Bri­git­te Schwens-Har­rant: Li­te­ra­tur­kri­tik – Ei­ne Su­che

Brigitte Schwens-Harrant: Literaturkritik - Eine Suche

Bri­git­te Schwens-Har­rant: Li­te­ra­tur­kri­tik – Ei­ne Su­che

»Li­te­ra­tur­kri­tik – Ei­ne Su­che« ist mehr als nur ei­ne Mo­ment­auf­nah­me aus dem »Be­trieb«, der sich zu­meist in Jam­me­rei und mehr oder min­der of­fe­ner Pu­bli­kums­be­schimp­fung übt, wenn es um ihr Me­tier geht. Bri­git­te Schwens-Har­rant, selbst Li­te­ra­tur­kri­ti­ke­rin, lie­fert nicht nur ei­ne pro­fun­de, wun­der­bar un­auf­ge­reg­te Be­schrei­bung des Ist-Zu­stan­des, son­dern ent­wickelt im wei­te­ren Ver­lauf nichts Ge­rin­ge­res als ei­ne Zu­kunfts­per­spek­ti­ve für ih­re Zunft. Dies al­les in la­ko­ni­scher und prä­zi­ser Spra­che, oh­ne in das ab­schrecken­de, letzt­lich nur selbst­be­weih­räu­chern­de Ger­ma­ni­sten­sprech zu ver­fal­len, wel­ches sie be­rech­tig­ter­wei­se bei an­de­ren mo­niert.

Es gibt schö­ne Ge­las­sen­heits­mo­men­te der Au­torin, et­wa wenn sie die all­ge­mei­ne Ver­un­si­che­rung in der Bran­che mit dem Satz Ach­sel­zucken macht mun­ter kom­men­tiert. Schwens-Har­rant zeigt zwar Ver­ständ­nis für die schwie­ri­ge Si­tua­ti­on der Kri­ti­ker (nied­ri­ge Ho­no­ra­re, Spar­zwän­ge in den Zei­tun­gen, »Ge­set­ze« des Be­triebs) sieht aber kei­nen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Im Ge­gen­teil: Wäh­rend die Mit­glie­der des Li­te­ra­tur­be­trie­bes da­mit be­schäf­tigt sind, zu strei­ten, zu jam­mern oder ein­an­der an die Be­deu­tung oder Be­deu­tungs­lo­sig­keit ih­res Tuns zu er­in­nern, sind die Le­ser da­bei, sich via In­ter­net Öf­fent­lich­keit zu schaf­fen und auf ei­ge­ne Faust Li­te­ra­tur­ver­mitt­lung zu be­trei­ben. Die Fra­ge, was der Li­te­ra­tur ei­gent­lich bes­se­res pas­sie­ren kann, als auf die­se Wei­se Auf­merk­sam­keit zu be­kom­men, ist eben nicht iro­nisch ge­meint.

Da­bei be­äugt die Au­torin die neu­en Ge­pflo­gen­hei­ten im Buch­han­del durch­aus miss­trau­isch. Ein­deu­tig ihr Ur­teil, dass es je­man­den wie Ama­zon um den Kun­den geht, nicht um den Le­ser. Die Ver­su­che der Ver­ein­nah­mung der Kri­tik durch PR-Maß­nah­men von Ver­la­gen, Li­te­ra­tur­agen­ten oder Buch­han­dels­ket­ten wer­den knapp und den­noch ein­dring­lich ge­schil­dert. Da­bei droht der Kri­ti­ker zur mä­ßig be­zahl­ten PR-Fi­gur des Be­trie­bes zu ver­kom­men (falls er kei­ner Re­dak­ti­on an­ge­hört). Die Fol­ge ist ei­ne schlei­chen­de Ent­li­te­r­a­ri­sie­rung (zum Bei­spiel Per­so­na­li­sie­rung) des Dis­kur­ses über Li­te­ra­tur. Wenn Li­te­ra­tur auf­fäl­lig ge­nug ist, darf sie ins Blatt. Oder wenn sie po­li­ti­sche Spreng­kraft hat. Oder ei­nen Skan­dal ver­spricht. Hin­zu kommt der Zeit­druck. Nur ei­ne frü­he Re­zen­si­on zählt – mög­lichst am Aus­ga­be­tag des Bu­ches oder so­gar noch vor­her; die Sperr­fri­sten wer­den im­mer sel­te­ner ein­ge­hal­ten.

Die­se Auf­merk­sam­keits­hatz geht ein­her mit ei­ner Su­per­la­ti­vi­sie­rung der be­spro­che­nen Bü­cher. Schwens-Har­rants Fra­ge, was ei­gent­lich da­ge­gen sprä­che, die­sen Wett­lauf zu un­ter­bre­chen oder gar zu igno­rie­ren ist nicht als nai­ve Rhe­to­rik zu ver­ste­hen, die sich dem har­ten Busi­ness ver­wei­gern möch­te. Träu­men wird man ja noch…dürfen, po­stu­liert die Au­torin keck um dann ein Ge­gen­mo­dell zum zeit­ge­nös­si­schen Li­te­ra­tur­kri­ti­ker zu ent­wer­fen.

In ei­ner Zeit des Häpp­chen­jour­na­lis­mus, in der al­les klei­ner und bun­ter und ein­fa­cher wird, wächst bei vie­len Le­sern im glei­chen Ma­ße mit dem Frust über die­se Er­schei­nun­gen das In­ter­es­se an se­riö­ser In­for­ma­ti­on, le­sens­wer­ter Spra­che, kri­ti­scher Ana­ly­se. Das be­deu­tet aber nicht zu­rück zur »gu­ten, al­ten Zeit«. Denn die Li­te­ra­tur­kri­tik, die auf Au­tor, Werk und Le­ser her­ab­schau­te, die­ser un­fehl­ba­re Scharf­rich­ter, ist längst ob­so­let. Je­mand wie Reich Ra­nicki, der sich als »An­walt der Li­te­ra­tur« sieht und da­bei sei­nen Ge­gen­stand wie ein For­scher ein In­sekt un­ter dem Mi­kro­skop be­trach­tet, ist höch­stens noch ein Zir­kus­clown, der sich mit dem Aro­ma der Li­te­ra­tur al­len­falls par­fü­miert. (Jahr­zehn­te be­vor es Face­book und die »Daumen-hoch«-Wertung gab, er­nied­rig­te sei­nes­glei­chen die Li­te­ra­tur­kri­tik auf die­ses Ni­veau.) Die Epi­go­nen des Mei­sters er­ah­nen in­zwi­schen ih­ren dro­hen­den Deu­tungs­ver­lust. Statt je­doch an­de­re Mög­lich­kei­ten an­zu­vi­sie­ren, ver­har­ren sie in al­ten Denk- und Schreib­mu­stern, hof­fend noch ein­mal da­von­zu­kom­men.

Schwens-Har­rant hält sich in ih­ren Be­trach­tun­gen nicht all­zu lan­ge mit der Schil­de­rung des eher tri­sten Sta­tus quo auf. Ihr Pro­jekt ist das des lei­den­schaft­li­chen, neu­gie­ri­gen, stau­nen­den – des er­zäh­len­den Kri­ti­kers. Sie räumt auf mit dem Mo­dell des »kri­ti­schen In­tel­lek­tu­el­len«, des­sen auf­fäl­lig­ste Schwach­stel­le dar­in be­steht, dass er kei­ne Schwä­che für den Ge­gen­stand zeigt, dem er sich wid­met und in ei­ner Cool­ness pri­va­ti­sti­sche Ge­schmacks­ur­tei­le fällt und ab­so­lu­tiert. Wenn die­se Form des Kri­ti­kers nicht längst zum Text­au­to­mat de­gra­diert ist, ver­harrt er in star­ren Hier­ar­chien und denkt in Di­cho­to­mien. Da­bei soll­te ein Kri­ti­ker im­mer in­vol­viert sein – in­vol­viert in die Li­te­ra­tur bzw. das Buch, um das es ge­ra­de geht (und nicht in ir­gend­wel­che Wer­be­maß­nah­men). Li­te­ra­tur von au­ßen wahr­zu­neh­men ent­frem­det den Kri­ti­ker von der Li­te­ra­tur und dem Le­ser. Aber es kann für den »wah­ren« Kri­ti­ker kein Drau­ßen­blei­ben ge­ben.

Der er­zäh­len­de Kri­ti­ker sagt selbst­be­wusst aber kei­nes­falls ar­ro­gant: In­dem ich über Li­te­ra­tur schrei­be, er­fin­de ich. Er schafft mit der Er­zäh­lung sei­nes Le­se­er­leb­nis­ses sel­ber Li­te­ra­tur. Da­bei geht es ihm nicht um Ent­rät­se­lung ei­nes Ge­heim­nis­ses, das ir­gend­wo vor­han­den wä­re und nur ge­lüf­tet wer­den müss­te, son­dern eher um das Er­zäh­len (und Er­fin­den) ei­nes ge­heim­nis­vol­len Tex­tes (oder das Of­fen­le­gen, dass an dem Text ganz und gar nichts Ge­heim­nis­vol­les ist und er mit der er­sten und ein­zi­gen Lek­tü­re aus- und weg­ge­le­sen ist). Er kennt kei­ne end­gül­ti­gen Kri­te­ri­en, die ei­nem Buch über­ge­stülpt wer­den und dann pas­sen oder eben nicht. Er macht ein An­ge­bot, ar­gu­men­ta­tiv aus­ge­stat­tet, wis­send, oft nur ei­nen Aus­schnitt des­sen wie­der­ge­ben zu kön­nen, was im Werk her­vor­schim­mert. Li­te­ra­tur­kri­ti­ker als Er­zäh­ler kön­nen – im Un­ter­schied zu Rich­tern oder The­ra­peu­ten – dem Werk sein Ge­heim­nis las­sen, sie müs­sen nichts bän­di­gen, nichts fest­na­geln. Sie müs­sen nicht das Auf­bre­chen der Rät­sel­haf­tig­keit der Li­te­ra­tur im Keim er­sticken. Schwens-Har­rants The­se: Ein­kas­sie­ren und bän­di­gen sind…nicht die Lö­sung, son­dern ei­nes der Pro­ble­me der Li­te­ra­tur­kri­tik. Die er­zäh­len­de Kri­tik ver­langt Of­fen­le­gung der Kri­te­ri­en und mit ih­nen der Kri­te­ri­en­hier­ar­chien. Sie bie­tet öf­fent­li­che kri­ti­sche Les­ar­ten zur Be­rei­che­rung, zur Er­wei­te­rung, zur Pro­vo­ka­ti­on des kri­ti­schen Le­sens des ein­zel­nen Le­sers an. Der Le­ser wird neu­gie­rig ge­macht, an­ge­regt, aber nicht be­vor­mun­det.

