Ein schänd­li­ches Ver­sa­gen

Zwei Aus­sa­gen des Ver­tei­di­gungs­mi­ni­sters zu Gut­ten­berg am Mon­tag auf der in­zwi­schen fast be­rühm­ten Wahl­kampf­ver­an­stal­tung der CDU zum Kom­mu­nal­wahl­kampf (!) in Hes­sen sind be­mer­kens­wert: Zum ei­nen er­klärt er sei­nen dau­er­haf­ten Ver­zicht, den Dok­tor­ti­tel zu füh­ren. Und zum an­de­ren »ge­stand« er ei­nen »Blöd­sinn« ge­schrie­ben zu ha­ben.

Der »Blöd­sinn« wur­de von der Uni­ver­si­tät in Bay­reuth mit »sum­ma cum lau­de« be­wer­tet. Da­mit gibt er der Uni­ver­si­tät und sei­nem Dok­tor­va­ter noch nach­träg­lich ei­nen Tritt. Und auch die zahl­rei­chen pla­gi­ier­ten Au­toren wer­den in­di­rekt be­lei­digt, denn all­zu viel Ei­gen­an­teil soll die Dok­tor­ar­beit ja nicht auf­wei­sen.

Wie ein er­tapp­ter La­den­dieb nun glaubt, mit der Rück­ga­be der ge­stoh­le­nen Pro­duk­te die An­ge­le­gen­heit er­le­di­gen zu kön­nen und ei­ner Straf­ver­fol­gung zu ent­kom­men, so gibt zu Gut­ten­berg nun den Dok­tor­ti­tel »dau­er­haft« zu­rück. Was bei 14jährigen, die ei­ne Tu­be Haar­gel ha­ben mit­ge­hen las­sen noch ge­ra­de ak­zep­ta­bel ist, ver­bie­tet sich je­doch bei ei­nem Mi­ni­ster gleich zwei­fach: Er­stens wuß­te der Mann ge­nau, was er tut. Und zwei­tens be­weist er da­mit er­neut, wie mar­gi­nal sei­ne Kennt­nis­se über den wis­sen­schaft­li­chen Be­trieb sind. Tat­säch­lich kann man näm­lich kei­nen Dok­tor­ti­tel zu­rück­ge­ben oder ab­le­gen. Man be­kommt ihn zu­er­kannt – oder auch ab­erkannt.

Es ist schon er­staun­lich wie schnell die an­son­sten ach so kri­ti­schen Jour­na­li­sten be­reit sind, sich von die­ser nass­for­schen Ak­ti­on ein­wickeln zu las­sen. In na­he­zu al­len Me­di­en war am Diens­tag zu le­sen, zu Gut­ten­berg ha­be auf sei­nen Dok­tor­ti­tel »ver­zich­tet« (FAZ, Welt, Fo­cus, Han­dels­blatt, usw.). Als Mel­dung ist dies na­tür­lich kor­rekt. Aber oh­ne die Er­läu­te­rung, dass dies gar nicht mög­lich ist, wird aus der Mel­dung ge­nau das, was der Mi­ni­ster woll­te: ein un­hin­ter­frag­ba­rer Tat­be­stand. Da­bei wä­re es ge­ra­de wich­tig, die Un­ver­ein­bar­keit die­ses Ver­zichts mit den uni­ver­si­tä­ren Re­geln her­aus­zu­stel­len, weil dies nicht al­len per se be­kannt sein dürf­te.

Statt­des­sen wird der »Ver­zicht« nun in al­len Talk­run­den als nor­ma­ti­ves Fak­tum dar­ge­stellt – und dis­ku­tiert. Dass die Bun­des­kanz­le­rin als Vor­sit­zen­de der »Bil­dungs­re­pu­blik Deutsch­land« hier mit­spielt – ob­wohl sie es bes­ser weiß – ist nicht nur kei­ne Ent­schul­di­gung, son­dern Teil die­ses bla­ma­blen Schmie­ren­thea­ters. Vor­läu­fi­ger, trau­ri­ger Hö­he­punkt: Füh­ren­de Uni­ons­po­li­ti­ker ver­su­chen, den Ver­zicht als Tu­gend um­zu­deu­ten. In­dem je­doch in den Me­di­en der Ver­zicht des Dok­tor­ti­tels als sa­tis­fak­ti­ons­fä­hi­ge Re­ak­ti­on dis­ku­tiert (auch kon­tro­vers dis­ku­tiert) wird, geht man dem Mi­ni­ster schon auf den Leim. Da hilft auch das trot­zi­ge Be­kennt­nis der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, man sei al­lei­ni­ger Ver­fah­rens­füh­rer, nicht wei­ter: Wenn die Jour­na­li­sten dies nicht ent­spre­chend ein­ord­nen, son­dern nur als State­ment un­kom­men­tiert ab­fil­men, ent­steht der Ein­druck, hier fuch­tel­ten au­ti­sti­sche El­fen­bein­tür­mer mit ei­nem stump­fen Sä­bel.

Tat­säch­lich of­fen­bar­te schon der am Wo­chen­en­de an­ge­kün­dig­te vor­über­ge­hen­de der Ver­zicht auf das Füh­ren des Dok­tor­ti­tels ein »neo­feu­da­les« Ver­ständ­nis nicht nur des Wis­sen­schafts­be­triebs. Wenn nun die Bun­des­kanz­le­rin die­ses Ver­ständ­nis über­nimmt, sind wir nicht mehr weit von ei­nem au­to­kra­ti­schen Macht­ver­ständ­nis, in­dem die po­li­ti­sche Klas­se sich ge­gen Re­geln und Vor­schrif­ten im­mu­ni­sie­ren kann. Macht­po­li­tisch mag Mer­kels Fest­hal­ten an zu Gut­ten­berg ge­bo­ten sein. Auf Dau­er ist ein sol­ches Gou­tie­ren nach Guts­her­ren­art ein fa­ta­les Zei­chen. Es wä­re not­wen­dig, dass die Jour­na­li­sten hier­auf hin­wei­sen. Ich ha­be ge­stern nur auf tagesschau.de in ei­nem Dos­sier ei­nen ein­deu­ti­gen Hin­weis dar­auf ge­fun­den, dass der Ver­zicht nicht mög­lich ist. Im klas­si­schen Mas­sen­me­di­um – dem Fern­se­hen – kam dies nicht oder höch­stens nur in ei­nem Halb­satz vor. Da­mit ar­bei­ten die Jour­na­li­sten dem Ab­schrei­ber in die Hän­de. Ein schänd­li­ches Ver­sa­gen.

