Diesmal mehr als ärgerlich, sondern widerlich: Elke Heidenreich im »Literaturclub«, die immer noch nicht überwunden hat, dass sie die Sendung nicht mehr moderiert, sondern Stefan Zweifel. Der fragt bereits zu Beginn, ob Schätzings neues Buch »überhaupt Literatur« sei, stellt es ein bisschen wie eine Naturkatastrophe dar, es in dieser Sendung besprechen zu müssen. Ab 18:55 geht es dann los. Zweifel erzählt seine Eindrücke und Heidenreich verteidigt auf eine durchsichtige Art und Weise das Buch, in dem sie auch Zweifel angreift: Das müsse doch einem »Intellektuellen« wie Zweifel klar sein, dass Schätzing »Unterhaltungsliteratur« schreibe. »Gute« Tradition übrigens, den Begriff des Intellektuellen als Spott zu verwenden. Ja, gibt Heidenreich scheinbar offensiv zu, Schätzing könne keine Dialoge schreiben, habe keine Sprache, aber eben auch keinen Anspruch. »Das ist eben Schätzing« redet sich Heidenreich in einen Rausch hinein, der auch die lästigen Einwände der anderen Diskutanten nicht gelten lässt. Sie unterbricht jegliche Möglichkeit einer Besprechung, in dem sie a priori das Buch gar nicht Ernst nehmen möchte, es als »Schmöker« betrachtet. Sie berichtet von einer Lesung, schwärmt davon »wie der Mann die Leute im Griff« habe – nun, das hatte Goebbels auch und es ist neu, ob das eine Qualität für Literatur ist. Auch das Schätzing frei spreche, also gar keine Lesung mache, sondern nur vortrage – all dies beeindruckt Heidenreich plötzlich derart, dass sie vom Soundteppich, der mittels Technik erzeugt wird schwärmt. Schätzing sei ein »Werbemann«, so Heidenreich. Alles sei »Event« bei ihm. Mag sein, aber was hat die Eventisierung einer sogenannten Lesung mit dem Buch zu tun? Nichts. Was hat es in einem Literaturclub dann zu suchen? Gar nichts.
Heidenreich interessiert das bei Schätzing nicht. Alles, was sie bei jedem anderen Schriftsteller verwerfen würde, rechtfertigt sie hier. »Wunderbare Unterhaltungsliteratur« nennt sie das Buch schließlich; jeder Einwand, der bezüglich der Rubrizierung »wunderbar« auch nur anklingen könnte, wird von ihr abgewürgt. Heidenreich ersetzt die Autorität des Arguments, der ästhetischen Auseinandersetzung (zu der sie nie fähig war; sie kann nur schmonzettenhaft Bücher loben), mit dem Markt und dessen Macht. 1.000 Leute beim Event. 500.000 Startauflage. »Weltbestseller«. Das sind die Kriterien der Elke Heidenreich, wenn es um einen Autor eines Verlages geht, in dem vier Bücher auch von ihr erschienen sind. Kann das wahr sein, dass jemand derart primitiv ist?
Sorry, aber mit dieser Person geht diese Sendung kaputt.
Ich weiß ja, dass Du die Heidenreich nicht magst, aber hier gehst Du meiner Meinung nach etwas zu harsch mit ihr um. An Schätzings neuem Schinken kam man, so der Moderator Zweifel, allein wegen seiner Riesenauflage und seiner Erstürmung der Bestsellerlisten nicht vorbei, aber es war Konsens zwischen allen Diskutanten, dass das Buch viel zu lang , die Handlung wirr, die Sprache des Autors rotzig und schnodderig ist und die Dialoge und Charktere flach und eintönig sind. Kurz – ein schlechtes Buch.
Es stimmt, irgendwann rutscht der Heidenreich mal der Begriff „wunderbare“ Unterhaltungslektüre raus, was aber m.E. nur ihr Verständnis für jene Käufer ausdrücken sollte, die solche „Schmöker“ kaufen und gerne lesen. Ich hörte auch keine Bewunderung aus ihrer Beschreibung einer Schätzing-Event-„Lesung“, sondern mehr ironische Verwunderung über das dortige Publikum, welches dem Werbefachmann Schätzing an den Lippen hing.
Der Gesprächsleiter Zweifel hielt es für seine Pflicht, vom Lesen des neuen Schätzing-Wälzers abzuraten und empfahl stattdessen den „Schwarm“, was ich dann wiederum nicht nachvollziehen konnte, denn etwas Langweiligeres als diesen Megaseller kann ich mir aus eigenem Erleiden kaum vorstellen. Wie auch immer, Deine fragende Charakterisierung der Heidenreich als primitiv ist schon sehr böse. Sie ist meinetwegen nervig, zu laut, von mir aus auch zu unbeleckt, was Literatur angeht, aber primitiv? Nein, das ist sie sicher nicht.
Doch, das ist sie, weil sie die von ihr selbst gebrachten Parallelen (bspw. Crichton) gar nicht diskutiert, sondern deklamiert und jegliche Erörterung dazu verhindert. Es geht ja gar nicht darum, Schätzing mit Burger zu vergleichen (was sie suggeriert, was Zweifel mache), sondern tatsächlich muss ein solches Buch ja dort »abgeholt« werden, wo es herkommt. Daher wäre eine Diskussion jenseits der Frage gehobene vs. Unterhaltungsliteratur notwendig gewesen. Das hat Heidenreich aber blockiert, da sie von Vornherein die Schwachpunkte aufzählte und sie als immanent für Unterhaltungsliteratur darstellte. Das ist aber Unsinn, weil auch Unterhaltungsliteratur aus guten Dialogen und interessanter Sprache bestehen kann. Der Moderator hat hier leider nicht eingegriffen, sondern Heidenreich das Feld überlassen. Sonst hätte man darüber reden müssen. Und dabei ist es vollkommen unerheblich, welche Hose Schätzing trägt oder wie viele Leute ihm zugehört haben.
Ich habe mich immer gefragt, warum sich Zweifel und Heidenreich so anzicken, aber jetzt weiß ich es. :)
Aber mal grundsätzlich zu solchen Besprechungen:
Wahrscheinlich muss man sich bei Heidenreich und ihren Fernsehkollegen – nicht unbedingt die aus der Sendung Literaturclub – auch einfach fragen, ob sie ihrer Aufgabe Bücher zu besprechen überhaupt richtig nachkommen können oder ob es da nicht gewisse Zweifel anzumelden gilt, wenn man sich nur die schiere Anzahl der zu lesenden Bücher vor Augen hält, die von ihnen gelesen werden müssen.
Irgendwo fiel neulich bei Veranstaltung im TV von einem Juror die Zahl von mehreren hundert gelesenen Büchern, die allein für Auswahl und Vergabe für den Preis der Leipziger Buchmesse zu bewältigen waren.