Mit dem er­zäh­len­den Kri­ti­ker ver­ab­schie­det sich die Kri­tik von ei­ni­gen lieb­ge­won­ne­nen Ge­wohn­hei­ten, die dem en­ga­gier­ten Le­ser längst zum Hals her­aus­hän­gen. Das Ein­ge­ständ­nis des Kri­ti­kers, ein Werk nicht ganz ver­stan­den zu ha­ben ist nicht Dumm­heit, son­dern Zei­chen da­für, dass er be­grif­fen hat, was Li­te­ra­tur (auch) ist. Dar­aus folgt, dass die die Li­te­ra­tur­kri­tik ge­wis­se Ord­nungs­wün­sche be­ru­higt den Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­lern über­las­sen [dürf­te] und könn­te mehr Au­gen­merk auf das je ein­zel­ne Werk le­gen. Li­te­ra­tur­kri­tik könn­te die Schub­la­den (auch der Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft) ab und zu her­aus­zie­hen und um­dre­hen. An­kün­di­gungs­rhe­to­rik oder Pro­gramm­in­fo der Ver­la­ge sind bes­ser in den dor­ti­gen Pres­se­ab­tei­lun­gen auf­ge­ho­ben. Kurz­zu­sam­men­fas­sun­gen und emo­tio­na­le Kri­ti­ken kön­nen in Blogs oder Le­ser­fo­ren Raum fin­den.

Die häu­fig ge­mach­ten Feh­ler bei Lai­en­re­zen­sio­nen wer­den durch­aus be­han­delt, aber ei­ne ge­ne­rel­le Ver­teu­fe­lung wird ver­wei­gert. Zwar wer­den Flos­keln auf­ge­zeigt und Pseu­do­ge­wiss­hei­ten de­kon­stru­iert. Aber die gibt es auch in »klas­si­schen« Re­zen­sio­nen. Am En­de wird Nor­bert Meck­len­burg zi­tiert, der fest­stellt, dass nichts dar­auf hin­deu­tet, »dass Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler – und auch li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­li­che Wer­tungs­theo­re­ti­ker – ei­ne grö­ße­re li­te­ra­ri­sche Wer­tungs­kom­pe­tenz hät­ten als nicht­pro­fes­sio­nel­le Le­ser«. Pro­fes­sio­nel­le Le­ser ha­ben al­ler­dings – das ist un­be­streit­bar – ei­nen quan­ti­ta­tiv hö­he­ren Kennt­nis­stand. Dies er­leich­tert ih­nen Ver­glei­che und Par­al­le­len. Aber sind die­se im­mer hilf­reich? Oder tra­gen sie nicht zu dem »Elend des Ver­glei­chens« (Pe­ter Hand­ke in an­de­rem Zu­sam­men­hang) bei, der sich häu­fig wie Mehl­tau über ei­ne Re­zen­si­on legt? Wis­sen nutzt aber nichts, wenn hier­durch in star­ren Deu­tungs­mu­stern ver­weilt wird und der Le­ser mit Ur­tei­len ge­kne­belt wird. Denn Kri­tik ist mehr als Wer­tung. Kri­tik muss Wer­tung stö­ren, die sich ih­rer Sa­che zu si­cher ist. Kri­tik wirft Fra­gen auf, statt sie all­um­fas­send be­ant­wor­ten zu wol­len.

Ge­ne­rell gilt: Der Kri­tik sind Amt und Wür­den gleich­gül­tig, auch Wis­sen be­ein­druckt sie we­nig, wenn es ihr nicht so­gar ver­däch­tig er­scheint, rhe­to­ri­sche Über­re­dungs­kunst durch­schaut sie und Sen­dungs­be­wuss­te sind ihr su­spekt. Kri­tik stört das Be­stehen­de, sie stellt in Fra­ge selbst das, was »gut läuft«, auch im ei­ge­nen Be­reich. Ih­re Ma­xi­me soll­te sein: Nicht al­les glau­ben. Es soll ge­run­gen wer­den, und wo ge­run­gen wird über neue äs­the­ti­sche An­sät­ze, dort pas­siert Kul­tur. Ein Ka­pi­tel heißt viel­sa­gend Auf­blickend le­sen.

Die Au­torin glaubt: Über­ra­schung und Un­ter­hal­tung ver­tra­gen sich mit In­tel­li­genz und In­for­ma­ti­on. Leicht zu schrei­ben muss nicht Seicht­heit be­deu­ten. Ver­ständ­lich­keit ist kei­ne He­xe­rei. Der Li­te­ra­tur­kri­ti­ker muss sich nicht in sei­nem Jar­gon be­wei­sen, son­dern über­zeugt durch Ver­ständ­lich­keit, Schlüs­sig­keit und Deut­lich­keit. Re­zen­sio­nen sol­len nicht aus In­halts­an­ga­ben be­stehen, de­nen nach­her ein Ur­teil auf­ge­setzt wird. Schwens-Har­rant stemmt sich ve­he­ment ge­gen die Un­ter­for­de­rung des Pu­bli­kums. Das be­deu­tet je­doch nicht, es mit Fach­ter­mi­ni zu bom­bar­die­ren.

Am En­de flir­tet sie dann doch ein we­nig mit dem jour­na­li­sti­schen Schrei­ben, oh­ne dies an ih­re The­se ent­spre­chend an­zu­docken, denn vor­bild­haft kann das auch nicht un­be­dingt sein (von ei­ni­gen Aus­nah­men ab­ge­se­hen). Aber dann ist man Bri­git­te Schwens-Har­rant für un­kon­ven­tio­nel­le An­sät­ze wie­der dank­bar. Et­wa wenn sie den alt­be­kann­ten Satz, dass sich über Ge­schmack nicht strei­ten lässt, ein­fach mal ra­di­kal in Fra­ge stellt: Über Ge­schmack lässt sich sehr gut strei­ten und ge­ra­de die­ser Streit macht Kul­tur.

Ei­nen herz­li­chen Dank an Marc Reich­wein. Oh­ne sei­nen Hin­weis hät­te ich die­ses her­vor­ra­gen­de Buch nicht ge­le­sen. Es sei je­dem, der sich für Li­te­ra­tur und Li­te­ra­tur­kri­tik in­ter­es­siert und en­ga­giert zur Lek­tü­re emp­foh­len.

Die kur­siv ge­setz­ten Stel­len sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.

Da es sich um ei­nen klei­nen Ver­lag han­delt, aus­nahms­wei­se den Hin­weis dar­auf: Das Buch ist im Stu­di­en­Ver­lag, Inns­bruck er­schie­nen.

45 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Dan­ke für den »Hin­weis«!
    Das ist ein Vor­teil der Lai­en ge­gen­über den Be­rufs­kri­ti­kern: Sie be­spre­chen nur das wor­in sie in­vol­viert sind – oder: sie ha­ben zu­min­dest die Wahl das zu tun (und die Er­geb­nis­se sind dann si­cher­lich bes­ser). Je­den­falls kann ich kein Buch be­spre­chen, das mich nicht um­treibt oder be­schäf­tigt (und des­we­gen tue ich es sel­ten). Sehr schön ist die zi­tier­te Stel­le über die er­zäh­len­de Kri­tik und das Kon­zept über­haupt.

    PS: Die ge­setz­ten Links funk­tio­nie­ren nicht.

  2. Es kann na­tür­lich auch ein Nach­teil sein, zu sehr in ei­ne Sa­che in­vol­viert zu sein – vor allem,w enn man das nicht her­aus­stellt. Den­noch ge­be ich im Prin­zip der Au­torin recht (auch wenn ich oft ge­nug sel­ber sehr »von oben« schrei­be).

    (Dan­ke für Dei­nen Hin­weis auf die to­ten Links. Jetzt geht’s.)

  3. Ich glau­be man muss ihr recht ge­ben: Das ist doch ein Teil der Wir­kung von Li­te­ra­tur, dass sie in­vol­viert (mir ge­fal­len da an­de­re Wör­ter bes­ser, aber egal). Sonst wä­re es Phi­lo­so­phie, ein rei­nes Ge­dan­ken­ge­bäu­de, oder? Wir er­le­ben doch wäh­rend des Le­sens et­was und erst die­ses Er­le­ben nö­tigt uns zum Ver­ste­hen, In­ter­pre­tie­ren, und Su­chen nach Be­deu­tung.

    Der wis­sen­schaft­lich Be­trach­ten­de will Ein­ord­nen, Sy­ste­ma­ti­sie­ren und fragt nach Funk­tio­na­li­tät; Be­deu­tung in­ter­es­siert ihn nur in ei­nem all­ge­mei­nen Sinn.

    [EDIT: 21:24]

  4. »dem Werk sein Ge­heim­nis las­sen« ...
    Ge­nau dar­um soll­te es gu­ter Kri­tik mei­nes Er­ach­tens nach ge­hen: dem Werk sein Ge­heim­nis [zu] las­sen. Ich wür­de das so­gar noch deut­li­cher be­to­nen: Nicht nur das Ge­heim­nis le­dig­lich las­sen, son­dern es in den Mit­tel­punkt stel­len. Und das er­for­dert ge­gen­über der Li­te­ra­tur im Prin­zip ei­ne recht de­vo­te, sprich: hin­ge­bungs­vol­le Hal­tung – das, was bei Schwens-Har­rant in­vol­viert heißt. Ich muss mich hin­ge­ben, be­reit sein, mich ver­ein­nah­men, be­rüh­ren, be­we­gen zu las­sen. Ich muss der Li­te­ra­tur die Über­hand las­sen wol­len, ihr mit Ehr­furcht be­geg­nen. (Ich ge­he da na­tür­lich ganz von mir aus, bei dem »schö­ne« Li­te­ra­tur eben ge­nau die­se Hal­tung, die­ses Stau­nen her­vor­ruft.)

    Am Feh­len die­ser Ehr­furcht ent­tarnt sich da­her auch je­de schlech­te Kri­tik – erst recht, wenn sie von ge­steltz­ter Jar­go­nie­rerei be­glei­tet wird. Ich wer­de dann den Ein­druck nicht los, ei­nen ge­schei­ter­ten Schrift­stel­ler vor mir zu ha­ben, der sich als »Kri­ti­ker« jetzt wei­gert, sei­nen Kol­le­gen das Quent­chen Er­folg zu gön­nen, das doch ei­gent­lich ihm zu­ge­stan­den hät­te ... ;-)

  5. Aber es be­deu­tet doch auch mit dem Ge­heim­nis zu rin­gen, ihm Be­deu­tung ab­zu­ge­win­nen (und da­bei frei­lich auch ei­ner fun­da­men­ta­len Ebe­ne zu er­hal­ten, zu ak­zep­tie­ren, dass es meh­re­re Lö­sun­gen gibt).

  6. @lyam
    Na­ja, das »Ge­heim­nis« in den Mit­tel­punkt stel­len – was heißt das? Ist das nicht schon wie­der In­ter­pre­ta­ti­on?

