt, zu kritisieren, andererseits entfaltet sie am Ende des Buches an diversen von ihr so genannten marktreflexiven Kunstwerken eine gut geölte Exegesemaschine, der beispielsweise der Interpretationswalze des märchendeutenden Eugen Drewermann in nichts nachsteht.
Das Buch hat aber auch sehr interessante und erhebende Momente. Etwa, wenn Graw ausführlich auf die Interdependenzen und gegenseitigen Verstrickungen der Konsekrationsinstanzen eingeht und eine gekonnte und pointierte Sicht auf die Kunstwelt als netzförmig organisierte »Kontaktwelt« gibt, was letztlich fast zwangsläufig in den »Networking-Imperativ« mündet. Zwar übernehmen Auktionshäuser immer noch die Rolle von Kreditinstituten und Kritiker werden (wie bereits erwähnt) zu Bedeutungsproduzenten, aber die Rollen von Galeristen, Kuratoren und Sammlern weisen inzwischen oft Überschneidungen auf. Kritiker sind inzwischen auch Galeristen und/oder Kuratoren, Auktionen bestücken Galerien – jeder macht irgendwann einmal alles und das führt zu Rollenkonflikte[n] (Graw verschweigt hier abermals ihre eigenen potentiellen Interessenkonflikte nicht), die letztlich einen Mangel an Selbstreflexion zur Folge haben. Dies wird eindringlich und mit offensichtlich hoher Vertrautheit geschildert, wenn auch ohne direkte Beurteilung dieses Prinzips; (moralische) Entrüstung scheint ihr fremd sein. Auch unterlässt sie es, Belege aus dem »Nähkästchen« beizusteuern.
Die Aufhebung der klassischen Kompetenzprofile führt zu einem Kooperationszwang. Der Gegner von heute könnte der dringend benötigte Kooperationspartner von morgen sein. Freundschaften werden unter rein ökonomischen Gesichtspunkten geschlossen (ein wenig holprig das Beispiel van Gogh/Gauguin, um dies nicht ausschliesslich als zeitgemässes Phänomen zu beschreiben). Der Einzelkämpfer ist weitgehend chancenlos, er fungiert höchstens noch als eine Art Künstler-Künstler, der dazu neigt sein ganzes Leben in Form von als »legendär« erachtenden Auftritten in die Waagschale zu werfen. Am Modell des Künstler-Künstlers entdeckt Graw die Differenz zwischen einem hohen Kultwelt, der in der jeweiligen Person begründet liegt und einem eher geringen Marktwert, da die Kunstwerke oft vergänglich und keine festen Gegenstände sind. Der Künstler-Künstler, der anfangs (oberflächlich betrachtet) für eine Verweigerung der Kommerzialisierung steht, geht bei Graw später in den Celebrity über – das zweifellos gelungenste Kapitel des Buches.
Celebrity: Verschmelzung von Leben und Werk
Ein Celebrity ist zunächst einmal eine omnipräsente Figur, die als »Produkt« ausschliesslich ihre eigene Berühmtheit »besitzt« und diese vermarktet. Ihr Leben und ihre Persönlichkeit sollen exemplarisch, herausragend und der Rede Wert sein. Graw beschreibt nun, wie der Kunstmarkt diese Form der Selbstvermarktung akkumuliert und damit das Projekt der Avantgarde praktisch vollendet. Sie nennt dies biopolitische Wende. Der Künstler, der ja immerhin im Gegensatz zum Celebrity das Kunstwerk (im Idealfall ein Œuvre) anzubieten kann, wird zum lebende[n] Beweis. Die Legende vom Künstler wird implementiert, der sein Leben als fundamentale Kategorie, welches mindestens ebenso sehr wie das Werk unser Interesse verdient definiert und inszeniert wird und dann zusammen mit dem Kunstwerk dem neoliberalen Regime darbringt (ärgerlich in diesem Zusammenhang, dass Graw den Begriff »neoliberal« mehrere Male im landläufigen, also falschen Sinn verwendet, obwohl sie ihn auch mindestens zweimal korrekt verwendet und sogar erläutert).
