Li­te­ra­tur­club, Hei­den­reich und Schät­zing

Dies­mal mehr als är­ger­lich, son­dern wi­der­lich: El­ke Hei­den­reich im »Li­te­ra­tur­club«, die im­mer noch nicht über­wun­den hat, dass sie die Sen­dung nicht mehr mo­de­riert, son­dern Ste­fan Zwei­fel. Der fragt be­reits zu Be­ginn, ob Schät­zings neu­es Buch »über­haupt Li­te­ra­tur« sei, stellt es ein biss­chen wie ei­ne Na­tur­ka­ta­stro­phe dar, es in die­ser Sen­dung be­spre­chen zu müs­sen. Ab 18:55 geht es dann los. Zwei­fel er­zählt sei­ne Ein­drücke und Hei­den­reich ver­tei­digt auf ei­ne durch­sich­ti­ge Art und Wei­se das Buch, in dem sie auch Zwei­fel an­greift: Das müs­se doch ei­nem »In­tel­lek­tu­el­len« wie Zwei­fel klar sein, dass Schät­zing »Un­ter­hal­tungs­li­te­ra­tur« schrei­be. »Gu­te« Tra­di­ti­on üb­ri­gens, den Be­griff des In­tel­lek­tu­el­len als Spott zu ver­wen­den. Ja, gibt Hei­den­reich schein­bar of­fen­siv zu, Schät­zing kön­ne kei­ne Dia­lo­ge schrei­ben, ha­be kei­ne Spra­che, aber eben auch kei­nen An­spruch. »Das ist eben Schät­zing« re­det sich Hei­den­reich in ei­nen Rausch hin­ein, der auch die lä­sti­gen Ein­wän­de der an­de­ren Dis­ku­tan­ten nicht gel­ten lässt. Sie un­ter­bricht jeg­li­che Mög­lich­keit ei­ner Be­spre­chung, in dem sie a prio­ri das Buch gar nicht Ernst neh­men möch­te, es als »Schmö­ker« be­trach­tet. Sie be­rich­tet von ei­ner Le­sung, schwärmt da­von »wie der Mann die Leu­te im Griff« ha­be – nun, das hat­te Goeb­bels auch und es ist neu, ob das ei­ne Qua­li­tät für Li­te­ra­tur ist. Auch das Schät­zing frei spre­che, al­so gar kei­ne Le­sung ma­che, son­dern nur vor­tra­ge – all dies be­ein­druckt Hei­den­reich plötz­lich der­art, dass sie vom Sound­tep­pich, der mit­tels Tech­nik er­zeugt wird schwärmt. Schät­zing sei ein »Wer­be­mann«, so Hei­den­reich. Al­les sei »Event« bei ihm. Mag sein, aber was hat die Even­ti­sie­rung ei­ner so­ge­nann­ten Le­sung mit dem Buch zu tun? Nichts. Was hat es in ei­nem Li­te­ra­turclub dann zu su­chen? Gar nichts.

Hei­den­reich in­ter­es­siert das bei Schät­zing nicht. Al­les, was sie bei je­dem an­de­ren Schrift­stel­ler ver­wer­fen wür­de, recht­fer­tigt sie hier. »Wun­der­ba­re Unterhaltungs­literatur« nennt sie das Buch schließ­lich; je­der Ein­wand, der be­züg­lich der Ru­bri­zie­rung »wun­der­bar« auch nur an­klin­gen könn­te, wird von ihr ab­ge­würgt. Hei­den­reich er­setzt die Au­to­ri­tät des Ar­gu­ments, der äs­the­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung (zu der sie nie fä­hig war; sie kann nur schmon­zet­ten­haft Bü­cher lo­ben), mit dem Markt und des­sen Macht. 1.000 Leu­te beim Event. 500.000 Start­auf­la­ge. »Welt­best­sel­ler«. Das sind die Kri­te­ri­en der El­ke Hei­den­reich, wenn es um ei­nen Au­tor ei­nes Ver­la­ges geht, in dem vier Bü­cher auch von ihr er­schie­nen sind. Kann das wahr sein, dass je­mand der­art pri­mi­tiv ist?

Sor­ry, aber mit die­ser Per­son geht die­se Sen­dung ka­putt.

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  1. Ich weiß ja, dass Du die Hei­den­reich nicht magst, aber hier gehst Du mei­ner Mei­nung nach et­was zu harsch mit ihr um. An Schät­zings neu­em Schin­ken kam man, so der Mo­de­ra­tor Zwei­fel, al­lein we­gen sei­ner Rie­sen­auf­la­ge und sei­ner Er­stür­mung der Best­sel­ler­li­sten nicht vor­bei, aber es war Kon­sens zwi­schen al­len Dis­ku­tan­ten, dass das Buch viel zu lang , die Hand­lung wirr, die Spra­che des Au­tors rot­zig und schnod­de­rig ist und die Dia­lo­ge und Chark­te­re flach und ein­tö­nig sind. Kurz – ein schlech­tes Buch.
    Es stimmt, ir­gend­wann rutscht der Hei­den­reich mal der Be­griff „wun­der­ba­re“ Un­ter­hal­tungs­lek­tü­re raus, was aber m.E. nur ihr Ver­ständ­nis für je­ne Käu­fer aus­drücken soll­te, die sol­che „Schmö­ker“ kau­fen und ger­ne le­sen. Ich hör­te auch kei­ne Be­wun­de­rung aus ih­rer Be­schrei­bung ei­ner Schätzing-Event-„Lesung“, son­dern mehr iro­ni­sche Ver­wun­de­rung über das dor­ti­ge Pu­bli­kum, wel­ches dem Wer­be­fach­mann Schät­zing an den Lip­pen hing.
    Der Ge­sprächs­lei­ter Zwei­fel hielt es für sei­ne Pflicht, vom Le­sen des neu­en Schät­zing-Wäl­zers ab­zu­ra­ten und emp­fahl statt­des­sen den „Schwarm“, was ich dann wie­der­um nicht nach­voll­zie­hen konn­te, denn et­was Lang­wei­li­ge­res als die­sen Me­gas­el­ler kann ich mir aus ei­ge­nem Er­lei­den kaum vor­stel­len. Wie auch im­mer, Dei­ne fra­gen­de Cha­rak­te­ri­sie­rung der Hei­den­reich als pri­mi­tiv ist schon sehr bö­se. Sie ist mei­net­we­gen ner­vig, zu laut, von mir aus auch zu un­be­leckt, was Li­te­ra­tur an­geht, aber pri­mi­tiv? Nein, das ist sie si­cher nicht.

  2. Doch, das ist sie, weil sie die von ihr selbst ge­brach­ten Par­al­le­len (bspw. Crich­ton) gar nicht dis­ku­tiert, son­dern de­kla­miert und jeg­li­che Er­ör­te­rung da­zu ver­hin­dert. Es geht ja gar nicht dar­um, Schät­zing mit Bur­ger zu ver­glei­chen (was sie sug­ge­riert, was Zwei­fel ma­che), son­dern tat­säch­lich muss ein sol­ches Buch ja dort »ab­ge­holt« wer­den, wo es her­kommt. Da­her wä­re ei­ne Dis­kus­si­on jen­seits der Fra­ge ge­ho­be­ne vs. Un­ter­hal­tungs­li­te­ra­tur not­wen­dig ge­we­sen. Das hat Hei­den­reich aber blockiert, da sie von Vorn­her­ein die Schwach­punk­te auf­zähl­te und sie als im­ma­nent für Un­ter­hal­tungs­li­te­ra­tur dar­stell­te. Das ist aber Un­sinn, weil auch Un­ter­hal­tungs­li­te­ra­tur aus gu­ten Dia­lo­gen und in­ter­es­san­ter Spra­che be­stehen kann. Der Mo­de­ra­tor hat hier lei­der nicht ein­ge­grif­fen, son­dern Hei­den­reich das Feld über­las­sen. Sonst hät­te man dar­über re­den müs­sen. Und da­bei ist es voll­kom­men un­er­heb­lich, wel­che Ho­se Schät­zing trägt oder wie vie­le Leu­te ihm zu­ge­hört ha­ben.

  3. Ich ha­be mich im­mer ge­fragt, war­um sich Zwei­fel und Hei­den­reich so an­zicken, aber jetzt weiß ich es. :)

    Aber mal grund­sätz­lich zu sol­chen Be­spre­chun­gen:
    Wahr­schein­lich muss man sich bei Hei­den­reich und ih­ren Fern­seh­kol­le­gen – nicht un­be­dingt die aus der Sen­dung Li­te­ra­tur­club – auch ein­fach fra­gen, ob sie ih­rer Auf­ga­be Bü­cher zu be­spre­chen über­haupt rich­tig nach­kom­men kön­nen oder ob es da nicht ge­wis­se Zwei­fel an­zu­mel­den gilt, wenn man sich nur die schie­re An­zahl der zu le­sen­den Bü­cher vor Au­gen hält, die von ih­nen ge­le­sen wer­den müs­sen.

