Er­bärm­li­che Fi­gu­ren

Nach der Ent­schei­dung der Grü­nen an der Saar, mit CDU und FDP in Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen zu ge­hen, kann man an den Re­ak­tio­nen von SPD und der Lin­ken er­ken­nen, war­um sich die Leu­te in Scha­ren von der Po­li­tik ab­wen­den.

Eben noch um­wor­ben pol­tert La­fon­taine ge­gen den Grü­nen-Chef Ul­rich, dass der wohl mit 5,9% ver­ges­sen ha­be, dass dies kei­ne 59% sei­en. Man fragt sich, ob er ihm dies in den Vor­ge­sprä­chen auch so ge­sagt hat. Wei­ter­le­sen

Ro­ber­to Bo­la­ño: 2666

Roberto Bolaño: 2666

Ro­ber­to Bo­la­ño: 2666


Das Buch be­ginnt so harm­los. Drei Li­te­ra­tur­pro­fes­so­ren (Jean-Clau­de Pel­le­tier aus Frank­reich, Ma­nu­el Es­pi­no­za aus Spa­ni­en und Pie­ro Mo­ri­ni aus Ita­li­en) und die eng­li­sche Li­te­ra­tur­do­zen­tin Liz Nor­ton (spä­ter hei­ßen sie nur noch die Kri­ti­ker) ent­wickeln über die Jah­re ei­ne Af­fi­ni­tät zum Werk des deut­schen Schrift­stel­lers Ben­no von Ar­chim­bol­di. An­fangs ein Ge­heim­tip, for­cie­ren nicht zu­letzt die vier die Re­zep­ti­on Ar­chim­bol­dis in der Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft; un­ter an­de­rem auch durch Über­set­zun­gen. Auf Kon­gres­sen, Col­lo­qui­en und an­de­re Zu­sam­men­tref­fen (die es of­fen­sicht­lich reich­lich gibt) ler­nen sie sich per­sön­lich ken­nen und ver­tie­fen nicht nur ih­re fach­li­chen Kennt­nis­se. Durch Liz Nor­ton kommt es zu al­ler­lei Lie­bes­ver­wick­lun­gen; die Da­me hat zu­nächst Pel­le­tier als Ge­lieb­ten, et­was spä­ter dann Es­pi­no­za, län­ge­re Zeit bei­de par­al­lel und min­de­stens ein­mal auch gleich­zei­tig. Die kör­per­li­chen Geb­re­sten Mo­r­in­is (er ist im All­tag auf ei­nen Roll­stuhl an­ge­wie­sen) schei­nen da Bar­rie­ren zu bil­den, wo­bei es am En­de die­ses er­sten Teils dann doch noch ei­ne Über­ra­schung gibt.

Ne­ben die­sen In­ter­ak­tio­nen un­ter den vier Kri­ti­kern (Telefon‑, Mail‑, Gesprächs­austausch), dem ge­le­gent­li­chen Be­äu­gen, den Idio­syn­kra­si­en, den Ver­let­zun­gen, den Merk­wür­dig­kei­ten, den Se­xu­al­stel­lun­gen und –fre­quen­zen – al­les in ei­ner Mi­schung zwi­schen Pro­to­koll und Re­por­ta­ge auf­be­rei­tet – geht es na­tür­lich auch um Li­te­ra­tur. Das Ge­schrie­be­ne bleibt die ein­zi­ge Re­fe­renz für die Adep­ten, denn Ar­chim­bol­di ist so phan­tom­haft wie im rea­len Le­ben sonst nur Tho­mas Pyn­chon. Wei­ter­le­sen

heu­te ./. ta­ges­schau

Erd­be­ben in Pa­dang. Pe­ter Kunz be­rich­tet für das ZDF in »heu­te«. »95% der Groß­stadt sind in­takt«; die Zer­stö­run­gen der Stadt sei­en lo­kal auf ein­zel­ne Häu­ser bzw. Vier­tel be­grenzt. Die Bil­der, so Kunz vor­sich­tig, wür­den leicht ei­nen an­de­ren Ein­druck ver­mit­teln (»ZDF«-Mediathek; 19 Uhr-Sen­dung vom 01.10.09 ab ca. 03:15).

In der »ta­ges­schau« um 20 Uhr der Kor­re­spon­dent Phil­ipp Ab­resch live via Sa­tel­li­ten­te­le­fon: Pa­dang lie­ge »in Trüm­mern« (ab 02:16).
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Des­in­for­ma­ti­on bei der »ta­ges­schau«

Die »ta­ges­schau« ist auch nicht mehr das, was sie frü­her war. So­eben konn­te man dies deut­lich fest­stel­len, hieß es doch in ei­nem an pro­mi­nen­ter Stel­le plat­zier­ten Bei­trag von Pia Biersch­bach in der Sen­dung von 20 Uhr, dass das Wahl­recht kurz vor der Bun­des­tags­wahl in der Dis­kus­si­on ge­kom­men sei. Es ge­he, so der Film, um die Re­ge­lung der Über­hang­man­da­te. De­tail­liert wur­de er­klärt, wie Über­hang­man­da­te zu­stan­de kom­men. Da­bei wur­de er­läu­tert, dass ei­ne Par­tei un­ter be­stimm­ten Um­stän­den mehr Man­da­te be­kom­men kann, als ihr ge­mäss der ab­ge­ge­be­nen Stim­men zu­ste­hen. Dann wird be­haup­tet, dass das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ei­ne Re­ge­lung bis 2011 ver­ord­net ha­be, dies ab­zu­stel­len.