Denis Scheck liest nach eigenem Bekunden fast jeden Tag ein Buch und das auch nur einmal, niemals mehrmals.
Bei Frau Heidenreich wird das, denk ich, nicht anders sein. D.h. bei diesem Pensum, das ja erstmal überhaupt tatsächlich geschafft werden muss, stellt sich natürlich die Frage, ob ein solchermaßen gelesenes Buch anschließend noch angemessen rezipiert und gewürdigt werden kann. Oder ob nicht, wie dies im Fernsehen oder im Rundfunk der Fall ist, bestimmt auch bei den Redaktionen der Kulturseiten der großen Tageszeitungen, etwas zügig durchgelesen wird (werden muss?) und dann ein Urteil gefällt wird, was dem Werk unter Umständen nicht gerecht wird, weil gar nicht die Zeit zum Nachdenken usw. da war.
Ich bin nicht vom Fach, sondern einfacher Leser, und ich will deshalb auch gar nicht in Abrede stellen, dass diese Kritiker weitaus geübter sind und über viel mehr Erfahrung verfügen, ein Buch zu rezensieren, als ich. Allerdings stelle ich, seitdem ich die Kritiken von Scheck, Heidenreich oder auch die in den Tageszeitungen, etwas genauer anschaue, fest, dass zumindest immer wieder Ausreisser nach unten dabei sind, die mich an ihrem Urteil zweifeln lassen.
Ein Beispiel aus jüngster Zeit war die unbedingte Empfehlung von Scheck in druckfrisch des aktuellen Buchs Murakamis. Ich habe das gelesen und halte das ‑jedenfalls gemessen an früheren Werken Murakamis- bestenfalls für fast-food-Literatur. Aus älterer Zeit fällt mir spontan das Urteil Schecks zu Eugen Ruges »In Zeiten des abnehmenden Lichts« ein, dass lautete: »Handwerklich gut gemacht, aber literarisch wertlos«. Peng! Kann ich so auch nicht nachvollziehen.
Oder etwa, wieder aus jüngster Zeit, die Empfehlung von »Breaking News«, auch wieder von Scheck. Ich habe das neulich in meiner Buchhandlung mal angelesen und nach etwa 5 Seiten wieder weggelegt, diesen »action-Stil« des atemlosen Machoerzählens hätte ich keine weitere Seite durchgehalten, Himmel was für ein Schrott!
Es ist also meiner Meinung nach so, dass alles zu oberflächlich ist, da offenbar gar keine Zeit mehr für wirkliche Überlegungen zu dem jeweiligen Buch da sind, ja gar nicht da sein können. Es liegen ja schon wieder die nächsten hundert Bücher auf dem Tisch, die verschlungen werden müssen. Entweder müßte man die Menge an zu lesenden Büchern reduzieren oder es einfach hinnehmen, dass es vergleichsweise oberflächlich ist, was an Besprechungen dabei herauskommt, im Fernsehen ist das bestimmt mehr der Fall als in Tageszeitungen.
Und was mir gerade auch noch einfällt, als es um die Würdigung Reich-Ranickis im letzten Jahr ging: Es fiel von Schirrmacher damals die Feststellung, dass Reich-Ranicki, als er bei der FAZ anfing, die Feuilletonseiten zu einer »Literaturfestung« ausgebaut habe, und es ist ja auch so, dass rein zahlenmäßig dort täglich so viele Bücher besprochen werden wie in keiner anderen großen Tageszeitung. Aber: was nützt das vor dem oben erwähnten Verdacht der zu oberflächlichen Besprechung?
Es fehlen die Perlen, stattdessen setzt man auf Masse und Mainstream.
(Pardon für den langen Kommentar!)
Winkels sagte das neulich: Man (= die Jury? er?) habe 400 Bücher gelesen, um die Nominierten zum Leipziger Buchpreis zu finden. Das kann so niemals stimmen. Zum einen kann kein Kritiker eine 400 Bücher in einem halben Jahr lesen (grob gesagt waren die zur Diskussion stehenden Bücher aus einem halben Jahr). Man kann bestenfalls »anlesen«, quer lesen, diagonal lesen. Heidenreich hat mal gesagt, sie gebe einem Buch 60 Seiten oder eine Stunde (sic!) – danach entscheide sie, ob sie es weiterlese oder nicht. Das kann sie privat handeln wie sie möchte – für eine Jury ginge so etwas nicht. Obwohl es mit Sicherheit gängige Praxis ist. Kein Mensch kann ein Buch von vielleicht 300 oder 400 Seiten an einem Tag lesen und dann entsprechend literarisch einschätzen.
Man hat also »Vorleser«, Leute, die einem etwas zutragen. Oder, noch einfacher: Man liest die »Waschzettel« der Verlage, blättert dann mal rein – und liest sich entweder fest oder lässt es sein. Das hat mit »Lesen« aber rein gar nichts zu tun. Jeder hat im übrigen das Recht, ein Buch nach 5 Seiten wegzulegen. Aber dann darf man darüber nicht im Feuilleton oder im Fernsehen urteilen.
Dann zu solchen Sendungen wie »Literaturclub«: Hier sollte es schon Pflicht sein, das Buch gelesen zu haben (es sei denn, was selten geschieht, jemand gibt zu, es bspw. nicht zu Ende gelesen zu haben).
Lesen ist also die Voraussetzung für Kritik. Wobei lesen nicht das sture Ablesen von Texten bedeutet. Das sprechen Sie ja an. Kritik bedeutet aber auch nicht sich hinstellen, zehn Sekunden über ein Buch etwas sagen und es dann entweder auf einen Stapel legen oder in den Müll. Das hat mit Literaturkritik nichts zu tun. Aber das kommt auch von Leuten, die nicht lesen, sondern nur...Sie ahnen es?...quer lesen, diagonal...whatever.
Ihr Fazit trifft daher genau ins Schwarze. Wer oberflächlich liest, wird oberflächlich über ein Buch schreiben. Das ist – wir hatten das an anderer Stelle schon – Boulevard. Und kein Feuilleton mehr. (Reich-Ranicki war einer der Urheber dieses Stils.)
Wenn man die »Literaturclub«-Sendungen mit Stefan Zweifel als Moderator verfolgt hat, stellt man fest, dass er zum Teil sehr genau liest, Übersetzungen miteinander vergleicht (Zwischenruf Heidenreich dann: »Sie mit Ihren Übersetzungen...«). DAS ist seriöse Kritik. Und die wird untergebuttert von einer oberflächlichen (wenn überhaupt) Textkonsumentin, die mit ihrem lächerlichen Bauchladen herumzieht. Der Imperativ ihrer ehemaligen ZDF-Sendung »Lesen!« hat sie niemals beherzigt; gelesen haben da meist andere.