    Ich er­in­ne­re mich an Ju­ry-Dis­kus­sio­nen beim Bach­mann­preis. Man war (fast) voll­kom­men ei­nig: Ein wun­der­ba­res Stück Pro­sa. Da dies je­doch in die Re­gie und Struk­tur nicht hin­ein­passt und die Dis­kus­si­on ei­gent­lich 20–25 Mi­nu­ten dau­ern soll, hat man zwei Mög­lich­kei­ten. Ent­we­der man »sucht« nach Schwach­stel­len. Oder man »er­klärt« die Pro­sa jetzt. Bei­des ist töd­lich für die Li­te­ra­tur, aber ein biß­chen im­ma­nent. Und vor al­lem: Es ist schwie­ri­ger, die Pro­sa zu um­krei­sen, Vor­schlä­ge zu ma­chen, Fra­gen auf­zu­wer­fen statt mit apo­dik­ti­schem ge­stus zu ver­dam­men (oder auch nur zu lo­ben). EIn­mal gab es wäh­rend ei­ner sol­chen Dis­kus­si­on den Ein­wurf ei­nes Ju­rors (Tho­mas Hett­che), den ‘Zau­ber doch nicht zu zer­stö­ren’.

  7. »Am Feh­len die­ser Ehr­furcht ent­tarnt sich da­her auch je­de schlech­te Kri­tik.«
    Aber auch die »gu­te«, ehr­furchts­vol­le kann dann plötz­lich sehr nackt da ste­hen. Prin­zi­pi­ell ist es ja ganz nett, ei­nem li­te­ra­ri­schen Text sei­ne Leer­stel­len, sei­ne Un­sag­bar­kei­ten zu las­sen, aber soll dann je­der feuch­te Pro­saf­urz die Wei­hen des Li­te­ra­ri­schen er­fah­ren? (OK, Sie wet­ter­ten auch ge­gen die »ge­steltz­te Jar­go­nie­rerei«, die für so et­was ver­wen­det wer­den könn­te..)

    Die­sen Zau­ber zu er­le­ben, ist ja auch ei­ne Lei­stung des Le­sers,.. und soll­te er nicht auch in der La­ge sein, zu re­flek­tie­ren, wo­her er rührt? Was hät­ten wir denn von ei­nem Re­zen­sen­ten, den in sei­ner Re­zen­si­on die Wor­te ver­las­sen, nun sei­ner­seits Leer­stel­len her­auf­zu­be­schwö­ren? Bei al­lem Re­spekt vor dem Werk muss doch ei­ne De­bat­te dar­über mög­lich sein... und die bit­te mit Lei­den­schaft und Pfef­fer (lei­der ha­be ich ihn nicht sehr oft ge­se­hen, aber da fand ich den MRR sei­ner­zeit gar nicht so schlecht..)

  8. @phorkyas
    Re­spekt schließt ja De­bat­ten­kul­tur nicht aus. Viel­leicht ist sie so­gar Vor­aus­set­zung da­für. Das fand ich ja bei MRR so sel­ten. Da lag das Ur­teil im­mer schon vor; manch­mal so­gar vor der Ver­hand­lung (der Lek­tü­re). Er »wuß­te«, was gut war (oder schlecht). Ei­ne Dis­kus­si­on war sinn­los. Es ging oft ge­nug um die Ver­nich­tung wenn nicht (im­mer) des Au­tors, so doch des her­vor­ge­brach­ten Wer­kes. Die Stra­ße der deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur ist ge­pfla­stert mit den Lei­chen die­ser Form von Kri­tik.

    Es ist ein Miß­ver­ständ­nis, dass die Au­torin et­wa mit Walsers Dik­tum flir­tet, man dür­fe nur noch gut über ein Buch und ei­nen Au­tor schrei­ben. Ne­ga­ti­ve Be­spre­chun­gen kön­nen und müs­sen sein. Aber bit­te mit Grün­den und nicht rei­nen Ge­schmacks­ur­tei­len (das gilt im üb­ri­gen auch für Po­si­ti­ves).

  9. OK, ver­dammt war­um muss­te ich den MRR auch nur ver­tei­di­gen. Al­so, ich muss da­zu sa­gen, dass ich wohl so ein Jahr vor dem Abi nur ein paar Sen­dun­gen ge­se­hen ha­be. Und auch wenn Herr Ra­nicki sei­ne Ur­tei­le oft wie ein Fall­beil sau­sen lässt, er war doch um die Dis­kus­si­on nicht ver­le­gen. Die­se streit­ba­re, en­tus­ia­sti­sche.. ja wohl In­tel­lek­tua­li­tät fand ich sei­ner­zeit an­zie­hend, Grün­schna­bel der ich war. Frei­lich ge­hör­te zu den we­ni­gen Sen­dun­gen, die ich sah auch die »Skan­dal­sen­dung« mit Frau Löff­ler. Da blieb mir das La­chen doch im Hal­se stecken, denn, wenn auch hüb­scher ver­packt, so hat­te er ihr doch, wie mir schien, Fri­gi­di­tät un­ter­stellt. (Es war ko­misch die Sen­dung heu­te noch ein­mal zu se­hen, denn da er­gibt sich bei­na­he ein ent­ge­gen­ge­setz­tes Bild – aber viel­leicht fehlt bei dem You­tube-Vi­deo auch et­was https://www.youtube.com/watch?v=8CfCSlimYCw ?)

    Die Stra­ße der deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur ist ge­pfla­stert mit den Lei­chen die­ser Form von Kri­tik.

    (Spie­len Sie un­ter an­de­rem auf Wal­ser an? Nä­her be­schäf­tigt ha­be ich mich da­mit noch nicht, aber was ich über die Skan­da­li­sie­rungs­um­stän­de las, lie­ße mich schon für Wal­ser Par­tei er­grei­fen.)

    Die Fra­ge hier, wä­re mei­ner Mei­nung nach: Braucht es ei­ne In­stanz für Li­te­ra­tur­ver­mitt­lung? (Ja, ei­ne Fern­seh­sen­dung, war­um nicht?) – Wel­che Fol­gen das zei­ti­gen kann, wenn sich die­se in ei­ne Per­son, so ei­nen Papst zen­triert, ha­ben wir nun ge­se­hen – wo­bei die­se drei-Wor­te-Au­di­en­zen, die er in der FAS noch gibt, in de­nen er das Fuß­volk mit wie­der­ge­käu­ten Bro­sa­men abpeist.. das hat auch schon wie­der sei­ne ei­ge­ne »Äs­the­tik«.

    – Ge­ra­de in der Voll­text Ann Cot­ten, wie um Ih­nen zu se­kun­die­ren:
    »Angst, Zärt­lich­keit, De­mut: sol­che Be­grif­fe schicken dem, der ih­nen af­fin ist, Schau­der der Auf­re­gung über den Anus in Er­war­tung von gro­ßen Emp­fin­dun­gen. Hoch­ach­tung ge­bührt den Au­toren, die in ih­ren Tex­ten nicht et­was ab­la­den (meist die Kli­schees, an de­nen sie na­gen), son­dern Er­leb­nis­se ih­rer Emp­fäng­lich­keit dar­zu­stel­len im­stan­de sind.«
    Drei Sor­ten von Au­toren nennt sie:
    »Die zwei­ten sind die an­ge­nehm­sten: Sie ha­ben an­stel­le der Vor­aus­nah­me­ne ei­nen Re­spekt­ab­stand vor dem Le­ser, der es die­sem – mir – mög­lich macht, sie zu be­he­ren, ih­nen ins Au­ge se­hen zu wol­len. (Wag­nis)«

  10. Ich ha­be bei MRR im­mer das Ge­gen­teil von In­tel­lek­tua­li­tät fest­ge­stellt: Ver­bohrt­heit und per­sön­li­che Sympathien/Antipathien. An Dis­kus­si­on war er m. E. sel­ten in­ter­es­siert; höch­stens an Kra­wall, die dann zu sei­nem Ruhm wur­de.

    Die Sze­ne mit Löff­ler dis­ku­tie­re ich jetzt nicht, ob­wohl sie ex­em­pla­risch sein könn­te. Das ist es­ka­liert, weil bei­de Sei­ten per­sön­lich wur­den. (In der Tat ist die Sze­ne auf dem Vi­deo ge­schnit­ten.)

    Die Fra­ge nach der In­stanz für Li­te­ra­tur­ver­mitt­lung er­gibt sich durch­aus aus der Lek­tü­re des be­spro­che­nen Bu­ches: Wenn da­mit ge­meint ist, dass je­mand den Takt an­schlägt und den Dis­kurs be­stimmt, dann nein.

  11. Herrn Ra­nicki woll­te ich auch nicht be­lei­di­gen – wie er es viel­leicht ver­dient hät­te (ge­ra­de ha­be ich mein er­stes In­ter­view mit Bern­hardt ge­se­hen: »Die größ­ten A*** sind die so­ge­nann­ten In­tel­lek­tu­el­len.« http://www.youtube.com/watch?v=HHlzM6Q78Vw&feature=related bei 9:15 – wun­der­bar, so ein Men­schen­freund und Sym­path).

    Was die In­stanz an­be­langt, so ist das im­mer ge­fähr­lich, weil man dann auf­hö­ren könn­te selbst zu den­ken, selbst zu le­sen (ich muss ge­ste­hen, dass ich das Be­gleit­schrei­ben doch sehr oft so miss­brau­che: da ich es nicht mehr schaf­fe hin­ter­her­zu­kom­men, all das zu le­sen, de­le­gie­re, ver­traue ich der Neu­tra­li­tät mit der mir hier ein Ur­teil ver­mit­telt wird)

    Kri­tisch an­mer­ken möch­te ich aber noch, dass mir Häpp­chen­jour­na­lis­mus und Su­per­la­ti­vi­sie­rung doch auch wie ein­fa­che Schub­la­den, ja Kli­schees vor­kom­men, aber die Au­torin wird be­stimmt Bei­spie­le ha­ben und das gan­ze nicht in der lee­ren Luft ver­han­deln -

    [Bei dem Ann Cot­ten Text, fin­den sich auch sol­che Kli­schees. Die er­ste Au­toren­grup­pe wird z.B. so be­schrie­ben:
    »Die ei­nen neh­men Rück­sicht auf den Le­ser, die das Ni­veau ge­ne­ri­scher Ziel­grup­pen­be­ra­tung nicht ver­las­sen. Die­sen Le­ser gibt es ja nicht, nur der Markt kennt ihn. Er ent­stammt tri­vi­al-psy­cho­lo­gi­schen In­ter­pre­ta­tio­nen von Sta­ti­sti­ken, für wlche die Stu­di­en ih­rer­seits auf Vor­aus­nah­men be­ru­hen. Es ist sinn­los sol­che Tex­te zu le­sen, aber es macht auch kei­nen Spaß.«
    Gilt dies nicht in fast noch grö­ße­rem Ma­ße für die Kri­tik? Je­den­falls wenn sie in die Nä­he zur PR rückt und die spe­zi­fi­sche Ziel­grup­pe »ge­tar­ge­ted« wer­den muss?]