    Ir­gend­wo fiel neu­lich bei Ver­an­stal­tung im TV von ei­nem Ju­ror die Zahl von meh­re­ren hun­dert ge­le­se­nen Bü­chern, die al­lein für Aus­wahl und Ver­ga­be für den Preis der Leip­zi­ger Buch­mes­se zu be­wäl­ti­gen wa­ren.

    De­nis Scheck liest nach ei­ge­nem Be­kun­den fast je­den Tag ein Buch und das auch nur ein­mal, nie­mals mehr­mals.

    Bei Frau Hei­den­reich wird das, denk ich, nicht an­ders sein. D.h. bei die­sem Pen­sum, das ja erst­mal über­haupt tat­säch­lich ge­schafft wer­den muss, stellt sich na­tür­lich die Fra­ge, ob ein sol­cher­ma­ßen ge­le­se­nes Buch an­schlie­ßend noch an­ge­mes­sen re­zi­piert und ge­wür­digt wer­den kann. Oder ob nicht, wie dies im Fern­se­hen oder im Rund­funk der Fall ist, be­stimmt auch bei den Re­dak­tio­nen der Kul­tur­sei­ten der gro­ßen Ta­ges­zei­tun­gen, et­was zü­gig durch­ge­le­sen wird (wer­den muss?) und dann ein Ur­teil ge­fällt wird, was dem Werk un­ter Um­stän­den nicht ge­recht wird, weil gar nicht die Zeit zum Nach­den­ken usw. da war.

    Ich bin nicht vom Fach, son­dern ein­fa­cher Le­ser, und ich will des­halb auch gar nicht in Ab­re­de stel­len, dass die­se Kri­ti­ker weit­aus ge­üb­ter sind und über viel mehr Er­fah­rung ver­fü­gen, ein Buch zu re­zen­sie­ren, als ich. Al­ler­dings stel­le ich, seit­dem ich die Kri­ti­ken von Scheck, Hei­den­reich oder auch die in den Ta­ges­zei­tun­gen, et­was ge­nau­er an­schaue, fest, dass zu­min­dest im­mer wie­der Aus­rei­sser nach un­ten da­bei sind, die mich an ih­rem Ur­teil zwei­feln las­sen.

    Ein Bei­spiel aus jüng­ster Zeit war die un­be­ding­te Emp­feh­lung von Scheck in druck­frisch des ak­tu­el­len Buchs Mu­ra­ka­mis. Ich ha­be das ge­le­sen und hal­te das ‑je­den­falls ge­mes­sen an frü­he­ren Wer­ken Mu­ra­ka­mis- be­sten­falls für fast-food-Li­te­ra­tur. Aus äl­te­rer Zeit fällt mir spon­tan das Ur­teil Schecks zu Eu­gen Ru­ges »In Zei­ten des ab­neh­men­den Lichts« ein, dass lau­te­te: »Hand­werk­lich gut ge­macht, aber li­te­ra­risch wert­los«. Peng! Kann ich so auch nicht nach­voll­zie­hen.

    Oder et­wa, wie­der aus jüng­ster Zeit, die Emp­feh­lung von »Brea­king News«, auch wie­der von Scheck. Ich ha­be das neu­lich in mei­ner Buch­hand­lung mal an­ge­le­sen und nach et­wa 5 Sei­ten wie­der weg­ge­legt, die­sen »ac­tion-Stil« des atem­lo­sen Ma­choer­zäh­lens hät­te ich kei­ne wei­te­re Sei­te durch­ge­hal­ten, Him­mel was für ein Schrott!

    Es ist al­so mei­ner Mei­nung nach so, dass al­les zu ober­fläch­lich ist, da of­fen­bar gar kei­ne Zeit mehr für wirk­li­che Über­le­gun­gen zu dem je­wei­li­gen Buch da sind, ja gar nicht da sein kön­nen. Es lie­gen ja schon wie­der die näch­sten hun­dert Bü­cher auf dem Tisch, die ver­schlun­gen wer­den müs­sen. Ent­we­der müß­te man die Men­ge an zu le­sen­den Bü­chern re­du­zie­ren oder es ein­fach hin­neh­men, dass es ver­gleichs­wei­se ober­fläch­lich ist, was an Be­spre­chun­gen da­bei her­aus­kommt, im Fern­se­hen ist das be­stimmt mehr der Fall als in Ta­ges­zei­tun­gen.

    Und was mir ge­ra­de auch noch ein­fällt, als es um die Wür­di­gung Reich-Ra­nickis im letz­ten Jahr ging: Es fiel von Schirr­ma­cher da­mals die Fest­stel­lung, dass Reich-Ra­nicki, als er bei der FAZ an­fing, die Feuil­le­ton­sei­ten zu ei­ner »Li­te­ra­tur­fe­stung« aus­ge­baut ha­be, und es ist ja auch so, dass rein zah­len­mä­ßig dort täg­lich so vie­le Bü­cher be­spro­chen wer­den wie in kei­ner an­de­ren gro­ßen Ta­ges­zei­tung. Aber: was nützt das vor dem oben er­wähn­ten Ver­dacht der zu ober­fläch­li­chen Be­spre­chung?

    Es feh­len die Per­len, statt­des­sen setzt man auf Mas­se und Main­stream.

    (Par­don für den lan­gen Kom­men­tar!)

  4. Win­kels sag­te das neu­lich: Man (= die Ju­ry? er?) ha­be 400 Bü­cher ge­le­sen, um die No­mi­nier­ten zum Leip­zi­ger Buch­preis zu fin­den. Das kann so nie­mals stim­men. Zum ei­nen kann kein Kri­ti­ker ei­ne 400 Bü­cher in ei­nem hal­ben Jahr le­sen (grob ge­sagt wa­ren die zur Dis­kus­si­on ste­hen­den Bü­cher aus ei­nem hal­ben Jahr). Man kann be­sten­falls »an­le­sen«, quer le­sen, dia­go­nal le­sen. Hei­den­reich hat mal ge­sagt, sie ge­be ei­nem Buch 60 Sei­ten oder ei­ne Stun­de (sic!) – da­nach ent­schei­de sie, ob sie es wei­ter­le­se oder nicht. Das kann sie pri­vat han­deln wie sie möch­te – für ei­ne Ju­ry gin­ge so et­was nicht. Ob­wohl es mit Si­cher­heit gän­gi­ge Pra­xis ist. Kein Mensch kann ein Buch von viel­leicht 300 oder 400 Sei­ten an ei­nem Tag le­sen und dann ent­spre­chend li­te­ra­risch ein­schät­zen.

    Man hat al­so »Vor­le­ser«, Leu­te, die ei­nem et­was zu­tra­gen. Oder, noch ein­fa­cher: Man liest die »Wasch­zet­tel« der Ver­la­ge, blät­tert dann mal rein – und liest sich ent­we­der fest oder lässt es sein. Das hat mit »Le­sen« aber rein gar nichts zu tun. Je­der hat im üb­ri­gen das Recht, ein Buch nach 5 Sei­ten weg­zu­le­gen. Aber dann darf man dar­über nicht im Feuil­le­ton oder im Fern­se­hen ur­tei­len.

    Dann zu sol­chen Sen­dun­gen wie »Li­te­ra­tur­club«: Hier soll­te es schon Pflicht sein, das Buch ge­le­sen zu ha­ben (es sei denn, was sel­ten ge­schieht, je­mand gibt zu, es bspw. nicht zu En­de ge­le­sen zu ha­ben).

    Le­sen ist al­so die Vor­aus­set­zung für Kri­tik. Wo­bei le­sen nicht das stu­re Ab­le­sen von Tex­ten be­deu­tet. Das spre­chen Sie ja an. Kri­tik be­deu­tet aber auch nicht sich hin­stel­len, zehn Se­kun­den über ein Buch et­was sa­gen und es dann ent­we­der auf ei­nen Sta­pel le­gen oder in den Müll. Das hat mit Li­te­ra­tur­kri­tik nichts zu tun. Aber das kommt auch von Leu­ten, die nicht le­sen, son­dern nur...Sie ah­nen es?...quer le­sen, diagonal...whatever.

    Ihr Fa­zit trifft da­her ge­nau ins Schwar­ze. Wer ober­fläch­lich liest, wird ober­fläch­lich über ein Buch schrei­ben. Das ist – wir hat­ten das an an­de­rer Stel­le schon – Bou­le­vard. Und kein Feuil­le­ton mehr. (Reich-Ra­nicki war ei­ner der Ur­he­ber die­ses Stils.)

    Wenn man die »Literaturclub«-Sendungen mit Ste­fan Zwei­fel als Mo­de­ra­tor ver­folgt hat, stellt man fest, dass er zum Teil sehr ge­nau liest, Über­set­zun­gen mit­ein­an­der ver­gleicht (Zwi­schen­ruf Hei­den­reich dann: »Sie mit Ih­ren Über­set­zun­gen...«). DAS ist se­riö­se Kri­tik. Und die wird un­ter­ge­but­tert von ei­ner ober­fläch­li­chen (wenn über­haupt) Text­kon­su­men­tin, die mit ih­rem lä­cher­li­chen Bauch­la­den her­um­zieht. Der Im­pe­ra­tiv ih­rer ehe­ma­li­gen ZDF-Sen­dung »Le­sen!« hat sie nie­mals be­her­zigt; ge­le­sen ha­ben da meist an­de­re.