Ach ja: Hier sind lange Kommentare durchaus erwünscht. Solange sie so substantiell sind.
Und noch etwas: Sie sind nicht »nur« Leser. Das gibt es nicht. Sie sind »Leser«. Die anderen, die mit ihren Waschzetteln Neuerscheinungsbingo spielen, das sind »nur-Leser«. Der Leser hält den Betrieb aufrecht. Von ihm lebt die Literatur. Nicht von den Prostituierten des Betriebs. Man sollte, man müsste sie bedauern.
Kann ich nachvollziehen, obwohl ich keine TV-Literatursendungen mehr gucke. Erinnere mich aber an eine Heidenreich-Sendung. Diese Art marketing, frei von Verlagen und Sachzwängen (der Hinweis auf Eigeninteressen verfängt nicht!) finde ich sehr beunruhigend. Ihre Persönlichkeit ist auch nicht leicht zu nehmen. Kunst ja, aber darf’s ’ne Nummer kleiner sein? Es gibt Leute, die kommen als »Runtermacher« auf die Welt. Gemeint ist nicht: die reden alles schlecht. Im Gegenteil, die werten vieles auf. Aber sie akzeptieren Kunst nur als Verwertungsprodukt.
Ist ’ne Typ-Frage. Das kann schon abstoßend sein, glaub’ ich gern.
Aber die Unterscheidung von E und U ist immer persönlichen Kriterien unterworfen. Das sind Meinungskategorien, die kriegt man nicht objektiviert. Es gab Leute, die haben Bob Dylan für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen... Soll man dagegen argumentieren?! Ich finde, das lohnt sich nicht.
Jeder soll sein E und U selbst definieren. Das ist NiveauabSCHÄTZING. Nach unten sind die Übergänge fließend. Die Qualität von E wird dadurch nicht relativiert. Oder seh’ ich das falsch?
Naja, mit »jeder soll alles selber einschätzen« kann man natürlich die Literaturkritik in die Tonne drücken. Man kann und muss allerdings Genres bilden, um dann innerhalb dieser Genres Kritik anbringen zu können. Man kann nicht Goethe mit Simenon, Kleist mit Schätzing vergleichen.
»Runtermacher« im Sinne von: alles auf ein Level hinunterschrauben und dann sozusagen zu Tode loben – das ist ziemlich gut getroffen.
@ Gregor und meine Bemerkung
Ich würd nicht so weit gehen, und die Lit-Kritik in die Tonne treten. Aber soll man die Aufgabe des wertenden Unterscheidens dem Kritiker wirklich antragen?! Was Du rein rhetorisch vorschlägst, Goethe mit Simenon, etc, zu vergleichen, unternimmt ja niemand ernsthaft. Ich wüsste auch nicht, wie...
Aber die horizontale Einteilung »Genre« ersetzt doch nicht die vertikale Einteilung »E & U«. Es gibt U‑Drama, U‑Poesie, und jede Menge U‑Romane. Der Roman an sich kommt aus dem Bereich U. Eigentlich geht es doch um die alte Adorno-Geschichte: wann ist es gut genug, wann ist es... Kunst?! Die Zurückweisung eines Machwerks von Schätzing scheint mir keine lohnenswerte Aufgabe. Kann man nicht ein Postulat der »Mühe« einführen, welches beides Aspekte des künstlerischen Schaffens berücksichtigt: die Annäherung an ein Ideal und das (teilweise) Scheitern?!
Will sagen: es gibt sicher Autoren, die sich keine »Mühe« geben, also kein Streben erkennen lassen... Das wäre dann U. Ganz einfach! »Kritik« unnötig.
Was halten Sie denn von der aktuellen Sendung von gestern Abend, als Heidenreich sich über die »deutsche Literaturszene« beschwerte, die solche Autoren (wie Lewitscharoff) hypen und mit Preisen überhäufen würde, wenn Autoren wie Dieter Forte (»besser als Grass, besser Böll«) leer ausgingen? Überhaupt hat sie an Lewitscharoff kein gutes Haar gelassen (”das ist keine Literatur, das ist Groschenroman, das ist gar nichts«). Es war ohnehin eine sehr merkwürdige Sendung, komische Atmosphäre, gereizte Grundstimmung, alle schienen irgendwie nicht so recht in Form und etwas fahrig. Später ist Heidenreich dann noch bei Heidegger regelrecht ausgeflippt, als sie wegen eines strittigen Satzes Heideggers ihren Kollegen Zweifel angeschrien hat. Also schon mehr Spektakel als gelungene Sendung.
@Jenny
Danke für’s Neugierigmachen. Ich hatte fast beschlossen, die Sendung »zu vergessen«, da ich mit Heidegger bereits allzu viel Unsinn erwartet hatte. Jetzt ist’s dahin. – Demnächst werde ich mir das ansehen.
(PS: Heidenreich hat, was Dieter Forte angeht, [fast] ausnahmsweise mal Recht. Der Autor ist wirklich unterschätzt und wird fast stiefmütterlich behandelt. Dennoch halte ich Heidenreichs Frage, warum der Betrieb X hypt und Y nicht für ziemlich abgedroschenes Stroh – sie weiss sehr genau, wie das funktioniert...)
Ich hab ein Positiv-Beispiel, das muss ja auch sein.
Iris Radisch gibt ein paar Auskünfte zu Lewitscharoff und Marquez. Ist nicht hohe Kritiker-Kunst aber fair und freundlich.
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=43186
Ich hoffe, das sprengt jetzt nicht den Rahmen, aber ich habe vor einiger Zeit »Deutschlandreisen« von Helmut Krausser gelesen und da war am Schluss (so S. 230ff ungefähr) ein ganzer Abschnitt zur Literaturkritik drin, u.a. auch Überlegungen zu einem Verriss von Heidenreich und wie sich das auf Verkaufszahlen und ‑erlöse damals von ihm ausgewirkt hat, schon im 5‑stelligen Euro-Bereich, usw. Leider bin ich gerade unterwegs und habe das Buch nicht zur Hand und ein Gedächtnis wie ein Sieb, daher nur der sehr oberflächliche Hinweis. (Das ganze Buch – Zufallskauf in der Buchhandlung, ich kannte von Krausser bislang nichts – war übrigens sehr lesenwert, tagebuchartige Einträge über Stationen seines Wirkens wechseln sich ab mit Poetikvorlesungen, die er mal in München gehalten hat.)
Beiden Kommentatoren Dank für die Hinweise. Krausser hat – glaube ich – was Literaturkritik und deren Auswirkungen angeht, recht eigene Ansichten. Wie will man Umsätze quantifizieren, die man nicht erlöst hat? Werde mich da aber schlau machen; bin für solche Hinweise wirklich dankbar.