  12. @Phorkyas
    Zur Neu­tra­li­tät: Gre­gor sag­te ein­mal, dass je­der Re­zen­sent ei­nen Stand­punkt hat. Ich glau­be, das stimmt auch (was soll­te er schrei­ben, wenn er dem Buch neu­tral ge­gen­über stün­de).

  13. @MeteΨlonema Das war viel­leicht auch der Grund war­um mir MRR nicht so schlimm er­schien: Man hat eben schon sei­ne Mei­nung und was als Kri­tik hin­ter­her­kommt sind dann so­wie­so nur noch Ra­tio­na­li­sie­run­gen, Ar­gu­men­te für eben­die­se.

    Da ich In­sti­tu­tio­nen oh­ne­hin sehr miss­trau­isch ge­gen­über ste­he, ist’s mir auch herz­lich egal ob so ein Li­te­ra­tur­papst da­hin­fault wie die ka­tho­li­sche Kürsche. Viel­leicht könn­te man ja Wal­ter Ben­ja­mins Brie­fe in den Schul­lehr­plan auf­neh­men, Aber ob das die Leu­te be­gei­stert, die eh kei­ne Lust zu Li­te­ra­tur ha­ben?

  14. Fai­rer­wei­se muss man sa­gen, dass MRR das Papst­tum nie für sich selbst be­an­sprucht hat – es wur­de ihm an­ge­tra­gen. Na­tür­lich ist das auch schon wie­der ein Stück Ko­ket­te­rie, denn sei­ne ab­so­lu­ten Ge­wiß­hei­ten ka­men schon arg def­tig da­her.

    Um es ein we­nig über­trie­ben zu for­mu­lie­ren: Mich in­ter­es­sie­ren »Mei­nun­gen« ei­nes Re­zen­sen­ten nicht – zu­mal ich die­se u. U. sel­ber ha­be. Mich in­ter­es­sie­ren al­len­falls Ar­gu­men­te, Be­grün­dun­gen, Ideen, Fra­gen oder As­so­zia­tio­nen. Aus al­le­dem for­miert sich ein Stand­punkt, der der Mei­nung haus­hoch über­le­gen ist.

    Mei­nun­gen sind die bil­lig­sten Wäh­rungs­ein­hei­ten auf dem Markt, die Ein-Cent-Stücke. Nur weil nun je­mand ein Bröt­chen mit lau­ter Ein-Cent-Stücken be­zahlt – al­so mit ei­ner enor­men Men­ge von Mün­zen – be­zahlt er nicht mehr als je­mand, der mit zwei Mün­zen die 25 Cent auf den Tisch legt. Nur weil die 25 1‑­Cent-Stücke so schön klap­pern, ist es nicht mehr. Es wird in den Me­di­en viel zu viel »ge­meint«; je­der Depp hat ei­ne »Mei­nung« zu ei­nem The­ma, das er, wenn man nur zwei Zwi­schen­fra­gen stellt, über­haupt nicht durch­schaut. (Nur dass das klar ist: Ich ha­be auch zu al­lem und je­dem ei­ne »Mei­nung« – die ist aber des­halb auch noch lan­ge kein Stand­punkt.)

  15. @Phorkyas
    Gre­gor hat es ei­gent­lich schon ge­sagt: Es geht im we­sent­li­chen dar­um, dass für den Le­ser of­fen liegt was Mei­nung und was Ar­gu­ment, As­so­zia­ti­on, Be­grün­dung, etc. ist – man muss nicht je­den Halb­satz be­le­gen, sonst wer­den die Tex­te ja un­le­ser­lich und ei­ne Re­zen­si­on ist kein wis­sen­schaft­li­cher Ar­ti­kel, aber der Le­ser soll­te nach­voll­zie­hen kön­nen wo­her das Ur­teil kommt.

    Man kann das als Mög­lich­keit von Eman­zi­pa­ti­on in­ter­pre­tie­ren: Je­mand der nur meint, will ei­gent­lich nicht auf ei­ner Stu­fe mit dem Le­ser ste­hen, son­dern ihn be­vor­mun­den, di­ri­gie­ren, len­ken – Auf­klä­rung (die das ab­schlie­ßen­de Ur­teil dem Le­ser über­lässt) ist das na­tür­lich kei­ne, sie wird, ganz im Ge­gen­teil, un­ter­gra­ben.

  16. Da stim­me ich voll­kom­men mit Ih­nen über­ein. – Ei­ne neue As­so­zia­ti­on, ein neu­es Ar­gu­ment kann mich da­zu ver­an­las­sen mei­ne ein­ge­fah­re­nen Mei­nungs­we­ge zu ver­las­sen. (Selbst wenn ich mit dem Kri­ti­ker sonst gar nicht über­ein­stim­me.)

    Wor­auf ich al­len­falls hin­wei­sen könn­te ist, dass die Elo­quenz ei­ner Kri­tik, die Schlag­fer­tig­keit in ei­nem Ge­spräch – kurz­um die Rhe­to­rik(?) für die (Außen)wirksamkeit nicht ver­nach­läs­sig­bar ist. Je nach­dem kann sie na­tür­lich auch das Ge­gen­teil be­wir­ken. Der Kra­wall­ma­cher in mir war über MRR sehr amü­siert, heu­te wür­de ich mich wie Herr Keu­sch­nig wohl eher ab­wen­den.

    [Rich­tig, der Papst­ti­tel wur­de ihm an­ge­dient, aber er hat in, z.B. in ei­ner FAZ-An­zei­ge auch ger­ne ge­zeigt – auch wenn ich mir gut vor­stel­len kann, dass es ihm so et­was ei­gent­lich zu­wi­der war]

    {Wenn man z.B. sieht wie Leu­te in den Kom­men­tar­bäu­men grö­ße­rer Zei­tungs­sei­ten auf­trump­fen, so ist man da mei­ner Mei­nung noch wei­ter von der Eman­zi­pa­ti­on ent­fernt als in den Zei­tun­gen selbst?}

  17. Wenn ich das hier le­se:
    das zen­tra­le Aus­wahl­kri­te­ri­um [], das ein li­te­ra­ri­sches Werk er­fül­len muss, []. Es sei dies sein »Ver­spre­chen auf Ge­gen­warts­er­kennt­nis«, sein An­spruch, »dem Be­wusst­seins­stand der Ge­gen­wart ge­wach­sen zu sein« und nicht hin­ter sel­bi­gen »zu­rück­zu­fal­len« oder sich im »Selbst­zweck« zu er­schöp­fen.
    http://www.zeit.de/2011/09/L‑B-Kaemmerlings?page=1
    (R. Kaem­mer­lings again) – dann bin ich ja doch bei­na­he ueber­zeugt, mir als An­ti­do­tum Ih­re Buch­emp­feh­lung zu­zu­le­gen.

  18. @Phorkyas
    Wenn man z.B. sieht wie Leu­te in den Kom­men­tar­bäu­men grö­ße­rer Zei­tungs­sei­ten auf­trump­fen, so ist man da mei­ner Mei­nung noch wei­ter von der Eman­zi­pa­ti­on ent­fernt als in den Zei­tun­gen selbst?
    Das ist auch mei­ne Be­ob­ach­tung. Aber das kommt eben da­her, weil die Leu­te end­lich ein­mal et­was »sa­gen« dür­fen, d. h. ih­re Äu­ße­run­gen wer­den (fast) un­ge­fil­tert ver­öf­fent­licht. Das ist das für vie­le im­mer noch Neue am/im In­ter­net.

    -

    Zur Eloquenz/Rhetorik: Meist dient doch die­se Art Rhe­to­rik da­zu, die nur sehr dün­ne Ar­gu­men­ta­ti­on zu ca­mou­flie­ren.

  19. @Phorkyas/Gregor
    Man kann sei­ne Em­pö­rung nicht nur im Freun­des­kreis los­wer­den, son­dern ge­gen­über den­je­ni­gen, die sie aus­lö­sen – sie wird da­durch we­ni­ger ab­strakt aus­ge­lebt (ich glau­be, dass das für den Em­pö­ren­den wich­tig ist; auch dass er ge­hört wird). An­son­sten habt ihr na­tür­lich recht (und die Zei­tun­gen pro­fi­tie­ren na­tür­lich von zahl­rei­chen Kom­men­ta­ren, weil Wer­be­ein­schal­tun­gen dann mehr Geld brin­gen).

    -

    Aber auch der Brink­em­per Ar­ti­kel auf »Glanz und Elend« war über wei­te Strecken sprach­lich fürch­ter­lich über­frach­tet.

  20. Das Dampf­ab­las­sen­koen­nen spielt si­cher­lich, wie auch juengst, ei­ne Rol­le (bei Gut­ten­berg ha­be ich lan­ge ver­sucht, das The­ma zu igno­rie­ren, aber ir­gend­wann muss­te ich mich/mein Herz dann doch in Der Dschun­gel er­leich­tern – )

    Mir ging es mehr um un­ser al­ler Duen­kel (Kom­men­tar­schrei­ber wie Blog­ger), den ei­ner von Me­tep­si­lo­n­e­mas Kom­men­ta­ren apho­ri­stisch auf den Punkt brach­te:
    Die Ver­har­schung des Ge­har­nisch­ten, die Ver­ar­schung der Arsch­ni­schen, das Be­män­teln men­ta­ler Män­gel – für vie­le ist DAS der Sinn des Schrei­bens. Theo­bald Huck

    [Bei ei­ner Dis­kus­si­on in der Zeit, der Ar­ti­kel ueber Haw­king und Re­li­gi­on vs. Wis­sen­schaft, ist mir die gei­sti­ge Auf­plu­ste­rung doch uebel auf­ge­sto­ssen – Leu­te, die mit ih­rem auf­ge­pump­ten Ar­gu­men­ta­ti­ons­huel­sen den kom­plet­ten Dis­kurs­raum ver­stell­ten – viel­leicht mein­ten sie’s ja auch gar nicht so und wa­ren nur teil­wei­se et­was ueber­en­ga­giert bei der Sa­che, doch das boe­se Blut, die rhe­to­ri­schen Ne­bel­ker­zen ei­ner sich end­los zie­hen­den Dis­kus­si­on hat dann wahr­schein­lich auch vie­le an­de­re ab­ge­schreckt.. nun moech­te ich aber nicht wei­ter mit mei­nen ein­ge­klam­mer­ten Tex­ten, die schon die Nich­tig­keit mei­ner Aeu­sse­rung mar­kie­ren sol­len, wei­ter die­sen Dis­kurs­raum ver­stop­fen...]