    Ach ja: Hier sind lan­ge Kom­men­ta­re durch­aus er­wünscht. So­lan­ge sie so sub­stan­ti­ell sind.

  5. Und noch et­was: Sie sind nicht »nur« Le­ser. Das gibt es nicht. Sie sind »Le­ser«. Die an­de­ren, die mit ih­ren Wasch­zet­teln Neu­erschei­nungs­bin­go spie­len, das sind »nur-Le­ser«. Der Le­ser hält den Be­trieb auf­recht. Von ihm lebt die Li­te­ra­tur. Nicht von den Pro­sti­tu­ier­ten des Be­triebs. Man soll­te, man müss­te sie be­dau­ern.

  6. Kann ich nach­voll­zie­hen, ob­wohl ich kei­ne TV-Li­te­ra­tur­sen­dun­gen mehr gucke. Er­in­ne­re mich aber an ei­ne Hei­den­reich-Sen­dung. Die­se Art mar­ke­ting, frei von Ver­la­gen und Sach­zwän­gen (der Hin­weis auf Ei­gen­in­ter­es­sen ver­fängt nicht!) fin­de ich sehr be­un­ru­hi­gend. Ih­re Per­sön­lich­keit ist auch nicht leicht zu neh­men. Kunst ja, aber darf’s ’ne Num­mer klei­ner sein? Es gibt Leu­te, die kom­men als »Run­ter­ma­cher« auf die Welt. Ge­meint ist nicht: die re­den al­les schlecht. Im Ge­gen­teil, die wer­ten vie­les auf. Aber sie ak­zep­tie­ren Kunst nur als Ver­wer­tungs­pro­dukt.
    Ist ’ne Typ-Fra­ge. Das kann schon ab­sto­ßend sein, glaub’ ich gern.
    Aber die Un­ter­schei­dung von E und U ist im­mer per­sön­li­chen Kri­te­ri­en un­ter­wor­fen. Das sind Mei­nungs­ka­te­go­rien, die kriegt man nicht ob­jek­ti­viert. Es gab Leu­te, die ha­ben Bob Dy­lan für den Li­te­ra­tur-No­bel­preis vor­ge­schla­gen... Soll man da­ge­gen ar­gu­men­tie­ren?! Ich fin­de, das lohnt sich nicht.
    Je­der soll sein E und U selbst de­fi­nie­ren. Das ist Ni­veau­ab­SCHÄT­ZING. Nach un­ten sind die Über­gän­ge flie­ßend. Die Qua­li­tät von E wird da­durch nicht re­la­ti­viert. Oder seh’ ich das falsch?

  7. Na­ja, mit »je­der soll al­les sel­ber ein­schät­zen« kann man na­tür­lich die Li­te­ra­tur­kri­tik in die Ton­ne drücken. Man kann und muss al­ler­dings Gen­res bil­den, um dann in­ner­halb die­ser Gen­res Kri­tik an­brin­gen zu kön­nen. Man kann nicht Goe­the mit Si­me­non, Kleist mit Schät­zing ver­glei­chen.

    »Run­ter­ma­cher« im Sin­ne von: al­les auf ein Le­vel hin­un­ter­schrau­ben und dann so­zu­sa­gen zu To­de lo­ben – das ist ziem­lich gut ge­trof­fen.

  8. @ Gre­gor und mei­ne Be­mer­kung
    Ich würd nicht so weit ge­hen, und die Lit-Kri­tik in die Ton­ne tre­ten. Aber soll man die Auf­ga­be des wer­ten­den Un­ter­schei­dens dem Kri­ti­ker wirk­lich an­tra­gen?! Was Du rein rhe­to­risch vor­schlägst, Goe­the mit Si­me­non, etc, zu ver­glei­chen, un­ter­nimmt ja nie­mand ernst­haft. Ich wüss­te auch nicht, wie...
    Aber die ho­ri­zon­ta­le Ein­tei­lung »Gen­re« er­setzt doch nicht die ver­ti­ka­le Ein­tei­lung »E & U«. Es gibt U‑Drama, U‑Poesie, und je­de Men­ge U‑Romane. Der Ro­man an sich kommt aus dem Be­reich U. Ei­gent­lich geht es doch um die al­te Ador­no-Ge­schich­te: wann ist es gut ge­nug, wann ist es... Kunst?! Die Zu­rück­wei­sung ei­nes Mach­werks von Schät­zing scheint mir kei­ne loh­nens­wer­te Auf­ga­be. Kann man nicht ein Po­stu­lat der »Mü­he« ein­füh­ren, wel­ches bei­des Aspek­te des künst­le­ri­schen Schaf­fens be­rück­sich­tigt: die An­nä­he­rung an ein Ide­al und das (teil­wei­se) Schei­tern?!
    Will sa­gen: es gibt si­cher Au­toren, die sich kei­ne »Mü­he« ge­ben, al­so kein Stre­ben er­ken­nen las­sen... Das wä­re dann U. Ganz ein­fach! »Kri­tik« un­nö­tig.

  9. Was hal­ten Sie denn von der ak­tu­el­len Sen­dung von ge­stern Abend, als Hei­den­reich sich über die »deut­sche Li­te­ra­tur­sze­ne« be­schwer­te, die sol­che Au­toren (wie Le­witschar­off) hy­pen und mit Prei­sen über­häu­fen wür­de, wenn Au­toren wie Die­ter For­te (»bes­ser als Grass, bes­ser Böll«) leer aus­gin­gen? Über­haupt hat sie an Le­witschar­off kein gu­tes Haar ge­las­sen (”das ist kei­ne Li­te­ra­tur, das ist Gro­schen­ro­man, das ist gar nichts«). Es war oh­ne­hin ei­ne sehr merk­wür­di­ge Sen­dung, ko­mi­sche At­mo­sphä­re, ge­reiz­te Grund­stim­mung, al­le schie­nen ir­gend­wie nicht so recht in Form und et­was fah­rig. Spä­ter ist Hei­den­reich dann noch bei Heid­eg­ger re­gel­recht aus­ge­flippt, als sie we­gen ei­nes strit­ti­gen Sat­zes Heid­eg­gers ih­ren Kol­le­gen Zwei­fel an­ge­schrien hat. Al­so schon mehr Spek­ta­kel als ge­lun­ge­ne Sen­dung.

  10. @Jenny
    Dan­ke für’s Neu­gie­rig­ma­chen. Ich hat­te fast be­schlos­sen, die Sen­dung »zu ver­ges­sen«, da ich mit Heid­eg­ger be­reits all­zu viel Un­sinn er­war­tet hat­te. Jetzt ist’s da­hin. – Dem­nächst wer­de ich mir das an­se­hen.

    (PS: Hei­den­reich hat, was Die­ter For­te an­geht, [fast] aus­nahms­wei­se mal Recht. Der Au­tor ist wirk­lich un­ter­schätzt und wird fast stief­müt­ter­lich be­han­delt. Den­noch hal­te ich Hei­den­reichs Fra­ge, war­um der Be­trieb X hypt und Y nicht für ziem­lich ab­ge­dro­sche­nes Stroh – sie weiss sehr ge­nau, wie das funk­tio­niert...)

  11. Ich hof­fe, das sprengt jetzt nicht den Rah­men, aber ich ha­be vor ei­ni­ger Zeit »Deutsch­land­rei­sen« von Hel­mut Krau­sser ge­le­sen und da war am Schluss (so S. 230ff un­ge­fähr) ein gan­zer Ab­schnitt zur Li­te­ra­tur­kri­tik drin, u.a. auch Über­le­gun­gen zu ei­nem Ver­riss von Hei­den­reich und wie sich das auf Ver­kaufs­zah­len und ‑er­lö­se da­mals von ihm aus­ge­wirkt hat, schon im 5‑stelligen Eu­ro-Be­reich, usw. Lei­der bin ich ge­ra­de un­ter­wegs und ha­be das Buch nicht zur Hand und ein Ge­dächt­nis wie ein Sieb, da­her nur der sehr ober­fläch­li­che Hin­weis. (Das gan­ze Buch – Zu­falls­kauf in der Buch­hand­lung, ich kann­te von Krau­sser bis­lang nichts – war üb­ri­gens sehr le­sen­wert, ta­ge­buch­ar­ti­ge Ein­trä­ge über Sta­tio­nen sei­nes Wir­kens wech­seln sich ab mit Poe­tik­vor­le­sun­gen, die er mal in Mün­chen ge­hal­ten hat.)

  12. Bei­den Kom­men­ta­to­ren Dank für die Hin­wei­se. Krau­sser hat – glau­be ich – was Li­te­ra­tur­kri­tik und de­ren Aus­wir­kun­gen an­geht, recht ei­ge­ne An­sich­ten. Wie will man Um­sät­ze quan­ti­fi­zie­ren, die man nicht er­löst hat? Wer­de mich da aber schlau ma­chen; bin für sol­che Hin­wei­se wirk­lich dank­bar.

    Hier der Link zum ak­tu­el­len Li­te­ra­tur­club Schau’s mir am Wo­chen­en­de an.