58 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Doch,...
    ein Ver­zicht auf ei­nen ver­lie­he­nen Ti­tel ist grund­sätz­lich mög­lich, aber na­tür­lich nicht des­we­gen, weil man Scha­den für die ei­ge­ne Per­son durch ei­ge­ne Schuld ab­zu­wen­den ver­sucht. Auch kann er dar­auf ver­zich­ten, mit sei­nem Dok­tor­grad an­ge­spro­chen zu wer­den. Nur kann er so ei­ner Un­ter­su­chung des Zu­stan­de­kom­mens sei­ner Dok­tor­ar­beit nicht ent­ge­hen.

  2. @Carsten
    Ich ha­be mich auf den Text bei tagesschau.de ver­las­sen, der sich mit Aus­sa­gen von Be­kann­ten deck­te:

    Kann man sei­nen Dok­tor­grad sel­ber ab­le­gen?

    Nein, das ist nicht mög­lich. Dem Trä­ger den Dok­tor­grad ab­spre­chen kann nur die­je­ni­ge Ein­rich­tung, die ihn ur­sprüng­lich ver­lie­hen hat. Tut sie das nicht, bleibt er be­stehen und kann vom Trä­ger nicht ein­fach so ab­ge­legt wer­den, auch nicht über­gangs­wei­se. Es gibt haupt­säch­lich zwei mög­li­che Grün­de, den Dok­tor­grad zu ent­zie­hen: wis­sen­schaft­li­ches Fehl­ver­hal­ten, et­wa durch Fäl­schun­gen und Pla­gia­te, oder wenn der Grad­trä­ger schwer straf­fäl­lig ge­wor­den ist.

    Den aka­de­mi­schen Grad kann man nicht zu­rück­ge­ben. Man kann le­dig­lich dar­auf ver­zich­ten, den »Ti­tel« zu füh­ren. Aber auch das ist eben falsch, weil der Dok­tor kein »Ti­tel« ist.

  3. Tat­säch­lich wird von der Hoch­schu­le ein »Dok­tor­grad« oder »Hoch­schul­grad« ver­lie­hen, was den Pro­mo­vier­ten zum Füh­ren des be­tref­fen­den Gra­des be­rech­tigt. »Dok­tor­ti­tel« oder »Aka­de­mi­scher Ti­tel« ist aber halt der im Sprach­ge­brauch ein­ge­bür­ger­te Be­griff, des­we­gen muss er sinn­ge­mäß nicht falsch sein. Auf ei­nen er­wor­be­nen Hoch­schul­grad ver­zich­ten kann man na­tür­lich so­we­nig wie auf ein Ab­itur (oder je­den an­de­ren Schul­ab­schluss) – wie auch ein Ab­itur nach­träg­lich ab­erkannt wer­den kann, wenn sich im nach­hin­ein Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten beim Er­werb her­aus­stel­len.

    [EDIT: 2011-02-23 19:07]

  4. Für mich bleibt er Dr.
    Dr. zu Un­recht G.
    Der Ar­ti­kel drückt es aber ganz rich­tig aus. Jetzt ist er der Ar­me, der so hart be­han­delt wird.
    Wor­auf er wirk­lich ver­zich­ten könn­te, wer sein Mi­ni­ster­po­sten...
    -
    Aber was soll’s. Wir ha­ben auch ei­nen Pla­gia­tor. Der ist jetzt EU-Kom­mis­sar. Ei­gent­lich ist das ge­nau­so schlimm. Und der ist auch noch ein ar­ro­gan­tes A.....

  5. @steppenhund
    Die Ver­tei­di­gungs­li­nie des Ver­tei­dungs­mi­ni­sters ist ein­deu­tig: Der »Ver­zicht« soll das uni­ver­si­tä­re Ver­fah­ren über­flüs­sig ma­chen. Das wird auf den Nim­mer­leins­tag ver­scho­ben wer­den (da­für wird er schon sor­gen). In vier Wo­chen spricht nie­mand mehr da­von.

    Ich war ur­sprüng­lich ge­gen Rück­tritt, aber das Aus­maß des Ab­schrei­bens ist wohl der­art groß, dass kei­ne an­de­re Wahl bleibt.

    (Na­tür­lich gibt es Kräf­te, die das aus­ge­rech­net jetzt auf den Tisch ge­bracht ha­ben, um die Bun­des­wehr-Re­form zu kip­pen. Dar­an be­steht für mich kei­nen Zwei­fel. Ich bin nur über­rascht, wie dumm er sich an­ge­stellt hat. Al­lei­ne da­für müss­te er zu­rück­tre­ten.)

  6. Zeit­druck & Ver­ges­sen
    Der Prä­si­dent der Bay­reu­ther Uni sprach ja schon da­von, kei­nen zeit­li­chen Druck auf die Kom­mis­si­on aus­üben zu wol­len...

  7. Vo­tum ei­ner Min­der­heit
    Wie­der ein­mal ist mir klar ge­wor­den, auch in die­ser Fra­ge mit der Min­der­heit in die­sem land zu vo­tie­ren. Das ge­mei­ne Volk und die ge­mei­nen Me­di­en sche­ren sich ei­nen Dreck um die aka­de­mi­schen Spiel­re­geln. (Zu an­de­ren Zei­ten wer­den ge­mein­sam Stu­di­en­ab­bre­cher als Hel­den des All­tags ge­fei­ert.) Und jetzt hat ein Lieb­ling des Bou­le­vards sich mit die­ser Ver­ach­tung für aka­de­mi­sche Bil­dung ge­mein ge­macht. Schul­ter­klop­fen al­ler­or­ten. Gut­ten­berg wird po­li­tisch ge­stärkt aus die­ser be­trü­ge­ri­schen Af­fä­re her­vor­ge­hen, so mei­ne Pro­gno­se. Das passt zu ei­nem Land auf dem Weg in »ita­lie­ni­sche Ver­hält­nis­se«.

    Auf ei­nen ein­sa­men Ru­fer in ei­nem Groß-Me­di­um – Faz-Her­aus­ge­ber Koh­ler – sei noch hin­ge­wie­sen

  8. Cha­rak­ter­schwä­che
    Mir ist klar, dass wer heut­zu­ta­ge ein Mi­ni­mum an cha­rak­ter­li­cher Eig­nung von Füh­rungs­kräf­ten ver­langt, so­fort als mo­ra­lin­saurer Naiv­depp da­steht. Ich er­war­te je­doch vom po­li­ti­schen Per­so­nal das­sel­be, was ich von jede/r ver­lan­ge, die/der Ver­ant­wor­tung für an­de­re trägt, näm­lich: ver­ant­wort­li­ches Han­deln, was nichts an­de­res be­deu­tet, als die Kon­se­quen­zen des ei­ge­nen Han­delns selbst zu über­neh­men. Das ist bei Gut­ten­berg und in sei­nen Krei­se un­üb­lich. Da­her ver­die­nen sie und er kei­ner­lei Re­spekt. Von ver­schie­de­nen Men­schen, die per­sön­lich mit ihm Um­gang hat­ten, weiß ich (und wer die Pres­se auf­merk­sam ver­folgt und zwi­schen den Zei­len liest, kann es auch wis­sen), dass er als Vor­ge­setz­ter kei­ner­lei Ver­trau­en ge­nießt, da be­kannt ist, wie er so­fort je­den fal­len lässt, so­bald es für ihn un­ge­müt­lich wird. Ver­ant­wor­tung wird stets »nach un­ten« ab­ge­scho­ben. Und al­le an­de­ren sind für den »Un­ten« .