Hier der Link zum aktuellen Literaturclub Schau’s mir am Wochenende an.
Es war wohl so, dass ein Buch in der SZ (oder FAZ, eine von den beiden) verrissen wurde bzw. der Kritikerin (Heidenreich?) schon am Anfang ein faktischer (Lese-)Fehler unterlaufen ist, weil er/sie ein Vorwort einem Autorenkollegen zugeordnet hat statt einer Figur im Roman selbst (Namensverwechslung durch Überlesen mit anschließendem Rätselraten, warum dieser Autorenkollege ein Vorwort schreibt). Und Krausser sagt dann, so ein Verriss koste ihn mal eben fünfstellig. Ich glaube, so war die »Rechnung«. Der Punkt war eben der, dass er als Autor nicht zuletzt wegen der finanziellen Einbuße solche Kritiken ernst nehmen müsse, auch wenn das eigentlich nicht angezeigt wäre, weil die Kritikerin eben schon überhaupt nicht richtig, sondern sogar falsch (oberflächlich) gelesen hat.
Literaturclub 22.4.2014
Teile Jennys Eindruck, dass die Stimmung mindestens zu und nach Lewitscharoff eher gespannt war. Heidenreichs Furor gegen Lewitscharoff kann man als lächerlich bezeichnen. Wenn sie, wie sie zugab, die Bücher nicht bis zu Ende gelesen hat, wie kommt sie denn dazu, diese derart niederzumachen? Auch Heideggers Hefte hatte sie nicht gelesen, mindestens nicht zur Gänze. Dem Verlag, der die Leseexemplare spendiert hat, dürfte es nicht freuen. Ihr »Doch«-Geschrei als Zweifel das Zitat anzweifelte (ungewolltes Wortspiel) spricht auch in diese Richtung – sie hat das aufgeschnappt, nicht mehr. Immer wenn Heidenreich ihr Desinteresse zu Protokoll gab, quasselte sie allen umso stärker dazwischen.
Bezüglich Forte hat sie allerdings Recht, aber es ist immer schlecht einen Schriftsteller gegen den anderen aufzurechnen. Mir fielen noch andere, vernachlässigte Schriftsteller ein: Peter Kurzeck zum Beispiel, auch Kempowski. Beide tot und ohne Büchner-Preis. Von den lebenden Gerlind Reinshagen, übrigens Suhrkamp-Autorin, was alleine schon Heidenreichs Gequatsche als Blödsinn ausweist. Natürlich kommt es bei Hypes auf den Verlag an, aber viel mehr eben auf das »Marketing«, welches in den Feuilletons betrieben wird. Damit kennt sich Heidenreich ja aus; sie hat schließlich den unseligen André Rieu der Philosophie, Herrn Precht, populär gemacht. Warum Lewitscharoff und vor allem die literarisch weitaus schwächere Hoppe den Büchner-Preis bekommen haben, ist unter Gesichtspunkten des Betriebs durchaus logisch.
Der Gipfel war aber, wie Heidenreich (aber auch Safranski) auf Mosebachs »Blutbuchenfest« reagiert haben. »Der kann’s« sagten sie sinngemäss. Natürlich »kann« es Mosebach, wenn es einem egal ist, dass der Erzähler sowohl eine Figur als auch ein auktorialer Erzähler ist. Toll, wenn es egal ist, dass da jemand Bosnien mit Kroatien und Serben durcheinanderwirft (Safranski nannte die Putzfrau dauernd Serbin, dabei ist sie im Buch eine bosnische Kroatin – ist das zuviel verlangt?). Da muss nicht alles stimmen, meinte Frau Heidenreich. Aber was hätte sie wohl gesagt, wenn Ivana plötzlich hätte fliegen können? Was soll man mit einer derart fahrlässigen Stammtischschwätzerei eigentlich anfangen?
Oh, das ist schön, dass Sie Kempowski und vor allem Kurzeck in diesem Zusammenhang erwähnen, die Bücher des alten Jahrhunderts und »Ein Sommer, der bleibt« haben mich im letzten Jahr (immer wieder) begleitet, wunderbar und liebevoll seine Beschreibungen, ohne kitschig zu sein.
Gestern Abend, ganz interessant, gab es bei Druckfrisch eine Retourkutsche von Lewitscharoff an Heidenreich, die ganz trocken erzählte, dass sie von Heidenreich mal vor ein paar Jahren »einen ganz lieben Brief erhalten hätte mit der Bitte, sich doch an einer Katzenanthologie zu beteiligen«.
Mich wundert es, dass dieses Thema (Buchmarketing für ihren Krimi oder steckt mehr dahinter?) so lange am Köcheln gehalten wird an mehr oder weniger exponierten Stelle, wie gestern Abend in druckfrisch und vor einer Woche im Studio LCB im DLF. Langsam ‑und sooo dramatisch empfand ich das Thema nicht- müßte es doch mal gut sein.
Wieder schönen Dank für de Info; Scheck schaue ich eigentlich nicht. Schöne Episode, die zeigt, »wie der Betrieb tickt«.
Dass das Thema solange köchelt hat natürlich mit dem neuen Buch zu tun. Andererseits ist »der Betrieb« ja sehr nachtragend. Wenn Lewitscharoff am Ende des Interviews sagt, sie »hofft«, dass die Rede in zwei Jahren keine Rolle mehr spielen wird, so irrt sie. Die Rede wird sie noch in zehn, zwanzig Jahren verfolgen. Neben der Bezeichnung »Büchnerpreisträgerin« wird sie immer wieder mit dem Attribut »umstritten« versehen und gerne und mutwillig falsch aus dem Text zitiert werden.
Ein letztes Wort zu Elke Heidenreich von Elke Heidenreich:
»Es ist ein hinreißendes Buch. Es hat alles, was ich mir von einem Buch wünsche: Witz, Wärme, eine feine, sehr poetische Sprache, eine großartige Geschichte, es hat Menschlichkeit und Spannung und berührt den Leser über das Persönliche der Familiengeschichte hinaus auch da, wo es weh tut: bei der Erinnerung an die eigene Kindheit, an Verluste, an frühe Trennungen.«
Das muß man wohl nicht kommentieren.
Was ich mir von einem Buch wünsche: daß es nicht mit solchen Sätzen beworben wird. Das (ungelesene) Taschenbuch, auf dessen Deckel ich diese Sätze fand, muß nun leider aus meiner Bibliothek verschwinden.
Was ich mir vom Literaturclub wünsche: daß er uns weitere Auftritte von E.H. erspart. Mit Stefan Zweifel hat die Sendung gewonnen, aber wenn ich weiterhin E.H. in Kauf nehmen muß, erspare ich sie mir in Zukunft.
