»Literaturkritik – Eine Suche« ist mehr als nur eine Momentaufnahme aus dem »Betrieb«, der sich zumeist in Jammerei und mehr oder minder offener Publikumsbeschimpfung übt, wenn es um ihr Metier geht. Brigitte Schwens-Harrant, selbst Literaturkritikerin, liefert nicht nur eine profunde, wunderbar unaufgeregte Beschreibung des Ist-Zustandes, sondern entwickelt im weiteren Verlauf nichts Geringeres als eine Zukunftsperspektive für ihre Zunft. Dies alles in lakonischer und präziser Sprache, ohne in das abschreckende, letztlich nur selbstbeweihräuchernde Germanistensprech zu verfallen, welches sie berechtigterweise bei anderen moniert.
Es gibt schöne Gelassenheitsmomente der Autorin, etwa wenn sie die allgemeine Verunsicherung in der Branche mit dem Satz Achselzucken macht munter kommentiert. Schwens-Harrant zeigt zwar Verständnis für die schwierige Situation der Kritiker (niedrige Honorare, Sparzwänge in den Zeitungen, »Gesetze« des Betriebs) sieht aber keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Im Gegenteil: Während die Mitglieder des Literaturbetriebes damit beschäftigt sind, zu streiten, zu jammern oder einander an die Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit ihres Tuns zu erinnern, sind die Leser dabei, sich via Internet Öffentlichkeit zu schaffen und auf eigene Faust Literaturvermittlung zu betreiben. Die Frage, was der Literatur eigentlich besseres passieren kann, als auf diese Weise Aufmerksamkeit zu bekommen, ist eben nicht ironisch gemeint.
Dabei beäugt die Autorin die neuen Gepflogenheiten im Buchhandel durchaus misstrauisch. Eindeutig ihr Urteil, dass es jemanden wie Amazon um den Kunden geht, nicht um den Leser. Die Versuche der Vereinnahmung der Kritik durch PR-Maßnahmen von Verlagen, Literaturagenten oder Buchhandelsketten werden knapp und dennoch eindringlich geschildert. Dabei droht der Kritiker zur mäßig bezahlten PR-Figur des Betriebes zu verkommen (falls er keiner Redaktion angehört). Die Folge ist eine schleichende Entliterarisierung (zum Beispiel Personalisierung) des Diskurses über Literatur. Wenn Literatur auffällig genug ist, darf sie ins Blatt. Oder wenn sie politische Sprengkraft hat. Oder einen Skandal verspricht. Hinzu kommt der Zeitdruck. Nur eine frühe Rezension zählt – möglichst am Ausgabetag des Buches oder sogar noch vorher; die Sperrfristen werden immer seltener eingehalten.
Diese Aufmerksamkeitshatz geht einher mit einer Superlativisierung der besprochenen Bücher. Schwens-Harrants Frage, was eigentlich dagegen spräche, diesen Wettlauf zu unterbrechen oder gar zu ignorieren ist nicht als naive Rhetorik zu verstehen, die sich dem harten Business verweigern möchte. Träumen wird man ja noch…dürfen, postuliert die Autorin keck um dann ein Gegenmodell zum zeitgenössischen Literaturkritiker zu entwerfen.
In einer Zeit des Häppchenjournalismus, in der alles kleiner und bunter und einfacher wird, wächst bei vielen Lesern im gleichen Maße mit dem Frust über diese Erscheinungen das Interesse an seriöser Information, lesenswerter Sprache, kritischer Analyse. Das bedeutet aber nicht zurück zur »guten, alten Zeit«. Denn die Literaturkritik, die auf Autor, Werk und Leser herabschaute, dieser unfehlbare Scharfrichter, ist längst obsolet. Jemand wie Reich Ranicki, der sich als »Anwalt der Literatur« sieht und dabei seinen Gegenstand wie ein Forscher ein Insekt unter dem Mikroskop betrachtet, ist höchstens noch ein Zirkusclown, der sich mit dem Aroma der Literatur allenfalls parfümiert. (Jahrzehnte bevor es Facebook und die »Daumen-hoch«-Wertung gab, erniedrigte seinesgleichen die Literaturkritik auf dieses Niveau.) Die Epigonen des Meisters erahnen inzwischen ihren drohenden Deutungsverlust. Statt jedoch andere Möglichkeiten anzuvisieren, verharren sie in alten Denk- und Schreibmustern, hoffend noch einmal davonzukommen.
Schwens-Harrant hält sich in ihren Betrachtungen nicht allzu lange mit der Schilderung des eher tristen Status quo auf. Ihr Projekt ist das des leidenschaftlichen, neugierigen, staunenden – des erzählenden Kritikers. Sie räumt auf mit dem Modell des »kritischen Intellektuellen«, dessen auffälligste Schwachstelle darin besteht, dass er keine Schwäche für den Gegenstand zeigt, dem er sich widmet und in einer Coolness privatistische Geschmacksurteile fällt und absolutiert. Wenn diese Form des Kritikers nicht längst zum Textautomat degradiert ist, verharrt er in starren Hierarchien und denkt in Dichotomien. Dabei sollte ein Kritiker immer involviert sein – involviert in die Literatur bzw. das Buch, um das es gerade geht (und nicht in irgendwelche Werbemaßnahmen). Literatur von außen wahrzunehmen entfremdet den Kritiker von der Literatur und dem Leser. Aber es kann für den »wahren« Kritiker kein Draußenbleiben geben.
Der erzählende Kritiker sagt selbstbewusst aber keinesfalls arrogant: Indem ich über Literatur schreibe, erfinde ich. Er schafft mit der Erzählung seines Leseerlebnisses selber Literatur. Dabei geht es ihm nicht um Enträtselung eines Geheimnisses, das irgendwo vorhanden wäre und nur gelüftet werden müsste, sondern eher um das Erzählen (und Erfinden) eines geheimnisvollen Textes (oder das Offenlegen, dass an dem Text ganz und gar nichts Geheimnisvolles ist und er mit der ersten und einzigen Lektüre aus- und weggelesen ist). Er kennt keine endgültigen Kriterien, die einem Buch übergestülpt werden und dann passen oder eben nicht. Er macht ein Angebot, argumentativ ausgestattet, wissend, oft nur einen Ausschnitt dessen wiedergeben zu können, was im Werk hervorschimmert. Literaturkritiker als Erzähler können – im Unterschied zu Richtern oder Therapeuten – dem Werk sein Geheimnis lassen, sie müssen nichts bändigen, nichts festnageln. Sie müssen nicht das Aufbrechen der Rätselhaftigkeit der Literatur im Keim ersticken. Schwens-Harrants These: Einkassieren und bändigen sind…nicht die Lösung, sondern eines der Probleme der Literaturkritik. Die erzählende Kritik verlangt Offenlegung der Kriterien und mit ihnen der Kriterienhierarchien. Sie bietet öffentliche kritische Lesarten zur Bereicherung, zur Erweiterung, zur Provokation des kritischen Lesens des einzelnen Lesers an. Der Leser wird neugierig gemacht, angeregt, aber nicht bevormundet.
Mit dem erzählenden Kritiker verabschiedet sich die Kritik von einigen liebgewonnenen Gewohnheiten, die dem engagierten Leser längst zum Hals heraushängen. Das Eingeständnis des Kritikers, ein Werk nicht ganz verstanden zu haben ist nicht Dummheit, sondern Zeichen dafür, dass er begriffen hat, was Literatur (auch) ist. Daraus folgt, dass die die Literaturkritik gewisse Ordnungswünsche beruhigt den Literaturwissenschaftlern überlassen [dürfte] und könnte mehr Augenmerk auf das je einzelne Werk legen. Literaturkritik könnte die Schubladen (auch der Literaturwissenschaft) ab und zu herausziehen und umdrehen. Ankündigungsrhetorik oder Programminfo der Verlage sind besser in den dortigen Presseabteilungen aufgehoben. Kurzzusammenfassungen und emotionale Kritiken können in Blogs oder Leserforen Raum finden.
