Lo­se Fä­den (I)

Der er­ste In­fi­zier­te in der »neu­en Hei­mat«, En­de Ja­nu­ar. Wir hat­ten ge­ra­de den Um­zug ge­schafft. Scher­ze beim Mit­tag­essen. Aber auch be­droh­li­che Bil­der aus Chi­na. Kran­ken­häu­ser, die bin­nen ei­ner Wo­che er­rich­tet wer­den soll­ten. Stress­test für das Re­gime, hieß es. Da­mals schon mei­ne Über­le­gung, aber nur für ei­ne Se­kun­de: Was wä­re, wenn hier…

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Seit sechs Jah­ren ha­be ich das Pri­vi­leg, nicht mehr zu ar­bei­ten. Ich be­kom­me al­ler­dings auch kein Geld. Seit­dem ha­be ich, weil ich nicht mehr mit dem öf­fent­li­chen Nah­ver­kehr fah­ren muss, kei­ne zwei Bron­chi­tis-Er­kran­kun­gen mehr pro Jahr, kei­ne An­ti­bio­ti­ka-Ein­nah­men, kein Hu­sten, der mo­na­te­lang fest­sitzt. »Vi­ren­schleu­der« nann­te schon da­mals mei­ne Mut­ter den Bus.

Grip­pe­schutz­imp­fung noch in Düs­sel­dorf im De­zem­ber. An­ge­mel­det zur Pneu­mo­kok­ken-Imp­fung und da­bei fest­ge­stellt, dass ich schon vor zwei Jah­ren da­ge­gen ge­impft wur­de.

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Ge­stern zum vor­erst letz­ten Mal ein­kau­fen ge­we­sen. Das Per­so­nal an den Kas­sen tut mir leid. Kein Schutz, nir­gends. Kei­ne Mas­ken. Nicht mal selbst­ge­mach­te. Der »Fak­ten­fin­der« der ta­ges­schau zeigt, dass die­se Mas­ken ei­gent­lich gar nicht hel­fen. Gen­sing-Pro­pa­gan­da. In Wahr­heit hat die Re­gie­rung ver­sagt. Kei­ne Vor­rä­te an­ge­legt. Nicht ein­mal für das Kli­nik­per­so­nal. Der Bank­kauf­mann spielt Ge­sund­heits­mi­ni­ster. Ex­per­ti­sen wur­den weg­ge­wischt. Nach wie vor kei­ne Ein­lass­kon­trol­len an Flug­hä­fen; nicht mal Fie­ber­mes­sen.

Mer­kel sprach von ei­nem der be­sten Ge­sund­heits­sy­ste­me der Welt. Was sie ver­ges­sen hat: Schät­zungs­wei­se 20.000 To­te im Jahr durch Kran­ken­haus­kei­me. Wie will man ei­ne Pan­de­mie schaf­fen?

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Ver­ur­tei­lung des »Ham­sterns« über­all. Das ist ein­fach. Aber die Leu­te kau­fen Vor­rä­te ein, weil sie ei­ne grö­ße­re Aus­brei­tung des Vi­rus fürch­ten und dann nicht mehr raus wol­len. Zucker und Mehl teil­wei­se in den Lä­den ra­tio­niert. Rät­sel Toi­let­ten­pa­pier­knapp­heit. Clo­ro­na. Bald DDR-Ver­hält­nis­se, in de­nen man für Geld nichts mehr kau­fen konn­te? Den Be­schwich­ti­gun­gen der Po­li­ti­ker be­züg­lich Ver­sor­gungs­si­cher­heit glau­ben vie­le nicht.

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In dem Lüf­tungs­schacht in mei­nem Bü­ro ha­ben Spat­zen ihr Nest ge­baut. Oh­ne Feu­er­wehr­lei­ter kä­me man da nicht ran. Le­ben in Auf­re­gung, wenn die El­tern Fut­ter brin­gen. Zwi­schen­durch Ge­zwit­scher. Der Blick aus dem Fen­ster, vom Bal­kon aus: Sich be­le­ben­de Na­tur. Ge­stern 18 Grad. Heu­te 4. Bald al­ler­dings wohl trotz­dem die Bir­ken.

