Ich be­ken­ne, al­so bin ich

Vor­erst ist die La­wi­ne »Atom­kraft – nein dan­ke!« zum Still­stand ge­kom­men. Die Face­book-Pro­fil­bild­chen wer­den wie­der ge­än­dert. Als näch­ste Be­kennt­nis­se wer­den fa­vo­ri­siert: »S21 oben blei­ben« – ein Re­vi­val – (ins­be­son­de­re nach Be­kannt­ga­be even­tu­ell prag­ma­ti­scher Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lungs­er­geb­nis­se in Ba­den-Würt­tem­berg) oder »Frei­heit für Ai Wei­Wei«. Scha­de, dass sich »Free Li­bya« nicht so rich­tig durch­ge­setzt hat, aber den Atom­kraft­geg­nern war das Hemd nä­her als der Rock.

So rich­tig voll­wer­ti­ges Mit­glied in den »so­zia­len Netz­wer­ken« ist man ja nur mit ent­spre­chen­dem Be­kennt­nis. Und das soll schon am Pro­fil­bild er­kenn­bar sein. Ich be­ken­ne, al­so bin ich. Schon op­tisch wird deut­lich: Dis­kus­si­on sinn­los. Hier hört der Spaß auf. Wie hal­te ich mir si­cher an­ders­lau­ten­de Ur­tei­le vom Hals? Ich be­ken­ne mich bei Face­book. Da spielt dann auf ein­mal die an­de­re Iko­ne – der Da­ten­schutz – kei­ne Rol­le mehr.

Nie war es so ein­fach im woh­li­gen Mief der glei­chen Mei­nung un­ter sich zu blei­ben – und sich da­bei gut zu füh­len. Der Preis auf die­sem Sub­prime-Markt der po­li­ti­schen Ge­sin­nungs­pro­sti­tu­ti­on ist klein. Das Ver­spre­chen auf An­er­ken­nung ist groß; das Ri­si­ko ge­ring. Wenn man sich jetzt nicht en­ga­giert, wann dann?
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Alex­an­der Ro­sen­stock: Das Los­buch des Lo­ren­zo Spi­ri­to von 1482

Alexander Rosenstock: Das Losbuch des Lorenzo Spirito von 1482

Alex­an­der Ro­sen­stock: Das Los­buch des Lo­ren­zo Spi­ri­to von 1482


Ei­ne schö­ne Be­schrei­bung für die­sen präch­ti­gen Band: »Ei­ne Spu­ren­su­che« nennt Alex­an­der Ro­sen­stock, stell­ver­tre­ten­der Lei­ter der Stadt­bi­blio­thek Ulm, sei­ne Schrift über das Los­buch des Lo­ren­zo Spi­ri­to von 1482. Das Los­buch ist die ver­mut­lich kost­bar­ste In­ku­na­bel des Bi­blio­theks­be­stands. In je­dem Fall han­delt es sich um ein Uni­kat – zwar mit Ge­brauchs­spu­ren, aber durch­aus gut er­hal­ten. Der Bü­cher­samm­ler Er­hard Schad (1604–1681) hat­te das Buch er­wor­ben. Es kam mit sei­ner Bi­blio­thek 1826 in die Stadt­bi­blio­thek Ulm. Zu Be­ginn be­weist Ro­sen­stock mit kri­mi­na­li­stisch-bi­blio­gra­phi­scher Fi­nes­se, dass Lo­ren­zo Spi­ri­tos Los­buch tat­säch­lich das er­ste ge­druck­te Wür­fel­los­buch ist und von 1482 stammt. Ge­zeigt wer­den die Irr­we­ge und fal­schen Quel­len­an­ga­ben ge­nau so wie die Lö­sung des Falls. Wei­ter­le­sen

Be­ja­hen und Über­schrei­ten; Le­ben und Wi­der­spre­chen: Ei­ne Kri­tik der Mo­der­ne