    Da bin ich froh, dass ich mir den mo­ra­li­schen Dün­kel lei­sten kann. Ich stam­me aus be­ster Ar­bei­ter-Fa­mi­lie. Wir be­trü­gen nicht um un­se­res Vor­teils wil­len, wir ste­hen zu un­se­ren Feh­lern und neh­men Stra­fen an, wenn wir sie ver­dient ha­ben. Wir sind an­stän­di­ge Leut´ und le­gen Wert drauf. Die Gut­ten­bergs die­ser Welt fas­sen wir oh­ne Hand­schu­he nicht an.

  9. #9
    Das ist bei Gut­ten­berg und in sei­nen Krei­se un­üb­lich.

    Ein Kon­ser­va­ti­ver wür­de viel­leicht ant­wor­ten, dass das aber nicht im­mer so war und dass zu Gut­ten­berg ge­nau das nicht ist: Ei­ner aus die­sem Kreis.

    Üb­ri­gens hal­te ich Han­deln um des ei­ge­nen Vor­teils wil­len nicht grund­sätz­lich für ver­werf­lich, es kommt nur dar­auf an, wie (ob) es die Mit­men­schen trifft.

  10. Die Fa­mi­lie zu Gut­ten­berg hat durch­aus eh­ren­wer­te Män­ner und Frau­en in ih­ren Rei­hen. Man soll­te auf­pas­sen, das Kind nicht mit dem Ba­de aus­zu­schüt­ten.

  11. Auch wenn die Sa­che noch nicht ab­ge­schlos­sen ist, im Prin­zip hat­te zu Gut­ten­berg zwei Al­ter­na­ti­ven ne­ben der, die er ge­ra­de ge­wähl­te hat: Zu­zu­ge­ben, dass er be­wusst ge­täuscht hat oder Ghost­wri­ter für ihn ge­ar­bei­tet ha­ben. Bei­des wä­re noch pein­li­cher – er ging den Weg des ge­ring­sten Wi­der­stands, der ihm auch noch das größ­te Maß an An­se­hen er­hält. Wir wer­den se­hen ob er recht be­hält.

  12. Of­fen ge­stan­den hat­te ich von ihm mehr er­war­tet als sei­ne ei­ge­ne Ar­beit als »Blöd­sinn«, qua­si als Ju­gend­sün­de, zu apo­stro­phie­ren. Min­de­stens so et­was wie ei­ne Er­klä­rung (Über­tra­gungs­feh­ler in den Do­ku­men­ten, o. ä.). Das »Blöd­sinn« ist der­art schnö­se­lig, als han­de­le es sich um ei­ne ver­kork­ste Ma­the­ma­tik-Ar­beit.

  13. Da der Frei­herr dar­auf ver­zich­tet hat­te das lä­sti­ge zwei­te Staats­examen ab­zu­le­gen, ist er nicht mal da­zu be­rech­tigt als Rechts­an­walt zu ar­bei­ten. Das zeigt doch deut­lich, dass das Stu­di­um nur ei­ne als nö­tig er­ach­te­te Durch­gangs­po­si­ti­on zu hö­he­ren Wei­hen dar­stell­te. Wenn die Zeit (oder Be­fä­hi­gung) für das zwei­te Staats­examen fehl­te, drängt sich förm­lich auf, dass die Dok­tor­ar­beit nur ein Tarn­män­tel­chen sein soll­te, der mit mög­lichst we­nig Auf­wand den Ma­kel ver­decken soll­te. Wie we­nig Auf­wand Gut­ten­berg selbst ge­lei­stet hat, wä­re jetzt fest­zu­stel­len. Zu die­ser Pos­se passt der, von der FAZ zer­leg­te, Le­bens­lauf. Am er­schreckend­sten da­bei fin­de ich die ver­meint­li­che Ak­zep­tanz der Be­völ­ke­rung. Oder ist dies auch nur kol­por­tiert?

  14. #14 – Voll­ju­rist
    Ich glau­be nicht, dass dies nur kol­por­tiert ist. zG gilt als Po­li­ti­ker der Tat,d er al­te Zöp­fe ab­schnei­det und han­delt, wo an­de­re nur re­den. Dar­in liegt auch der Grund, dass ihm das Pla­gi­at »ver­zeiht«. ‘Das doo­fe Ge­tue der Groß­kop­fer­ten’ in­ter­es­siert den Nor­mal­bür­ger nicht. Man den­ke an Leu­te wie Strauß, die mit ih­rem ar­cha­isch-rü­den Rechts- und Po­li­tik­ver­ständ­nis auch im­mer po­pu­lär blie­ben.

  15. #5
    »(Na­tür­lich gibt es Kräf­te, die das aus­ge­rech­net jetzt auf den Tisch ge­bracht ha­ben, um die Bun­des­wehr-Re­form zu kip­pen. Dar­an be­steht für mich kei­nen Zwei­fel.(...)«)

    Die­se Be­mer­kung ver­ste­he ich nicht. Im Ge­gen­satz zu Gut­ten­bergs Dok­tor­ar­beit wird doch die Bun­des­wehr­re­form über­haupt nicht öf­fent­lich dis­ku­tiert. Auch Sie ge­hen of­fen­bar von dem still­schwei­gen­den Kon­sens aus, dass es sich bei der Re­form um ei­ne gu­te Sa­che han­delt. Das aber ist sie ganz und gar nicht, was die Ab­schaf­fung oder »Aus­set­zung« der Wehr­pflicht be­trifft. Ich will mich ein­mal selbst zi­tie­ren:

    »Die Wie­der­be­waff­nung der Bun­des­re­pu­blik nach dem 2. Welt­krieg war nur mit dem Grund­ge­setz in Ein­klang zu brin­gen durch das Kon­strukt des Bür­gers in Uni­form. Der wehr­pflich­ti­ge Sol­dat soll­te nicht ei­nem Ka­da­ver­ge­hor­sam un­ter­wor­fen sein, wie er in der Wehr­macht ge­for­dert war, son­dern nach dem Prin­zip der In­ne­ren Füh­rung im­mer auch sei­nem Ge­wis­sen ver­ant­wort­lich sein. Be­feh­le, die of­fen ge­gen die Ge­set­ze der Mensch­lich­keit und des Völ­ker­rechts ver­sto­ßen, durf­te er mit Recht ver­wei­gern. Der Wehr­pflich­ti­ge kam aus der Zi­vil­ge­sell­schaft und kehr­te wie­der dort­hin zu­rück. Da­mit war ein Band ge­schaf­fen, mit dem si­cher­ge­stellt war, dass sich die Ar­mee nicht zum Staat im Staa­te ent­wickelt und sich von un­se­ren Grund­wer­ten ent­fernt. Die­ses Band wird durch die Ab­schaf­fung der Wehr­pflicht zer­schnit­ten. War­um?