    PS. Das bloe­de »bei­na­he« haet­te ich mir spa­ren koen­nen – hab ich mir das Buch doch mal be­stellt. (Rueck­mel­dung, falls er­wuenscht kann bei mir ja aber im­mer dau­ern..)

  21. OT: @Metepsilonema, du mein­test den Text zum Gut­ten­berg?
    Pfff.. Bei mir war schon fast nach dem hier Schluss:
    »Das post­mo­der­ne Zi­ta­ten­spiel ist mitt­ler­wei­le auch au­ßer­halb der ho­hen Li­te­ra­tur durch in­ter­net­ge­stütz­te Wie­der­erken­nung und Mas­sen­selbst­be­die­nung zu ei­ner Hy­per­text­pro­duk­ti­on und ni­vel­lie­ren­den Cha­tun­kul­tur an­ge­schwol­len, bei der die In­di­vi­dua­li­tät, Krea­ti­vi­tät und maß­stabs­set­zen­de Au­toren­schaft vir­tu­ell schon längst im Ka­ta­rakt wi­der­spre­chen­der und auf­ge­fä­cher­ter Aus­sa­ge­lo­sig­keits­sy­ste­me auf­ge­löst wor­den sind.«

    Wer sich so ei­nen ab­schwur­belt, im an­schwel­len­den Bocks­ge­sang wi­der den Hy­per­text, der soll­te auch ge­nau sein:
    »hat Gut­ten­berg sich selbst zum Dok­tor auf den Schul­tern der von ihm Zi­tier­ten er­nannt«
    Wae­ren es Zi­ta­te, da­zu ge­hoert ja, dass sie als sol­che er­kenn­bar sind, denn sonst sind’s ja kei­ne Zi­ta­te, haet­te Herr Gut­ten­berg ja das Pro­blem nicht ge­habt. Der Text­auf­haen­ger is al­so was wack­lig be­fe­stigt?

    Und ueber­haupt ge­quirl­tes Ge­schae­um, muss man das so an­rich­ten?.. Ich wollt’ schon po­le­mi­sie­ren, mer­ke aber ge­ra­de, dass das un­noe­tig ist. Wuerd’ der Au­tor das gan­ze nicht so auf­blae­hen, haett’ ich ihm viel­leicht so­gar zu­stim­men koen­nen, so je­doch laedt er na­tuer­lich zu der Ent­geg­nung ein, dass nicht der Hy­per­text das Pro­blem son­dern:
    »Das post­mo­der­ne Dok­tor­spiel ist mitt­ler­wei­le auch au­ßer­halb der ho­hen Li­te­ra­tur und Wis­sen­schaft durch in­ter­net­ge­stütz­te Selbst­auf­plu­ste­rung zu ei­ner Hy­per­text­pro­duk­ti­on und ni­vel­lie­ren­den Hoch­spra­che­si­mu­la­ti­on ver­kom­men, bei der die Ge­dan­ken­ar­mut und Ideen­lo­sig­keit der Ver­fas­ser, in an­de­re Satz­teil­ge­fil­de out­ges­ourct, die­se schon gar nicht mehr wahr­ge­nom­men oder das Verb des Sat­zes wie sein Sinn ver­lust­frei ent­sorgt oder nicht mehr auf­ge­fun­den...«
    Oops, I did it again.
    (Ir­gend­wie er­in­nert mich das grad an Th. Bern­hards Schil­de­rung des Volks­emp­fin­den, wel­ches dem ‘In­tel­lek­tu­el­len’ ge­nau die Ver­ach­tung zu­kom­men laesst, die er ver­dient – soll’n die/wir sich/uns ma auf­plu­stern un sich wich­tig ma­chen – is ja wurscht)

  22. @Phorkyas
    Ja, den mein­te ich. Und an das so­ge­nann­te ge­sun­de Volks­emp­fin­den dach­te ich auch (wo­bei es auch et­was wie das ge­sun­de In­tel­lek­tu­el­len­emp­fin­den gibt – aber das soll jetzt nicht The­ma sein).

    Es ist eben be­zeich­nend, wenn man (be­müht) nach mehr klin­gen will, als man tat­säch­lich zu sa­gen hat (ein Ge­fühl das ich auch bei Slo­ter­di­jk nicht los wer­de, so klug sei­ne Ein­las­sun­gen sind) – und dop­pelt pro­ble­ma­tisch ist es in der vor­lie­gen­den Cau­sa.

  23. [..] pro­ble­ma­tisch ist es in der vor­lie­gen­den Cau­sa. – Hät­te er dies re­flek­tiert hät­te viel­leicht so­gar ein wit­zi­ger oder zu­min­dest ge­witz­ter Text dar­aus wer­den kön­nen; wenn er die er­zeug­te Fall­hö­he selbst hin­un­ter­springt – so be­kom­me ich je­doch als Le­ser eher Lust den Text über die Plan­ke ge­hen zu las­sen.
    ________________
    (En­de des Vor­über­ge­hen­den)

    Wo­mit wir bei ei­ner der Me­ta­phern wä­ren, wie man laut Frau Schwens-Herrant mit ei­nem Text nicht um­ge­hen dür­fe, als (Piraten-)Richter den Dau­men he­bend oder sen­kend. Selbst Ra­nickis An­walt der Li­te­ra­tur er­scheint ihr pro­ble­ma­tisch, weil die Plä­doy­ers schon zu ein­deu­tig sind, dem schil­lern­den Nicht-Ding­fest-Ma­chen-Kön­nen von Li­te­ra­tur nicht ge­recht wer­den. Das ge­hört für mich zu den Din­gen, die ich mit­neh­me: Wie schön auch die Li­te­ra­tur­kri­tik schil­lern könn­te, wenn sie zu­gä­be, dass sie mit ih­rem Ge­gen­stand nicht fer­tig wird, nicht fer­tig wer­den kann. Dass es dann ein plu­ra­li­sti­sches, bun­tes Stim­men­ge­wirr ge­ben könn­te; le­ben­dig, be­rei­chernd. – Sie deu­tet gar an, dass Li­te­ra­tur­kri­tik da­mit auch Spie­gel der ge­sam­ten Ge­sell­schaft, der Le­ben­dig­keit ih­rer Mit­glie­der sei.
    Welch’ wun­der­ba­res Bild,.. wenn’s nur so wär’. Als Kri­ti­ker könnt’ man schon Angst be­kom­men, was man da so al­les lei­sten soll­te: Wäh­rend der Be­wer­tung, ih­re Kri­te­ri­en­hiera­chien of­fen­le­gen, am be­sten noch die ei­ge­ne Lek­tü­re­er­fah­rung durch das auf­blicken­de Le­sen schon hin­ter­fragt ha­ben und so auch die ei­ge­ne Kri­tik re­flek­tie­ren, das ei­ge­ne Ur­teil in­fra­ge­stel­len... Das al­les in ei­ne klei­ne Spal­te ge­szwängt? Nein, Frau Schwens-Herrant ge­steht schon ein, dass dies nicht von ei­ner ein­zel­nen Kri­tik ge­lei­stet wer­den kann und soll, erst die Un­ter­schied­lich­keit der Stim­men wür­de die­se Plu­ra­li­tät ge­währ­lei­sten. Dass es um die­se Viel­falt nicht im­mer so gut be­stellt ist, re­flek­tiert die Au­torin auch an vie­len Punk­ten: die Zwän­ge des »Mark­tes«, der vor­aus­ei­len­de Ge­hor­sam, der nur pro­du­ziert und schreibt, was auch Quo­te ma­chen könn­te, die in­ter­nen Vor­gän­ge, macht­po­li­ti­schen Spie­le in den Re­dak­ti­ons­stu­ben – was je­doch nicht re­flek­tiert wird oder re­flek­tiert wer­den kann ist die­se post­mo­der­ne Me­ta­theo­rie selbst: die­se War­te, Po­si­ti­on, die die­se Mehr­zahl an Theo­rien und Deu­tun­gen zu­lässt, ent­zieht sich der Kri­tik. Die Ein­zel­theo­rien wer­den re­la­ti­viert, sie dür­fen sich nicht zur all­zeit gül­ti­gen, ein­zi­gen Theo­rie auf­schwin­gen, wie zu schrei­ben sei. Dann wä­re Li­te­ra­tur tot, ih­re Wand­lungs­fä­hig­keit er­schöpft. Ich muss zu­ge­ben, was hier in Fra­ge ge­zo­gen wür­de, wä­re die Art und Wei­se von Öf­fent­lich­keit, der Dis­kurs, die De­mo­kra­tie selbst. Soll­te Kri­tik so­gar das dür­fen, wo sie stö­rend ein­grei­fen darf, in­ne­hal­ten kann in der Ge­schäf­tig­keit des Be­trie­bes und sich fra­gend um­blicken, wo man denn da über­haupt sei? (ist hier Öf­fent­lich­keit und De­mo­kra­tie über­haupt vor­han­den oder nur si­mu­liert?)...

    So hät­te Frau Schwens-Herrant auch ih­re Dar­stel­lung selbst den Zwei­feln aus­set­zen kön­nen. Setzt sie selbst doch kräf­ti­ge Fra­ge­zei­chen hin­ter die Auf­fas­sung, Kri­tik sol­le ori­en­tie­ren und Über­blick ge­ben – denn ih­re Dar­stel­lung tut ja auch ge­nau dies: die Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler und Kri­ti­ker, die sie her­an­zieht, de­ren Zi­ta­te sie be­kräf­tigt oder gar ab­lehnt, ge­schieht dies al­les vor dem Hin­ter­grund ih­rer ei­ge­nen post­mo­dern-plu­ra­li­sti­schen Theo­rie?

    Mir ist klar, ich be­we­ge mich schon auf sehr dün­nem Eis. Wenn es scheint, ich ver­such­te da­mit ernst­haft ei­ne Kri­tik an den Tex­ten von Frau Schwens-Herrant, so.. ist dies wie schon an­ge­deu­tet auch teil­wei­se schon der Ver­such, ih­re Grund­sät­ze und An­sät­ze um­zu­set­zen. So an­re­gend wirk­ten ih­re Tex­te, dass ich ih­re Denk­an­stö­ße am lieb­sten gleich fort­füh­ren wür­de, ih­re er­zäh­len­de Kri­tik selbst aus­pro­bie­ren (viel­leicht ja mit Hand­kes »Mo­ra­wi­scher Nacht«, auch wenn das Bild viel­leicht schon was un­scharf wä­re?)

  24. Schö­ner Kom­men­tar
    Wenn Du Frau Schwens-Herrants Kri­te­ri­en auf un­se­re Dis­kus­si­on be­ziehst, über­siehst Du doch, dass wir nicht über Li­te­ra­tur, son­dern ei­nen sach­be­zo­ge­nen Es­say ur­teil­ten. Das kann man viel­leicht nicht hun­dert­pro­zen­tig tren­nen, aber er hat doch deut­lich an­de­re In­ten­tio­nen und ist kei­ne fik­ti­ve Er­zäh­ler­re­de, son­dern per­sön­li­che Be­trach­tung. Oder be­zieht sie ihr Ver­bot auf je­den Text?

