ist Ihnen langweilig? Wie sonst sollte man Ihre dem »Focus« gegenüber gemachten Äußerungen interpretieren? Sie finden den Buchmarkt grausig, nur noch »Vampire, Trolle, Elfen, Morde«. Vielleicht hätten Sie noch »Katzen« ergänzen können? Das ist für Sie »der Buchmarkt«? Verwechseln Sie das nicht mit den sogenannten Bestsellerlisten? Wann haben Sie eigentlich zum letzten Mal eine Buchhandlung betreten? Nein, keine dieser Ketten mit T oder H. Mit Buchhandlung meine ich sowas hier. Diese Buchhandlung ist mein »Buchmarkt«. Nicht die Bestsellerlisten, die Sie mit dem »Buchmarkt« gleichsetzen. Aber es ist immer gut, ein kulturpessimistisches Lamento zu pflegen.
Sie möchten Ihre Büchersendung »Lesen!« wiederhaben. Und das, nachdem Sie sich nach Reich-Ranickis Fernsehpreisauftritt geschämt hatten im ZDF eine Sendung zu haben. Sie ergriffen Partei für Reich-Ranicki, der diese Parteinahme aber weder brauchte noch wollte. Er diskutierte mit Gottschalk, nicht mit Ihnen. Sie gingen dann ins Internet. Leider waren Ihre Zuschauer andere, als diejenigen, die im Internet so nach Büchern schauen. Ihre Marktmacht schwand dahin. Obwohl: Hätte mein Blog jemals Ihre Zugriffszahlen – da wäre ich hochzufrieden. Es ist immer eine Sache der Fallhöhe.
Jetzt wollen Sie wieder zurück. Und zwar ins Fernsehen. Ins ZDF. »Verleger, Buchhändler und Leser« würden dies wünschen, sagen Sie. Ich bin nicht repräsentativ, aber ich bin auch ein Leser, Frau Heidenreich. Und ich wünsche es nicht. Ich fand Ihre Sendung nämlich schrecklich. Ein Kaffeekränzchen ausgerichtet für Zahnarztfrauen, Bioladenbesitzer und sonstige Plot-Leser. All diese »Bücherwürmer« oder »Leseratten«, die das Gegenteil dessen sind, was Leser ausmachen.
Sie haben nicht einmal so etwas wie eine Entdeckung gemacht (im Gegensatz zu Reich-Ranickis Quartett). Mit Ihrem moralinsauren Sirenengesang haben sie Ihrem Publikum zielsicher Ohren und Augen für anderes verklebt. Aber man verließ sich auf Sie. Sie boten Orientierung. Aber der Orientierungslose weiß nicht, was er verpasst, wenn er immer nur Einem folgt.
Wenn Sie etwas nicht gelesen hatten, hielt es sie dennoch nicht davon ab, es in Seitenhieben abzuqualifizieren. Ihre Empfehlungen bestanden im Herunterleiern von Inhaltsangaben, die häufig genug auch noch Fehler enthielten. Am Ende dann das Urteil. Wenn Sie das jeweilige Buch dann aufstellten, hatte das etwas von religiöser Inbrunst. So wurde man schon durch den Kauf zu einem besseren Menschen. Sie vermittelten das Gefühl, die Anwältin des Lesers zu sein. Stattdessen waren und sind Sie auch ein Rädchen im Literaturbetrieb. Daher mögen Sie auch die Verleger so. Durch eine Erwähnung in Ihrer Sendung wurden die Bücher nämlich in die Einkaufslisten der Buchhandelsketten aufgenommen.
»60 Seiten gibt sie einem Buch, eine Stunde Lebens- und Lesezeit. Wenn es sie bis dahin nicht entflammt hat – vorbei.« So hieß es 2007 in einem Artikel in der FAZ. Ich sage Ihnen, was ich von solchen Akkord-VorleserInnen halte: Nichts.
Ich habe noch in Erinnerung, wie Sie die Vorzüge von Hörbüchern priesen: man könne sie während längerer Autofahrten hören. Ich will aber keine Literatur als Berieselung zu Autofahrten. Beziehungsweise: Das, was man als Berieselung hören kann, ist dann keine Literatur. Nicht einmal Literatur aus der »Mitte«. Literatur verlangt nämlich so etwas wie Zeit, Widmung, Empathie, Sich-Verlieren-Können. Das braucht mehr als eine Stunde Lebenszeit. Fast immer.