    Man kann Wehr­pflich­ti­ge nicht in grund­ge­setz­wid­ri­ge An­griffs­krie­ge schicken, die rei­nen Wirt­schafts­in­ter­es­sen die­nen. Un­ter den Wehr­pflich­ti­gen wa­ren und sind Söh­ne aus der bes­se­ren Ge­sell­schaft, gut aus­ge­bil­det und ma­nier­lich. Sol­che wert­vol­len jun­gen Men­schen kann man nicht un­wi­der­spro­chen in Wirt­schafts­krie­gen ver­hei­zen. Wer wird aber ih­ren Platz ein­neh­men in ei­ner Söld­ner­ar­mee? Jun­ge Män­ner oh­ne be­ruf­li­che Per­spek­ti­ve, jun­ge Män­ner aus der Un­ter­schicht, de­ren Bin­dung an un­se­re Ge­sell­schaft nur schwach ent­wickelt ist, weil man ih­nen schon in der Schu­le ge­zeigt hat, dass sie nicht ge­braucht wer­den. Jun­ge Män­ner, de­ren Wer­te aus den Ac­tion­fil­men des Pri­vat­fern­se­hens stam­men und de­nen man in Shows wie Dschun­gel­camp oder DSDS vor­führt, dass Hä­me und Bos­heit ein ge­sell­schaft­lich ak­zep­ta­bles Ver­hal­ten ist. Sie wer­den dem­nächst an­ge­führt von ei­nem Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster mit der Wert­hal­tung ei­nes Raub­rit­ters, von ei­nem Heuch­ler und Blen­der, der lügt und be­trügt, wenn es sei­nen Zwecken nutzt. Da mag man sich nicht aus­den­ken, was ge­schieht, wenn die Bun­des­wehr ein­mal im In­ne­ren ein­ge­setzt wird, wie man­che Po­li­ti­ker schon jetzt for­dern.«

    http://trithemius.twoday.net/stories/april-april-ich-hab-bloedsinn-gemacht/

  16. #16 – @Trithemius
    Die mei­sten Län­der ha­ben »Söld­ner­ar­meen«, auch »Söld­ner­po­li­zi­sten« oder ähn­li­ches. Das sind Zu­ord­nun­gen, die nicht wei­ter­füh­rend sind.

    Die Aus­set­zung und de-fac­to-Ab­schaf­fung der Wehr­pflicht ist lo­gisch, weil so et­was wie Wehr­ge­rech­tig­keit schon lan­ge nicht mehr exi­stiert. Ei­ne Grund­wehr­dienst­zeit von sechs Mo­na­ten ist lä­cher­lich.

    Der »Staats­bür­ger in Uni­form« war zu wei­ten Tei­len ein Ade­nau­er-Kon­strukt, um bei der SPD Vor­be­hal­te zu zer­stö­ren, dass die neue Bun­des­wehr zur neu­en Wehr­macht wird. Tat­säch­lich ist ei­ne Ar­mee auf Be­fehl und Ge­hor­sam auf­ge­baut. Bis in die 80er Jah­re hin­ein konn­te man sich mit dem »Staats­bür­ger in Uni­form« noch wun­der­bar ca­mou­flie­ren, weil es An­ti­po­den gab. Das brach dann ’89 zu­sam­men. (BTW: Dem »Staats­bür­ger in Uni­form« war es un­ter­sagt in eben­je­ner Uni­form an po­li­ti­schen Ver­an­stal­tun­gen teil­zu­neh­men und/oder po­li­ti­sche, öf­fent­li­che State­ments zu äu­ßern.)

    Die Bun­des­wehr­re­form von KTzG wird ziem­lich stark be­kämpft – und zwar in­ner­halb der Bun­des­wehr, die auch be­trächt­li­che Stel­len­ein­bu­ßen zu ver­kraf­ten hät­te. Das ist zu­ge­ge­ben weit ent­fernt von ei­ner ge­sell­schafts­po­li­ti­schen Dis­kus­si­on, aber dass es Ka­ba­le im Bun­des­wehr­haus gibt, ist au­ßer Zwei­fel. Dumm ge­nug, die­se An­griffs­flä­che zu bie­ten.

  17. #17
    »Die mei­sten Län­der ha­ben ‘Söld­ner­ar­meen’ «, be­haup­ten Sie, aber wer­fen Sie mal ei­nen Blick auf die­se Kar­te: http://de.wikipedia.org/wiki/Wehrpflicht

    Selbst die jün­ge­re Ver­gan­gen­heit zeigt, dass Be­rufs­ar­meen im­mer ein Ri­si­ko für Staa­ten sind, denn sie sind eben leich­ter zu in­stru­men­ta­li­se­ren als Wehr­pflicht­ar­meen. http://de.wikipedia.org/wiki/Putsch

    »Im Jahr 2008 gab es nach An­ga­ben der Nicht-Re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on Free­dom Hou­se 119 par­la­men­ta­ri­sche De­mo­kra­tien. Das ent­sprach knapp 62 Pro­zent al­ler Staa­ten welt­weit.« (Bun­des­zen­tra­le für po­li­ti­sche Bil­dung). In 38 Pro­zent der Staa­ten welt­weit herr­schen dem­nach dik­ta­o­ri­sche Ver­hält­nis­se, und ih­re Macht stüt­zen die Dik­ta­to­ren selbst­ver­ständ­lich auf die Ar­mee, wenn nicht so­gar die Ar­mee selbst an der Macht ist. Ich ge­be zu, dass vie­le De­mo­kra­tien in der EU die Wehr­pflicht in­zwi­schen ab­ge­schafft oder aus­ge­setzt ha­ben, aber für uns gilt das Grund­ge­setz und das sieht ei­ne Wehr­pflicht­ar­mee vor.