@Thomas Reschke
Ihr Wunsch ist auch mein Wunsch, aber er wird vermutlich nicht eintreten. Die Dame hat ein großes Stehvermögen.
(Rouauds »Die Felder der Ehre« war ja viel besser; »Hadrians Villa...« ist ein typischer Zweitling.)
...und »viele Fans« hat sie auch, glaubt jedenfalls die Redaktion des Literaturclub.
E.H. zu nötigen, Heidegger zu lesen, grenzt ja wohl an Sadismus; oder will man sehen, wie belastbar die Dame ist? Soviel hat sie von M.R.-R. immerhin gelernt: wenn es schwierig wird, liest sie das Buch einfach nicht und gibt trotzdem ihren Senf dazu. Dann bin ich schon auf die zu erwartende Neuübersetzung des »Ulysses« gespannt!
(Kompliment! Oder gegoogelt? – »Hadrians Villa« – das typische Zweitbuch, das man dann doch nicht liest.)
Nein, natürlich gegoogelt; kein Kompliment also.
E. H. ist beliebt, weil sie für viele Leser (besonders Leserinnen) eine emotionale und gesinnungsspezifische Identifikation anbietet und verkörpert. Sie schert sich nicht um literarische Kriterien, sondern gibt reine Geschmacksurteile ab, die allenfalls tautologisch begründet werden. Wie oft sie schon gesagt hat, dass sie alles von einem Autor gelesen hat. Oder dass sie alles von X gut finde. Das sind natürlich überhaupt keine Kriterien, aber genau das wollen die Leute hören. Sie wollen Empfehlungen in dieser Unübersichtlichkeit, die sich am Ende aber bitte nicht zu kompliziert ausmachen. Ihr Imperativ »Lesen!« ist ja Ernst gemeint – und auch nicht: Heidegger, Lewitscharoff oder andere böse Onkels bitte nicht.
Am meisten schockiert in der Sendung hat mich der Applaus nach ihrer verbalen Diffamierung zu Lewitscharoff. Ich frage mich dann, welche Volltrottel das beklatschen bzw. was die von Lewitscharoff gelesen haben.
E. H. ist natürlich auch bei Verlagen und Buchhändlern beliebt. Die Gründe sind fast identisch. Von Literatur selber hat sie noch weniger Ahnung als Reich-Ranicki Germanistik-Studium hin oder her. Ihre Lobe sind, wenn sie nicht tautologisch sind, zumeist unfassbar peinlich und womöglich auch nicht immer frei von »betrieblichen« Überlegungen. Für Werber ist ein solcher Schwulst wunderbar; die Leute lesen das vielleicht gar nicht so genau, sie hören nur den Ton und greifen zu.
(»Hadrians Villa« habe ich gelesen und gerade das Überzuckerte daran hat mir dann nicht so gefallen. Obwohl es natürlich in den Kanon von E. H. sehr gut passt.)
Dennis Scheck und DLF nehmen in sogenannten Literaturskandalen immer die Contra-Position ein: Die finden Lewitscharoff jetzt toll, weil »die anderen« sie doof finden. Distinktionsgewinn ohne große intellektuelle Anstrengung. So ähnlich lief es auch bei der »Negerkind«-Debatte um Preußlers Kinderbücher.
Denis Scheck findet Sibylle Lewitscharoff schon länger »toll« und nicht erst jetzt; siehe die Druckfrisch-Sendungen vom 1.3.2009 (zu »Apostoloff«) und vom 23.10.2011 (zu »Blumenberg« – Zitat: »sprachmächtig, detailreich, originell, psychologisch und liebevoll« erzählt); auch zur Dresdner-Rede kann ich keine »Contra-Position« entdecken; im Gegenteil: »Jetzt teile ich Ihre Ansichten über künstliche Reproduktionstechniken gar nicht« – Denis Scheck in der Druckfrisch-Sendung vom 5.5.2014 im Gespräch mit Sibylle Lewitscharoff, allerdings beklagt er den »shitstorm«, der an die Stelle einer sachlichen Auseinandersetzung getreten ist.
Man möchte mal wieder an das berühmte Rosa-Kuxemburg-Zitat erinnern.
Korrektur: Rosa-Luxemburg-Zitat. Meine Augen!
Scheck hoffiert ja nahezu die gesamte Crème de la Crème des Betriebs. Natürlich die Alten (Enzensberger, Walser, Grass) und auch diejenigen, die im Betrieb »angesagt« sind. Dazu gehören auch Leute wie F. C. Delius, Felicitas Hoppe und eben Sibylle Lewitscharoff. Berührungsängste zum Trivialen hat er keine, was seine Hymnen auch auf Figuren wie Schätzing zeigen. Für einen Lese-Tip von Cornelia Funke, der noch nicht einmal eine Minute in der Sendung ausmacht, fliegt er nach L. A. (Seine heimliche Leidenschaft gilt natürlich der US-amerikanischen Literatur.)
Die Autoreninterviews haben noch nicht einmal den Hauch eines Erkenntniswillens. Man kann ja Schriftsteller devot befragen, aber dann sollte mindestens ein Erkenntnisgewinn für den Leser herausspringen. Das geschieht praktisch nie. Dafür setzt er auf spezielle musikalische Untermalungen und/oder Schnittfolgen. Unvergessen auch für mich als er einen isländischen Autor besuchte und interviewte, der mit einer Art Geysir badete. Scheck – wie üblich im Anzug mit Krawatte und Einstecktuch – legte sich einfach dazu. Er sah aus wie ein nasser Hund.
Scheck folgt fast immer einer kommerziellen Feuilletonlinie des Großschriftstellertums, die natürlich nur im Ausnahmefall ein bestsellerfähiges Produkt hervorbringt. So kann er Schätzings Buch nicht wegschmeissen, weil er ihn in einer vorherigen Sendung hoffiert hat.
»Druckfrisch« ist eine Sendung, in der praktisch keine Literaturkritik geübt wird. Selbst die Kommentierung der Bestsellerlisten (die es im DLF ja auch gibt) mit anschließendem Tonnenwurf (im schlimmsten Fall), hat kaum entsprechende Elemente. Hier delektiert er sich am schlechten Geschmack der Masse. Das kann man machen, aber die überbordende Inszenierung stört mich schon wieder.
D’accord. Daß es sich hier nicht um Literaturkritik handelt, ist wohl klar. In meiner Replik ging es nur um die Behauptung, Denis Scheck fände die Lewitscharoff »jetzt toll, weil ‘die anderen’ sie doof finden.« Ich hatte bei dem distanzlosen Enthusiasmus eher den Verdacht, daß da eine gewisse landsmannschaftliche Verbundenheit eine Rolle spielt; beide stammen ja aus Stuttgart; aber ich kann mich täuschen.