In sei­nen An­fän­gen war das Pro­jekt Mo­der­ne1 noch der Su­che nach Wahr­heit ver­bun­den; aber das Wah­re be­gann zu ver­blas­sen, als man das Pro­jekt rück­halt­los dem Neu­en ver­schrieb, es mit der Wahr­heit in eins setz­te, warf, ver­wech­sel­te und misch­te: Das Wah­re wur­de ab­strakt und die Such­be­we­gun­gen der Mo­der­ne hilf­los: Aber man trieb das Pro­jekt vor­an und über­ant­wor­te­te Mensch und Na­tur die­sen os­zil­lie­ren­den Be­we­gun­gen: Im Leer­lauf ver­brauch­ten, zer­rie­ben und über­hitz­ten sich die Kör­per: Die Re­ste ver­brann­ten Treib­stoffs und der Ruß er­lo­sche­ner Flam­men [mar­kie­ren] die Flug­bah­nen des Fort­schritts2.

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Das Fal­sche, das Schlech­te und das Häss­li­che

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 12

Mein Kol­le­ge ist auf eins, und ich bin auf zwei, als von hin­ten ein un­auf­fäl­lig ge­klei­de­ter Mann her­an­kommt und mei­nen Kol­le­gen erst nach dem Weg fragt und dann, wie das so mit der Rik­scha ge­he. Mein Kol­le­ge er­teilt Aus­kunft, legt ihm un­se­re Dien­ste zu Fü­ßen, macht ein sehr gu­tes An­ge­bot, ro­ter Tep­pich, Sil­ber­ta­blett, al­le Re­gi­ster. Aber ir­gend­wie hat der Mann im­mer noch ei­ne wei­te­re Fra­ge pa­rat: »Was für ei­ne Ge­schwin­dig­keit fah­ren Sie ei­gent­lich so im Durch­schnitt?« Dann in­ter­es­siert er sich da­für, ob die Rik­scha ei­ne Gang­schal­tung ha­be und mit wie vie­len Gän­gen? Mein Kol­le­ge muss sich dau­ernd wie­der­ho­len, der Mann will das mei­ste dop­pelt, man­ches drei­fach er­klärt ha­ben. Die Ant­wor­ten mei­nes Kol­le­gen wer­den im­mer kür­zer. Ich den­ke: Die­sen Dia­log muss ich mir wort­wört­lich aus­wen­dig mer­ken, den setz ich mal in ei­ner Ge­schich­te ein, und dann wer­den al­le glau­ben, ich hät­te ei­ne blü­hen­de Fan­ta­sie. Da zeigt der Mann mit dem nack­ten Fin­ger auf mich, sieht mei­nen Kol­le­gen her­aus­for­dernd an und ruft: »Aber das ist ja ei­ne Frau!« Der Kol­le­ge nickt. »Ja aber kann die das denn?« Der Kol­le­ge schüt­telt den Kopf: »Um Him­mels Wil­len, wo den­ken Sie hin! Wenn die Kol­le­gin jetzt ei­ne Tour kriegt, dann fährt na­tür­lich ei­ner von uns und sie läuft ne­ben­her.« – Wei­ter­le­sen

Das neue Amt

Wie Jour­na­li­sten ein neu­es Amt er­fin­den, um den Fall ei­nes Po­li­ti­kers zu dra­ma­ti­sie­ren

Es mag ja ein ge­wis­ser Ge­nuß dar­in lie­gen, der De­mon­ta­ge Gui­do We­ster­wel­les in Scheib­chen bei­zu­woh­nen. Die Haupt­stadt­jour­nail­le setzt da­bei auf ei­nen Drei­sprung. Der Sturz als FDP-Vor­sit­zen­der seit ge­stern ab­ge­hakt. Über die Dis­kus­si­on um die Fort­füh­rung des Au­ßen­mi­ni­sters ha­ben die Me­di­en nun ei­nen Zwi­schen­schritt ein­ge­fügt: Die Auf­ga­be des »Am­tes« des Vi­ze­kanz­lers.