    Es war auch nicht die SPD al­lein, die sich ge­gen die Wie­der­be­waff­nung der Bun­des­re­pu­blik ge­stellt hat, son­dern es gab in der Be­völ­ke­rung gro­ßen Wi­der­stand. Das Prin­zip der In­ne­ren Füh­rung, das Sie hier so nass­forsch wie al­les an­de­re vom Tisch wi­schen, ist ei­ne Er­run­gen­schaft, die weit über Be­fehl und Ge­hor­sam hin­aus­geht. Sie ist auch kein Ade­nau­er­kon­strukt, son­dern wur­de maß­geb­lich von Graf Bau­dis­sin ge­stal­tet. http://de.wikipedia.org/wiki/Innere_F%C3%BChrung

    Sie ha­ben ei­gent­lich kei­nes mei­ner Ar­gu­men­te im Kom­men­tar oben wi­der­legt, son­dern schlicht be­haup­tet. Da er­üb­rigt sich je­de Dis­kus­si­on.

  18. #18
    Na­ja, dass der Tschad, Ni­ger oder Ma­li Wehr­pflicht­ar­meen ha­ben, ist nicht un­be­dingt ein Ar­gu­ment. Nach Viet­nam ha­ben die USA – ei­ne stark in­ter­ven­tio­na­li­sti­sche Ar­mee – die Wehr­pflicht ab­ge­schafft. Tat­säch­lich kann man Wehr­pflicht als ein Zei­chen ei­ner eher bür­ger­ver­bun­de­nen Ar­mee se­hen. Bzw. um­ge­kehrt: Ag­gres­si­ve Ar­meen sind eher Be­rufs­ar­meen.

    Die »in­ne­re Füh­rung« der Bun­des­wehr ha­be ich tat­säch­lich nicht als et­was Be­son­de­res er­lebt, au­ßer dass sie bei Vor­ge­setz­ten da­mals zu ge­wis­sen Un­si­cher­hei­ten führ­te. So trug dann »mein« Zug­füh­rer nach dem 25 km-Marsch ins­ge­samt sechs Ruck­säcke, da er nicht ris­kie­ren woll­te, dass die Sol­da­ten län­ge­re ge­sund­heit­li­che Schä­den mo­nier­ten. Das ist na­tür­lich ein Fort­schritt.

    Auf den Punkt Wehr­ge­rech­tig­keit sind Sie nicht ein­ge­gan­gen. Das Grund­ge­setz ist än­der­bar – so, wie es ge­än­dert wur­de, um die Ar­mee ein­zu­füh­ren, so kann es nun ge­än­dert wer­den, um die Wehr­pflicht, die nur noch auf dem Pa­pier be­steht, aus­zu­set­zen oder ab­zu­schaf­fen. Letz­te­res wä­re ehr­li­cher. Ih­re Ru­bri­zie­rung der »grund­ge­setz­wid­ri­gen Krie­ge« ist nichts als Kra­wall­rhe­to­rik – auf so et­was ge­he ich in der Tat nicht ein. Wenn Sie das mei­nen, dann kla­gen Sie doch.

    Tat­säch­lich woll­te ich die Bun­des­wehr­re­form gar nicht dis­ku­tie­ren, son­dern es geht um die me­dia­le Be­hand­lung des The­mas des Ver­zichts ei­nes Dok­tor­ti­tels.

  19. @Krawallrhetorik
    Dem harm­lo­se­sten Buß­geld we­gen Schnell­fah­rens muss ein zwei­fels­frei be­wie­se­ner Sach­ver­halt zu­grun­de lie­gen, da­mit es vor dem Grund­ge­setz Be­stand hat. Ei­ne blo­ße Ver­mu­tung reicht nicht hin.
    Der Bun­des­wehr­ein­satz in Af­gha­ni­stan fußt nicht auf be­last­ba­rer Fak­ten­la­ge, son­dern folgt le­dig­lich bis­lang un­be­wie­se­nen An­nah­men. Maß­re­ge­lung oh­ne vor­an­ge­gan­ge­ne schlüs­si­ge Be­weis­füh­rung kann nie­mals rechts­staat­li­ches Vor­ge­hen dar­stel­len. Ich se­he da­her nicht den ge­ring­sten ar­gu­men­ta­ti­ven Halt für Ih­re Ein­schät­zung, den Aus­druck »grund­ge­setz­wid­ri­ge Krie­ge« mit »Kra­wall­rhe­to­rik« gleich­set­zen zu kön­nen.
    »Wenn Sie das mei­nen, dann kla­gen Sie doch.« da­mit brin­gen Sie zum Aus­druck, dass Sie den Ein­satz der Bun­des­wehr in Af­gha­ni­stan als dem Grund­ge­setz nicht wi­der­spre­chend er­ach­ten. Ei­nen Nach­weis da­für kön­nen Sie aus oben ge­nann­ten Grün­den nicht füh­ren, das wis­sen Sie na­tür­lich. Die »Kra­wall­rhe­to­rik« macht sich das Le­ben an die­ser Stel­le gar zu ein­fach.

    [EDIT: 2011-02-23 23:27]

  20. @hans1962 – In­si­nua­tio­nen
    Mit »Kra­wall­rhe­to­rik« be­zeich­ne ich ein Ver­fah­ren, an­de­ren Ar­gu­men­ta­ti­ons­lo­sig­keit vor­zu­wer­fen und sel­ber in State­ments mit At­tri­bu­ten und Ad­jek­ti­ven Be­haup­tun­gen auf­zu­stel­len. Dass ich den Af­gha­ni­stan-Ein­satz als ver­ein­bar mit dem Grund­ge­setz se­he, ist ei­ne die­ser Form von Un­ter­stel­lun­gen, die durch nichts zu be­le­gen ist. Tat­säch­lich hat das BVerfG mehr­fach über Aus­lands­ein­sät­ze der Bun­des­wehr ent­schie­den (und die Ver­fah­rens­ab­wick­lun­gen hier­zu). So­gar der so­ge­nann­te Tor­na­do-Ein­satz wur­de nicht grund­sätz­lich de­le­gi­ti­miert. Da­her ist die Apo­stro­phie­rung »grund­ge­setz­wid­ri­ge Krie­ge« für mich ein wohl­fei­ler All­ge­mein­platz.

    Den ver­mut­lich lu­pen­rein­sten »grund­ge­setz­wid­ri­gen« Krieg, den Deutsch­land ge­führt hat, war der 1996 ge­gen Ju­go­sla­wi­en. Hier be­stan­den üb­ri­gens durch­aus auch ernst­zu­neh­men­de völ­ker­recht­li­che Ein­wän­de, dass die­ser Ein­satz ge­gen den 2+4‑Vertrag ver­stösst. Zu­mal auch die UN nicht le­gi­ti­miert hat­te.