Die häufig gemachten Fehler bei Laienrezensionen werden durchaus behandelt, aber eine generelle Verteufelung wird verweigert. Zwar werden Floskeln aufgezeigt und Pseudogewissheiten dekonstruiert. Aber die gibt es auch in »klassischen« Rezensionen. Am Ende wird Norbert Mecklenburg zitiert, der feststellt, dass nichts darauf hindeutet, »dass Literaturwissenschaftler – und auch literaturwissenschaftliche Wertungstheoretiker – eine größere literarische Wertungskompetenz hätten als nichtprofessionelle Leser«. Professionelle Leser haben allerdings – das ist unbestreitbar – einen quantitativ höheren Kenntnisstand. Dies erleichtert ihnen Vergleiche und Parallelen. Aber sind diese immer hilfreich? Oder tragen sie nicht zu dem »Elend des Vergleichens« (Peter Handke in anderem Zusammenhang) bei, der sich häufig wie Mehltau über eine Rezension legt? Wissen nutzt aber nichts, wenn hierdurch in starren Deutungsmustern verweilt wird und der Leser mit Urteilen geknebelt wird. Denn Kritik ist mehr als Wertung. Kritik muss Wertung stören, die sich ihrer Sache zu sicher ist. Kritik wirft Fragen auf, statt sie allumfassend beantworten zu wollen.
Generell gilt: Der Kritik sind Amt und Würden gleichgültig, auch Wissen beeindruckt sie wenig, wenn es ihr nicht sogar verdächtig erscheint, rhetorische Überredungskunst durchschaut sie und Sendungsbewusste sind ihr suspekt. Kritik stört das Bestehende, sie stellt in Frage selbst das, was »gut läuft«, auch im eigenen Bereich. Ihre Maxime sollte sein: Nicht alles glauben. Es soll gerungen werden, und wo gerungen wird über neue ästhetische Ansätze, dort passiert Kultur. Ein Kapitel heißt vielsagend Aufblickend lesen.
Die Autorin glaubt: Überraschung und Unterhaltung vertragen sich mit Intelligenz und Information. Leicht zu schreiben muss nicht Seichtheit bedeuten. Verständlichkeit ist keine Hexerei. Der Literaturkritiker muss sich nicht in seinem Jargon beweisen, sondern überzeugt durch Verständlichkeit, Schlüssigkeit und Deutlichkeit. Rezensionen sollen nicht aus Inhaltsangaben bestehen, denen nachher ein Urteil aufgesetzt wird. Schwens-Harrant stemmt sich vehement gegen die Unterforderung des Publikums. Das bedeutet jedoch nicht, es mit Fachtermini zu bombardieren.
Am Ende flirtet sie dann doch ein wenig mit dem journalistischen Schreiben, ohne dies an ihre These entsprechend anzudocken, denn vorbildhaft kann das auch nicht unbedingt sein (von einigen Ausnahmen abgesehen). Aber dann ist man Brigitte Schwens-Harrant für unkonventionelle Ansätze wieder dankbar. Etwa wenn sie den altbekannten Satz, dass sich über Geschmack nicht streiten lässt, einfach mal radikal in Frage stellt: Über Geschmack lässt sich sehr gut streiten und gerade dieser Streit macht Kultur.
Einen herzlichen Dank an Marc Reichwein. Ohne seinen Hinweis hätte ich dieses hervorragende Buch nicht gelesen. Es sei jedem, der sich für Literatur und Literaturkritik interessiert und engagiert zur Lektüre empfohlen.
Die kursiv gesetzten Stellen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
Da es sich um einen kleinen Verlag handelt, ausnahmsweise den Hinweis darauf: Das Buch ist im StudienVerlag, Innsbruck erschienen.
Danke für den »Hinweis«!
Das ist ein Vorteil der Laien gegenüber den Berufskritikern: Sie besprechen nur das worin sie involviert sind – oder: sie haben zumindest die Wahl das zu tun (und die Ergebnisse sind dann sicherlich besser). Jedenfalls kann ich kein Buch besprechen, das mich nicht umtreibt oder beschäftigt (und deswegen tue ich es selten). Sehr schön ist die zitierte Stelle über die erzählende Kritik und das Konzept überhaupt.
PS: Die gesetzten Links funktionieren nicht.
Es kann natürlich auch ein Nachteil sein, zu sehr in eine Sache involviert zu sein – vor allem,w enn man das nicht herausstellt. Dennoch gebe ich im Prinzip der Autorin recht (auch wenn ich oft genug selber sehr »von oben« schreibe).
(Danke für Deinen Hinweis auf die toten Links. Jetzt geht’s.)
Ich glaube man muss ihr recht geben: Das ist doch ein Teil der Wirkung von Literatur, dass sie involviert (mir gefallen da andere Wörter besser, aber egal). Sonst wäre es Philosophie, ein reines Gedankengebäude, oder? Wir erleben doch während des Lesens etwas und erst dieses Erleben nötigt uns zum Verstehen, Interpretieren, und Suchen nach Bedeutung.
Der wissenschaftlich Betrachtende will Einordnen, Systematisieren und fragt nach Funktionalität; Bedeutung interessiert ihn nur in einem allgemeinen Sinn.
[EDIT: 21:24]
»dem Werk sein Geheimnis lassen« ...
Genau darum sollte es guter Kritik meines Erachtens nach gehen: dem Werk sein Geheimnis [zu] lassen. Ich würde das sogar noch deutlicher betonen: Nicht nur das Geheimnis lediglich lassen, sondern es in den Mittelpunkt stellen. Und das erfordert gegenüber der Literatur im Prinzip eine recht devote, sprich: hingebungsvolle Haltung – das, was bei Schwens-Harrant involviert heißt. Ich muss mich hingeben, bereit sein, mich vereinnahmen, berühren, bewegen zu lassen. Ich muss der Literatur die Überhand lassen wollen, ihr mit Ehrfurcht begegnen. (Ich gehe da natürlich ganz von mir aus, bei dem »schöne« Literatur eben genau diese Haltung, dieses Staunen hervorruft.)
Am Fehlen dieser Ehrfurcht enttarnt sich daher auch jede schlechte Kritik – erst recht, wenn sie von gesteltzter Jargoniererei begleitet wird. Ich werde dann den Eindruck nicht los, einen gescheiterten Schriftsteller vor mir zu haben, der sich als »Kritiker« jetzt weigert, seinen Kollegen das Quentchen Erfolg zu gönnen, das doch eigentlich ihm zugestanden hätte ... ;-)
Aber es bedeutet doch auch mit dem Geheimnis zu ringen, ihm Bedeutung abzugewinnen (und dabei freilich auch einer fundamentalen Ebene zu erhalten, zu akzeptieren, dass es mehrere Lösungen gibt).
@lyam
Naja, das »Geheimnis« in den Mittelpunkt stellen – was heißt das? Ist das nicht schon wieder Interpretation?
Ich erinnere mich an Jury-Diskussionen beim Bachmannpreis. Man war (fast) vollkommen einig: Ein wunderbares Stück Prosa. Da dies jedoch in die Regie und Struktur nicht hineinpasst und die Diskussion eigentlich 20–25 Minuten dauern soll, hat man zwei Möglichkeiten. Entweder man »sucht« nach Schwachstellen. Oder man »erklärt« die Prosa jetzt. Beides ist tödlich für die Literatur, aber ein bißchen immanent. Und vor allem: Es ist schwieriger, die Prosa zu umkreisen, Vorschläge zu machen, Fragen aufzuwerfen statt mit apodiktischem gestus zu verdammen (oder auch nur zu loben). EInmal gab es während einer solchen Diskussion den Einwurf eines Jurors (Thomas Hettche), den ‘Zauber doch nicht zu zerstören’.