Wie »geht« Literatur im Fernsehen? Vor allem nicht um 10 Uhr am sonntags auf 3sat oder um 00.30 Uhr in irgendeinem dritten Programm. Und auch nicht als Wohlfühl-Zirkus. »Lesen!« war nicht die Lösung des Problems der Literaturrezeption im Fernsehen – die Sendung war Teil des Problems. Sie forcierten noch die Kernerisierung der Literaturkritik im Fernsehen. Mit den »Vorlesern« gab es immerhin Antipoden. Aber auch hier lud man lieber Schauspieler mit ihren Lieblingsbüchern ein, statt zu streiten. Vielleicht muss man auch anerkennen, dass sich Buch und Fernsehen am Ende ausschließen. Wer fernsieht, will eigentlich nicht wissen, wie er diese Zeit besser verbringen könnte. Die meisten Zuschauer von Kochsendungen kochen niemals das, was sie da sehen, nach.
Ob Sie nun Ihre Sendung wieder bekommen oder nicht – letztlich ist das gleichgültig. Aber bitte tun Sie nicht so, als hätten Sie den Königsweg gefunden und könnten dies als einzige. Das ist nicht nur anmaßend, sondern auch peinlich. Und bitte lassen Sie den »Leser« aus dem Spiel. Der hatte nämlich mit Ihrer Sendung noch nie etwas zu tun.
In diesem Sinne.
Wie »geht« Literatur im Fernsehen? So!
http://de.wikipedia.org/wiki/Lemmi_und_die_Schm%C3%B6ker
Hab´ ich alles gelesen! Alles!
Ja, vielleicht geht das nur so. Wenigstens für die Klassiker.
Polemik ist ja schön und gut
Man darf nur nicht vergessen, dass Frau H. nie angetreten war, Literaturkritik zu machen. Ihre Art der Literaturvermittlung konnte man mögen oder missachten. Man sollte es nur nicht mit Literaturkritik verwechseln – und das, was Literaturkritik im Fernsehen per se vermissen lässt, infolgedessen auch nicht auf »Lesen!« projizieren.
Grundsätzlich krankten viele Formate (auch die »Vorleser«) am Durchhecheln zu vieler Bücher und überhaupt am Umstand, zu sehr durchgetaktet zu sein. Hier drei Buchtipps in vier Minuten, dort eine Buchempfehlung des eingeladenen Gastes... Literaturkritik als Debatte lässt sich nicht wie eine Plasberg-Talkshow durchformatieren und kleinportionieren. Weniger ist mehr, wie der Literaturclub des Schweizer Fernsehens mit echten Kritikern, wenigen Büchern, gern auch thematischen Schwerpunkten noch mit am beständigsten beweist. Ob das, was Herles fürs ZDF ausbrütet, Literatur im TV neu erfindet, darf man eher bezweifeln.
Ich bin nicht sicher, ob das Diktum, Frau H. habe keine Ambitionen Literaturkritik zu betreiben, so klar ist. Sie rekurriert immer wieder darauf, mit den »Großen« mitzureden. Sie war ja diverse Male nicht nur Gast im Schweizer »Literaturclub« – sie hat ihn Anfang der 90er Jahre (1992–93?) sogar moderiert – sondern auch im Literarischen Quartett.
Die Ambitionen waren und sind schon da – nur eben auf andere Weise. Gewissermaßen volkstümlich. Schwens-Harrant (Deine Empfehlung) hat hierüber ziemlich eindeutig geschrieben.
Immer wieder komme ich bei dieser Gelegenheit auf die »Bestenliste«-Fernsehsendung des SWR mit Hubert Winkels zurück. Dort wurden vier oder fünf Bücher der Bestenliste des SWR auf unterschiedliche Art und Weise vorgestellt: Ein Buch im Kritikergespräch, eines im Streitgespräch pro und contra, eines durch ein Interview mit dem Autor, eines nur durch die Lesung aus einem Kapitel, usw. Es gab Promotion, Information und Kritik. Warum die Sendung nach anderthalb oder zwei Jahren eingestellt wurde (es gibt einen »Abklatsch« in Form eines Kritikergesprächs mit wechselnden Moderatoren allmonatlich im SWR2-Radio) weiss ich nicht. Vielleicht lag es daran, dass etliche potentielle Leser sonntags um 10.15 Uhr nicht unbedingt auf Literatur eingestellt waren/sind.