Wo findet Literaturkritik eigentlich noch statt? Ich habe den Eindruck, daß viele Kritiker Romane, die sie zu besprechen haben, nur anlesen oder überfliegen. Wir haben ja wohl alle noch in Erinnerung, daß M.R.-R. den vierten Rabbit-Roman von John Updike im Literarischen Quartett über den grünen Klee lobte; einige Wochen später in der Wochenendbeilage der FAZ dann aber gestand, er habe ihn damals gar nicht gelesen und geglaubt, Updike könne und müsse man immer loben; aber jetzt, nachem er ihn doch noch gelesen habe, fände er ihn gar nicht gut.
In der FAZ behauptete unlängst ein nicht unrenommierter Kritiker, es handele sich bei der Neuausgabe eines Klassikers im Manesse-Verlag um eine Neuübersetzung von Klaus Modick; die alte Übersetzung von Friedhelm Rathjen habe auch ihre Meriten, die neue sei aber vor allem, was das nautische Vokabular betreffe, genauer. Als ich per E‑Mail darauf hinwies, es handle sich um dieselbe Übersetzung wie die aus dem Jahre 1998 und »Die Ebbe« von R.L.Stevenson sei schon damals von Modick und nicht von Rathjen übersetzt worden (»Schatzinsel« und Erzählungen in derselben dreibändigen Ausgabe im Haffmans Verlag waren allerdings von Rathjen übersetzt), verschwand der Abschnitt über die Übersetzung aus der Online-Ausgabe und in der nächsten Druckausgabe erschien eine Entschuldigung, nicht ohne den Hinweis, Modick habe die alte Übersetzung überarbeitet.
Das mag jetzt alles sehr kleinlich klingen, doch mir wurde dabei eines klar: der Kritik ist nicht zu trauen. Vielleicht ist es die Überforderung der Kritiker, vielleicht erzwingt der Betrieb eine solche Oberflächlichkeit; was auch immer, wozu braucht man eine solche Literaturkritik?
Ich habe mich nicht präzise genug ausgedrückt: Dass Scheck sich für seine paar Minuten Sendezeit Lewitscharoff holt, war ich mir sicher. Der funktioniert ja verlässlich wie der Duracell-Aufziehhase –gerade weil er sich ja gerne zum Literaturkritik-Outlaw stilisiert. Und sein Faible für die angelsächische Literatur ist ja auch eher oberflächlicher Natur: Wer die Literaturseite der New York Times und der Washington Post verfolgt, weiß immer, was Herr Scheck gut findet. Darüberhinaus nimmt der kaum was wahr. Decouvrierend ist ja auch, wie unglaublich feuilleton-konform seine angeblich nicht-konformen Lieblinge sind: Man findet bei ihm gar nichts, was nicht gerade irgend einer Mode entspricht. Und als großer Pynchon-Fan habe ich den starken Eindruck, dass der von den letzten Titel kein einziges zu Ende gelesen hat.
»Wozu braucht man eine solche Literaturkritik?« – Gute Frage. Wer ist den der Adressat dieser Shows? Literaturfans und Viel-Leser wie wir können es kaum sein, Fans von Schmöker-Literatur (ohne große literarischen Ambitionen) eigentlich auch nicht (die sehe ich eher bei Heidenreich, aber so richtig passt das auch nicht). Wen peilen die Programmmacher also an? Das ist mir völlig schleierhaft.
Da kann mal sehen, wozu Kommentare nützlich sein können: Man stößt mit drei, vier Personen zum Kern der Sache vor. Wer braucht »Druckfrisch«, »Das blaue Sofa« oder ähnlichen Quark (von dem ich eigentlich immer noch den »Literaturclub« ausnehmen möchte)? Vielleicht der Gelegenheitsleser, der drei Bücher im Jahr liest? Die »Das gute Buch«-Fraktion, die bei Lesungen ihrer Lieblinge andächtig applaudiert und sich dann für eine Widmung in die Schlange stellt ‑vorher noch hastig die Folie entfernend? Zahnarztfrauen, die die Bibliothek auffüllen? Rentner, die als letztes Buch von Handke »Die Stunde der wahren Empfindung« gelesen haben und Walsers »Fliehendes Pferd« immer noch avantgardistisch empfinden? Keine Ahnung.
Ich habe eigentlich nur eine Erklärung: Solche Sendungen sind Feigenblätter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Sie erfüllen eine Quote – und zwar die »Kulturquote«. Was natürlich umso bitterer ist, denn da könnte man durchaus mehr machen.
Welcher Kritik traue ich noch? Ich höre fast nur noch Radio. Leute wie Böttiger, Eberhard Falcke oder im Sachbuchbereich Arno Orzessek gewinne ich meist etwas ab. Auch Florian Felix Weyh, Stäblein und in Grenzen Siblewski. Unvergessen und zu selten: Martin Lüdke, der früher in Fernsehen derart verquer fragen konnte, dass er am Ende die Frage selber nicht mehr verstand. Der »Büchermarkt«-Redaktion (Scheck, Steinert, Winkels, Gutzeit) begegne ich eher mit Skepsis.
Wenn ich es schaffe, ein Kulturzeit-Kritikergespräch nicht zu verpassen, dann interessiert mich besonders Ina Hartwig (die oder Pia Reinacher oder am besten beide gehörten in den »Literaturclub« statt E. H). Früher noch Radisch. Früher; damals.
Etliche ertappt man dabei, wie sie ein Buch nicht bzw. nicht zu Ende gelesen haben. Blamabel, blamabel. Die Zeit, die ich spare, solche Leute nicht mehr zu lesen, zu hören, habe ich wieder mehr zur Lektüre.
Das vermute ich auch, Gregor Keuschnig. Die Sendungen erfüllen den »Kulturauftrag«, ohne zu erratisch im sonstigen Unterhaltungsprogramm herumzustehen. (Leider auf beim Deutschlandradio.) Prinzipiell Literaturinteressierte wie mein Mann bleiben dann – eher zufällig – dabei hängen und fühlen sich ganz unterhaltsam über aktuelle Literatur informiert. (So hat er sich jedenfalls gerade als sporadischer Scheck-Hörer beschrieben.)
Aufgrund unserer Diskussion hier mache ich mir gerade Gedanken, woher ich eigentlich meine Anregungen für mir unbekannte Literatur so bekomme: Blogs und Tipps meiner Facebook- und Twitter-Community, Newsletter und Websites der Verlage, die ein Programm machen, das mir gefällt, und ein paar Literatur/Kulturmagazine (die meisten aber nicht deutsch); FAZ und NZZ Feuilleton.