»Am Fehlen dieser Ehrfurcht enttarnt sich daher auch jede schlechte Kritik.«
Aber auch die »gute«, ehrfurchtsvolle kann dann plötzlich sehr nackt da stehen. Prinzipiell ist es ja ganz nett, einem literarischen Text seine Leerstellen, seine Unsagbarkeiten zu lassen, aber soll dann jeder feuchte Prosafurz die Weihen des Literarischen erfahren? (OK, Sie wetterten auch gegen die »gesteltzte Jargoniererei«, die für so etwas verwendet werden könnte..)
Diesen Zauber zu erleben, ist ja auch eine Leistung des Lesers,.. und sollte er nicht auch in der Lage sein, zu reflektieren, woher er rührt? Was hätten wir denn von einem Rezensenten, den in seiner Rezension die Worte verlassen, nun seinerseits Leerstellen heraufzubeschwören? Bei allem Respekt vor dem Werk muss doch eine Debatte darüber möglich sein... und die bitte mit Leidenschaft und Pfeffer (leider habe ich ihn nicht sehr oft gesehen, aber da fand ich den MRR seinerzeit gar nicht so schlecht..)
@phorkyas
Respekt schließt ja Debattenkultur nicht aus. Vielleicht ist sie sogar Voraussetzung dafür. Das fand ich ja bei MRR so selten. Da lag das Urteil immer schon vor; manchmal sogar vor der Verhandlung (der Lektüre). Er »wußte«, was gut war (oder schlecht). Eine Diskussion war sinnlos. Es ging oft genug um die Vernichtung wenn nicht (immer) des Autors, so doch des hervorgebrachten Werkes. Die Straße der deutschsprachigen Literatur ist gepflastert mit den Leichen dieser Form von Kritik.
Es ist ein Mißverständnis, dass die Autorin etwa mit Walsers Diktum flirtet, man dürfe nur noch gut über ein Buch und einen Autor schreiben. Negative Besprechungen können und müssen sein. Aber bitte mit Gründen und nicht reinen Geschmacksurteilen (das gilt im übrigen auch für Positives).
OK, verdammt warum musste ich den MRR auch nur verteidigen. Also, ich muss dazu sagen, dass ich wohl so ein Jahr vor dem Abi nur ein paar Sendungen gesehen habe. Und auch wenn Herr Ranicki seine Urteile oft wie ein Fallbeil sausen lässt, er war doch um die Diskussion nicht verlegen. Diese streitbare, entusiastische.. ja wohl Intellektualität fand ich seinerzeit anziehend, Grünschnabel der ich war. Freilich gehörte zu den wenigen Sendungen, die ich sah auch die »Skandalsendung« mit Frau Löffler. Da blieb mir das Lachen doch im Halse stecken, denn, wenn auch hübscher verpackt, so hatte er ihr doch, wie mir schien, Frigidität unterstellt. (Es war komisch die Sendung heute noch einmal zu sehen, denn da ergibt sich beinahe ein entgegengesetztes Bild – aber vielleicht fehlt bei dem Youtube-Video auch etwas https://www.youtube.com/watch?v=8CfCSlimYCw ?)
Die Straße der deutschsprachigen Literatur ist gepflastert mit den Leichen dieser Form von Kritik.
(Spielen Sie unter anderem auf Walser an? Näher beschäftigt habe ich mich damit noch nicht, aber was ich über die Skandalisierungsumstände las, ließe mich schon für Walser Partei ergreifen.)
Die Frage hier, wäre meiner Meinung nach: Braucht es eine Instanz für Literaturvermittlung? (Ja, eine Fernsehsendung, warum nicht?) – Welche Folgen das zeitigen kann, wenn sich diese in eine Person, so einen Papst zentriert, haben wir nun gesehen – wobei diese drei-Worte-Audienzen, die er in der FAS noch gibt, in denen er das Fußvolk mit wiedergekäuten Brosamen abpeist.. das hat auch schon wieder seine eigene »Ästhetik«.
– Gerade in der Volltext Ann Cotten, wie um Ihnen zu sekundieren:
»Angst, Zärtlichkeit, Demut: solche Begriffe schicken dem, der ihnen affin ist, Schauder der Aufregung über den Anus in Erwartung von großen Empfindungen. Hochachtung gebührt den Autoren, die in ihren Texten nicht etwas abladen (meist die Klischees, an denen sie nagen), sondern Erlebnisse ihrer Empfänglichkeit darzustellen imstande sind.«
Drei Sorten von Autoren nennt sie:
»Die zweiten sind die angenehmsten: Sie haben anstelle der Vorausnahmene einen Respektabstand vor dem Leser, der es diesem – mir – möglich macht, sie zu beheren, ihnen ins Auge sehen zu wollen. (Wagnis)«
Ich habe bei MRR immer das Gegenteil von Intellektualität festgestellt: Verbohrtheit und persönliche Sympathien/Antipathien. An Diskussion war er m. E. selten interessiert; höchstens an Krawall, die dann zu seinem Ruhm wurde.
Die Szene mit Löffler diskutiere ich jetzt nicht, obwohl sie exemplarisch sein könnte. Das ist eskaliert, weil beide Seiten persönlich wurden. (In der Tat ist die Szene auf dem Video geschnitten.)
Die Frage nach der Instanz für Literaturvermittlung ergibt sich durchaus aus der Lektüre des besprochenen Buches: Wenn damit gemeint ist, dass jemand den Takt anschlägt und den Diskurs bestimmt, dann nein.
Herrn Ranicki wollte ich auch nicht beleidigen – wie er es vielleicht verdient hätte (gerade habe ich mein erstes Interview mit Bernhardt gesehen: »Die größten A*** sind die sogenannten Intellektuellen.« http://www.youtube.com/watch?v=HHlzM6Q78Vw&feature=related bei 9:15 – wunderbar, so ein Menschenfreund und Sympath).
Was die Instanz anbelangt, so ist das immer gefährlich, weil man dann aufhören könnte selbst zu denken, selbst zu lesen (ich muss gestehen, dass ich das Begleitschreiben doch sehr oft so missbrauche: da ich es nicht mehr schaffe hinterherzukommen, all das zu lesen, delegiere, vertraue ich der Neutralität mit der mir hier ein Urteil vermittelt wird)
Kritisch anmerken möchte ich aber noch, dass mir Häppchenjournalismus und Superlativisierung doch auch wie einfache Schubladen, ja Klischees vorkommen, aber die Autorin wird bestimmt Beispiele haben und das ganze nicht in der leeren Luft verhandeln -
[Bei dem Ann Cotten Text, finden sich auch solche Klischees. Die erste Autorengruppe wird z.B. so beschrieben:
»Die einen nehmen Rücksicht auf den Leser, die das Niveau generischer Zielgruppenberatung nicht verlassen. Diesen Leser gibt es ja nicht, nur der Markt kennt ihn. Er entstammt trivial-psychologischen Interpretationen von Statistiken, für wlche die Studien ihrerseits auf Vorausnahmen beruhen. Es ist sinnlos solche Texte zu lesen, aber es macht auch keinen Spaß.«
Gilt dies nicht in fast noch größerem Maße für die Kritik? Jedenfalls wenn sie in die Nähe zur PR rückt und die spezifische Zielgruppe »getargeted« werden muss?]
@Phorkyas
Zur Neutralität: Gregor sagte einmal, dass jeder Rezensent einen Standpunkt hat. Ich glaube, das stimmt auch (was sollte er schreiben, wenn er dem Buch neutral gegenüber stünde).