Hier geht es doch los. Was nutzen Sendungen um 23.00 Uhr oder sonntags um 10? Gar nichts. Das Nischendasein, dass die Literatur im Fernsehen fristet, hat damit zu tun. Um zu den genannten Zeiten überhaupt noch Interessenten zu erreichen, muss alles wunderbar kompatibel und leicht sein. Mario Adorf und Joachim Król müssen ihre Bücher vorstellen können, damit der Promi-Faktor erfüllt ist. Auseinandersetzung: Fehlanzeige. Wo bleibt der Bildungs- und Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen RUndfunks? Auf zdf.neo oder 3sat 00.30 Uhr beschränkt?
Eine Sendung wie »Lesen!« von Heidenreich wäre zu ertragen, wenn sie eine unter vielen Literaturprogrammen wäre. Aber nur dann.
Leser
Ich habe einen breiteren Begriff vom Leser als Frau Heidenreich und Herr Keuschnigg, und möchte kurz anmerken:
1. Zahnarztfrauen, Bioladenbesitzer und sonstige Plot-Leser sollen auch lesen. Was, wo, wann sie wollen. Sie sollen auch gern eine Büchesendung im Fernsehen haben. Gern auch über Katzenbücher.
2. ‘Hochliteratur’ ist nicht ‘unlesbar’, nur weil Frau Heidenreich sie nicht mag.
3. Frau Heidenreich täte gut daran, mal das Wort ‘Glaubwürdigkeit’ nachschlagen. Jemand, der freiwillig auf eine Preisverleihung geht, deren Ablauf wohl bekannt und vorhersehbar ist, danach seinen Arbeitgeber mit Spott überhäuft und jetzt das Arbeitsverhältnis wieder aufnehmen will, sollte nicht so entrüstet sein, wenn der Arbeitgeber das anders sieht. Das ist das eine. Diese ganze Niveaudebatte ist das andere, und da gebe ich Herrn Keuschnigg unumwunden recht. Frau Heidenreichs Sendung war eine Aneinanderreihung von Befindlichkeiten und Belanglosigkeiten, wie wir sie inzwischen aus allen möglichen Fernsehformaten (einschliesslich derer, die auf der von ihr so verachteten Veranstaltungen ausgezeichnet wurden) gewöhnt sind, und sie fehlt mir nicht. Den Focus-Lesern, die den kurzen Artikel kommentierten, übrigens auch nicht. Sie hat den Verkauf einzelner Titel in die Höhe getrieben (holla, Buchmarkt!), aber nichts Nachhaltiges oder auch nur Unterhaltsames zum Gespräch über das Lesen beigetragen. Stattdessen diese unangehme Mischung aus Elternabend (LESEN SIE!) und heruntergerasselten Inhaltsangaben.
Zu 1: Sie haben ja ihre Literatursendungen. Der Diskurs im Fernsehen über Literatur ist fast ausschließlich zielgruppenorientiert.
Das eigentliche Problem ist, dass das Fernsehen unverändert als DAS Massenmedium gilt (Frau Heidenreich hat dies durch ihren Ausflug ins Internet schmerzlich erfahren). Ein Lob jedweder Person im Fernsehen, eine Vorstellung in IIInach9 oder der NDR.Talkshow, ein Kulturzeit-Gespräch mit oder über einen Autor – all dies hat eine ungleich stärkere – verkaufsfördernde – Wirkung als ‑zig Radiofeuilletons, Zeitungsartikel oder gar Blogs. Gleichzeitig müssen sich solche Sendungen immer auch einer Legitimation unterwerfen, die sich in der sogenannten Quote zeigt. D. h. es gilt eher das Diktum, den potentiellen Zuschauer / Leser zu unter- als zu überfordern. Und das bestimmen nicht mehr unbedingt Redakteure, sondern übergeordnete Chargen, die andere Dinge im Kopf haben als die Literatur.