Die­ser Schluss ist nach­weis­lich falsch. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat kei­nes­falls die Re­ge­lung der Über­hang­man­da­te be­an­stan­det, wie dies im Bei­trag der »ta­ges­schau« sug­ge­riert wur­de. Zwar ist im Bei­trag ver­steckt an ei­ner Stel­le von »Tei­len der Über­hang­man­dats­re­ge­lung« die re­de, die be­an­stan­det wur­de, aber wel­cher Teil das ist, bleibt un­deut­lich. Der Zu­schau­er muß an­neh­men, es be­tref­fe ge­ne­rell die Über­hang­man­da­te. Wei­ter­le­sen

Mar­tin von Arndt: Der Tod ist ein Post­mann mit Hut

Martin von Arndt: Der Tod ist ein Postmann mit Hut

Mar­tin von Arndt: Der Tod ist ein Post­mann mit Hut

An je­dem er­sten Mitt­woch im Mo­nat er­hält Ju­lio C. Rampf ein Ein­schrei­ben. Die Zu­stel­lung ist in­zwi­schen längst ri­tua­li­siert: das trag­ba­re Ter­mi­nal mit dem Stift, der aus­sieht wie ein krumm ge­schla­ge­ner Zim­mer­manns­na­gel, die gewagte…und doch für zu leicht be­fun­de­ne Un­ter­schrift Ju­li­os, der Zei­ge­fin­ger des Post­bo­ten, der flüch­tig an sei­ne Kopf­be­deckung, ei­nen Ti­ro­ler­hut fährt, der Wach­hol­der­schnaps im Stam­perl, das er­neu­te leich­te Be­rüh­ren des Hu­tes mit dem Zei­ge­fin­ger und schliess­lich die Dre­hung auf der Schwel­le beim Ver­las­sen der Woh­nung. Und auch der In­halt die­ses an­ony­men Ein­schrei­bens ist stets gleich: ein ein­mal gefaltete[s] leere[s] Blatt.

Ju­lio ist 40, Deut­scher und lebt in Inns­bruck mehr schlecht als recht als Gi­tar­ren­mu­si­ker. Paint­ner, der Mu­sik­pro­du­zent mit den schlech­ten Wit­zen, nahm ihn trotz oder viel­leicht ge­ra­de we­gen sei­ner ro­ten, ver­schorf­ten Hän­de für sei­ne skur­ri­len Pro­jek­te, wie zum Bei­spiel Klas­si­ker der Un­ter­hal­tungs­mu­sik für chi­ne­si­sche Schnell­im­bis­se zu be­ar­bei­ten. Nach mehr als 20 Jah­ren wur­de Ju­lio von sei­ner Frau Ines ver­las­sen, was ihn de­pri­miert und ver­stört. Und dann auf ein­mal die­se Ein­schrei­ben. An­fangs noch als ei­nen harm­lo­sen Irr­tum be­trach­tet, der sich schnell durch den »rich­ti­gen« Ver­sand auf­klä­ren wür­de, be­ginnt Ju­lio die Im­per­ti­nenz die­ser an­ony­men Post zu be­un­ru­hi­gen aber auch zu fas­zi­nie­ren. Und so ne­ben­bei ver­än­dert sie sein Le­ben.

Der Ich-Er­zäh­ler Ju­lio hat bei ober­fläch­li­cher Be­trach­tung zu­nächst durch­aus et­was von ei­ner pre­kär-mo­der­nen Ver­si­on ei­nes Prinz Le­on­ce oder Ob­lo­mows. Er ver­bringt auch schon ein­mal sei­ne Ta­ge im Bett und ze­le­briert sei­ne Lan­ge­wei­le. Wie­der­keh­rend und un­ver­se­hens, fast an­fall­ar­tig sei­ne Mut­lo­sig­keit. Sie über­kommt ihn beim Schu­he­put­zen, bei häus­li­chen Klein­re­pa­ra­tu­ren. Al­les wird schwarz, al­les wird schwer, un­er­träg­lich schwer, zu schwer für mich, un­er­träg­lich für mich…ich hal­te die­ses Le­ben, mein Le­ben schlecht­hin, nicht mehr aus. Nach land­läu­fi­ger Dik­ti­on wür­de man ihn als de­pres­siv ein­stu­fen – und auch wie­der nicht, denn er stemmt sich sehr wohl ge­gen die­ses Ge­hen­las­sen und be­ginnt ein »Näch­te­buch« zu schrei­ben, zag­haft, mit mü­den Ge­dan­ken. Er ver­sucht, die Zeit ur­bar zu ma­chen und ir­gend­wann dreht sich die Welt nur noch um die­se Zei­len.