    [EDIT: 2011-02-24 08:55]

  21. @Metepsilonema und Gre­gor Keu­sch­nig – #10 / #11
    Ich schrieb ja auch »be­trü­gen um des ei­ge­nen Vor­teils wil­len«, das ist was an­de­res, als die ei­ge­nen In­ter­es­sen red­lich zu ver­tre­ten.

    »in sei­nen Krei­sen« – Gut­ten­berg war in sei­ner po­li­ti­schen Lauf­bahn im­mer ein Rech­ter und kein Kon­ser­va­ti­ver. Das ist ein Un­ter­schied, den ich wich­tig fin­de. Es gibt ei­ne Men­ge Kon­ser­va­ti­ver, die ich sehr ach­te, auch in mei­nem nä­he­ren Um­feld. »Rech­te« da­ge­gen müs­sen auf mei­nen Re­spekt ver­zich­ten (was ih­nen zwei­fel­los nichts aus­macht.)

    Ich woll­te kei­nes­wegs die Gut­ten­berg­sche Fa­mi­lie ins­ge­samt dis­kre­di­tiert dar­stel­len. (Das war miss­ver­ständ­lich aus­ge­drückt.) Mir ging es – ty­pisch Klein­bür­ger­tum und Ar­bei­ter – nur um die Klein­fa­mi­lie: auf mei­nen Va­ter und mei­ne Mut­ter kann ich un­ein­ge­schränkt stolz sein, weil sie sich an den von ih­nen ver­tre­te­nen Maß­stä­ben im­mer selbst mes­sen las­sen. Glau­be kaum, dass Gut­ten­bergs Kin­der das auf ih­ren Va­ter sein kön­nen.

  22. @MelusineB – #22
    Ja, das stimmt, aber selbst wenn der ei­ge­ne Vor­teil ge­gen an­de­re red­lich (al­so of­fen) ver­folgt wird, ist das nicht un­be­dingt »schön« – den ei­ge­nen Vor­teil ver­fol­gen, wo Rück­sicht­nah­me das zu­lässt, so hat­te ich es im Sinn.

  23. @Gregor
    Das ging aber er­staun­lich schnell! Gut so. Und Glück für zu Gut­ten­berg, dass man sich dar­auf be­schränkt, die ab­sicht­li­che Täu­schung nicht nach­zu­wei­sen.

    Al­ler­dings sträu­ben sich mei­ne Haa­re, wenn Mer­kel da rich­tig zi­tiert wur­de:

    Bun­des­kanz­le­rin An­ge­la Mer­kel be­zeich­ne­te die Ent­schei­dung der Uni­ver­si­tät als rich­tig und lo­gisch. Sie lie­ge »auf der Li­nie des­sen, was der Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster vor­ge­ge­ben hat. Sie macht da­her Sinn.« Das Vo­tum zei­ge, dass zu Gut­ten­berg mit sei­ner Selbst­ein­schät­zung rich­tig lie­ge. Der Mi­ni­ster sei durch die Uni-Ent­schei­dung in sei­nem Amt nicht ge­schwächt.

  24. #10 – @Metepsilonema
    Han­deln um des ei­ge­nen (per­sön­li­chen) Vor­teils wil­len ist dort ver­werf­lich, wo im­mer es im po­li­ti­schen Amt ge­schieht – nicht to­le­rier­bar.

  25. #29 – @hans1962
    Ich hat­te vor­hin nicht die Po­li­tik im Sinn, aber gibt es nicht auch dort ei­nen Grau­be­reich? Kann man je­mand vor­hal­ten, dass er auch um sei­ner selbst Wil­len ein Amt an­strebt und nicht nur aus Selbst­lo­sig­keit?

  26. #30 – @Metepsilonema
    Es geht mir ex­akt dar­um, dass im po­li­ti­schen Amt per­sön­li­che Vor­teil­nah­me zum Bei­spiel durch Schwin­del oder Be­trug aus ethi­schen Grün­den als ver­pönt gel­ten muss. Wenn es den­noch ge­schieht und auf­ge­deckt wird, ist das aus­rei­chend An­lass, ei­nen Rück­tritt aus al­len po­li­ti­schen Funk­tio­nen zu for­dern.
    Dass es nun nicht we­ni­ge Men­schen (ein­schließ­lich der Kanz­le­rin) gibt, die mei­nen, ein Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster müs­se doch kei­ne wis­sen­schaft­li­che Qua­li­fi­ka­tio­nen mit­brin­gen, um sein Amt gut aus­zu­üben, macht mich be­trof­fen. Die­se Leu­te stei­gen oh­ne mit der Wim­per zu zucken über ei­ne Lei­che, um sich ih­rem Ta­ges­ge­schäft zu­zu­wen­den.

  27. Frak­ti­ons­druck: die an­geb­li­che Er­bärm­lich­keit
    Ich den­ke, es wird im­mer noch po­li­tisch viel zu na­iv ge­dacht. Des­halb ha­be ich mich eben »» dort zu Gut­ten­bergs schein­ba­rer Er­bärm­lich­keit ge­äu­ßert. Es ist ei­ne un­rea­li­sti­sche Vor­stel­lung, daß der Mann noch ir­gend et­was sagt, das nicht ins Kal­kül der Par­tei ge­hört. Was wir zu se­hen und zu hö­ren be­kom­men, ist mit­nich­ten er, son­dern es ist die Fik­ti­on des­sen, was die Par­tei will, daß er jetzt sei. Den Un­fra­gen nach hat das gro­ßen Er­folg, ist al­so – macht­po­li­tisch be­trach­tet – die ge­nau rich­ti­ge Stra­te­gie. Wenn zu­mal mei­ne und auch Keu­sch­nigs Ah­nung zu­tref­fen, daß Gut­ten­berg ein Ghost­wri­ter, der Feh­ler macht, kal­ku­liert zu­ge­spielt wor­den ist, wä­re da­mit auch er­reicht, ihn rest­los zu­rück auf Li­nie zu brin­gen.

  28. #31 – @hans1962
    Zu­nächst ein­mal ist es Fakt, dass man kei­nen aka­de­mi­schen Grad braucht, um ein Mi­ni­ster­amt zu er­hal­ten. Ein ehe­ma­li­ger deut­scher Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster war (un­ter an­de­rem) Mau­rer. Da hat auch nie­mand nach­ge­fragt, ob die Mau­ern, die er er­rich­tet hat­te (falls je­mals über­haupt), um­ge­fal­len sind.

    Es ist auch ziem­lich si­cher, dass KTzG das Amt nicht we­gen des Dok­tors be­kom­men hat – sei­ne Qua­li­fi­ka­tio­nen la­gen si­cher­lich auf an­de­rem Ge­biet.