Graw zitiert die Schauspielerin Angelina Jolie, die meinte, ihr Produkt [bestünde heute] zu 80% aus ihrem Privatleben, aus »albernen und erfundenen Geschichten« oder dem, was sie anhabe. Das Verhältnis zwischen »Leben« und »Werk« ist, so die These, grundsätzlich metonymisch, also durch Verschiebung und Übertragung charakterisiert. Wie bei Celebrities färben Leben und Werk des Künstlers aufeinander ab und begründen einen Kult des Authentischen. Schön wenn sie beschreibt, wie Erfolg und auch Scheitern der Protagonisten in fast biblischen Dimensionen Heilserwartungen und Sehnsüchte bedienen, die längst ausserhalb jeglichen Werkskontextes liegen. Obwohl Graw mit grosser Strenge bei der Betrachtung der Kunstszene bleibt, lassen sich hier sehr gut Parallelen beispielsweise zum Literaturbetrieb feststellen.
Vom Celebrity-Künstler ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Celebrity-Kultur, welche die von der Kulturkritik regelmässig aufgerufene (und verdammte) »Spektakelkultur«…abgelöst hat. Graw übersieht zwar, dass die »Spektakel«- bzw. »Skandalkultur« als bekanntheitsstiftendes Requisit immer noch oft genug praktiziert wird (und sie unterlässt es, hier die medialen Mechanismen herauszuarbeiten), aber vom Prinzip her neigt man dazu, ihr zuzustimmen.
Der »marktreflexive« Künstler
Den »Urvater« des Celebrity-Künstlers sieht Graw in Andy Warhol, der in den 60er Jahren vom blossen Partygänger zum Inbegriff des marktreflexiven Künstlers wurde, schon insofern…als er das Marktgeschehen zu seinem künstlerischen Material erklärte, ohne sich mit seiner bloßen Abbildung zu begnügen und dies obwohl (oder gerade weil?) die Bilder der Pop Art-Kollegen…Lichtenstein oder Johns weit höher bewertet worden waren.
Mit der Implementierung des marktreflexiven Künstlers, der aus der Celebrity-Kultur hervorgeht und sie wohl überwinden soll, erleidet Graw jedoch veritablen Schiffbruch. Mit marktreflexiven Gesten soll der Rückbezug auf ein Marktgeschehen umschrieben sein, von dem sich der Gestikulierende selbst nicht ausnimmt. Diesem Marktgeschehen wird in seiner jeweiligen historischen Verfasstheit begegnet – sei es, dass die strukturelle Nähe des Kunstmarkts zum Finanzmarkt behauptet wird, sei es, dass den Auswirkungen des Celebrity-Prinzips auf künstlerische Produktion nachgegangen wird. Fast glaubt man verstanden zu haben, da heisst es dann aber, dass unter Marktreflexion nicht das unmittelbare Hineinragen des Marktes in die künstlerische Produktion zu verstehen sei. Was ist also konkret gemeint, wenn gesagt wird, dass marktreflexive Gesten…die Marktbedingungen im Hinblick auf deren potentielle Veränderbarkeit aufgreifen?
Die Beispiele, die Graw dann aufführt (von Gustave Courbet über Marcel Duchamp, Yves Klein [nach Graw ein Vorreiter der…»Eventkultur«], Damien Hirst [dessen abgeklärter Marktrealismus vorgeführt wird], Merlin Carpenter, Jeff Koons bis zur Aktion von Andrea Fraser, die auf einem Video mit einem ihrer Sammler sexuell verkehrt [Untitled, 2003]) entwickelt Graw die bereits angesprochenen, eindrucksvollen Interpretationsmodelle, die jedoch wenig überzeugen, da das, was sie als Marktreflexivität definiert letztlich nur noch aus kommerziellen Erwägungen heraus produziert scheint (inklusive gelegentlichem Skandalanteil) und damit schlichtweg das Bedienen gewisser Erwartungshaltungen befriedigt. Eine Marktreflexivität, die den Markt auf eine marktkonforme (und somit vorhersehbare) Art und Weise bedient, weil sie glaubt, die Verhältnisse nicht mehr ändern zu können, verkommt zur blossen Affirmation (wenn sie nicht in Zynismus abgleitet, was im Zweifel schwer zu entscheiden sein kann).