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Den Sei­ler fast durch. Furcht­bar.

Jetzt gleich Schach Kan­di­da­ten­tur­nier. Le­ben auf 4 x 64 Fel­dern. Ab­len­kung.

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Es ist wirk­lich ul­kig, das Kan­di­da­ten­tur­nier ist wahr­schein­lich das ein­zi­ge gro­ße Sport­er­eig­nis auf der Welt, das über­haupt noch statt­fin­det. Aber auch 14 Run­den wer­den schnel­ler vor­bei­ge­hen, als wir glau­ben und was ma­chen wir dann?

    Sei­ler liegt hier auch noch, mal se­hen.

  2. Im Ver­gleich zu an­de­ren Län­dern ha­ben wir wirk­lich ein gu­tes Ge­sund­heits­sy­stem. Aber es könn­te bes­ser sein und es wird an sei­ne Gren­zen kom­men.

    Man kann auch jetzt schon über­le­gen, wie un­se­re In­fra­struk­tur in ein bis zwei Jah­ren aus­se­hen wird, wenn Knei­pen, klei­ne Lä­den und Rei­se­bü­ros en mas­se plei­te ge­gan­gen sein wer­den.

    Bleib ge­sund!

  3. Schön, von Dir zu le­sen, Köpp­nick. Ja, im Ver­gleich zu Bra­si­li­en oder viel­leicht auch den USA stimmt das mit dem gu­ten Ge­sund­heits­sy­stem. Aber die Nie­der­lan­de und Nor­we­gen, auch die Schweiz, ma­chen es bes­ser. In vie­ler Hin­sicht.

    Knei­pen und klei­ne Lä­den wird es im­mer ge­ben. Ob es die glei­chen sind wie heu­te muss man ab­war­ten. Es geht wohl dar­um, ob wir schnell ei­ne hal­be Mil­li­on To­te ha­ben wer­den oder in Schü­ben et­was we­ni­ger. Pro­gno­sen sind schwie­rig, weil sie in der Zu­kunft lie­gen. (Man macht mich auf die kor­rek­te Gram­ma­tik auf­merk­sam:) Pro­gno­sen sind schwie­rig, weil sie die Zu­kunft be­tref­fen.

  4. Auch die Zahl der Kran­ken­haus­in­fi­zier­ten ist mit Vor­sicht zu neh­men. »Ge­ne­rell ist es dem Ro­bert-Koch-In­sti­tut zu­fol­ge schwer, To­des­fäl­le durch Kran­ken­haus­in­fek­tio­nen zu er­fas­sen. Vie­le Pa­ti­en­ten lei­den dem­nach an schwe­ren Grund­krank­hei­ten, die auch oh­ne Kran­ken­haus­in­fek­ti­on zum Tod füh­ren.« So stand es in den Ar­ti­keln zu die­sem The­ma En­de letz­ten Jah­res. Ich glau­be, der Text geht auf ei­ne Agen­tur­mel­dung zu­rück. Das RKI hat­te die Zahl 10.000 bis 20.000 für Deutsch­land ge­nannt.

  5. Ja, na­tür­lich sind die­se Zah­len mit Vor­sicht zu ge­nie­ssen. Aber ich weiß eben, wie Kran­ken­häu­ser in Deutsch­land »funk­tio­nie­ren«.