    Die Vor­teils­nah­me, die ihm an­ge­la­stet wird, ist VOR sei­ner Mi­ni­ster­zeit an­zu­sie­deln. Er soll als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter den aka­de­mi­schen Dienst des Bun­des­ta­ges ein­ge­spannt ha­ben. Das ist nichts un­ge­wöhn­li­ches; die­se Leu­te schrei­ben ver­mut­lich 80% al­ler Re­den di­rekt oder in­di­rekt. Die Vor­teils­nah­me be­steht dar­in, dass er die­se Er­kennt­nis­se in sei­ne Dok­tor­ar­beit über­nom­men hat – und zwar oh­ne die­se kennt­lich zu ma­chen.

    Die Em­pö­rung, die Sie und an­de­re nun um­treibt, be­steht nun dar­in, dass die Kanz­le­rin die Um­stän­de rund um die Dok­tor­ar­beit von de­nen der Amts­füh­rung trennt. Sie sa­gen: Wer ein­mal lügt, dem glaubt man nicht. Die Kanz­le­rin sagt: Das ist Schnee von ge­stern.

    Es gab schon we­sent­lich grö­sse­re De­for­ma­tio­nen mo­ra­li­scher Art, die kei­ner­lei Aus­wir­kun­gen auf die Kar­rie­re ei­nes Po­li­ti­kers hat­ten: See­ho­fer (Ehe­bre­cher), Wiesheu (al­ko­ho­li­sier­ter Au­to­fah­rer mit ei­nem To­ten) – um nur ei­ni­ge zu nen­nen. Die Par­tei­spen­den-FDPler nen­ne ich mal nicht. Auch Wil­ly Brandt war cha­rak­ter­lich nicht ein­wand­frei – aber ein zu­min­dest teil­wei­se her­vor­ra­gen­der Bun­des­kanz­ler (nicht zu­letzt durch sei­ne Mit­ar­bei­ter im Um­feld).

    Das macht das al­les nicht bes­ser. Aber es hilft viel­leicht, die Sa­che ein biss­chen ein­zu­ord­nen.

  29. @ANH – #32
    Ich stim­me Ih­nen zu, wo­bei die In­si­nua­ti­on, zG agie­re nur als ei­ne Art Ma­rio­net­te der Partei/Fraktion viel­leicht ein biss­chen zu kühn ist. Ich glau­be schon, dass der Im­puls zum Wei­ter­ma­chen von ihm und sei­ner Ei­tel­keit aus­geht. Wenn Sie die ver­ba­le Rhe­to­rik von ihm hö­ren und be­trach­ten (!) ist da ei­ne Men­ge Wil­len zu spü­ren.

    Nach wie vor hal­te ich Frak­ti­ons­druck für ei­ne Aus­re­de cha­rak­ter­lo­ser Po­li­ti­ker. Da­mit sa­ge ich nicht, dass es ihn nicht gibt (wie Grup­pen­druck). Aber ich las­se ihn nicht gel­ten.

  30. #33 – @Gregor Keu­sch­nig
    »Sie sa­gen: Wer ein­mal lügt, dem glaubt man nicht.« mei­nen Sie, ver­ste­hen Sie. Gleich­zei­tig spre­chen Sie mir da­mit ab, dass mich Fra­gen all­ge­mei­ner Staats­ethik »um­trei­ben«, lei­den­schaft­lich in­ter­es­sie­ren könn­ten. Das ist wahr­haft kühn von Ih­nen.

  31. #35 – @hans1962
    Ih­re In­ter­pre­ta­tio­nen sind eben­falls kühn.

    Nur zur In­fo. Sie schrei­ben:

    Dass es nun nicht we­ni­ge Men­schen (ein­schließ­lich der Kanz­le­rin) gibt, die mei­nen, ein Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster müs­se doch kei­ne wis­sen­schaft­li­che Qua­li­fi­ka­tio­nen mit­brin­gen, um sein Amt gut aus­zu­üben, macht mich be­trof­fen.

    Ich schrei­be:

    Zu­nächst ein­mal ist es Fakt, dass man kei­nen aka­de­mi­schen Grad braucht, um ein Mi­ni­ster­amt zu er­hal­ten

    Sie schrei­ben:

    Es geht mir ex­akt dar­um, dass im po­li­ti­schen Amt per­sön­li­che Vor­teil­nah­me zum Bei­spiel durch Schwin­del oder Be­trug aus ethi­schen Grün­den als ver­pönt gel­ten muss. Wenn es den­noch ge­schieht und auf­ge­deckt wird, ist das aus­rei­chend An­lass, ei­nen Rück­tritt aus al­len po­li­ti­schen Funk­tio­nen zu for­dern.

    Ich ant­wor­te:

    Die Vor­teils­nah­me, die ihm an­ge­la­stet wird, ist VOR sei­ner Mi­ni­ster­zeit an­zu­sie­deln.

    Das hat – mit Ver­laub – mit staats­ethi­schen Be­trach­tun­gen zu­nächst ein­mal nichts zu tun. Au­ßer, dass es ei­ne Tat­sa­che ist, dass die per­sön­li­che Vor­teils­nah­me in ei­nem Amt sank­tio­niert wird (hier­zu gibt es zahl­rei­che Bei­spie­le – Bo­nus­mei­len, etc). Hier­von kann je­doch im vor­lie­gen­den Fall au­gen­schein­lich nicht die Re­de sein. Es geht ma­xi­mal um Vor­teils­nah­me als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter.

    Die Em­pö­rung rich­tet sich al­so mehr da­hin­ge­hend, dass zG da­mals be­tro­gen und ge­lo­gen hat und dies als Grund aus­rei­chen soll, ihm die Eig­nung für das Amt ab­zu­spre­chen. Die­se Fra­ge ist tat­säch­lich er­ör­te­rungs­wert und da­her hat­te ich an­de­re Bei­spie­le an­ge­fügt, wo dies an­ders (d.h . FÜR den »An­ge­klag­ten«) ent­schie­den wur­de.

    Wenn al­le Po­li­ti­ker, die in ih­rem Le­bens­lauf ge­lo­gen und be­tro­gen ha­ben aus dem Par­la­ment ent­fernt wür­den – wä­re das Haus ver­mut­lich leer. Und zwar so­wohl in Deutsch­land als auch in den USA, Gross­bri­tan­ni­en, usw. Das ist – um dem Schluss vor­zu­beu­gen – KEINE Recht­fer­ti­gung da­für. Man soll­te nur ge­nau über­le­gen, wel­che Maß­stä­be man an­legt.