  13. Es war wohl so, dass ein Buch in der SZ (oder FAZ, ei­ne von den bei­den) ver­ris­sen wur­de bzw. der Kri­ti­ke­rin (Hei­den­reich?) schon am An­fang ein fak­ti­scher (Lese-)Fehler un­ter­lau­fen ist, weil er/sie ein Vor­wort ei­nem Au­toren­kol­le­gen zu­ge­ord­net hat statt ei­ner Fi­gur im Ro­man selbst (Na­mens­ver­wechs­lung durch Über­le­sen mit an­schlie­ßen­dem Rät­sel­ra­ten, war­um die­ser Au­toren­kol­le­ge ein Vor­wort schreibt). Und Krau­sser sagt dann, so ein Ver­riss ko­ste ihn mal eben fünf­stel­lig. Ich glau­be, so war die »Rech­nung«. Der Punkt war eben der, dass er als Au­tor nicht zu­letzt we­gen der fi­nan­zi­el­len Ein­bu­ße sol­che Kri­ti­ken ernst neh­men müs­se, auch wenn das ei­gent­lich nicht an­ge­zeigt wä­re, weil die Kri­ti­ke­rin eben schon über­haupt nicht rich­tig, son­dern so­gar falsch (ober­fläch­lich) ge­le­sen hat.

  14. Li­te­ra­tur­club 22.4.2014
    Tei­le Jen­nys Ein­druck, dass die Stim­mung min­de­stens zu und nach Le­witschar­off eher ge­spannt war. Hei­den­reichs Fu­ror ge­gen Le­witschar­off kann man als lä­cher­lich be­zeich­nen. Wenn sie, wie sie zu­gab, die Bü­cher nicht bis zu En­de ge­le­sen hat, wie kommt sie denn da­zu, die­se der­art nie­der­zu­ma­chen? Auch Heid­eg­gers Hef­te hat­te sie nicht ge­le­sen, min­de­stens nicht zur Gän­ze. Dem Ver­lag, der die Le­se­ex­em­pla­re spen­diert hat, dürf­te es nicht freu­en. Ihr »Doch«-Geschrei als Zwei­fel das Zi­tat an­zwei­fel­te (un­ge­woll­tes Wort­spiel) spricht auch in die­se Rich­tung – sie hat das auf­ge­schnappt, nicht mehr. Im­mer wenn Hei­den­reich ihr Des­in­ter­es­se zu Pro­to­koll gab, quas­sel­te sie al­len um­so stär­ker da­zwi­schen.

    Be­züg­lich For­te hat sie al­ler­dings Recht, aber es ist im­mer schlecht ei­nen Schrift­stel­ler ge­gen den an­de­ren auf­zu­rech­nen. Mir fie­len noch an­de­re, ver­nach­läs­sig­te Schrift­stel­ler ein: Pe­ter Kurz­eck zum Bei­spiel, auch Kem­pow­ski. Bei­de tot und oh­ne Büch­ner-Preis. Von den le­ben­den Ger­lind Reins­ha­gen, üb­ri­gens Suhr­kamp-Au­torin, was al­lei­ne schon Hei­den­reichs Ge­quat­sche als Blöd­sinn aus­weist. Na­tür­lich kommt es bei Hy­pes auf den Ver­lag an, aber viel mehr eben auf das »Mar­ke­ting«, wel­ches in den Feuil­le­tons be­trie­ben wird. Da­mit kennt sich Hei­den­reich ja aus; sie hat schließ­lich den un­se­li­gen An­dré Rieu der Phi­lo­so­phie, Herrn Precht, po­pu­lär ge­macht. War­um Le­witschar­off und vor al­lem die li­te­ra­risch weit­aus schwä­che­re Hop­pe den Büch­ner-Preis be­kom­men ha­ben, ist un­ter Ge­sichts­punk­ten des Be­triebs durch­aus lo­gisch.

    Der Gip­fel war aber, wie Hei­den­reich (aber auch Sa­fran­ski) auf Mo­se­bachs »Blut­bu­chen­fest« re­agiert ha­ben. »Der kann’s« sag­ten sie sinn­ge­mäss. Na­tür­lich »kann« es Mo­se­bach, wenn es ei­nem egal ist, dass der Er­zäh­ler so­wohl ei­ne Fi­gur als auch ein aukt­oria­ler Er­zäh­ler ist. Toll, wenn es egal ist, dass da je­mand Bos­ni­en mit Kroa­ti­en und Ser­ben durch­ein­an­der­wirft (Sa­fran­ski nann­te die Putz­frau dau­ernd Ser­bin, da­bei ist sie im Buch ei­ne bos­ni­sche Kroa­tin – ist das zu­viel ver­langt?). Da muss nicht al­les stim­men, mein­te Frau Hei­den­reich. Aber was hät­te sie wohl ge­sagt, wenn Iva­na plötz­lich hät­te flie­gen kön­nen? Was soll man mit ei­ner der­art fahr­läs­si­gen Stamm­tisch­schwät­ze­rei ei­gent­lich an­fan­gen?

  15. Oh, das ist schön, dass Sie Kem­pow­ski und vor al­lem Kurz­eck in die­sem Zu­sam­men­hang er­wäh­nen, die Bü­cher des al­ten Jahr­hun­derts und »Ein Som­mer, der bleibt« ha­ben mich im letz­ten Jahr (im­mer wie­der) be­glei­tet, wun­der­bar und lie­be­voll sei­ne Be­schrei­bun­gen, oh­ne kit­schig zu sein.

    Ge­stern Abend, ganz in­ter­es­sant, gab es bei Druck­frisch ei­ne Re­tour­kut­sche von Le­witschar­off an Hei­den­reich, die ganz trocken er­zähl­te, dass sie von Hei­den­reich mal vor ein paar Jah­ren »ei­nen ganz lie­ben Brief er­hal­ten hät­te mit der Bit­te, sich doch an ei­ner Kat­zen­an­tho­lo­gie zu be­tei­li­gen«.

    Mich wun­dert es, dass die­ses The­ma (Buch­mar­ke­ting für ih­ren Kri­mi oder steckt mehr da­hin­ter?) so lan­ge am Kö­cheln ge­hal­ten wird an mehr oder we­ni­ger ex­po­nier­ten Stel­le, wie ge­stern Abend in druck­frisch und vor ei­ner Wo­che im Stu­dio LCB im DLF. Lang­sam ‑und sooo dra­ma­tisch emp­fand ich das The­ma nicht- müß­te es doch mal gut sein.

  16. Wie­der schö­nen Dank für de In­fo; Scheck schaue ich ei­gent­lich nicht. Schö­ne Epi­so­de, die zeigt, »wie der Be­trieb tickt«.

    Dass das The­ma so­lan­ge kö­chelt hat na­tür­lich mit dem neu­en Buch zu tun. An­de­rer­seits ist »der Be­trieb« ja sehr nach­tra­gend. Wenn Le­witschar­off am En­de des In­ter­views sagt, sie »hofft«, dass die Re­de in zwei Jah­ren kei­ne Rol­le mehr spie­len wird, so irrt sie. Die Re­de wird sie noch in zehn, zwan­zig Jah­ren ver­fol­gen. Ne­ben der Be­zeich­nung »Büch­nerpreis­trä­ge­rin« wird sie im­mer wie­der mit dem At­tri­but »um­strit­ten« ver­se­hen und ger­ne und mut­wil­lig falsch aus dem Text zi­tiert wer­den.

  17. Ein letz­tes Wort zu El­ke Hei­den­reich von El­ke Hei­den­reich:
    »Es ist ein hin­rei­ßen­des Buch. Es hat al­les, was ich mir von ei­nem Buch wün­sche: Witz, Wär­me, ei­ne fei­ne, sehr poe­ti­sche Spra­che, ei­ne groß­ar­ti­ge Ge­schich­te, es hat Mensch­lich­keit und Span­nung und be­rührt den Le­ser über das Per­sön­li­che der Fa­mi­li­en­ge­schich­te hin­aus auch da, wo es weh tut: bei der Er­in­ne­rung an die ei­ge­ne Kind­heit, an Ver­lu­ste, an frü­he Tren­nun­gen.«
    Das muß man wohl nicht kom­men­tie­ren.
    Was ich mir von ei­nem Buch wün­sche: daß es nicht mit sol­chen Sät­zen be­wor­ben wird. Das (un­ge­le­se­ne) Ta­schen­buch, auf des­sen Deckel ich die­se Sät­ze fand, muß nun lei­der aus mei­ner Bi­blio­thek ver­schwin­den.
    Was ich mir vom Li­te­ra­tur­club wün­sche: daß er uns wei­te­re Auf­trit­te von E.H. er­spart. Mit Ste­fan Zwei­fel hat die Sen­dung ge­won­nen, aber wenn ich wei­ter­hin E.H. in Kauf neh­men muß, er­spa­re ich sie mir in Zu­kunft.

  18. @Thomas Resch­ke
    Ihr Wunsch ist auch mein Wunsch, aber er wird ver­mut­lich nicht ein­tre­ten. Die Da­me hat ein gro­ßes Steh­ver­mö­gen.