@MeteΨlonema Das war vielleicht auch der Grund warum mir MRR nicht so schlimm erschien: Man hat eben schon seine Meinung und was als Kritik hinterherkommt sind dann sowieso nur noch Rationalisierungen, Argumente für ebendiese.
Da ich Institutionen ohnehin sehr misstrauisch gegenüber stehe, ist’s mir auch herzlich egal ob so ein Literaturpapst dahinfault wie die katholische Kürsche. Vielleicht könnte man ja Walter Benjamins Briefe in den Schullehrplan aufnehmen, Aber ob das die Leute begeistert, die eh keine Lust zu Literatur haben?
Fairerweise muss man sagen, dass MRR das Papsttum nie für sich selbst beansprucht hat – es wurde ihm angetragen. Natürlich ist das auch schon wieder ein Stück Koketterie, denn seine absoluten Gewißheiten kamen schon arg deftig daher.
Um es ein wenig übertrieben zu formulieren: Mich interessieren »Meinungen« eines Rezensenten nicht – zumal ich diese u. U. selber habe. Mich interessieren allenfalls Argumente, Begründungen, Ideen, Fragen oder Assoziationen. Aus alledem formiert sich ein Standpunkt, der der Meinung haushoch überlegen ist.
Meinungen sind die billigsten Währungseinheiten auf dem Markt, die Ein-Cent-Stücke. Nur weil nun jemand ein Brötchen mit lauter Ein-Cent-Stücken bezahlt – also mit einer enormen Menge von Münzen – bezahlt er nicht mehr als jemand, der mit zwei Münzen die 25 Cent auf den Tisch legt. Nur weil die 25 1‑Cent-Stücke so schön klappern, ist es nicht mehr. Es wird in den Medien viel zu viel »gemeint«; jeder Depp hat eine »Meinung« zu einem Thema, das er, wenn man nur zwei Zwischenfragen stellt, überhaupt nicht durchschaut. (Nur dass das klar ist: Ich habe auch zu allem und jedem eine »Meinung« – die ist aber deshalb auch noch lange kein Standpunkt.)
@Phorkyas
Gregor hat es eigentlich schon gesagt: Es geht im wesentlichen darum, dass für den Leser offen liegt was Meinung und was Argument, Assoziation, Begründung, etc. ist – man muss nicht jeden Halbsatz belegen, sonst werden die Texte ja unleserlich und eine Rezension ist kein wissenschaftlicher Artikel, aber der Leser sollte nachvollziehen können woher das Urteil kommt.
Man kann das als Möglichkeit von Emanzipation interpretieren: Jemand der nur meint, will eigentlich nicht auf einer Stufe mit dem Leser stehen, sondern ihn bevormunden, dirigieren, lenken – Aufklärung (die das abschließende Urteil dem Leser überlässt) ist das natürlich keine, sie wird, ganz im Gegenteil, untergraben.
Da stimme ich vollkommen mit Ihnen überein. – Eine neue Assoziation, ein neues Argument kann mich dazu veranlassen meine eingefahrenen Meinungswege zu verlassen. (Selbst wenn ich mit dem Kritiker sonst gar nicht übereinstimme.)
Worauf ich allenfalls hinweisen könnte ist, dass die Eloquenz einer Kritik, die Schlagfertigkeit in einem Gespräch – kurzum die Rhetorik(?) für die (Außen)wirksamkeit nicht vernachlässigbar ist. Je nachdem kann sie natürlich auch das Gegenteil bewirken. Der Krawallmacher in mir war über MRR sehr amüsiert, heute würde ich mich wie Herr Keuschnig wohl eher abwenden.
[Richtig, der Papsttitel wurde ihm angedient, aber er hat in, z.B. in einer FAZ-Anzeige auch gerne gezeigt – auch wenn ich mir gut vorstellen kann, dass es ihm so etwas eigentlich zuwider war]
{Wenn man z.B. sieht wie Leute in den Kommentarbäumen größerer Zeitungsseiten auftrumpfen, so ist man da meiner Meinung noch weiter von der Emanzipation entfernt als in den Zeitungen selbst?}
@Phorkyas
Deswegen habe ich die verschriftlichte Form sehr gerne, da kann man Rhetorik und Tricksereien in aller Ruhe dechiffrieren.
Wenn ich das hier lese:
das zentrale Auswahlkriterium [], das ein literarisches Werk erfüllen muss, []. Es sei dies sein »Versprechen auf Gegenwartserkenntnis«, sein Anspruch, »dem Bewusstseinsstand der Gegenwart gewachsen zu sein« und nicht hinter selbigen »zurückzufallen« oder sich im »Selbstzweck« zu erschöpfen.
http://www.zeit.de/2011/09/L‑B-Kaemmerlings?page=1
(R. Kaemmerlings again) – dann bin ich ja doch beinahe ueberzeugt, mir als Antidotum Ihre Buchempfehlung zuzulegen.
@Phorkyas
Wenn man z.B. sieht wie Leute in den Kommentarbäumen größerer Zeitungsseiten auftrumpfen, so ist man da meiner Meinung noch weiter von der Emanzipation entfernt als in den Zeitungen selbst?
Das ist auch meine Beobachtung. Aber das kommt eben daher, weil die Leute endlich einmal etwas »sagen« dürfen, d. h. ihre Äußerungen werden (fast) ungefiltert veröffentlicht. Das ist das für viele immer noch Neue am/im Internet.
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Zur Eloquenz/Rhetorik: Meist dient doch diese Art Rhetorik dazu, die nur sehr dünne Argumentation zu camouflieren.
@Phorkyas/Gregor
Man kann seine Empörung nicht nur im Freundeskreis loswerden, sondern gegenüber denjenigen, die sie auslösen – sie wird dadurch weniger abstrakt ausgelebt (ich glaube, dass das für den Empörenden wichtig ist; auch dass er gehört wird). Ansonsten habt ihr natürlich recht (und die Zeitungen profitieren natürlich von zahlreichen Kommentaren, weil Werbeeinschaltungen dann mehr Geld bringen).
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Aber auch der Brinkemper Artikel auf »Glanz und Elend« war über weite Strecken sprachlich fürchterlich überfrachtet.
Das Dampfablassenkoennen spielt sicherlich, wie auch juengst, eine Rolle (bei Guttenberg habe ich lange versucht, das Thema zu ignorieren, aber irgendwann musste ich mich/mein Herz dann doch in Der Dschungel erleichtern – )
Mir ging es mehr um unser aller Duenkel (Kommentarschreiber wie Blogger), den einer von Metepsilonemas Kommentaren aphoristisch auf den Punkt brachte:
Die Verharschung des Geharnischten, die Verarschung der Arschnischen, das Bemänteln mentaler Mängel – für viele ist DAS der Sinn des Schreibens. Theobald Huck
[Bei einer Diskussion in der Zeit, der Artikel ueber Hawking und Religion vs. Wissenschaft, ist mir die geistige Aufplusterung doch uebel aufgestossen – Leute, die mit ihrem aufgepumpten Argumentationshuelsen den kompletten Diskursraum verstellten – vielleicht meinten sie’s ja auch gar nicht so und waren nur teilweise etwas ueberengagiert bei der Sache, doch das boese Blut, die rhetorischen Nebelkerzen einer sich endlos ziehenden Diskussion hat dann wahrscheinlich auch viele andere abgeschreckt.. nun moechte ich aber nicht weiter mit meinen eingeklammerten Texten, die schon die Nichtigkeit meiner Aeusserung markieren sollen, weiter diesen Diskursraum verstopfen...]
PS. Das bloede »beinahe« haette ich mir sparen koennen – hab ich mir das Buch doch mal bestellt. (Rueckmeldung, falls erwuenscht kann bei mir ja aber immer dauern..)