Heidensack
Ein toller Beitrag. Man muss ja auch gar nicht darüber streiten, was Literatur eigentlich ist. Jeder Leser wird das für sich klären. Schlimm ist, dass die Heidenreich, anstatt den Begriff »Literatur« zu problematisieren, so tat, als spräche sie für die Literatur. Und das hat sie bestimmt nicht getan. Sie sprach für die Bestsellerlisten. Was nicht schlimm ist. Auch das arbeitet der Literatur definitiv zu. Den Begriff der Literatur aber hat sie halt nicht abdeckt. Und daher Applaus für diese erfrischende Polemik des Begleitschreibers.
Ich stimme Ihnen ebenfalls voll zu, was Frau Heidenreich, ihr Geschmack und ihr Auftreten betrifft.
Ich erinnere mich: vor Monaten wollte ich (endlich) einen der etwas moderneren »Klassiker« kaufen die mir noch fehlten und schaute mich in meiner Buchhandlung um. Er hatte mehrere Ausgaben. Auf einer preiswerten Ausgabe stand auf über dem Titel: »Elke Heidenreich empfiehlt«. Ich kaufte ein etwas teureres.
Meine Gratulation für das neue Aussehen des Blogs.
Übersichtlich und ästhetisch, so muss es sein.
Jetzt ist es also raus: Das ZDF startet am 16. September das Blaue Sofa...
http://www.boersenblatt.net/451360/
... und hat darauf verzichtet, einen weiteren pseudo-origenellen Sendungsnamen zu finden. Passend scheint aber »Der Denis Scheck des ZDF«.
Und man darf auch schon rätseln, ob es dann auch wieder eine pseudo-originelle Abschiedsformel gibt. Literatur-TV-Moderatoren müssen sich ja immer ganz individuell vom Zuschauer verabschieden, vgl.
- So sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen (MRR am Schluss jeden Literarischen Quartetts)
– Lesen Sie wohl! (Iris Radisch, SF Literaturclub)
– Nehmen Sie ein gutes Buch mit ins Bett, denn Bücher schnarchen nicht (Thea Dorn, Literatur im Foyer)
– Ich verabschiede mich mit einem Zitat ... (Felicitas von Lovenberg, Literatur im Foyer)
– Lest schön! (Marc Langebeck, rbb quergelesen)
Denis Scheck? Christine Westermann? Jürgen von der Lippe? Elke Heidenreich? weiß ich jetzt grad alle nicht, aber die hatten/haben im Zweifelsfall bestimmt auch alleswas ach so Originelles. Ich finde diese gesuchten Abschiedsformeln stehen symptomatisch für den krampfigen Versuch, Literatur im TV zu machen...
Scheck hat m. W. keine Standard-Schlußformel. Er beginnt seine Sendung zumeist mit einer Art persönlicher Tip. Diese Ausführungen enden mit »...glauben Sie mir, ich weiss was ich tue« (sinngemäss).
Ich habe kürzlich drei »Literaturclub«-Sendungen en suite mehr gehört als gesehen (als Podcast) und festgestellt, wie stark die Sendung unter Radisch abgebaut hat. Eine Mitdiskutantin (deren Namen man vielleicht aus Gründen der Pietät verschweigen sollte) bekannte darin, dass »Michael Kohlhaas«, der in einer Sendung besprochen wurde (Kleist-Jahr!) ihre erste Kleist-Lektüre gewesen sei und sie sich nun die Gesamtausgabe bestellt habe.
Ich befürchte, dass aus diesem »Topf« der übernächste Nachfolger von Herles kommt.
Mir reicht es eigentlich schon zu wissen, daß der Herr einige Zeitlang als Redakteur Report aus München tätig war. Und Autor bei S. Fischer ist. Aber gut, mal sehen, wie andere Fischer-Autoren bei ihm so weg kommen. Manus manum lavat ja auch nur, wenn beide Hände überm Tisch sind.
Pardon, ich bezog mich auf Herles, hab ich zu erwähnen vergessen.
Tja, der gewisse »Stallgeruch« der Branche ist wohl unabdingbar, sonst wäre bei den Vorlesern niemals eine Frau Fried gewesen. Schau’mer mal wie’s wird.