    (Rou­auds »Die Fel­der der Eh­re« war ja viel bes­ser; »Ha­dri­ans Vil­la...« ist ein ty­pi­scher Zweit­ling.)

  19. ...und »vie­le Fans« hat sie auch, glaubt je­den­falls die Re­dak­ti­on des Li­te­ra­tur­club.
    E.H. zu nö­ti­gen, Heid­eg­ger zu le­sen, grenzt ja wohl an Sa­dis­mus; oder will man se­hen, wie be­last­bar die Da­me ist? So­viel hat sie von M.R.-R. im­mer­hin ge­lernt: wenn es schwie­rig wird, liest sie das Buch ein­fach nicht und gibt trotz­dem ih­ren Senf da­zu. Dann bin ich schon auf die zu er­war­ten­de Neu­über­set­zung des »Ulysses« ge­spannt!

    (Kom­pli­ment! Oder ge­goo­gelt? – »Ha­dri­ans Vil­la« – das ty­pi­sche Zweit­buch, das man dann doch nicht liest.)

  20. Nein, na­tür­lich ge­goo­gelt; kein Kom­pli­ment al­so.

    E. H. ist be­liebt, weil sie für vie­le Le­ser (be­son­ders Le­se­rin­nen) ei­ne emo­tio­na­le und ge­sin­nungs­spe­zi­fi­sche Iden­ti­fi­ka­ti­on an­bie­tet und ver­kör­pert. Sie schert sich nicht um li­te­ra­ri­sche Kri­te­ri­en, son­dern gibt rei­ne Ge­schmacks­ur­tei­le ab, die al­len­falls tau­to­lo­gisch be­grün­det wer­den. Wie oft sie schon ge­sagt hat, dass sie al­les von ei­nem Au­tor ge­le­sen hat. Oder dass sie al­les von X gut fin­de. Das sind na­tür­lich über­haupt kei­ne Kri­te­ri­en, aber ge­nau das wol­len die Leu­te hö­ren. Sie wol­len Emp­feh­lun­gen in die­ser Un­über­sicht­lich­keit, die sich am En­de aber bit­te nicht zu kom­pli­ziert aus­ma­chen. Ihr Im­pe­ra­tiv »Le­sen!« ist ja Ernst ge­meint – und auch nicht: Heid­eg­ger, Le­witschar­off oder an­de­re bö­se On­kels bit­te nicht.

    Am mei­sten schockiert in der Sen­dung hat mich der Ap­plaus nach ih­rer ver­ba­len Dif­fa­mie­rung zu Le­witschar­off. Ich fra­ge mich dann, wel­che Voll­trot­tel das be­klat­schen bzw. was die von Le­witschar­off ge­le­sen ha­ben.

    E. H. ist na­tür­lich auch bei Ver­la­gen und Buch­händ­lern be­liebt. Die Grün­de sind fast iden­tisch. Von Li­te­ra­tur sel­ber hat sie noch we­ni­ger Ah­nung als Reich-Ra­nicki Ger­ma­ni­stik-Stu­di­um hin oder her. Ih­re Lo­be sind, wenn sie nicht tau­to­lo­gisch sind, zu­meist un­fass­bar pein­lich und wo­mög­lich auch nicht im­mer frei von »be­trieb­li­chen« Über­le­gun­gen. Für Wer­ber ist ein sol­cher Schwulst wun­der­bar; die Leu­te le­sen das viel­leicht gar nicht so ge­nau, sie hö­ren nur den Ton und grei­fen zu.

    (»Ha­dri­ans Vil­la« ha­be ich ge­le­sen und ge­ra­de das Über­zucker­te dar­an hat mir dann nicht so ge­fal­len. Ob­wohl es na­tür­lich in den Ka­non von E. H. sehr gut passt.)

  21. Den­nis Scheck und DLF neh­men in so­ge­nann­ten Li­te­ra­tur­skan­da­len im­mer die Con­tra-Po­si­ti­on ein: Die fin­den Le­witschar­off jetzt toll, weil »die an­de­ren« sie doof fin­den. Di­stink­ti­ons­ge­winn oh­ne gro­ße in­tel­lek­tu­el­le An­stren­gung. So ähn­lich lief es auch bei der »Negerkind«-Debatte um Preuß­lers Kin­der­bü­cher.

  22. De­nis Scheck fin­det Si­byl­le Le­witschar­off schon län­ger »toll« und nicht erst jetzt; sie­he die Druck­frisch-Sen­dun­gen vom 1.3.2009 (zu »Apo­stol­off«) und vom 23.10.2011 (zu »Blu­men­berg« – Zi­tat: »sprach­mäch­tig, de­tail­reich, ori­gi­nell, psy­cho­lo­gisch und lie­be­voll« er­zählt); auch zur Dresd­ner-Re­de kann ich kei­ne »Con­tra-Po­si­ti­on« ent­decken; im Ge­gen­teil: »Jetzt tei­le ich Ih­re An­sich­ten über künst­li­che Re­pro­duk­ti­ons­tech­ni­ken gar nicht« – De­nis Scheck in der Druck­frisch-Sen­dung vom 5.5.2014 im Ge­spräch mit Si­byl­le Le­witschar­off, al­ler­dings be­klagt er den »shits­torm«, der an die Stel­le ei­ner sach­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung ge­tre­ten ist.
    Man möch­te mal wie­der an das be­rühm­te Ro­sa-Ku­xem­burg-Zi­tat er­in­nern.

  23. Scheck hof­fiert ja na­he­zu die ge­sam­te Crè­me de la Crè­me des Be­triebs. Na­tür­lich die Al­ten (En­zens­ber­ger, Wal­ser, Grass) und auch die­je­ni­gen, die im Be­trieb »an­ge­sagt« sind. Da­zu ge­hö­ren auch Leu­te wie F. C. De­li­us, Fe­li­ci­tas Hop­pe und eben Si­byl­le Le­witschar­off. Be­rüh­rungs­äng­ste zum Tri­via­len hat er kei­ne, was sei­ne Hym­nen auch auf Fi­gu­ren wie Schät­zing zei­gen. Für ei­nen Le­se-Tip von Cor­ne­lia Fun­ke, der noch nicht ein­mal ei­ne Mi­nu­te in der Sen­dung aus­macht, fliegt er nach L. A. (Sei­ne heim­li­che Lei­den­schaft gilt na­tür­lich der US-ame­ri­ka­ni­schen Li­te­ra­tur.)

    Die Au­toren­in­ter­views ha­ben noch nicht ein­mal den Hauch ei­nes Er­kennt­nis­wil­lens. Man kann ja Schrift­stel­ler de­vot be­fra­gen, aber dann soll­te min­de­stens ein Er­kennt­nis­ge­winn für den Le­ser her­aus­sprin­gen. Das ge­schieht prak­tisch nie. Da­für setzt er auf spe­zi­el­le mu­si­ka­li­sche Un­ter­ma­lun­gen und/oder Schnitt­fol­gen. Un­ver­ges­sen auch für mich als er ei­nen is­län­di­schen Au­tor be­such­te und in­ter­view­te, der mit ei­ner Art Gey­sir ba­de­te. Scheck – wie üb­lich im An­zug mit Kra­wat­te und Ein­steck­tuch – leg­te sich ein­fach da­zu. Er sah aus wie ein nas­ser Hund.

    Scheck folgt fast im­mer ei­ner kom­mer­zi­el­len Feuil­le­ton­li­nie des Groß­schrift­stel­ler­tums, die na­tür­lich nur im Aus­nah­me­fall ein best­sel­ler­fä­hi­ges Pro­dukt her­vor­bringt. So kann er Schät­zings Buch nicht weg­schmei­ssen, weil er ihn in ei­ner vor­he­ri­gen Sen­dung hof­fiert hat.

    »Druck­frisch« ist ei­ne Sen­dung, in der prak­tisch kei­ne Li­te­ra­tur­kri­tik ge­übt wird. Selbst die Kom­men­tie­rung der Best­sel­ler­li­sten (die es im DLF ja auch gibt) mit an­schlie­ßen­dem Ton­nen­wurf (im schlimm­sten Fall), hat kaum ent­spre­chen­de Ele­men­te. Hier de­lek­tiert er sich am schlech­ten Ge­schmack der Mas­se. Das kann man ma­chen, aber die über­bor­den­de In­sze­nie­rung stört mich schon wie­der.