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Die to­ta­le Kon­ver­genz

Ich möch­te mich aus­drück­lich von ei­ner kla­ren po­li­ti­schen Po­si­ti­on di­stan­zie­ren, ich kri­ti­sie­re zu­meist eher die rechts­extre­me Sei­te, hier ist es ein­mal kurz um­ge­kehrt.

Die Leit­re­gel vom Kom­mu­nis­mus ist ja: Je­der Mensch ist gleich. Wenn ich die­sen Aper­cu le­se, so kann ich im­mer nur mü­de grin­sen be­sten­falls, wenn nicht so­gar mei­ne Mi­mik auf­grund über­schäu­men­der Ag­gres­sio­nen ge­gen­über der mensch­li­chen Ein­falt ver­bie­gen, so, wie wenn man ei­nen Ei­sen­stab vor lau­ter Zorn zu bie­gen ver­sucht. Da­bei er­in­nern so­wohl der Ge­sichts­aus­druck des Bie­gen­den als auch die Form des Ei­sen im über­tra­gen­den Sin­ne an mei­ne be­sag­te Mi­mik.

Denn ich kann das nicht ein­se­hen. Es ist nicht je­der Mensch gleich, viel mehr noch, es ist KEIN Mensch gleich. Und dies ist nicht nur auf Mar­xis­mus und Le­nis­mus be­zo­gen, son­dern auch auf al­le an­de­ren Staats­for­men und Ver­fas­sun­gen, in de­nen je­der Mensch als gleich gilt.

Ich möch­te mich hier­bei AUSDRÜCKLICH da­von di­stan­zie­ren, die­se Un­gleich­heit an ir­gend­wel­chen Äu­ßer­lich­kei­ten, et­wa der Haut­far­be oder ähn­li­ches, fest­zu­ma­chen. Wei­ter­le­sen

Grün 2009: Die ver­schenk­te Stim­me

Die Bun­des­tags­wahl 2009 be­kommt im Schluß­spurt doch noch ei­nen ho­hen Un­ter­hal­tungs­wert. Die FDP er­hält noch ein­mal ko­sten­lo­se Wahl­pro­pa­gan­da für die ba­na­le, von ihr seit Jah­ren ge­mach­te Aus­sa­ge, es gä­be kei­ne »Am­pel« (ei­ne Ko­ali­ti­on mit der SPD und den Grü­nen). Neu ist die­se Aus­sa­ge nicht. Al­ler­dings in die­ser Zu­spit­zung ziem­lich dumm.
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Ili­ja Tro­ja­now / Ju­li Zeh: An­griff auf die Frei­heit

Ilija Trojanow / Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit

Ili­ja Tro­ja­now / Ju­li Zeh: An­griff auf die Frei­heit

Wenn man die er­sten Sei­ten die­ses Bu­ches liest, kann ei­nem tat­säch­lich angst und ban­ge wer­den. Man glaubt in ei­nem to­ta­len Über­wa­chungs­staat zu le­ben oder auf ihn fast zwangs­läu­fig, oh­ne Ret­tung, zu­zu­steu­ern. Das Mu­ster, wel­ches die Au­toren da­bei ver­wen­den, ist be­kannt: Vom Ein­zel­fall wird auf das All­ge­mei­ne ge­schlos­sen. Da vor dem G8-Gip­fel in Hei­li­gen­damm 2007 von De­mon­stran­ten Ge­ruchs­pro­ben ge­nom­men und ar­chi­viert wur­den, wird sug­ge­riert, dies sei all­ge­mei­ne po­li­zei­tech­ni­sche Pra­xis. Dass es sich bei­spiels­wei­se in Ham­burg um ins­ge­samt zwei Fäl­le han­del­te, bleibt na­tür­lich au­ßen vor (ge­nau wie die an­schlie­ßen­de Dis­kus­si­on um die­se in­ak­zep­ta­ble Vor­ge­hens­wei­se).

Da wer­den, so die Be­haup­tung, die Fin­ger­ab­drücke auf mei­ner Kaf­fee­tas­se um­ge­hend al­len so­ge­nann­ten An­ti-Ter­ror-Be­hör­den ge­mel­det (falls sie nicht schon längst be­kannt sind). Die Mög­lich­keit, dass pri­va­te E‑Mails ab­ge­fan­gen und ge­le­sen wer­den kön­nen, führt zu der Fest­stel­lung, dass je­de ver­schick­te E‑Mail ei­nem un­ver­schlos­se­nen Brief gleicht, der welt­weit von je­dem In­ter­es­sier­ten mit In­ter­net­zu­gang ein­ge­se­hen wer­den kann. (Als »Be­grün­dung« heißt es la­pi­dar, dass fast al­le Browser…Sicherheitslücken ha­ben.) In die­sem Zu­sam­men­hang auf den gu­ten, al­ten Brief als Ge­heim­nis­wah­rer zu ver­wei­sen, er­scheint schon sehr ko­misch – als könn­te nicht je­der Brief eben­falls ge­öff­net wer­den. Wohl ge­merkt: kann. Aber man liest un­will­kür­lich: wird. Wei­ter­le­sen