@Phorkyas
Lektüre-Rückmeldungen sind IMMER erwünscht!
OT: @Metepsilonema, du meintest den Text zum Guttenberg?
Pfff.. Bei mir war schon fast nach dem hier Schluss:
»Das postmoderne Zitatenspiel ist mittlerweile auch außerhalb der hohen Literatur durch internetgestützte Wiedererkennung und Massenselbstbedienung zu einer Hypertextproduktion und nivellierenden Chatunkultur angeschwollen, bei der die Individualität, Kreativität und maßstabssetzende Autorenschaft virtuell schon längst im Katarakt widersprechender und aufgefächerter Aussagelosigkeitssysteme aufgelöst worden sind.«
Wer sich so einen abschwurbelt, im anschwellenden Bocksgesang wider den Hypertext, der sollte auch genau sein:
»hat Guttenberg sich selbst zum Doktor auf den Schultern der von ihm Zitierten ernannt«
Waeren es Zitate, dazu gehoert ja, dass sie als solche erkennbar sind, denn sonst sind’s ja keine Zitate, haette Herr Guttenberg ja das Problem nicht gehabt. Der Textaufhaenger is also was wacklig befestigt?
Und ueberhaupt gequirltes Geschaeum, muss man das so anrichten?.. Ich wollt’ schon polemisieren, merke aber gerade, dass das unnoetig ist. Wuerd’ der Autor das ganze nicht so aufblaehen, haett’ ich ihm vielleicht sogar zustimmen koennen, so jedoch laedt er natuerlich zu der Entgegnung ein, dass nicht der Hypertext das Problem sondern:
»Das postmoderne Doktorspiel ist mittlerweile auch außerhalb der hohen Literatur und Wissenschaft durch internetgestützte Selbstaufplusterung zu einer Hypertextproduktion und nivellierenden Hochsprachesimulation verkommen, bei der die Gedankenarmut und Ideenlosigkeit der Verfasser, in andere Satzteilgefilde outgesourct, diese schon gar nicht mehr wahrgenommen oder das Verb des Satzes wie sein Sinn verlustfrei entsorgt oder nicht mehr aufgefunden...«
Oops, I did it again.
(Irgendwie erinnert mich das grad an Th. Bernhards Schilderung des Volksempfinden, welches dem ‘Intellektuellen’ genau die Verachtung zukommen laesst, die er verdient – soll’n die/wir sich/uns ma aufplustern un sich wichtig machen – is ja wurscht)
@Phorkyas
Ja, den meinte ich. Und an das sogenannte gesunde Volksempfinden dachte ich auch (wobei es auch etwas wie das gesunde Intellektuellenempfinden gibt – aber das soll jetzt nicht Thema sein).
Es ist eben bezeichnend, wenn man (bemüht) nach mehr klingen will, als man tatsächlich zu sagen hat (ein Gefühl das ich auch bei Sloterdijk nicht los werde, so klug seine Einlassungen sind) – und doppelt problematisch ist es in der vorliegenden Causa.
[..] problematisch ist es in der vorliegenden Causa. – Hätte er dies reflektiert hätte vielleicht sogar ein witziger oder zumindest gewitzter Text daraus werden können; wenn er die erzeugte Fallhöhe selbst hinunterspringt – so bekomme ich jedoch als Leser eher Lust den Text über die Planke gehen zu lassen.
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(Ende des Vorübergehenden)
Womit wir bei einer der Metaphern wären, wie man laut Frau Schwens-Herrant mit einem Text nicht umgehen dürfe, als (Piraten-)Richter den Daumen hebend oder senkend. Selbst Ranickis Anwalt der Literatur erscheint ihr problematisch, weil die Plädoyers schon zu eindeutig sind, dem schillernden Nicht-Dingfest-Machen-Können von Literatur nicht gerecht werden. Das gehört für mich zu den Dingen, die ich mitnehme: Wie schön auch die Literaturkritik schillern könnte, wenn sie zugäbe, dass sie mit ihrem Gegenstand nicht fertig wird, nicht fertig werden kann. Dass es dann ein pluralistisches, buntes Stimmengewirr geben könnte; lebendig, bereichernd. – Sie deutet gar an, dass Literaturkritik damit auch Spiegel der gesamten Gesellschaft, der Lebendigkeit ihrer Mitglieder sei.
Welch’ wunderbares Bild,.. wenn’s nur so wär’. Als Kritiker könnt’ man schon Angst bekommen, was man da so alles leisten sollte: Während der Bewertung, ihre Kriterienhierachien offenlegen, am besten noch die eigene Lektüreerfahrung durch das aufblickende Lesen schon hinterfragt haben und so auch die eigene Kritik reflektieren, das eigene Urteil infragestellen... Das alles in eine kleine Spalte geszwängt? Nein, Frau Schwens-Herrant gesteht schon ein, dass dies nicht von einer einzelnen Kritik geleistet werden kann und soll, erst die Unterschiedlichkeit der Stimmen würde diese Pluralität gewährleisten. Dass es um diese Vielfalt nicht immer so gut bestellt ist, reflektiert die Autorin auch an vielen Punkten: die Zwänge des »Marktes«, der vorauseilende Gehorsam, der nur produziert und schreibt, was auch Quote machen könnte, die internen Vorgänge, machtpolitischen Spiele in den Redaktionsstuben – was jedoch nicht reflektiert wird oder reflektiert werden kann ist diese postmoderne Metatheorie selbst: diese Warte, Position, die diese Mehrzahl an Theorien und Deutungen zulässt, entzieht sich der Kritik. Die Einzeltheorien werden relativiert, sie dürfen sich nicht zur allzeit gültigen, einzigen Theorie aufschwingen, wie zu schreiben sei. Dann wäre Literatur tot, ihre Wandlungsfähigkeit erschöpft. Ich muss zugeben, was hier in Frage gezogen würde, wäre die Art und Weise von Öffentlichkeit, der Diskurs, die Demokratie selbst. Sollte Kritik sogar das dürfen, wo sie störend eingreifen darf, innehalten kann in der Geschäftigkeit des Betriebes und sich fragend umblicken, wo man denn da überhaupt sei? (ist hier Öffentlichkeit und Demokratie überhaupt vorhanden oder nur simuliert?)...
So hätte Frau Schwens-Herrant auch ihre Darstellung selbst den Zweifeln aussetzen können. Setzt sie selbst doch kräftige Fragezeichen hinter die Auffassung, Kritik solle orientieren und Überblick geben – denn ihre Darstellung tut ja auch genau dies: die Literaturwissenschaftler und Kritiker, die sie heranzieht, deren Zitate sie bekräftigt oder gar ablehnt, geschieht dies alles vor dem Hintergrund ihrer eigenen postmodern-pluralistischen Theorie?
Mir ist klar, ich bewege mich schon auf sehr dünnem Eis. Wenn es scheint, ich versuchte damit ernsthaft eine Kritik an den Texten von Frau Schwens-Herrant, so.. ist dies wie schon angedeutet auch teilweise schon der Versuch, ihre Grundsätze und Ansätze umzusetzen. So anregend wirkten ihre Texte, dass ich ihre Denkanstöße am liebsten gleich fortführen würde, ihre erzählende Kritik selbst ausprobieren (vielleicht ja mit Handkes »Morawischer Nacht«, auch wenn das Bild vielleicht schon was unscharf wäre?)
Schöner Kommentar
Wenn Du Frau Schwens-Herrants Kriterien auf unsere Diskussion beziehst, übersiehst Du doch, dass wir nicht über Literatur, sondern einen sachbezogenen Essay urteilten. Das kann man vielleicht nicht hundertprozentig trennen, aber er hat doch deutlich andere Intentionen und ist keine fiktive Erzählerrede, sondern persönliche Betrachtung. Oder bezieht sie ihr Verbot auf jeden Text?