Screenshot tagesschau.de 04.04.11 10.05 Uhr

Screen­shot tagesschau.de 04.04.11 10.05 Uhr

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Ni­na Jäck­le: Ziel­in­ski

Nina Jäckle: Zielinski

Ni­na Jäck­le: Ziel­in­ski

Schil­de­run­gen von schlei­chen­dem Wahn­sinn gibt es in der Li­te­ra­tur seit je­her. Zu­meist do­mi­nier­ten je­doch eher in­di­rek­te, oft­mals dis­kret-um­schrei­ben­de Er­zäh­lun­gen über die je­wei­li­ge Fi­gur und de­ren Wahn­bild, die im Fort­gang des Ge­sche­hens ein­ge­floch­ten wer­den. Wahn­sin­ni­ge in das Zen­trum ei­ner Ge­schich­te zu rücken kam ver­stärkt erst mit der li­te­ra­ri­schen Mo­der­ne. Am schwie­rig­sten sind da­bei je­ne Kon­stel­la­tio­nen, die den of­fen­sicht­lich Wahn­sin­ni­gen selbst er­zäh­len las­sen. Sie un­ter­lie­gen gleich zwei Pro­ble­men: Ei­ner­seits darf der Au­tor die Fi­gur nicht vor­füh­ren und de­nun­zie­ren. Hier­zu wür­de man auch ei­ne über­trie­be­ne Sen­sa­tio­na­li­sie­rung mit­tels bil­li­ger Schock­ef­fek­te zäh­len. An­de­rer­seits droht bei ei­ner zu of­fen­sicht­li­chen und em­pha­ti­schen Par­tei­nah­me die Ge­fahr ei­ner fal­schen He­roi­sie­rung oder gar Ba­ga­tel­li­sie­rung.
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Fri­su­ren für un­ter­wegs

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 11

Es war auf ei­nem CSD, als der CSD noch nicht vom ehe­ma­li­gen Love­pa­ra­de­pu­bli­kum über­rannt wur­de. Es war so: Wir ste­hen am Gro­ßen Stern, es ist spä­ter Nach­mit­tag, Sekt wird aus Fla­schen ge­trun­ken, und bei uns ist gra­de leich­te Flau­te. Nun sol­len, heißt es, vier Fahr­gä­ste mit zwei Rik­schas ir­gend­wo­hin in die Nä­he der Ei­sen­acher Stra­ße ge­bracht wer­den. Na­tür­lich wis­sen al­le au­ßer mir, auch un­be­tei­lig­te Um­ste­hen­de wis­sen es, dass ei­ner die­ser Vier kein Ge­rin­ge­rer ist, als Udo Walz. Be­vor wir los­fah­ren, kann mein Kol­le­ge es mir im Vor­bei­ge­hen noch zu­rau­nen: »Udo Walz, der Fri­sör der Kanz­le­rin.« (Gibt be­stimmt Trink­geld). Strecke und Preis sind ver­ein­bart, der Kol­le­ge geht an sein Fahr­zeug, die Gä­ste stei­gen ein. Kann ei­ner, fra­ge ich mich, der die Kanz­le­rin fri­siert, noch bei Trost sein? Wei­ter­le­sen

Ent­täuscht

Man wähnt die deut­sche Bun­des­re­gie­rung er­tappt: »Brü­der­le be­grün­det AKW-Not­stopp mit Wahl­kampf«. Ei­ne Mi­schung aus Ent­rü­stung und »Hab-ich-doch-ge­wußt« liest man in den Le­ser­kom­men­ta­ren der ent­spre­chen­den Fo­ren. Der To­des­stoß für Schwarz-Gelb bei den Land­tags­wah­len am Wo­chen­en­de ist vor­pro­gram­miert. 1 Brü­der­le = die Ein­heit für po­li­ti­sche Dumm­heit??

Ich ha­be dar­auf­hin den Ur­sprungs­ar­ti­kel der »Süd­deut­schen Zei­tung« ge­nau ge­le­sen. Und war ei­ni­ger­ma­ßen ent­täuscht. Denn in den kol­por­tier­ten Aus­sa­gen von Mi­ni­ster Brü­der­le am Ran­de ei­ner Sit­zung ist mit­nich­ten da­von die Re­de, dass das Mo­ra­to­ri­um nur aus wahl­kampf­tak­ti­schen Grün­den be­schlos­sen wur­de. Die Ori­gi­nal­text­stel­le in der SZ lau­tet: Wei­ter­le­sen