    Als mei­ne Schwie­ger­mut­ter 2014 nach ei­nem Schlag­an­fall auf der In­ten­siv­sta­ti­on lag, ha­ben wir sie be­sucht. Das ging voll­kom­men pro­blem­los in Stra­ßen­klei­dung. Mei­ne Fra­ge, ob wir noch Klei­dung be­kom­men, wur­de ab­ge­lehnt. Wir gin­gen an ei­nem Zim­mer vor­bei – ge­öff­ne­te Tü­re -, in der ein Mensch mit Be­atmungs­ge­rät lag. Dar­um stan­den wohl Freun­de oder Ver­wand­te in Stra­ßen­klei­dung mit grü­nen Kit­teln; nichts mehr. Auf den Gän­gen Staub­flu­seln. Ein Raum ver­schlos­sen und als Des­in­fek­ti­ons­raum aus­ge­wie­sen. Al­le an­de­ren Tü­ren of­fen.

    Im letz­ten Jahr nach ei­ner Arm-OP bei mei­ner Frau. Plötz­li­che Ver­le­gung. Das Bett wird über ei­nen min­de­stens zwei Ta­ge nicht mehr ge­säu­ber­ten Flur ge­scho­ben. Kei­ne Hand­schu­he beim Per­so­nal. In den Zim­mern sa­ßen Be­su­cher oft stun­den­lang auf den Bet­ten der Kran­ken, weil es kei­ne Stüh­le gab. Der Des­in­fek­ti­ons­mit­tel­spen­der war leer.

    Zwei Ein­drücke. Ich weiß, nicht re­prä­sen­ta­tiv. Aber – ich ver­mu­te -: In Ja­pan un­mög­lich.

  6. Der Chef des Ro­bert Koch In­sti­tuts ver­kün­de­te noch am 27. Ja­nu­ar die­ses Jah­res, dass »Deutsch­land ab­so­lut gut vor­be­rei­tet ist«, und bis auf we­ni­ge Aus­nah­men (z.B. Prof. Alex­an­der Ke­kulé) stie­ssen vie­le in das glei­che Horn. Heu­te se­he ich Tweets wie die­sen https://twitter.com/schlingel/status/1241435316852068352 »Falls je­mand von euch nä­hen kann: Die Kin­der­kli­nik Drit­ter Or­den in Mün­chen hat nur noch für we­ni­ge Ta­ge Mund­schut­ze (In­for­ma­ti­on aus 1. Hand) und bit­tet um Mit­hil­fe in Form von selbst­ge­näh­ten Va­ri­an­ten« und fra­ge mich, wie schnell wir von ei­nem »be­stens vor­be­rei­te­ten Deutsch­land« (so die CDU/CSU Bun­des­tags­frak­ti­on) nun auf selbst­ge­näh­te Mund­schutz­mas­ken aus Heim­ar­beit ge­kom­men sind, eben­falls kaum noch vor­han­den: Des­in­fek­ti­ons­mit­tel und Schutz­be­klei­dung für Ärz­te und Schwe­stern in Kli­ni­ken und Arzt­pra­xen. Ganz zu schwei­gen von den wich­ti­gen Co­ro­na Test­kits, die wohl auch knapp wer­den.

    Letz­tes Jahr ging noch die Emp­feh­lung ei­ner Ber­tels­mann-Stu­die (von wem auch sonst) durch die Me­di­en, je­des zwei­te Kran­ken­haus in Deutsch­land zu schlie­ßen, weil man so­vie­le KH nicht mehr be­nö­ti­ge.

    Ich fah­re jetzt erst­mal (al­lein) mit mei­nem Rad an die fri­sche Luft.

    Ich hal­te die Aus­sa­gen des RKI für min­de­stens schwie­rig, es klaf­fen ver­kün­de­ter An­spruch und Wirk­lich­keit aus­ein­an­der, da­her nei­ge ich da­zu, Aus­sa­gen des RKI mit Vor­sicht zu ge­nie­ssen. Es mag schon sein, dass es zur Zeit vie­le Äl­te­re trifft, die zu­dem noch an Vor­er­kran­kun­gen lei­den, aber es trifft zu­neh­mend auch Jün­ge­re.