Vielleicht muss man die Aufgabe des Kritikers anders definieren, von der Erwartung weggehen, dass noch irgendjemand einen Überblick haben und sagen kann: »diese Bücher sind gut, sie müssen gelesen werden« (daraus muss Überforderung resultieren, mit den bekannten Phänomenen); viel wichtiger wäre, dass die verschiedenen Medien unterschiedliche Titel aufgreifen und kompetent besprechen, also nicht zehnmal dasselbe Buch auftaucht (mehr brauche ich für meinen Teil eigentlich nicht).
Ich kenne Vielleser die Scheck mögen, die ein gutes Gespür für Literatur besitzen, aber an den literarischen Diskussionen, Feuilletondebatten und langen Besprechungen, im Gegensatz zu Lesungen wenig interessiert sind (das könnte durchaus eine größere Zahl sein).
Ich habe keine spezielle Informationsstrategie, weil ich sowieso auf mehr Bücher stoße, als ich lesen kann (und die systematische Suche auch nicht meine Sache ist).
@metepsilonema
Die von mir so genannte »Gut-Buch-Fraktion« möchte natürlich weiterhin glauben, dass es da einen Lotsen gibt, der die Übersicht behält. Selbst wenn man ihnen sagt, dass es 90.000 oder 100.000 Neuerscheinungen im Jahr gibt – sie glauben fest daran, dass ihnen Frau X oder Herr Y wie ein Goldschürfer die Nuggets heraussucht.
Neulich in einer Rede zum Leipziger Buchpreis erzählte der Kritiker Hubert Winkels, dass die Jury 400 Bücher gelesen habe um eine Auswahl zu treffen. Das ist – freundlich formuliert – alleine zeitlich unmöglich. Geht man davon aus, dass die Kritiker eine Halbsaison Neuerscheinungen lesen, also rund 6 Monate, so müssten sie mindestens zwei Bücher am Tag lesen – und dabei nichts anderes (berufliches) tun. Jetzt bleibt die kleine Hintertür, ob die gesamte Jury 400 Bücher gelesen hat oder jeder Juror/Jurorin einzeln. Dennoch: Der Türhüter-Mythos (siehe Mangold-Posting) feiert hier fröhliche Urständ.
Ich stelle mal die These auf, dass die Unzufriedenheit mit der Literaturkritik proportional zur Lese-Intensität des Rezipienten steigt. Wer wenig oder nur gelegentlich liest, findet die Leute gut, usw.
Vorsatz für 2015 [jetzt schon machen, um ihn vielleicht im Laufe des Jahres zu vergessen]: Sich über die Literaturkritik nicht mehr aufregen, ihr nur noch die Fehler um die Ohren hauen und ansonsten das System des Betriebs nicht mehr als satisfaktionsfähig zu nehmen.
@metepsilonema:
So hab’ ich das noch gar nicht gesehen: Man hat eh immer zuviele Bücher auf seiner Leseliste, wozu dann noch Literaturkritik lesen. Das stimmt. Allein wenn ich mal die Klassiker läse, die ich noch nicht durch habe, brauchte ich vermutlich für die nächsten 20 Jahre (wenn nicht die nächsten 50 Jahre) kein einzige Neuerscheinung zur Kenntnis nehmen. Warum mach’ ich das also? Ein bisschen bin ich auf der Suche nach verwandten Seelen, aber die finde ich in Blogs und Social Media viel besser (und vor allem sprechen die auch mit mir und nicht nur für mich; DANKE, Internet!), aber ich hoffe auch immer noch, dass ich von Leuten, die das beruflich machen, mal auf Autoren und Bücher gestossen werde, die eben nicht eh schon auf meinem Radar sind. Und das sind die deutschen Feuilletons relativ lausig, Blogs wie Bookslut, Begleitschreiben oder Glanz und Elend aber ziemlich gut.
(Notiz an mich selbst: Feuilletons ignorieren, mehr Klassiker lesen. Und Blogs.)
@Doktor D:
Ich kann Ihnen nur Wort für Wort zustimmen. Leider habe ich nicht mehr 50 Jahre Zeit und vielleicht auch keine 20 mehr, weshalb der Vorsatz, keine einzige Neuerscheinung mehr zur Kenntnis zu nehmen und sich auf die Klassiker* zu konzentrieren (nicht nur die Bildungslücken zu füllen, sondern die großen Werke auch wiederzulesen), eine ganz besondere Dringlichkeit erhält. Im Verlaufe des hier stattfindenden Gesprächs (Gregor Keuschnig sei Dank!) ist mir klar geworden, daß ich weniger auf der Suche nach Anregungen bin – ich weiß immer, was ich als nächstes lesen will, dazu brauche ich keine Literatur»kritik« – als auf der Suche nach Gleichgesinnten, nach leidenschaftlichen Lesern, mit denen man über das Gelesene sprechen kann. Und die habe ich in meinem Freundeskreis und finde sie gelegentlich im Internet.
*Den Begriff Klassiker möchte nicht allzu eng sehen. Gerade habe ich meinen Raymond-Queneau-Bestand komplettiert; dafür fliegt dann der eine oder andere Saisonartikel raus.
P.S. Erkenntnis im Modernen Antiquariat: Die Neuerscheinungen von gestern sind der Ramsch von heute. In diesem Lichte sehen die aufdringlichen Neuerscheinungen von heute ganz anders aus. Aber gerade habe ich mir den neuen Roman von Daniel Pennac gekauft...
Jaja, die Klassiker. Jeder Leser hat wohl so sein Programm noch, dass er unbedingt lesen (wieder)möchte (oder einfach nur vor sich her schiebt). Mir geht es natürlich genau so. Dennoch: Die Konsequenz, mich ausschließlich auf die Klassiker zu stürzen, habe ich noch nicht gezogen. Literatur ist für mich wie ein großes Naturreservat, teilweise urwaldähnlich. Klassiker sind dabei die großen, zum Teil schon ausgetretenen Wege, die wunderbare Aussichtspunkte und Naturschönheiten und auch Rastplätze versprechen. Und dann gibt es die unwegsamen Trampelpfade, die nicht im Reiseführer stehen und über deren Vorzüge kaum jemand zu berichten weiß. Sie führen oft genug ins Nichts; man muss dann umkehren oder einen anderen Trampelpfad gehen, der einem wieder auf einen halbwegs gesicherten Weg bringen soll. Das sind die Neuerscheinungen, die zeitgenössische Literatur. Widmet man sich ihr, so nimmt man das Scheitern in Kauf. Die Frage ist ja »Was bleibt von X«? bzw. »Wer bleibt«? Wer wird zum Klassiker werden, wenn unsereins schon längst das Zeitliche gesegnet hat? Aber deswegen liest man ja nicht. Nicht nur.