  24. D’­ac­cord. Daß es sich hier nicht um Li­te­ra­tur­kri­tik han­delt, ist wohl klar. In mei­ner Re­plik ging es nur um die Be­haup­tung, De­nis Scheck fän­de die Le­witschar­off »jetzt toll, weil ‘die an­de­ren’ sie doof fin­den.« Ich hat­te bei dem di­stanz­lo­sen En­thu­si­as­mus eher den Ver­dacht, daß da ei­ne ge­wis­se lands­mann­schaft­li­che Ver­bun­den­heit ei­ne Rol­le spielt; bei­de stam­men ja aus Stutt­gart; aber ich kann mich täu­schen.
    Wo fin­det Li­te­ra­tur­kri­tik ei­gent­lich noch statt? Ich ha­be den Ein­druck, daß vie­le Kri­ti­ker Ro­ma­ne, die sie zu be­spre­chen ha­ben, nur an­le­sen oder über­flie­gen. Wir ha­ben ja wohl al­le noch in Er­in­ne­rung, daß M.R.-R. den vier­ten Rab­bit-Ro­man von John Up­dike im Li­te­ra­ri­schen Quar­tett über den grü­nen Klee lob­te; ei­ni­ge Wo­chen spä­ter in der Wo­chen­end­bei­la­ge der FAZ dann aber ge­stand, er ha­be ihn da­mals gar nicht ge­le­sen und ge­glaubt, Up­dike kön­ne und müs­se man im­mer lo­ben; aber jetzt, nachem er ihn doch noch ge­le­sen ha­be, fän­de er ihn gar nicht gut.
    In der FAZ be­haup­te­te un­längst ein nicht un­re­nom­mier­ter Kri­ti­ker, es han­de­le sich bei der Neu­aus­ga­be ei­nes Klas­si­kers im Ma­nes­se-Ver­lag um ei­ne Neu­über­set­zung von Klaus Mo­dick; die al­te Über­set­zung von Fried­helm Ra­th­jen ha­be auch ih­re Me­ri­ten, die neue sei aber vor al­lem, was das nau­ti­sche Vo­ka­bu­lar be­tref­fe, ge­nau­er. Als ich per E‑Mail dar­auf hin­wies, es hand­le sich um die­sel­be Über­set­zung wie die aus dem Jah­re 1998 und »Die Eb­be« von R.L.Stevenson sei schon da­mals von Mo­dick und nicht von Ra­th­jen über­setzt wor­den (»Schatz­in­sel« und Er­zäh­lun­gen in der­sel­ben drei­bän­di­gen Aus­ga­be im Haff­mans Ver­lag wa­ren al­ler­dings von Ra­th­jen über­setzt), ver­schwand der Ab­schnitt über die Über­set­zung aus der On­line-Aus­ga­be und in der näch­sten Druck­aus­ga­be er­schien ei­ne Ent­schul­di­gung, nicht oh­ne den Hin­weis, Mo­dick ha­be die al­te Über­set­zung über­ar­bei­tet.
    Das mag jetzt al­les sehr klein­lich klin­gen, doch mir wur­de da­bei ei­nes klar: der Kri­tik ist nicht zu trau­en. Viel­leicht ist es die Über­for­de­rung der Kri­ti­ker, viel­leicht er­zwingt der Be­trieb ei­ne sol­che Ober­fläch­lich­keit; was auch im­mer, wo­zu braucht man ei­ne sol­che Li­te­ra­tur­kri­tik?

  25. Ich ha­be mich nicht prä­zi­se ge­nug aus­ge­drückt: Dass Scheck sich für sei­ne paar Mi­nu­ten Sen­de­zeit Le­witschar­off holt, war ich mir si­cher. Der funk­tio­niert ja ver­läss­lich wie der Du­racell-Auf­zieh­ha­se –ge­ra­de weil er sich ja ger­ne zum Li­te­ra­tur­kri­tik-Out­law sti­li­siert. Und sein Fai­ble für die an­gel­sä­chi­sche Li­te­ra­tur ist ja auch eher ober­fläch­li­cher Na­tur: Wer die Li­te­ra­tur­sei­te der New York Times und der Wa­shing­ton Post ver­folgt, weiß im­mer, was Herr Scheck gut fin­det. Dar­über­hin­aus nimmt der kaum was wahr. De­cou­vrie­rend ist ja auch, wie un­glaub­lich feuil­le­ton-kon­form sei­ne an­geb­lich nicht-kon­for­men Lieb­lin­ge sind: Man fin­det bei ihm gar nichts, was nicht ge­ra­de ir­gend ei­ner Mo­de ent­spricht. Und als gro­ßer Pyn­chon-Fan ha­be ich den star­ken Ein­druck, dass der von den letz­ten Ti­tel kein ein­zi­ges zu En­de ge­le­sen hat.

  26. »Wo­zu braucht man ei­ne sol­che Li­te­ra­tur­kri­tik?« – Gu­te Fra­ge. Wer ist den der Adres­sat die­ser Shows? Li­te­ra­tur­fans und Viel-Le­ser wie wir kön­nen es kaum sein, Fans von Schmö­ker-Li­te­ra­tur (oh­ne gro­ße li­te­ra­ri­schen Am­bi­tio­nen) ei­gent­lich auch nicht (die se­he ich eher bei Hei­den­reich, aber so rich­tig passt das auch nicht). Wen pei­len die Pro­gramm­ma­cher al­so an? Das ist mir völ­lig schlei­er­haft.

  27. Da kann mal se­hen, wo­zu Kom­men­ta­re nütz­lich sein kön­nen: Man stößt mit drei, vier Per­so­nen zum Kern der Sa­che vor. Wer braucht »Druck­frisch«, »Das blaue So­fa« oder ähn­li­chen Quark (von dem ich ei­gent­lich im­mer noch den »Li­te­ra­tur­club« aus­neh­men möch­te)? Viel­leicht der Ge­le­gen­heits­le­ser, der drei Bü­cher im Jahr liest? Die »Das gu­te Buch«-Fraktion, die bei Le­sun­gen ih­rer Lieb­lin­ge an­däch­tig ap­plau­diert und sich dann für ei­ne Wid­mung in die Schlan­ge stellt ‑vor­her noch ha­stig die Fo­lie ent­fer­nend? Zahn­arzt­frau­en, die die Bi­blio­thek auf­fül­len? Rent­ner, die als letz­tes Buch von Hand­ke »Die Stun­de der wah­ren Emp­fin­dung« ge­le­sen ha­ben und Walsers »Flie­hen­des Pferd« im­mer noch avant­gar­di­stisch emp­fin­den? Kei­ne Ah­nung.

    Ich ha­be ei­gent­lich nur ei­ne Er­klä­rung: Sol­che Sen­dun­gen sind Fei­gen­blät­ter des öf­fent­lich-recht­li­chen Fern­se­hens. Sie er­fül­len ei­ne Quo­te – und zwar die »Kul­tur­quo­te«. Was na­tür­lich um­so bit­te­rer ist, denn da könn­te man durch­aus mehr ma­chen.

    Wel­cher Kri­tik traue ich noch? Ich hö­re fast nur noch Ra­dio. Leu­te wie Böt­ti­ger, Eber­hard Falcke oder im Sach­buch­be­reich Ar­no Orz­es­sek ge­win­ne ich meist et­was ab. Auch Flo­ri­an Fe­lix Weyh, Stäb­lein und in Gren­zen Si­blew­ski. Un­ver­ges­sen und zu sel­ten: Mar­tin Lüd­ke, der frü­her in Fern­se­hen der­art ver­quer fra­gen konn­te, dass er am En­de die Fra­ge sel­ber nicht mehr ver­stand. Der »Büchermarkt«-Redaktion (Scheck, Stei­nert, Win­kels, Gut­zeit) be­geg­ne ich eher mit Skep­sis.

    Wenn ich es schaf­fe, ein Kul­tur­zeit-Kri­ti­ker­ge­spräch nicht zu ver­pas­sen, dann in­ter­es­siert mich be­son­ders Ina Hart­wig (die oder Pia Reina­cher oder am be­sten bei­de ge­hör­ten in den »Li­te­ra­tur­club« statt E. H). Frü­her noch Ra­disch. Frü­her; da­mals.

    Et­li­che er­tappt man da­bei, wie sie ein Buch nicht bzw. nicht zu En­de ge­le­sen ha­ben. Bla­ma­bel, bla­ma­bel. Die Zeit, die ich spa­re, sol­che Leu­te nicht mehr zu le­sen, zu hö­ren, ha­be ich wie­der mehr zur Lek­tü­re.

  28. Das ver­mu­te ich auch, Gre­gor Keu­sch­nig. Die Sen­dun­gen er­fül­len den »Kul­tur­auf­trag«, oh­ne zu er­ra­tisch im son­sti­gen Un­ter­hal­tungs­pro­gramm her­um­zu­ste­hen. (Lei­der auf beim Deutsch­land­ra­dio.) Prin­zi­pi­ell Li­te­ra­tur­in­ter­es­sier­te wie mein Mann blei­ben dann – eher zu­fäl­lig – da­bei hän­gen und füh­len sich ganz un­ter­halt­sam über ak­tu­el­le Li­te­ra­tur in­for­miert. (So hat er sich je­den­falls ge­ra­de als spo­ra­di­scher Scheck-Hö­rer be­schrie­ben.)
    Auf­grund un­se­rer Dis­kus­si­on hier ma­che ich mir ge­ra­de Ge­dan­ken, wo­her ich ei­gent­lich mei­ne An­re­gun­gen für mir un­be­kann­te Li­te­ra­tur so be­kom­me: Blogs und Tipps mei­ner Face­book- und Twit­ter-Com­mu­ni­ty, News­let­ter und Web­sites der Ver­la­ge, die ein Pro­gramm ma­chen, das mir ge­fällt, und ein paar Literatur/Kulturmagazine (die mei­sten aber nicht deutsch); FAZ und NZZ Feuil­le­ton.