Ich habe das Buch (noch) nicht gelesen, aber irgendeine Art von Theorie oder Annahme gibt es im Hintergrund immer, solange sie sichtbar bleibt, ist das in Ordnung; ich verstehe gerade Deinen Punkt nicht ganz, aber es ist schon spät – ich versuche es morgen noch einmal.
Tolle Rezension
Danke für diese Rezension – ich denke, ich werde mir das gute Stück einmal zulegen. Ich hab zwar schon ein, zwei Bücher über Literaturkritik, aber nach deiner Besprechung denke ich, dass die bei weitem nicht so gut sind wie das hier.
#26
(OK, das war vielleicht etwas irreführend – ich hatte eigentlich ein Trennzeichen einbauen wollen, wie ich es jetzt eingefügt habe – unsere off-topic Diskussion hatte ich nur als Aufhänger missbraucht, um wieder zum Buch zurückzufinden)
Ein schönes Zitat möchte ich noch anfügen:
»Auffällig oft geschieht Wertung ausschließlich nach dem eigenen Verständnis von Literatur (das wäre für einen Hobbyleser kein Problem), ohne dass dieses nochmals kritisch hinterfragt würde (das müsste man aber von Literaturkritikern erwarten dürfen). Um das Beispiel »Wirklichkeitsnähe« noch einmal aufzugreifen: Ein Kritiker liebt realistische Romane und fegt daher alle Romane, die seiner persönlichen Vorstellung von Realismus nicht entsprechen, als zu geheimniskrämerisch vom Tisch, ohne sein Verständnis von Literatur einmal zu hinterfragen.«
(Eat this Richard Kämmerlings (; )
@Phorkyas
Urteilen, nicht verurteilen, hätte ich gesagt, aber allzu »korrekt« darf man auch nicht sein: Einmal zwinkernden Auges wettern, warum nicht?
Wie du schon schreibst, ist Frau Schwens-Herrants Theorie demokratisch, vielstimmig, aber sagt sie auch, dass alle Stimmen gleichwertig sind und es egal ist welche Position man einnimmt (wäre nicht das erst konsequent postmodern)?
Dein Hauptpunkt ist, dass sie eigentlich nur gegen ihre Theorie kontrastiert und verwirft was nicht damit übereinstimmt, ohne diese Vorgangsweise zu thematisieren?
[Alfred Brendel hier mit einigen treffenden Bemerkungen zu Kritik und Literatur.]
@Phorkyas
Ich glaube, Schwens-Harrant kritisiert nicht MRR als »Anwalt der Literatur«, sondern zunächst einmal das Simulieren dieses Verhaltens, in dem Geschmacksurteile verabsolutiert werden. Eben dadurch macht er exakt das Gegenteil dessen, was er in der Öffentlichtkeit erzählt: Er stranguliert Literatur, die nicht seinen Kriterien entsprechen.
Weiterhin glaube ich nicht, dass sich Schwens-Harrant besonders widerspricht. Auch Sokrates, der sagte, dass er weiss, das er nichts weiss, mußte das wissen. Er/Sie wird sich immer in einem gewissen Widerspruch finden, der jedoch nicht zwingend die Theorie infrage stellt.
Tatsächlich bin ich der Meinung, dass es Kriterien für Literaturbeurteilungen gibt. Und zwar objektive wie subjektive. Gefährlich wird es, wenn der Kritiker dies miteinander vermengt. Besser wäre es, dass, wenn ein Werk die objektiven Kriterien erfüllt, das subjektive Geschmacksurteil wenn nicht unterdrückt, so doch in die zweite Reihe gestellt wird. Ich muß anerkennen, dass der Schriftsteller X ein Könner ist, auch wenn mir sein Text vielleicht subjektiv nicht gefällt. Der Kritiker kann nun sein Mißfallen thematisieren. Oder er kann versuchen, dem Leser – und damit sich selber – das Buch nahezubringen, zu erzählen. Im ersten Fall ist eigentlich nichts gewonnen. Im anderen Fall begibt sich der Kritiker als Leser (!) auf die Suche. Er kann dabei Scheitern – und vielleicht gerade dieses Scheitern thematisieren. Er könnte dabei gewinnen und dies dem Leser mitteilen. Oder er könnte seine Indifferenz erkennen.
Die Probleme liegen auf der Hand: Die meisten kritiker sehen sich als apodiktische Richter, die ihre Urteile fällen. Dies ist eine Erwartungshaltung, die nicht zuletzt immanent im »Betrieb« angesiedelt ist und damit auch beim Publikum. Meine These: Mehr als 50% der gängigen Literaturkritiken sind gänzlich unbrauchbar. Man kann an und in ihnen häufig erkennen, dass der Rezensent keine Zeit und keine Lust hatte, sich mit dem Buch intensiv auseinander zu setzen. Wie auch, wenn schon die nächste Sperrfrist winkt?
Aber es ist nicht nur ein problem des Betriebs. Es ist auch ein voreiliges Bedeienen einer Erwartungshaltungd es potentiellen Lesers. Figuren wie Scheck, der die Spiegel-Bestsellerlisten mit ironischen und zynischen Kommentaren versieht und danach Bücher wegschmeißt, werden von einem gewissen Publikum geradezu herbeigesehnt.
An den »Anwalt der Literatur« kann ich mich noch sehr genau erinnern, weil sie diese von MRR selbst gewaehlte Bezeichnung explizit herausgreift und darstellt, was ihrer Meinung nach auch problematisch an diesem Gebaren ist. Sie haben recht, davor behandelt sie vornehmlich den ‘Richter’, aber ich kann mich nicht entsinnen, dass sie MRR einen solchen nennt (auch wenn es naheliegt, denn oft spielt er wohl mehr den Richter als den Anwalt). Leider weiss ich jetzt ad hoc nicht ganz genau, was Frau Schwens-Harrant am Anwalt auszusetzen hatte, ich glaube, es ging unter anderem darum, dass MRR auch vom Kampf und Ringen um das Urteil sprach, bei welchem der Kritiker eben als Anwalt mitwirke. Es koennten diese Art von kriegerischer Metapher gewesen sein, aber ich glaube, einer der Hauptpunkte von Frau Schwens-Harrant war, dass laut MRR der Kritiker diesen Kampf vor dem Publikum verbergen muesse, eine Art Konklave, Prozess unter Ausschluss der Oeffentlichkeit, weil es sonst nicht so fest und deutlich klingen kann, wie es muss, um nach aussen hin Bestand zu haben, man darf sich sein Schwanken, seine Unsicherheit nicht eingestehen (ich weiss nicht mehr, ob sie das so auch sagt: hier geht es dann vielleicht auch um Macht: das sichere, feste Urteil repraesentiert mehr, kann mehr Wirkung entfalten als ein solches welches noch der Selbstzweifel nagt) – dies muesse laut Schwens-Harrant nicht sein, die Kritik duerfe zoegern, wanken, sich in Frage stellen...