Ein anderer Punkt hat mich sehr nachdenklich gestimmt, als ich die Tagebücher von Raddatz gelesen habe: Er liest ja tatsächlich einige Klassiker zum zweiten oder dritten Mal. Und einer nach dem anderen fällt in Ungnade, ob Virginia Woolf, Tolstoi, Proust, Döblin oder Balzac. Selbst an Goethes »Wahlverwandtschaften« mäkelt er herum. Die »Buddenbrooks« seines gottgleichen Thomas Mann bestehen zwar, aber der »Felix Krull« nicht. Das angenehme bei Raddatz ist, dass er dies nicht nur begründet, zum anderen auch darüber reflektiert und sich bspw. fragt, ob er auch darin irren könnte. Oder, und das ist die interessanteste Frage, ob er »damals« geirrt habe.
Natürlich verändern sich mit den Jahrzehnten der Lektüre auch die Ansprüche. Ich selber lese Bücher, bei denen ich befürchten könnte, dass sie einer zweiten Lektüre Jahre später nicht mehr standhalten könnten, vorsorglich nicht mehr (wenn ich es nicht um eine gewisse Erkenntnis heraus möchte oder gar glaube zu müssen). Hält die Begeisterung, die man einst für Bukowski oder Selbys »Letzte Ausfahrt Brooklyn« empfunden hat auch heute noch? Oder war das nur an eine gewisse Zeit und/oder Stimmung gebunden? Wie ist das mit Böll, Max Frisch, Dürrenmatt? Streng genommen sind das (noch) keine »Klassiker«, aber sie haben doch – finde ich – zum Teil schon durchaus Staub angesetzt. Kann man den so einfach wegwischen?
Da habe ich dann noch gar nicht von Kafka oder ähnlichen »Helden« gesprochen. Philologen mag ja die Reihenfolge der »Prozeß«-Kapitel interessieren, aber wenn ich das einmal gelesen habe weiss ich doch Bescheid, oder? Fast interessanter finde ich inzwischen Kafkas kurze Erzählungen, Verdichtungen gleich. Und Orwells »1984« oder Huxleys »Brave New World« sind doch auch fast nur noch Zitateresevoir.
Dann die richtigen Klassiker, die Menschliches verhandeln, welches zeitlos ist. Ja, die gibt es und sehr viele von ihnen harren in meiner virtuellen Lese-»To-Do«-Liste (schreckliches Wort; bitte gleich wieder streichen). Aber das ist etwas, was »sicher« ist, es sind eben diese schönen, breiten Wege mit prächtigen Aussichtspunkten und gut ausgebauten Quartieren, die einem eine wohlige Nacht versprechen. Die kann man immer noch gehen und besuchen. Jetzt erst einmal wieder auf dem Trampelpfad. Das Zelt eingepackt. Es ist mühselig und oft genug desillusionierend. Aber manchmal auch schön.
Die Unzufriedenheit steigt mit der Lesemenge, wenn man sich für das »große Gespräch« über Literatur (jenseits von Unterhaltungen) interessiert (ich glaube, dass für viele einfach das Leseerlebnis mehr zählt).
Ich lese natürlich auch Kritiken, aber eher nach dem Prinzip Zufall (Ausnahme: Begleitschreiben) und nicht übermäßig häufig (die primären Texte sind einfach wichtiger; ich bin ein langsamer Leser). Klassiker auch gerne, aber nicht nur (ja, da gibt es furchtbar viel). — Was an der neuen Literatur besonders ist, dass man mitunter weniger voreingenommen ist (und weniger ausbuchstabiert).
Von Orwell und Huxley gibt es sicher noch weniger bekanntes und trotzdem gutes; und Kafkas Erzählungen sind mir manchmal fast unheimlich (ja, sehr dicht, ich habe da einen Band, den ich häufig auf Zugfahrten mitnehme).
Und mich freuen die lobenden Worte auf das Netz, mir geht es da ganz ähnlich.
Nachtrag zum Nachtrag: Stefan Zweifel von der Leitung des Literaturclubs »enthoben« – was immer das bedeutet...
Das hört sich in der Tat etwas merkwürdig an, verstehe ich das richtig, dass trotz der »Enthebung« noch eine Chance besteht, dass Stefan Zweifel wieder in die Sendung zurückkehrt – der Artikel suggeriert fast schon diese Möglichkeit (Verhandlungen über die »Bedingungen« Zweifels etc.)? Hoffen wir das Beste, jedenfalls werde ich höchstwahrscheinlich ohne Zweifel die Sendung ad acta legen.
Kleine Linksammlung: »Stefan Zweifel abgesetzt« – Tagesanzeiger. »Alles unter Kontrolle?« – Tagesanzeiger, Martin Ebel. »Zweifel verliert Machtkampf gegen Heidenreich« – Basler Zeitung, Benedikt Neff. »Knatsch im Lesezirkel: Warum das SRF Moderator Zweifel absetzt.« – Anna Kardos, Aargauer Zeitung (bisschen arg salopp). Und »Chancenlos«, Medienwoche
Danke für die Zusammenstellung! Herrlich der Hinweis in Ihrem Artikel bei der Medienwoche auf die »hektische Lehrerin«, wußte gar nicht, dass Zweifel so ein Spitzbube sein kann, das gefällt mir und habe sehr darüber geschmunzelt. Die heutige FAZ (S.13) kolportiert übrigens (»es geht auch um die Glaubwürdigkeit des Schweizer Fernsehens«), dass auch Heidnreichs Position in der Sendung »zur Diskussion stehen soll«.
Man sollte einen Kompromiss schließen: Barbara Villiger Heilig als Moderatorin und weiter mit Zweifel und Safranski als Kritiker. Heidenreich ‘raus. Für die vierte Position fielen mir auch ein paar Namen noch ein, aber das ist alles Spekulatitis.
Und ja, man unterschätzt Zweifel gelegentlich...
GENDERMOBBING
Stefan Zweifel ist gut, weil er als Promi die Seltenheit filigraner Wahrnehmungs-fähigkeit mit all der Feinfühligkeit und den für Männer seltenen Mut zur Sensibilität darstellt bzw. vertritt bzw, als Mensch mitbringt. Dass er von E.H. attackiert wurde ist symptomatisch für den von ihr vertretenen Brachialstil, aber bedauerlich für das Sendeformat 3SAT-Literaturclub und auch bedauerlich für die Öffentlichkeitswirkung von Literaturkritik. Es sieht eher danach aus, dass E.H. Enterabsichten hatte und hier mehr oder weniger das klassische, heutzutage wohl eher aus der Feminaecke kommende Gendermobbing gegen ihren männlichen Pendant Stefan Zweifel betrieb.