  29. Viel­leicht muss man die Auf­ga­be des Kri­ti­kers an­ders de­fi­nie­ren, von der Er­war­tung weg­ge­hen, dass noch ir­gend­je­mand ei­nen Über­blick ha­ben und sa­gen kann: »die­se Bü­cher sind gut, sie müs­sen ge­le­sen wer­den« (dar­aus muss Über­for­de­rung re­sul­tie­ren, mit den be­kann­ten Phä­no­me­nen); viel wich­ti­ger wä­re, dass die ver­schie­de­nen Me­di­en un­ter­schied­li­che Ti­tel auf­grei­fen und kom­pe­tent be­spre­chen, al­so nicht zehn­mal das­sel­be Buch auf­taucht (mehr brau­che ich für mei­nen Teil ei­gent­lich nicht).

    Ich ken­ne Vielleser die Scheck mö­gen, die ein gu­tes Ge­spür für Li­te­ra­tur be­sit­zen, aber an den li­te­ra­ri­schen Dis­kus­sio­nen, Feuil­le­ton­de­bat­ten und lan­gen Be­spre­chun­gen, im Ge­gen­satz zu Le­sun­gen we­nig in­ter­es­siert sind (das könn­te durch­aus ei­ne grö­ße­re Zahl sein).

    Ich ha­be kei­ne spe­zi­el­le In­for­ma­ti­ons­stra­te­gie, weil ich so­wie­so auf mehr Bü­cher sto­ße, als ich le­sen kann (und die sy­ste­ma­ti­sche Su­che auch nicht mei­ne Sa­che ist).

  30. @metepsilonema
    Die von mir so ge­nann­te »Gut-Buch-Frak­ti­on« möch­te na­tür­lich wei­ter­hin glau­ben, dass es da ei­nen Lot­sen gibt, der die Über­sicht be­hält. Selbst wenn man ih­nen sagt, dass es 90.000 oder 100.000 Neu­erschei­nun­gen im Jahr gibt – sie glau­ben fest dar­an, dass ih­nen Frau X oder Herr Y wie ein Gold­schürfer die Nug­gets her­aus­sucht.

    Neu­lich in ei­ner Re­de zum Leip­zi­ger Buch­preis er­zähl­te der Kri­ti­ker Hu­bert Win­kels, dass die Ju­ry 400 Bü­cher ge­le­sen ha­be um ei­ne Aus­wahl zu tref­fen. Das ist – freund­lich for­mu­liert – al­lei­ne zeit­lich un­mög­lich. Geht man da­von aus, dass die Kri­ti­ker ei­ne Halb­sai­son Neu­erschei­nun­gen le­sen, al­so rund 6 Mo­na­te, so müss­ten sie min­de­stens zwei Bü­cher am Tag le­sen – und da­bei nichts an­de­res (be­ruf­li­ches) tun. Jetzt bleibt die klei­ne Hin­ter­tür, ob die ge­sam­te Ju­ry 400 Bü­cher ge­le­sen hat oder je­der Juror/Jurorin ein­zeln. Den­noch: Der Tür­hü­ter-My­thos (sie­he Man­gold-Po­sting) fei­ert hier fröh­li­che Ur­ständ.

    Ich stel­le mal die The­se auf, dass die Un­zu­frie­den­heit mit der Li­te­ra­tur­kri­tik pro­por­tio­nal zur Le­se-In­ten­si­tät des Re­zi­pi­en­ten steigt. Wer we­nig oder nur ge­le­gent­lich liest, fin­det die Leu­te gut, usw.

    Vor­satz für 2015 [jetzt schon ma­chen, um ihn viel­leicht im Lau­fe des Jah­res zu ver­ges­sen]: Sich über die Li­te­ra­tur­kri­tik nicht mehr auf­re­gen, ihr nur noch die Feh­ler um die Oh­ren hau­en und an­son­sten das Sy­stem des Be­triebs nicht mehr als sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig zu neh­men.

  31. @metepsilonema:
    So hab’ ich das noch gar nicht ge­se­hen: Man hat eh im­mer zu­vie­le Bü­cher auf sei­ner Le­se­li­ste, wo­zu dann noch Li­te­ra­tur­kri­tik le­sen. Das stimmt. Al­lein wenn ich mal die Klas­si­ker lä­se, die ich noch nicht durch ha­be, brauch­te ich ver­mut­lich für die näch­sten 20 Jah­re (wenn nicht die näch­sten 50 Jah­re) kein ein­zi­ge Neu­erschei­nung zur Kennt­nis neh­men. War­um mach’ ich das al­so? Ein biss­chen bin ich auf der Su­che nach ver­wand­ten See­len, aber die fin­de ich in Blogs und So­cial Me­dia viel bes­ser (und vor al­lem spre­chen die auch mit mir und nicht nur für mich; DANKE, In­ter­net!), aber ich hof­fe auch im­mer noch, dass ich von Leu­ten, die das be­ruf­lich ma­chen, mal auf Au­toren und Bü­cher ge­sto­ssen wer­de, die eben nicht eh schon auf mei­nem Ra­dar sind. Und das sind die deut­schen Feuil­le­tons re­la­tiv lau­sig, Blogs wie Books­lut, Be­gleit­schrei­ben oder Glanz und Elend aber ziem­lich gut.
    (No­tiz an mich selbst: Feuil­le­tons igno­rie­ren, mehr Klas­si­ker le­sen. Und Blogs.)

  32. @Doktor D:
    Ich kann Ih­nen nur Wort für Wort zu­stim­men. Lei­der ha­be ich nicht mehr 50 Jah­re Zeit und viel­leicht auch kei­ne 20 mehr, wes­halb der Vor­satz, kei­ne ein­zi­ge Neu­erschei­nung mehr zur Kennt­nis zu neh­men und sich auf die Klas­si­ker* zu kon­zen­trie­ren (nicht nur die Bil­dungs­lücken zu fül­len, son­dern die gro­ßen Wer­ke auch wie­der­zu­le­sen), ei­ne ganz be­son­de­re Dring­lich­keit er­hält. Im Ver­lau­fe des hier statt­fin­den­den Ge­sprächs (Gre­gor Keu­sch­nig sei Dank!) ist mir klar ge­wor­den, daß ich we­ni­ger auf der Su­che nach An­re­gun­gen bin – ich weiß im­mer, was ich als näch­stes le­sen will, da­zu brau­che ich kei­ne Literatur»kritik« – als auf der Su­che nach Gleich­ge­sinn­ten, nach lei­den­schaft­li­chen Le­sern, mit de­nen man über das Ge­le­se­ne spre­chen kann. Und die ha­be ich in mei­nem Freun­des­kreis und fin­de sie ge­le­gent­lich im In­ter­net.
    *Den Be­griff Klas­si­ker möch­te nicht all­zu eng se­hen. Ge­ra­de ha­be ich mei­nen Ray­mond-Que­neau-Be­stand kom­plet­tiert; da­für fliegt dann der ei­ne oder an­de­re Sai­son­ar­ti­kel raus.
    P.S. Er­kennt­nis im Mo­der­nen An­ti­qua­ri­at: Die Neu­erschei­nun­gen von ge­stern sind der Ramsch von heu­te. In die­sem Lich­te se­hen die auf­dring­li­chen Neu­erschei­nun­gen von heu­te ganz an­ders aus. Aber ge­ra­de ha­be ich mir den neu­en Ro­man von Da­ni­el Pen­nac ge­kauft...

  33. Ja­ja, die Klas­si­ker. Je­der Le­ser hat wohl so sein Pro­gramm noch, dass er un­be­dingt le­sen (wieder)möchte (oder ein­fach nur vor sich her schiebt). Mir geht es na­tür­lich ge­nau so. Den­noch: Die Kon­se­quenz, mich aus­schließ­lich auf die Klas­si­ker zu stür­zen, ha­be ich noch nicht ge­zo­gen. Li­te­ra­tur ist für mich wie ein gro­ßes Na­tur­re­ser­vat, teil­wei­se ur­wald­ähn­lich. Klas­si­ker sind da­bei die gro­ßen, zum Teil schon aus­ge­tre­te­nen We­ge, die wun­der­ba­re Aus­sichts­punk­te und Na­tur­schön­hei­ten und auch Rast­plät­ze ver­spre­chen. Und dann gibt es die un­weg­sa­men Tram­pel­pfa­de, die nicht im Rei­se­füh­rer ste­hen und über de­ren Vor­zü­ge kaum je­mand zu be­rich­ten weiß. Sie füh­ren oft ge­nug ins Nichts; man muss dann um­keh­ren oder ei­nen an­de­ren Tram­pel­pfad ge­hen, der ei­nem wie­der auf ei­nen halb­wegs ge­si­cher­ten Weg brin­gen soll. Das sind die Neu­erschei­nun­gen, die zeit­ge­nös­si­sche Li­te­ra­tur. Wid­met man sich ihr, so nimmt man das Schei­tern in Kauf. Die Fra­ge ist ja »Was bleibt von X«? bzw. »Wer bleibt«? Wer wird zum Klas­si­ker wer­den, wenn un­ser­eins schon längst das Zeit­li­che ge­seg­net hat? Aber des­we­gen liest man ja nicht. Nicht nur.