Bei all diesen Überlegungen spielt übrigens verblüffenderweise der Kunstbetrachter und Museumsbesucher in »Der große Preis« keine Rolle. Er bleibt wohl entweder Celebrity-Groupie mit »Bunte«, »Vanity Fair« oder »Gala« als Referenzmedien oder wird zum akklamierenden Konsumenten degradiert, der im Museum schon routiniert zur Erklärmaschine per Kopfhörer greift und im »Museumsshop« am Ende drei Kunstpostkarten für zwei Euro das Stück kaufen darf, bevor er sich dann irgendwann ob dieses solipsistisch-grossmauligen Gehabes einer sich selbst genügenden Kunstschickeria mehr oder weniger angeekelt abwendet.
Wenn Graw richtigerweise den Gestus des Marktverweigerers als meistens unglaubwürdige Pose herausarbeitet (weil er letztlich auch nur auf den Markt rekurriert), so ist der marktreflexive Künstler im Ergebnis nichts anderes als jemand, der dem Kommerz in einem selbstreferentiellen System erliegt. Ob er dessen Gesetzmässigkeiten analysiert hat und kühl mit ihnen spielt oder ob es sich um einen primitiveren, trivialisierten Vorgang handelt, spielt dann letztlich keine Rolle mehr. Wo da die Kunst als emphatisches Ausdrucksmedium bleibt, wird nicht thematisiert.
Mitten in diesem Amalgamierungsprozess zwischen Kunst und Markt bewegt sich Isabelle Graw als Heroine des Beschreibens. Genau wie der marktreflexive Künstler, erliegt sie fast willig den (scheinbaren) Realitäten, in dem sie diese als Fatum definiert und durch eine krude These über »Marktreflexivität« aufzuwerten versucht.
Auf der vorletzten Seite traut dann der Leser seinen Augen nicht. Graws eigenes Verhältnis zu Markt, Marktgeschehen und markterfolgreichen Praktiken sei von Ambivalenz geprägt erfahren wir da. Sie stehe bestimmte[n] Entwicklungen – etwa dem…Siegeszug des Markterfolgs – ablehend gegenüber und verfolge das Geschehen mit einer Art schaudernder Begeisterung. Sie nennt ihre Studie plötzlich »Faszinationsanalyse« und Form der Gesellschaftskritik…die Distanz zu den Verhältnissen, in die sie gleichsam eingebunden ist, reklamiert, um diesen Verhältnissen aber auch fasziniert zuzuschauen und beizuwohnen.
Dieser Spagat ist, mit Verlaub, misslungen; die Kehre unglaubwürdig. Hier trifft das einfache Bild von jemandem, der den Kuchen gleichzeitig essen und behalten wollte. Was das Buch dennoch lesenswert macht, ist eine Fülle von Details, die dem interessierten Leser die Gegebenheiten des Kunstmarktes deutlich machen. In überbordender politischer Korrektheit ergeht sich die Autorin allerdings leider in ein wahres »Innen-Gewitter«, was zu Satzungetümen wie Im Bereich der bildenden Künste sind es gewöhnlich Kunsthistoriker/innen, Kritiker/innen oder Kurator/innen… oder Darauf, dass eine/ihre Galerie auch in schwierigen Zeiten zu ihm/ihr halten wird, kann sich mithin kein Künstler/keine Künstlerin mehr verlassen führt (ach ja, auf Seite 40, vorletzte Zeile, wurde »Spezialist/innen« vergessen).
Die kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.