(das ist jetzt nicht so weit weg, von dem was Sie schrieben; nur, es ging bei MRR, der ja nur am Rande kritisiert wird, glaube ich, primaer nicht um den ‘Richter-Kritiker’)
Das mit Scheck finde ich interessant. Denn ich muss gestehen, dass ich mir ihn doch ab und an mal gerne angeschaut habe. Ich glaube, dabei ging es mir beim Literarischen Quartett auch: um die Unterhaltung. Es ist Show: wenn der ‘Imperator’ den Daumen hebt oder senkt, oder wenn die Kritiker die Klingen kreuzen... Und doch ich steh’ auch weiter dazu, dass ich das unterhaltsam finde/fand. Unterhaltung koennte ja auch mal mit etwas Niveau ausgestattet sein. Ob diese Sendungen, das dann wirklich liefern, ist natuerlich die Frage. (Und ob die Imperatoren verantwortlich mit ihrer Macht umgehen ist zu fragen – nicht dass dann, wie Sie schrieben »die Strasse mit den Leichen ihrer Opfer« gepflastert wird). Ein Buch nach Schecks Sendung auszuwaehlen, fiele mir wohl nicht ein – diese Sendung dient ja wahrscheinlich auch fuer die meisten nur als Bestaetigung und Beruhigung, dass man all diese Bestseller-Schrottbuecher zum Glueck doch nicht lesen braucht. (Das ist im Grunde genommen auch ziemlich armselig; eine ‘Literatursendung’ zu schauen, um Buecher nicht zu lesen, hier geht es also schon kaum noch um Literaturvermittlung oder darum Menschen fuer das Einzigartige am Buch zu interessieren – dieses Armutszeugnis stelle ich mir jetzt aus)
@Phorkyas
Sehr hübscher Gedanke: Schecks Sendung als eine Art »Abschreckung«. Darauf bin ich noch nicht gekommen. Wobei der Hauptteil der Sendung natürlich die Empfehlung darstellt; seine Interviews sind weichgespült. Negatives gibt es dann nur für die Schrottbestseller und hier ist dann die Abschreckung zu erkennen. Nebenbei: Diese Bestsellerbesprechungen macht Scheck auch im Deutschlandfunk, also im Radio.
Natürlich hatte ich auch immer das Literarische Quartett geschaut. In einer Stadt, in der es nur eine Imbißbude gibt, wird die schnell zum Restaurant. Was danach kam (Heidenreich; die »Vorleser«) war ja nur noch peinlicher. Im Grunde genommen geriet das Quartett aber immer mehr zur Zirkusarena; um die Bücher ging es nicht mehr. Man erwartete nur die Verdammnis oder das Lob des Papstes.
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Am »Anwalt der Literatur« stört mich das Besitzergreifende. Außerdem impliziert es, dass die Literatur »angeklagt« ist – und es jemanden bedürfe, der vermittelt. Wozu sonst braucht man einen Anwalt? Er ist doch zumeist nur jemand, der einem die Fallstricke des Justizbetriebs vom Leibe hält.
Bezieht sich Frau Schwens-Harrant eigentlich auf Kant?
Ich bin in etwas anderem Zusammenhang über die Kritik der Urteilskraft gestolpert. Kant gründet den guten Geschmack im Subjektiven, der frei von Interessen bleiben soll, aber zugleich Geltung über das Subjektive hinaus fordern kann, weil er sich an der inneren Stimmigkeit (z.B. eines Werks) festmacht. Es gibt nach Kant keine allgemeingültige, auf den Begriff gebrachte Schönheit, weil sie aus der Interaktion des Individuums mit dem Gegenstand der Betrachtung hervorgeht. Wir müssen also gar nicht über postmoderne Metapositionen diskutieren, um Kritiker, die versuchen letztbegründete Urteile zu fällen, in die Schranken zu weisen.
Nein, Kant wird m. W. (Notizen und Erinnerung) nicht erwähnt. In den Motti tauchen nur je einmal Adorno und Foucault auf.
Wenn ich Dich richtig verstehe und das ein bisschen salopp formuliere bedeutet das: Es gibt keine allgemein gültigen Kriterien, da das subjektive Empfinden (zunächst) nie objektiv ist. Das wäre dann in der Tat »beliebig«.
Jein. Ich paraphrasiere jetzt Konrad Paul Liessmann, der in einem seiner Bücher festhält, dass Kant damit dem Faktum gerecht wird, dass es nach jeder Ausstellung oder jedem Konzert gegen einander stehende ästhetische Differenzen gibt, über die man sehr wohl streiten kann, die sich aber im Hinblick auf die Stimmigkeit des Werks nicht restlos auflösen lassen. Das ist auch schlüssig, denn Horizont und Persönlichkeit der Rezipienten sind nun einmal sehr unterschiedlich und warum sollte das keine Rolle spielen?
Die Bemerkung »ich finde etwas gut« ist nach Kant kein ästhetisches Urteil (so einfach ist es nicht). Auch nicht, wenn es politische oder andere Interessen (Hunger, Durst, Lust) eine Rolle spielen, es muss interessenlos sein (Kant spricht sich hier für eine Autonomie des Kunstwerks aus). Auch das ist sehr plausibel: Wenn ich einem Werk interessenlos gegenübertrete und zu einem Urteil gelange, also versuche das Werk sprechen zu lassen, dann beansprucht mein Urteil Gültigkeit über die Person hinaus (obwohl nicht unabhängig von ihr).
Es geht Kant dabei um das ästhetische Urteil im Allgemeinen, nicht nur um Kunst, die aber im Gegensatz zur Natur, eine (naja etwas flapsig) andere Eignung diesbezüglich besitzt.
Vor ein paar Tagen zu Ende gelesen...
Der fragende Gestus gelingt weitgehend, manchmal erscheint er allerdings etwas zu gewollt, z.B. dort wo eine Definition von Literatur versucht wird oder es um Bewertungskriterien geht. Schwens-Harrant hat – so könnte man Phorkyas’ Kritik an postmodernen Metatheorie auch auslegen -, Überlegungen wie Graubereiche außer Acht gelassen oder Kriterien, die auch im Subjektiven fundamentiert sind; es läuft eher auf ein prinzipielles »es geht nicht« hinaus. Ein Beispiel: Das Konzept »Stimmigkeit« wird verworfen, aber nicht die Möglichkeit erwogen, dass dafür persönliche Erfahrungen (Kenntnisse, Wissen, Sichtweisen) eine Rolle spielen. Stimmigkeit könnte also in diesem Sinn ein allgemeines Kriterium bleiben (und ist es m.E. auch), würde sich subjektiv aber jeweils anders äußern. So kommt es, dass ich mir an manchen Stellen, wie dem »Literaturdefinitionskapitel«, eine etwas mehr in eine Richtung weisende Hand gewünscht hätte (Definitionen nachschlagen und auflisten, kann man selbst auch; zugegeben, das ist jetzt vereinfacht); gleichzeitig ist diese offene Art der Darstellung für den Leser anspruchsvoll und für den Autor eine Mut erfordernde; grundsätzlich gefällt mir das.
Ich weiß nicht ob ich etwas länger gebraucht habe, um mich auf den Stil der Autorin einzustellen, aber die ersten paar Kapitel kommen mir in der Rückschau etwas weniger gelungen vor, als der überwiegende Rest des Buchs; es gelingt ihr in jedem Fall viele neue Aspekte und Sichtweisen darzustellen oder hervorzuheben (Kritik als Erzählung, Selektion, Inhalt und Bewertung, kunstschaffende Kritik, kritikschaffende Kunst...). Ein wenig Zweifel habe ich, ob sie dem Thema Literaturkritik im Internet (auch was die Bewertung von Texten angeht; ich habe das nicht noch einmal nachgeschlagen, aber in Erinnerung, dass sie da andere Kriterien im Auge hatte), tatsächlich gerecht wird, ihr Bild scheint mir zu sehr von Kundenrezensionen à la Amazon geprägt zu sein (hier geht es m.E. um etwas ganz anderes, als eine Besprechung oder Rezension im eigentlichen Sinn).