    Ich ha­be das Buch (noch) nicht ge­le­sen, aber ir­gend­ei­ne Art von Theo­rie oder An­nah­me gibt es im Hin­ter­grund im­mer, so­lan­ge sie sicht­bar bleibt, ist das in Ord­nung; ich ver­ste­he ge­ra­de Dei­nen Punkt nicht ganz, aber es ist schon spät – ich ver­su­che es mor­gen noch ein­mal.

  25. Tol­le Re­zen­si­on
    Dan­ke für die­se Re­zen­si­on – ich den­ke, ich wer­de mir das gu­te Stück ein­mal zu­le­gen. Ich hab zwar schon ein, zwei Bü­cher über Li­te­ra­tur­kri­tik, aber nach dei­ner Be­spre­chung den­ke ich, dass die bei wei­tem nicht so gut sind wie das hier.

  26. #26
    (OK, das war viel­leicht et­was ir­re­füh­rend – ich hat­te ei­gent­lich ein Trenn­zei­chen ein­bau­en wol­len, wie ich es jetzt ein­ge­fügt ha­be – un­se­re off-to­pic Dis­kus­si­on hat­te ich nur als Auf­hän­ger miss­braucht, um wie­der zum Buch zu­rück­zu­fin­den)

    Ein schö­nes Zi­tat möch­te ich noch an­fü­gen:
    »Auf­fäl­lig oft ge­schieht Wer­tung aus­schließ­lich nach dem ei­ge­nen Ver­ständ­nis von Li­te­ra­tur (das wä­re für ei­nen Hob­byl­eser kein Pro­blem), oh­ne dass die­ses noch­mals kri­tisch hin­ter­fragt wür­de (das müss­te man aber von Li­te­ra­tur­kri­ti­kern er­war­ten dür­fen). Um das Bei­spiel »Wirk­lich­keits­nä­he« noch ein­mal auf­zu­grei­fen: Ein Kri­ti­ker liebt rea­li­sti­sche Ro­ma­ne und fegt da­her al­le Ro­ma­ne, die sei­ner per­sön­li­chen Vor­stel­lung von Rea­lis­mus nicht ent­spre­chen, als zu ge­heim­nis­krä­me­risch vom Tisch, oh­ne sein Ver­ständ­nis von Li­te­ra­tur ein­mal zu hin­ter­fra­gen.«

    (Eat this Ri­chard Käm­mer­lings (; )

  27. @Phorkyas
    Ur­tei­len, nicht ver­ur­tei­len, hät­te ich ge­sagt, aber all­zu »kor­rekt« darf man auch nicht sein: Ein­mal zwin­kern­den Au­ges wet­tern, war­um nicht?

    Wie du schon schreibst, ist Frau Schwens-Herrants Theo­rie de­mo­kra­tisch, viel­stim­mig, aber sagt sie auch, dass al­le Stim­men gleich­wer­tig sind und es egal ist wel­che Po­si­ti­on man ein­nimmt (wä­re nicht das erst kon­se­quent post­mo­dern)?

    Dein Haupt­punkt ist, dass sie ei­gent­lich nur ge­gen ih­re Theo­rie kon­tra­stiert und ver­wirft was nicht da­mit über­ein­stimmt, oh­ne die­se Vor­gangs­wei­se zu the­ma­ti­sie­ren?

    [Al­fred Bren­del hier mit ei­ni­gen tref­fen­den Be­mer­kun­gen zu Kri­tik und Li­te­ra­tur.]

  28. @Phorkyas
    Ich glau­be, Schwens-Har­rant kri­ti­siert nicht MRR als »An­walt der Li­te­ra­tur«, son­dern zu­nächst ein­mal das Si­mu­lie­ren die­ses Ver­hal­tens, in dem Ge­schmacks­ur­tei­le ver­ab­so­lu­tiert wer­den. Eben da­durch macht er ex­akt das Ge­gen­teil des­sen, was er in der Öf­fent­licht­keit er­zählt: Er stran­gu­liert Li­te­ra­tur, die nicht sei­nen Kri­te­ri­en ent­spre­chen.

    Wei­ter­hin glau­be ich nicht, dass sich Schwens-Har­rant be­son­ders wi­der­spricht. Auch So­kra­tes, der sag­te, dass er weiss, das er nichts weiss, muß­te das wis­sen. Er/Sie wird sich im­mer in ei­nem ge­wis­sen Wi­der­spruch fin­den, der je­doch nicht zwin­gend die Theo­rie in­fra­ge stellt.

    Tat­säch­lich bin ich der Mei­nung, dass es Kri­te­ri­en für Li­te­ra­tur­be­ur­tei­lun­gen gibt. Und zwar ob­jek­ti­ve wie sub­jek­ti­ve. Ge­fähr­lich wird es, wenn der Kri­ti­ker dies mit­ein­an­der ver­mengt. Bes­ser wä­re es, dass, wenn ein Werk die ob­jek­ti­ven Kri­te­ri­en er­füllt, das sub­jek­ti­ve Ge­schmacks­ur­teil wenn nicht un­ter­drückt, so doch in die zwei­te Rei­he ge­stellt wird. Ich muß an­er­ken­nen, dass der Schrift­stel­ler X ein Kön­ner ist, auch wenn mir sein Text viel­leicht sub­jek­tiv nicht ge­fällt. Der Kri­ti­ker kann nun sein Miß­fal­len the­ma­ti­sie­ren. Oder er kann ver­su­chen, dem Le­ser – und da­mit sich sel­ber – das Buch na­he­zu­brin­gen, zu er­zäh­len. Im er­sten Fall ist ei­gent­lich nichts ge­won­nen. Im an­de­ren Fall be­gibt sich der Kri­ti­ker als Le­ser (!) auf die Su­che. Er kann da­bei Schei­tern – und viel­leicht ge­ra­de die­ses Schei­tern the­ma­ti­sie­ren. Er könn­te da­bei ge­win­nen und dies dem Le­ser mit­tei­len. Oder er könn­te sei­ne In­dif­fe­renz er­ken­nen.

    Die Pro­ble­me lie­gen auf der Hand: Die mei­sten kri­ti­ker se­hen sich als apo­dik­ti­sche Rich­ter, die ih­re Ur­tei­le fäl­len. Dies ist ei­ne Er­war­tungs­hal­tung, die nicht zu­letzt im­ma­nent im »Be­trieb« an­ge­sie­delt ist und da­mit auch beim Pu­bli­kum. Mei­ne The­se: Mehr als 50% der gän­gi­gen Li­te­ra­tur­kri­ti­ken sind gänz­lich un­brauch­bar. Man kann an und in ih­nen häu­fig er­ken­nen, dass der Re­zen­sent kei­ne Zeit und kei­ne Lust hat­te, sich mit dem Buch in­ten­siv aus­ein­an­der zu set­zen. Wie auch, wenn schon die näch­ste Sperr­frist winkt?

    Aber es ist nicht nur ein pro­blem des Be­triebs. Es ist auch ein vor­ei­li­ges Bed­eie­nen ei­ner Er­war­tungs­hal­tungd es po­ten­ti­el­len Le­sers. Fi­gu­ren wie Scheck, der die Spie­gel-Best­sel­ler­li­sten mit iro­ni­schen und zy­ni­schen Kom­men­ta­ren ver­sieht und da­nach Bü­cher weg­schmeißt, wer­den von ei­nem ge­wis­sen Pu­bli­kum ge­ra­de­zu her­bei­ge­sehnt.

  29. An den »An­walt der Li­te­ra­tur« kann ich mich noch sehr ge­nau er­in­nern, weil sie die­se von MRR selbst ge­waehl­te Be­zeich­nung ex­pli­zit her­aus­greift und dar­stellt, was ih­rer Mei­nung nach auch pro­ble­ma­tisch an die­sem Ge­ba­ren ist. Sie ha­ben recht, da­vor be­han­delt sie vor­nehm­lich den ‘Rich­ter’, aber ich kann mich nicht ent­sin­nen, dass sie MRR ei­nen sol­chen nennt (auch wenn es na­he­liegt, denn oft spielt er wohl mehr den Rich­ter als den An­walt). Lei­der weiss ich jetzt ad hoc nicht ganz ge­nau, was Frau Schwens-Har­rant am An­walt aus­zu­set­zen hat­te, ich glau­be, es ging un­ter an­de­rem dar­um, dass MRR auch vom Kampf und Rin­gen um das Ur­teil sprach, bei wel­chem der Kri­ti­ker eben als An­walt mit­wir­ke. Es koenn­ten die­se Art von krie­ge­ri­scher Me­ta­pher ge­we­sen sein, aber ich glau­be, ei­ner der Haupt­punk­te von Frau Schwens-Har­rant war, dass laut MRR der Kri­ti­ker die­sen Kampf vor dem Pu­bli­kum ver­ber­gen mues­se, ei­ne Art Kon­kla­ve, Pro­zess un­ter Aus­schluss der Oef­fent­lich­keit, weil es sonst nicht so fest und deut­lich klin­gen kann, wie es muss, um nach au­ssen hin Be­stand zu ha­ben, man darf sich sein Schwan­ken, sei­ne Un­si­cher­heit nicht ein­ge­ste­hen (ich weiss nicht mehr, ob sie das so auch sagt: hier geht es dann viel­leicht auch um Macht: das si­che­re, fe­ste Ur­teil re­prae­sen­tiert mehr, kann mehr Wir­kung ent­fal­ten als ein sol­ches wel­ches noch der Selbst­zwei­fel nagt) – dies mues­se laut Schwens-Har­rant nicht sein, die Kri­tik duer­fe zoe­gern, wan­ken, sich in Fra­ge stel­len...
    (das ist jetzt nicht so weit weg, von dem was Sie schrie­ben; nur, es ging bei MRR, der ja nur am Ran­de kri­ti­siert wird, glau­be ich, pri­maer nicht um den ‘Rich­ter-Kri­ti­ker’)