    Ein an­de­rer Punkt hat mich sehr nach­denk­lich ge­stimmt, als ich die Ta­ge­bü­cher von Rad­datz ge­le­sen ha­be: Er liest ja tat­säch­lich ei­ni­ge Klas­si­ker zum zwei­ten oder drit­ten Mal. Und ei­ner nach dem an­de­ren fällt in Un­gna­de, ob Vir­gi­nia Woolf, Tol­stoi, Proust, Dö­b­lin oder Bal­zac. Selbst an Goe­thes »Wahl­ver­wandt­schaf­ten« mä­kelt er her­um. Die »Bud­den­brooks« sei­nes gott­glei­chen Tho­mas Mann be­stehen zwar, aber der »Fe­lix Krull« nicht. Das an­ge­neh­me bei Rad­datz ist, dass er dies nicht nur be­grün­det, zum an­de­ren auch dar­über re­flek­tiert und sich bspw. fragt, ob er auch dar­in ir­ren könn­te. Oder, und das ist die in­ter­es­san­te­ste Fra­ge, ob er »da­mals« ge­irrt ha­be.

    Na­tür­lich ver­än­dern sich mit den Jahr­zehn­ten der Lek­tü­re auch die An­sprü­che. Ich sel­ber le­se Bü­cher, bei de­nen ich be­fürch­ten könn­te, dass sie ei­ner zwei­ten Lek­tü­re Jah­re spä­ter nicht mehr stand­hal­ten könn­ten, vor­sorg­lich nicht mehr (wenn ich es nicht um ei­ne ge­wis­se Er­kennt­nis her­aus möch­te oder gar glau­be zu müs­sen). Hält die Be­gei­ste­rung, die man einst für Bu­kow­ski oder Sel­bys »Letz­te Aus­fahrt Brook­lyn« emp­fun­den hat auch heu­te noch? Oder war das nur an ei­ne ge­wis­se Zeit und/oder Stim­mung ge­bun­den? Wie ist das mit Böll, Max Frisch, Dür­ren­matt? Streng ge­nom­men sind das (noch) kei­ne »Klas­si­ker«, aber sie ha­ben doch – fin­de ich – zum Teil schon durch­aus Staub an­ge­setzt. Kann man den so ein­fach weg­wi­schen?

    Da ha­be ich dann noch gar nicht von Kaf­ka oder ähn­li­chen »Hel­den« ge­spro­chen. Phi­lo­lo­gen mag ja die Rei­hen­fol­ge der »Prozeß«-Kapitel in­ter­es­sie­ren, aber wenn ich das ein­mal ge­le­sen ha­be weiss ich doch Be­scheid, oder? Fast in­ter­es­san­ter fin­de ich in­zwi­schen Kaf­kas kur­ze Er­zäh­lun­gen, Ver­dich­tun­gen gleich. Und Or­wells »1984« oder Hux­leys »Bra­ve New World« sind doch auch fast nur noch Zi­tat­e­re­se­voir.

    Dann die rich­ti­gen Klas­si­ker, die Mensch­li­ches ver­han­deln, wel­ches zeit­los ist. Ja, die gibt es und sehr vie­le von ih­nen har­ren in mei­ner vir­tu­el­len Lese-»To-Do«-Liste (schreck­li­ches Wort; bit­te gleich wie­der strei­chen). Aber das ist et­was, was »si­cher« ist, es sind eben die­se schö­nen, brei­ten We­ge mit präch­ti­gen Aus­sichts­punk­ten und gut aus­ge­bau­ten Quar­tie­ren, die ei­nem ei­ne woh­li­ge Nacht ver­spre­chen. Die kann man im­mer noch ge­hen und be­su­chen. Jetzt erst ein­mal wie­der auf dem Tram­pel­pfad. Das Zelt ein­ge­packt. Es ist müh­se­lig und oft ge­nug des­il­lu­sio­nie­rend. Aber manch­mal auch schön.

  34. Die Un­zu­frie­den­heit steigt mit der Le­se­men­ge, wenn man sich für das »gro­ße Ge­spräch« über Li­te­ra­tur (jen­seits von Un­ter­hal­tun­gen) in­ter­es­siert (ich glau­be, dass für vie­le ein­fach das Le­se­er­leb­nis mehr zählt).

    Ich le­se na­tür­lich auch Kri­ti­ken, aber eher nach dem Prin­zip Zu­fall (Aus­nah­me: Be­gleit­schrei­ben) und nicht über­mä­ßig häu­fig (die pri­mä­ren Tex­te sind ein­fach wich­ti­ger; ich bin ein lang­sa­mer Le­ser). Klas­si­ker auch ger­ne, aber nicht nur (ja, da gibt es furcht­bar viel). — Was an der neu­en Li­te­ra­tur be­son­ders ist, dass man mit­un­ter we­ni­ger vor­ein­ge­nom­men ist (und we­ni­ger aus­buch­sta­biert).

    Von Or­well und Hux­ley gibt es si­cher noch we­ni­ger be­kann­tes und trotz­dem gu­tes; und Kaf­kas Er­zäh­lun­gen sind mir manch­mal fast un­heim­lich (ja, sehr dicht, ich ha­be da ei­nen Band, den ich häu­fig auf Zug­fahr­ten mit­neh­me).

    Und mich freu­en die lo­ben­den Wor­te auf das Netz, mir geht es da ganz ähn­lich.

  35. Das hört sich in der Tat et­was merk­wür­dig an, ver­ste­he ich das rich­tig, dass trotz der »Ent­he­bung« noch ei­ne Chan­ce be­steht, dass Ste­fan Zwei­fel wie­der in die Sen­dung zu­rück­kehrt – der Ar­ti­kel sug­ge­riert fast schon die­se Mög­lich­keit (Ver­hand­lun­gen über die »Be­din­gun­gen« Zwei­fels etc.)? Hof­fen wir das Be­ste, je­den­falls wer­de ich höchst­wahr­schein­lich oh­ne Zwei­fel die Sen­dung ad ac­ta le­gen.

  36. Klei­ne Link­samm­lung: »Ste­fan Zwei­fel ab­ge­setzt« – Ta­ges­an­zei­ger. »Al­les un­ter Kon­trol­le?« – Ta­ges­an­zei­ger, Mar­tin Ebel. »Zwei­fel ver­liert Macht­kampf ge­gen Hei­den­reich« – Bas­ler Zei­tung, Be­ne­dikt Neff. »Knatsch im Le­se­zir­kel: War­um das SRF Mo­de­ra­tor Zwei­fel ab­setzt.« – An­na Kar­dos, Aar­gau­er Zei­tung (biss­chen arg sa­lopp). Und »Chan­cen­los«, Me­di­en­wo­che

  37. Dan­ke für die Zu­sam­men­stel­lung! Herr­lich der Hin­weis in Ih­rem Ar­ti­kel bei der Me­di­en­wo­che auf die »hek­ti­sche Leh­re­rin«, wuß­te gar nicht, dass Zwei­fel so ein Spitz­bu­be sein kann, das ge­fällt mir und ha­be sehr dar­über ge­schmun­zelt. Die heu­ti­ge FAZ (S.13) kol­por­tiert üb­ri­gens (»es geht auch um die Glaub­wür­dig­keit des Schwei­zer Fern­se­hens«), dass auch Heidn­reichs Po­si­ti­on in der Sen­dung »zur Dis­kus­si­on ste­hen soll«.

  38. Man soll­te ei­nen Kom­pro­miss schlie­ßen: Bar­ba­ra Vil­li­ger Hei­lig als Mo­de­ra­to­rin und wei­ter mit Zwei­fel und Sa­fran­ski als Kri­ti­ker. Hei­den­reich ‘raus. Für die vier­te Po­si­ti­on fie­len mir auch ein paar Na­men noch ein, aber das ist al­les Spe­ku­la­ti­tis.

    Und ja, man un­ter­schätzt Zwei­fel ge­le­gent­lich...

  39. GENDERMOBBING

    Ste­fan Zwei­fel ist gut, weil er als Pro­mi die Sel­ten­heit fi­li­gra­ner Wahr­neh­mungs-fä­hig­keit mit all der Fein­füh­lig­keit und den für Män­ner sel­te­nen Mut zur Sen­si­bi­li­tät dar­stellt bzw. ver­tritt bzw, als Mensch mit­bringt. Dass er von E.H. at­tackiert wur­de ist sym­pto­ma­tisch für den von ihr ver­tre­te­nen Bra­chi­al­stil, aber be­dau­er­lich für das Sen­de­for­mat 3SAT-Li­te­ra­tur­club und auch be­dau­er­lich für die Öf­fent­lich­keits­wir­kung von Li­te­ra­tur­kri­tik. Es sieht eher da­nach aus, dass E.H. En­ter­ab­sich­ten hat­te und hier mehr oder we­ni­ger das klas­si­sche, heut­zu­ta­ge wohl eher aus der Fe­mi­naecke kom­men­de Gen­der­mob­bing ge­gen ih­ren männ­li­chen Pen­dant Ste­fan Zwei­fel be­trieb.