Ich weiß nicht ob ich etwas länger gebraucht habe, um mich auf den Stil der Autorin einzustellen, aber die ersten paar Kapitel kommen mir in der Rückschau etwas weniger gelungen vor, als der überwiegende Rest des Buchs;
Das ist interessant. Ich hatte eine ähnliche Erfahrung gemacht (wie auch bei der »Morawischen Nacht«), dass mich der Anfang schon regelrecht abgestoßen und widerwillig gemacht hat – ich musste in beiden Fällen erst einmal warm werden (mit dem Buch bzw. den Autoren?). – Kann mich leider nicht mehr so genau erinnern, ich glaube, was mich ein bisschen verdrießt hatte, dass die ersten Kapitel teilweise Klischees bearbeiteten (das große Jammern, Vermarktungsrummel,...). Selbst wenn man nicht klischeehaft drüber schreibt, bleibt’s für mich ein unwürdiges Thema.. und vielleicht auch noch etwas pauschal klangen... (Kannst du das ev. festmachen? Bei dir ist die Leseerfahrung ja noch etwas jünger..)
@metepsilonema
Danke für diesen Eindruck. Ich glaube auch, dass sich die Autorin ein bisschen zu sehr Amazon-»Leserrezensionen« versteift hat, wenn sie über Literaturkritik im Internet spricht. Das hängt m. E. mit der relativ grossen Wirkung dieser Platform zusammen. Verlage weisen, wenn sie überhaupt auf Besprechungen im Internet hinweisen, zunächst auf Amazon hin. Blogs kommen bei ihnen praktisch nicht vor. Ich weiß, wovon ich rede. Meine Besprechungen bspw. werden von Verlagen auf deren Facebook-Seiten nicht verlinkt – obwohl ich sie darauf hinweise (wohl gemerkt: ich rede nicht von großen Verlagen oder gar Konzernen). Aber wenn ein plüschibär21 eine griffige »Rezension« auf Amazon (oder einem anderen, speziellen Forumplatz, den ich hier namentlich erwähnen möchte) verfasst hat, oft genug schon. Das ist so, als bürge heir der Betreiber für die Qualität dieser Aussagen. Blogs haben – das ist durchgängig in der Branche verankert – den schlechtesten Ruf überhaupt.
@Phorkyas
Bei mir kommt das schon mal vor, weil ich manchmal meine Zeit brauche, um mich auf einen anderen Stil einzustellen (das spielt aber weniger bei Sachbüchern eine Rolle); das Buch wird nach den ersten paar Kapiteln besser und interessanter (wie du selbst sagst: die Jammerei und den Vermarktungsrummel kennen wir und haben ihn hier auch immer wieder diskutiert; das Thema Internet genauso; letztlich auch die Aufgaben der Kritik, aber da waren für mich trotzdem einige neue Gedanken und Sichtweisen dabei).
@Gregor
Das hängt wohl auch mit der Möglichkeit zusammen, das Buch auf Amazon sofort kaufen zu können (allerdings kann eine negative Amazon-»Rezension« das Gegenteil bewirken). Aber woher die Abneigung und/oder der schlechte Ruf kommen, kann ich mir nicht zur Gänze erklären (das scheint mir schon irrational zu sein).
@metepsilonema
Dass bei Amazon sofort der »kauf-mich«-Knopf da ist, stimmt. Das mag einer der Gründe sein.
Der Leser wird im »Literaturbetrieb« so gut wie nie als Leser wahrgenommen, sondern nur als Käufer. Schwens-Harrant bemerkt dies ja sehr wohl. Das ist aber ein Phänomen, was nicht erst seit Amazon & Co. existiert, sondern durch das klassische Feuilleton befördert und zementiert wurde. Der Abstand zwischen Rezensent und Konsument ist die Bühne; der Katheder. Der Rezensent ist was »Besseres«. Der Leser liest, der Rezensent weiß. Es ist ein Verdienst dieses Buches, dies so zu benennen.
Der schlechte Ruf insbesondere der »Literaturblogger« ist erklärbar. Die Masse der sogenannten Literatur- und/oder Leserblogs sondert reinste Geschmacksurteile ab. Verlage lieben das, solange sie in ihrem Sinn sind. Literaturkritiker rümpfen darüber – zu Recht – die Nase.
Die Blogszene in Deutschland wird nur über maximal ein Dutzend Leute wahrgenommen, die in sich eine geschlossene Peer-Group bilden. Zumeist handelt es sich um Journalisten, die sich zumeist mit dem Medium Blog bzw. »Web 2.0« selber beschäftigen. Literaturblogs haben es auch deswegen schwer, weil das Zeitungs-Feuilleton noch verhältnismässig homogen ist und vor einiger Zeit beschlossen hat, alles, was mit Internet zu tun hat, »doof« zu finden. Der potentielle Leser vertraut diesen Leuten, weil er alleine schon aus Zeitgründen fast keine ander Wahl hat.
@Gregor
Es ist ein Verdienst dieses Buches, dies so zu benennen.
Das sehe ich genauso.
Du schreibst ja selbst von sogenannten Literatur- und/oder Leserblogs: Aber einen Vorwurf kann man ihnen doch nur dann machen, wenn sie einen anderen Anspruch erheben, als den des Geschmacksurteils (es ist bei Gott nicht so, dass ich das nicht auch täte). Die meisten tun das aber nicht, oder?
Aus Zeitgründen oder aus Gewohnheit (bzw. Autorität) oder weil das Netz noch lange nicht allen seine Stärken offenbaren konnte...
Aber einen Vorwurf kann man ihnen doch nur dann machen, wenn sie einen anderen Anspruch erheben, als den des Geschmacksurteils (es ist bei Gott nicht so, dass ich das nicht auch täte). Die meisten tun das aber nicht, oder?
Ich verstehe, was Du meinst. Aber interessant ist, dass diese Elke-Heidenreich-gemässen Plattformen konstituierend und repräsentativ für Literaturkritik im Netz gesehen werden. Eben weil sie eine gewisse Präsenz haben.
Ich verstehe, was Du meinst. Aber interessant ist, dass diese Elke-Heidenreich-gemässen Plattformen konstituierend und repräsentativ für Literaturkritik im Netz gesehen werden.
Leider. Im Netz findet sich eben viel alltägliches Geplauder – warum auch nicht? Und es ist völlig in Ordnung das nicht (immer) haben zu wollen. Andererseits: Niemand würde alle Zeitungen (Magazine, u.a.) über einen Kamm scheren, weil Boulevardblätter die auflagenstärksten sind. Vielleicht braucht es einfach nur etwas Zeit.
[EDIT: 2011-04-23 15:55]
Sehr interessiert verfolge ich die »Diskussion« über Literaturblogs und entdecke darin etwas, an dass leider alles krampft.
Es gibt überhaupt keine Selbstkritik. Stattdessen werden dort ernsthafte Dinge wie Augenoperationen, oder Partys diskutiert, deren Inhalt (in Form eines auflodernden Busens) man peinlich findet.
Über Pinkelpausen wird diskutiert und über das Heiligtum Erotik.
Aber Selbstkritik findet man in solchen selbsternannten Literaturblogs nicht.
Aber alles in allem wünsche ich mir das alle gesund bleiben, weil mich dieser unsägliche Mist auf unsagbare Weise erregt.
ich weiss, auf welchen Blog Sie anspielen – und gebe Ihnen Recht. Wobei ich dieses Blog nicht als reinen Literaturblog sehen würde, sondern als Autorenblog. Daraus wird dann hier (aber nicht nur hier) eine Soap gemacht.
Dabei zeigt sich die Schwäche des verwendeten Begriffs »Literaturblog«. Auch hier stimme ich Ihnen zu. Ich habe diesen Begriff hier genommen für Plattformen, die Literatur reflektieren.
Nicht nachvollziehen kann ich Ihren Einwand bzgl. der Selbstkritik. gerade in diesen ausufernden narzisstischen Diskussionen herrscht in der sogenannten Blogosphäre kein Mangel. Die »Selbstkritik«, wie ich sie verstehe, soll in einem Blog oder Forum durch die Kommentare eingebracht werden und den Verfasser ggf. provozieren.