    Das mit Scheck fin­de ich in­ter­es­sant. Denn ich muss ge­ste­hen, dass ich mir ihn doch ab und an mal ger­ne an­ge­schaut ha­be. Ich glau­be, da­bei ging es mir beim Li­te­ra­ri­schen Quar­tett auch: um die Un­ter­hal­tung. Es ist Show: wenn der ‘Im­pe­ra­tor’ den Dau­men hebt oder senkt, oder wenn die Kri­ti­ker die Klin­gen kreu­zen... Und doch ich steh’ auch wei­ter da­zu, dass ich das un­ter­halt­sam finde/fand. Un­ter­hal­tung koenn­te ja auch mal mit et­was Ni­veau aus­ge­stat­tet sein. Ob die­se Sen­dun­gen, das dann wirk­lich lie­fern, ist na­tuer­lich die Fra­ge. (Und ob die Im­pe­ra­to­ren ver­ant­wort­lich mit ih­rer Macht um­ge­hen ist zu fra­gen – nicht dass dann, wie Sie schrie­ben »die Stra­sse mit den Lei­chen ih­rer Op­fer« ge­pfla­stert wird). Ein Buch nach Schecks Sen­dung aus­zu­waeh­len, fie­le mir wohl nicht ein – die­se Sen­dung dient ja wahr­schein­lich auch fuer die mei­sten nur als Be­stae­ti­gung und Be­ru­hi­gung, dass man all die­se Best­sel­ler-Schrott­bue­cher zum Glueck doch nicht le­sen braucht. (Das ist im Grun­de ge­nom­men auch ziem­lich arm­se­lig; ei­ne ‘Li­te­ra­tur­sen­dung’ zu schau­en, um Bue­cher nicht zu le­sen, hier geht es al­so schon kaum noch um Li­te­ra­tur­ver­mitt­lung oder dar­um Men­schen fuer das Ein­zig­ar­ti­ge am Buch zu in­ter­es­sie­ren – die­ses Ar­muts­zeug­nis stel­le ich mir jetzt aus)

  30. @Phorkyas
    Sehr hüb­scher Ge­dan­ke: Schecks Sen­dung als ei­ne Art »Ab­schreckung«. Dar­auf bin ich noch nicht ge­kom­men. Wo­bei der Haupt­teil der Sen­dung na­tür­lich die Emp­feh­lung dar­stellt; sei­ne In­ter­views sind weich­ge­spült. Ne­ga­ti­ves gibt es dann nur für die Schrott­best­sel­ler und hier ist dann die Ab­schreckung zu er­ken­nen. Ne­ben­bei: Die­se Best­sel­ler­be­spre­chun­gen macht Scheck auch im Deutsch­land­funk, al­so im Ra­dio.

    Na­tür­lich hat­te ich auch im­mer das Li­te­ra­ri­sche Quar­tett ge­schaut. In ei­ner Stadt, in der es nur ei­ne Im­biß­bu­de gibt, wird die schnell zum Re­stau­rant. Was da­nach kam (Hei­den­reich; die »Vor­le­ser«) war ja nur noch pein­li­cher. Im Grun­de ge­nom­men ge­riet das Quar­tett aber im­mer mehr zur Zir­kus­are­na; um die Bü­cher ging es nicht mehr. Man er­war­te­te nur die Ver­damm­nis oder das Lob des Pap­stes.

    Am »An­walt der Li­te­ra­tur« stört mich das Be­sitz­ergrei­fen­de. Au­ßer­dem im­pli­ziert es, dass die Li­te­ra­tur »an­ge­klagt« ist – und es je­man­den be­dür­fe, der ver­mit­telt. Wo­zu sonst braucht man ei­nen An­walt? Er ist doch zu­meist nur je­mand, der ei­nem die Fall­stricke des Ju­stiz­be­triebs vom Lei­be hält.

  31. Be­zieht sich Frau Schwens-Har­rant ei­gent­lich auf Kant?
    Ich bin in et­was an­de­rem Zu­sam­men­hang über die Kri­tik der Ur­teils­kraft ge­stol­pert. Kant grün­det den gu­ten Ge­schmack im Sub­jek­ti­ven, der frei von In­ter­es­sen blei­ben soll, aber zu­gleich Gel­tung über das Sub­jek­ti­ve hin­aus for­dern kann, weil er sich an der in­ne­ren Stim­mig­keit (z.B. ei­nes Werks) fest­macht. Es gibt nach Kant kei­ne all­ge­mein­gül­ti­ge, auf den Be­griff ge­brach­te Schön­heit, weil sie aus der In­ter­ak­ti­on des In­di­vi­du­ums mit dem Ge­gen­stand der Be­trach­tung her­vor­geht. Wir müs­sen al­so gar nicht über post­mo­der­ne Me­ta­po­si­tio­nen dis­ku­tie­ren, um Kri­ti­ker, die ver­su­chen letzt­be­grün­de­te Ur­tei­le zu fäl­len, in die Schran­ken zu wei­sen.

  32. Nein, Kant wird m. W. (No­ti­zen und Er­in­ne­rung) nicht er­wähnt. In den Mot­ti tau­chen nur je ein­mal Ador­no und Fou­cault auf.

    Wenn ich Dich rich­tig ver­ste­he und das ein biss­chen sa­lopp for­mu­lie­re be­deu­tet das: Es gibt kei­ne all­ge­mein gül­ti­gen Kri­te­ri­en, da das sub­jek­ti­ve Emp­fin­den (zu­nächst) nie ob­jek­tiv ist. Das wä­re dann in der Tat »be­lie­big«.

  33. Jein. Ich pa­ra­phra­sie­re jetzt Kon­rad Paul Liess­mann, der in ei­nem sei­ner Bü­cher fest­hält, dass Kant da­mit dem Fak­tum ge­recht wird, dass es nach je­der Aus­stel­lung oder je­dem Kon­zert ge­gen ein­an­der ste­hen­de äs­the­ti­sche Dif­fe­ren­zen gibt, über die man sehr wohl strei­ten kann, die sich aber im Hin­blick auf die Stim­mig­keit des Werks nicht rest­los auf­lö­sen las­sen. Das ist auch schlüs­sig, denn Ho­ri­zont und Per­sön­lich­keit der Re­zi­pi­en­ten sind nun ein­mal sehr un­ter­schied­lich und war­um soll­te das kei­ne Rol­le spie­len?

    Die Be­mer­kung »ich fin­de et­was gut« ist nach Kant kein äs­the­ti­sches Ur­teil (so ein­fach ist es nicht). Auch nicht, wenn es po­li­ti­sche oder an­de­re In­ter­es­sen (Hun­ger, Durst, Lust) ei­ne Rol­le spie­len, es muss in­ter­es­sen­los sein (Kant spricht sich hier für ei­ne Au­to­no­mie des Kunst­werks aus). Auch das ist sehr plau­si­bel: Wenn ich ei­nem Werk in­ter­es­sen­los ge­gen­über­tre­te und zu ei­nem Ur­teil ge­lan­ge, al­so ver­su­che das Werk spre­chen zu las­sen, dann be­an­sprucht mein Ur­teil Gül­tig­keit über die Per­son hin­aus (ob­wohl nicht un­ab­hän­gig von ihr).

    Es geht Kant da­bei um das äs­the­ti­sche Ur­teil im All­ge­mei­nen, nicht nur um Kunst, die aber im Ge­gen­satz zur Na­tur, ei­ne (na­ja et­was flap­sig) an­de­re Eig­nung dies­be­züg­lich be­sitzt.

  34. Vor ein paar Ta­gen zu En­de ge­le­sen...
    Der fra­gen­de Ge­stus ge­lingt weit­ge­hend, manch­mal er­scheint er al­ler­dings et­was zu ge­wollt, z.B. dort wo ei­ne De­fi­ni­ti­on von Li­te­ra­tur ver­sucht wird oder es um Be­wer­tungs­kri­te­ri­en geht. Schwens-Har­rant hat – so könn­te man Phor­k­yas’ Kri­tik an post­mo­der­nen Me­ta­theo­rie auch aus­le­gen -, Über­le­gun­gen wie Grau­be­rei­che au­ßer Acht ge­las­sen oder Kri­te­ri­en, die auch im Sub­jek­ti­ven fun­da­men­tiert sind; es läuft eher auf ein prin­zi­pi­el­les »es geht nicht« hin­aus. Ein Bei­spiel: Das Kon­zept »Stim­mig­keit« wird ver­wor­fen, aber nicht die Mög­lich­keit er­wo­gen, dass da­für per­sön­li­che Er­fah­run­gen (Kennt­nis­se, Wis­sen, Sicht­wei­sen) ei­ne Rol­le spie­len. Stim­mig­keit könn­te al­so in die­sem Sinn ein all­ge­mei­nes Kri­te­ri­um blei­ben (und ist es m.E. auch), wür­de sich sub­jek­tiv aber je­weils an­ders äu­ßern. So kommt es, dass ich mir an man­chen Stel­len, wie dem »Li­te­ra­tur­de­fi­ni­ti­ons­ka­pi­tel«, ei­ne et­was mehr in ei­ne Rich­tung wei­sen­de Hand ge­wünscht hät­te (De­fi­ni­tio­nen nach­schla­gen und auf­li­sten, kann man selbst auch; zu­ge­ge­ben, das ist jetzt ver­ein­facht); gleich­zei­tig ist die­se of­fe­ne Art der Dar­stel­lung für den Le­ser an­spruchs­voll und für den Au­tor ei­ne Mut er­for­dern­de; grund­sätz­lich ge­fällt mir das.

    Ich weiß nicht ob ich et­was län­ger ge­braucht ha­be, um mich auf den Stil der Au­torin ein­zu­stel­len, aber die er­sten paar Ka­pi­tel kom­men mir in der Rück­schau et­was we­ni­ger ge­lun­gen vor, als der über­wie­gen­de Rest des Buchs; es ge­lingt ihr in je­dem Fall vie­le neue Aspek­te und Sicht­wei­sen dar­zu­stel­len oder her­vor­zu­he­ben (Kri­tik als Er­zäh­lung, Se­lek­ti­on, In­halt und Be­wer­tung, kunst­schaf­fen­de Kri­tik, kri­tik­schaf­fen­de Kunst...). Ein we­nig Zwei­fel ha­be ich, ob sie dem The­ma Li­te­ra­tur­kri­tik im In­ter­net (auch was die Be­wer­tung von Tex­ten an­geht; ich ha­be das nicht noch ein­mal nach­ge­schla­gen, aber in Er­in­ne­rung, dass sie da an­de­re Kri­te­ri­en im Au­ge hat­te), tat­säch­lich ge­recht wird, ihr Bild scheint mir zu sehr von Kun­den­re­zen­sio­nen à la Ama­zon ge­prägt zu sein (hier geht es m.E. um et­was ganz an­de­res, als ei­ne Be­spre­chung oder Re­zen­si­on im ei­gent­li­chen Sinn).

  35. Ich weiß nicht ob ich et­was län­ger ge­braucht ha­be, um mich auf den Stil der Au­torin ein­zu­stel­len, aber die er­sten paar Ka­pi­tel kom­men mir in der Rück­schau et­was we­ni­ger ge­lun­gen vor, als der über­wie­gen­de Rest des Buchs;
    Das ist in­ter­es­sant. Ich hat­te ei­ne ähn­li­che Er­fah­rung ge­macht (wie auch bei der »Mo­ra­wi­schen Nacht«), dass mich der An­fang schon re­gel­recht ab­ge­sto­ßen und wi­der­wil­lig ge­macht hat – ich muss­te in bei­den Fäl­len erst ein­mal warm wer­den (mit dem Buch bzw. den Au­toren?). – Kann mich lei­der nicht mehr so ge­nau er­in­nern, ich glau­be, was mich ein biss­chen ver­drießt hat­te, dass die er­sten Ka­pi­tel teil­wei­se Kli­schees be­ar­bei­te­ten (das gro­ße Jam­mern, Ver­mark­tungs­rum­mel,...). Selbst wenn man nicht kli­schee­haft drü­ber schreibt, bleibt’s für mich ein un­wür­di­ges The­ma.. und viel­leicht auch noch et­was pau­schal klan­gen... (Kannst du das ev. fest­ma­chen? Bei dir ist die Le­se­er­fah­rung ja noch et­was jün­ger..)

  36. @metepsilonema
    Dan­ke für die­sen Ein­druck. Ich glau­be auch, dass sich die Au­torin ein biss­chen zu sehr Amazon-»Leserrezensionen« ver­steift hat, wenn sie über Li­te­ra­tur­kri­tik im In­ter­net spricht. Das hängt m. E. mit der re­la­tiv gro­ssen Wir­kung die­ser Plat­form zu­sam­men. Ver­la­ge wei­sen, wenn sie über­haupt auf Be­spre­chun­gen im In­ter­net hin­wei­sen, zu­nächst auf Ama­zon hin. Blogs kom­men bei ih­nen prak­tisch nicht vor. Ich weiß, wo­von ich re­de. Mei­ne Be­spre­chun­gen bspw. wer­den von Ver­la­gen auf de­ren Face­book-Sei­ten nicht ver­linkt – ob­wohl ich sie dar­auf hin­wei­se (wohl ge­merkt: ich re­de nicht von gro­ßen Ver­la­gen oder gar Kon­zer­nen). Aber wenn ein plüschibär21 ei­ne grif­fi­ge »Re­zen­si­on« auf Ama­zon (oder ei­nem an­de­ren, spe­zi­el­len Fo­rum­platz, den ich hier na­ment­lich er­wäh­nen möch­te) ver­fasst hat, oft ge­nug schon. Das ist so, als bür­ge heir der Be­trei­ber für die Qua­li­tät die­ser Aus­sa­gen. Blogs ha­ben – das ist durch­gän­gig in der Bran­che ver­an­kert – den schlech­te­sten Ruf über­haupt.

  37. @Phorkyas
    Bei mir kommt das schon mal vor, weil ich manch­mal mei­ne Zeit brau­che, um mich auf ei­nen an­de­ren Stil ein­zu­stel­len (das spielt aber we­ni­ger bei Sach­bü­chern ei­ne Rol­le); das Buch wird nach den er­sten paar Ka­pi­teln bes­ser und in­ter­es­san­ter (wie du selbst sagst: die Jam­me­rei und den Ver­mark­tungs­rum­mel ken­nen wir und ha­ben ihn hier auch im­mer wie­der dis­ku­tiert; das The­ma In­ter­net ge­nau­so; letzt­lich auch die Auf­ga­ben der Kri­tik, aber da wa­ren für mich trotz­dem ei­ni­ge neue Ge­dan­ken und Sicht­wei­sen da­bei).

    @Gregor
    Das hängt wohl auch mit der Mög­lich­keit zu­sam­men, das Buch auf Ama­zon so­fort kau­fen zu kön­nen (al­ler­dings kann ei­ne ne­ga­ti­ve Amazon-»Rezension« das Ge­gen­teil be­wir­ken). Aber wo­her die Ab­nei­gung und/oder der schlech­te Ruf kom­men, kann ich mir nicht zur Gän­ze er­klä­ren (das scheint mir schon ir­ra­tio­nal zu sein).

  38. @metepsilonema
    Dass bei Ama­zon so­fort der »kauf-mich«-Knopf da ist, stimmt. Das mag ei­ner der Grün­de sein.

    Der Le­ser wird im »Li­te­ra­tur­be­trieb« so gut wie nie als Le­ser wahr­ge­nom­men, son­dern nur als Käu­fer. Schwens-Har­rant be­merkt dies ja sehr wohl. Das ist aber ein Phä­no­men, was nicht erst seit Ama­zon & Co. exi­stiert, son­dern durch das klas­si­sche Feuil­le­ton be­för­dert und ze­men­tiert wur­de. Der Ab­stand zwi­schen Re­zen­sent und Kon­su­ment ist die Büh­ne; der Ka­the­der. Der Re­zen­sent ist was »Bes­se­res«. Der Le­ser liest, der Re­zen­sent weiß. Es ist ein Ver­dienst die­ses Bu­ches, dies so zu be­nen­nen.

    Der schlech­te Ruf ins­be­son­de­re der »Li­te­ra­tur­blog­ger« ist er­klär­bar. Die Mas­se der so­ge­nann­ten Li­te­ra­tur- und/oder Le­ser­blogs son­dert rein­ste Ge­schmacks­ur­tei­le ab. Ver­la­ge lie­ben das, so­lan­ge sie in ih­rem Sinn sind. Li­te­ra­tur­kri­ti­ker rümp­fen dar­über – zu Recht – die Na­se.

    Die Blog­sze­ne in Deutsch­land wird nur über ma­xi­mal ein Dut­zend Leu­te wahr­ge­nom­men, die in sich ei­ne ge­schlos­se­ne Peer-Group bil­den. Zu­meist han­delt es sich um Jour­na­li­sten, die sich zu­meist mit dem Me­di­um Blog bzw. »Web 2.0« sel­ber be­schäf­ti­gen. Li­te­ra­tur­blogs ha­ben es auch des­we­gen schwer, weil das Zei­tungs-Feuil­le­ton noch ver­hält­nis­mä­ssig ho­mo­gen ist und vor ei­ni­ger Zeit be­schlos­sen hat, al­les, was mit In­ter­net zu tun hat, »doof« zu fin­den. Der po­ten­ti­el­le Le­ser ver­traut die­sen Leu­ten, weil er al­lei­ne schon aus Zeit­grün­den fast kei­ne an­der Wahl hat.

  39. @Gregor
    Es ist ein Ver­dienst die­ses Bu­ches, dies so zu be­nen­nen.

    Das se­he ich ge­nau­so.

    Du schreibst ja selbst von so­ge­nann­ten Li­te­ra­tur- und/oder Le­ser­blogs: Aber ei­nen Vor­wurf kann man ih­nen doch nur dann ma­chen, wenn sie ei­nen an­de­ren An­spruch er­he­ben, als den des Ge­schmacks­ur­teils (es ist bei Gott nicht so, dass ich das nicht auch tä­te). Die mei­sten tun das aber nicht, oder?

    Aus Zeit­grün­den oder aus Ge­wohn­heit (bzw. Au­to­ri­tät) oder weil das Netz noch lan­ge nicht al­len sei­ne Stär­ken of­fen­ba­ren konn­te...

  40. Aber ei­nen Vor­wurf kann man ih­nen doch nur dann ma­chen, wenn sie ei­nen an­de­ren An­spruch er­he­ben, als den des Ge­schmacks­ur­teils (es ist bei Gott nicht so, dass ich das nicht auch tä­te). Die mei­sten tun das aber nicht, oder?
    Ich ver­ste­he, was Du meinst. Aber in­ter­es­sant ist, dass die­se El­ke-Hei­den­reich-ge­mä­ssen Platt­for­men kon­sti­tu­ie­rend und re­prä­sen­ta­tiv für Li­te­ra­tur­kri­tik im Netz ge­se­hen wer­den. Eben weil sie ei­ne ge­wis­se Prä­senz ha­ben.

  41. Ich ver­ste­he, was Du meinst. Aber in­ter­es­sant ist, dass die­se El­ke-Hei­den­reich-ge­mä­ssen Platt­for­men kon­sti­tu­ie­rend und re­prä­sen­ta­tiv für Li­te­ra­tur­kri­tik im Netz ge­se­hen wer­den.

    Lei­der. Im Netz fin­det sich eben viel all­täg­li­ches Ge­plau­der – war­um auch nicht? Und es ist völ­lig in Ord­nung das nicht (im­mer) ha­ben zu wol­len. An­de­rer­seits: Nie­mand wür­de al­le Zei­tun­gen (Ma­ga­zi­ne, u.a.) über ei­nen Kamm sche­ren, weil Bou­le­vard­blät­ter die auf­la­gen­stärk­sten sind. Viel­leicht braucht es ein­fach nur et­was Zeit.

    [EDIT: 2011-04-23 15:55]

  42. Sehr in­ter­es­siert ver­fol­ge ich die »Dis­kus­si­on« über Li­te­ra­tur­blogs und ent­decke dar­in et­was, an dass lei­der al­les krampft.
    Es gibt über­haupt kei­ne Selbst­kri­tik. Statt­des­sen wer­den dort ernst­haf­te Din­ge wie Au­gen­ope­ra­tio­nen, oder Par­tys dis­ku­tiert, de­ren In­halt (in Form ei­nes auf­lo­dern­den Bu­sens) man pein­lich fin­det.
    Über Pin­kel­pau­sen wird dis­ku­tiert und über das Hei­lig­tum Ero­tik.
    Aber Selbst­kri­tik fin­det man in sol­chen selbst­er­nann­ten Li­te­ra­tur­blogs nicht.
    Aber al­les in al­lem wün­sche ich mir das al­le ge­sund blei­ben, weil mich die­ser un­säg­li­che Mist auf un­sag­ba­re Wei­se er­regt.

  43. ich weiss, auf wel­chen Blog Sie an­spie­len – und ge­be Ih­nen Recht. Wo­bei ich die­ses Blog nicht als rei­nen Li­te­ra­tur­blog se­hen wür­de, son­dern als Au­toren­blog. Dar­aus wird dann hier (aber nicht nur hier) ei­ne Soap ge­macht.

    Da­bei zeigt sich die Schwä­che des ver­wen­de­ten Be­griffs »Li­te­ra­tur­blog«. Auch hier stim­me ich Ih­nen zu. Ich ha­be die­sen Be­griff hier ge­nom­men für Platt­for­men, die Li­te­ra­tur re­flek­tie­ren.

    Nicht nach­voll­zie­hen kann ich Ih­ren Ein­wand bzgl. der Selbst­kri­tik. ge­ra­de in die­sen aus­ufern­den nar­ziss­ti­schen Dis­kus­sio­nen herrscht in der so­ge­nann­ten Blogo­sphä­re kein Man­gel. Die »Selbst­kri­tik«, wie ich sie ver­ste­he, soll in ei­nem Blog oder Fo­rum durch die Kom­men­ta­re ein­ge­bracht wer­den und den Ver­fas­ser ggf. pro­vo­zie­ren.