    Um die Sa­che ab­zu­schlie­ßen – und al­lem vor­zu­beu­gen: Ja, ich war bis Freitag/Samstag der Mei­nung, KTzG kann blei­ben. Nach der Re­de in Kelk­heim und dem fre­chen Um­ge­hen mit dem »Ver­zicht« bin ich der Mei­nung, dass er als Mi­ni­ster zu­rück­tre­ten bzw. ei­ne Aus­zeit neh­men soll­te. Das will – und kann er ver­mut­lich nicht. Die­se Form des Stre­ber­tums tut mir dann fast schon wie­der leid.

  32. Macht­po­li­tisch mag Mer­kels Fest­hal­ten an zu Gut­ten­berg ge­bo­ten sein. Auf Dau­er ist ein sol­ches Gou­tie­ren nach Guts­her­ren­art ein fa­ta­les Zei­chen. Nicht erst auf Dau­er, nein, es ist ei­ne mo­ra­li­sche Bank­rott­erklä­rung: Zum hö­he­ren Zwecke spä­te­rer Wür­de darf man tun­lichst je­des Mit­tel ein­set­zen – nur nicht er­wi­schen las­sen. Und wenn, dann ma­che man auf Vor­bild und ge­ste­he lä­chelnd „Feh­ler“ ein.

  33. #38
    Ich bin ein biß­chen vor­sich­tig mit der »mo­ra­li­schen Bank­rott­erklä­rung«. Um die Bei­spie­le von oben noch ein­mal auf­zu­neh­men und zu er­gän­zen:

    See­ho­fer – Ehe­bre­cher
    Wiesheu – Be­trun­ken am Steu­er mit To­des­fol­ge
    Lamb­s­dorff – Par­tei­spen­den­af­fä­re
    Kohl – Par­tei­spen­den­af­fä­re (erst nach­träg­lich her­aus­ge­kom­men)
    Schäub­le – wis­sent­lich ge­lo­gen
    Brandt – Ehe­bruch

    Die Li­ste lie­ße sich nach ei­ni­gem Über­le­gen be­lie­big er­wei­tern. Das sind al­les kei­ne »di­rek­ten« Ver­feh­lun­gen im Amt, son­dern of­fen­ba­ren mehr oder we­ni­ger gro­ße cha­rak­ter­li­che De­fi­zi­te.

    Um es zy­nisch zu sa­gen: Was er­war­tet man da noch?

  34. Ich er­war­te wirk­lich nichts an­ge­sichts der schein­bar im­mer noch ho­hen Zu­stim­mung aus der Be­völ­ke­rung für den Herrn Kriegs­mi­ni­ster...

  35. #40
    Die­se Zu­stim­mung ist in der Tat in­ter­es­sant. Mei­ne The­se:

    Er wird als ein Mann der Tat und der kla­ren Wor­te wahr­ge­nom­men. Er nann­te den Af­gha­ni­stan-Ein­satz »Krieg«. Er la­vier­te nicht bei dem Haus­halts­spa­ren her­um (wie ALLE an­de­ren Mi­ni­ster vor­her), son­dern mach­te Vor­schlä­ge. Die­se Ta­ten, die man Ak­ti­on­si­mus nen­nen kann oder ein­fach nur Op­por­tu­nis­mus, kom­men trotz­dem an. Das ewi­ge Her­um­ge­re­de ha­ben die Leu­te satt. – Dem ge­gen­über ste­hen die Fuß­no­ten­fe­ti­schi­sten, die »Ses­sel­pup­ser«. Wag­ners »Bild«-Kommentar war sinn­ge­mäss, der Dok­tor­ti­tel sol­le ihm am A***** vor­bei­ge­hen. Das se­hen vie­le so.

    Nicht zu ver­ges­sen: Er wird hoch­ge­schrie­ben vom Bou­le­vard und taugt als Gla­mour­star. Kri­tik an ihm perl zur Zeit nicht nur ab, son­dern ist Dra­chen­blut.

    Der Gip­fel der Un­ver­schämt­heit ist tat­säch­lich die­ser Mer­kel­satz. Dies zeigt aber, wie un­ver­zicht­bar der Mann im Ka­bi­nett der Pro­fil­lo­sen ist. Lie­ber ein an­ge­kratz­tes Pro­fil als gar kei­nes – zu­mal die Krat­zer nicht ge­gen ihn ge­wen­det sind.

    Sich hier­über auf­zu­re­gen ist zweck­los: De­mo­kra­tie wie wir sie ver­ste­hen lebt von den Ent­schei­dun­gen der Mas­se. Dies hat Kon­se­quen­zen. Hier­über muss man sich klar sein. Im­mer.

  36. Ja, dar­über muss man sich klar sein – vor al­lem auch über die un­er­träg­li­che Leich­tig­keit die­se Mas­se me­di­al ma­ni­pu­lie­ren zu kön­nen...

  37. @Gregor K.: »Es ist auch ziem­lich si­cher, dass KTzG das Amt nicht we­gen des Dok­tors be­kom­men hat – sei­ne Qua­li­fi­ka­tio­nen la­gen si­cher­lich auf an­de­rem Ge­biet.«
    .
    Ach­was?! Wor­in denn?
    .

  38. #15
    Mitt­ler­wei­le bin ich mir nicht mehr si­cher. Die In­di­zi­en, dass an der an­geb­li­chen Be­liebt­heit des Mi­ni­sters ge­schraubt wird, neh­men zu. Kein Be­weis, aber der ekla­tan­te Un­ter­schied zwi­schen al­len On­line-Um­fra­gen zu den me­dia­len Ver­laut­ba­run­gen fällt auf. Selbst bei der Bild ist der Un­ter­schied zwi­schen den pu­bli­zier­ten Zah­len und der ei­ge­nen Um­fra­ge fast ge­gen­läu­fig. Rei­ne In­tui­ti­on, aber ich glau­be die Sa­che riecht.

  39. #45 – Voll­ju­rist
    Ich glau­be, das kommt dar­auf, wie man fragt. On­line- oder Te­le­fon­um­fra­gen ha­ben ja kei­nen Wert. Wenn Sie die tagesschau.de-Umfrage-Ergebnisse ver­glei­chen, mer­ken Sie seh roft, wie un­ter­schied­lich dies zu ei­ner re­prä­sen­ta­ti­ven Um­fra­ge ist. Das war auch in der Cau­sa Sar­ra­zin be­son­ders auf­fäl­lig.

  40. Ent­schul­di­gung, aber Der Spie­gel ist doch nicht mehr all­zu weit von Bild ent­fernt, oder? Der ein­zi­ge Un­ter­schied be­steht (noch) dar­in, dass man im­mer­hin noch er­wähnt, dass die Zei­tungs­um­fra­gen nicht re­prä­sen­ta­tiv sind, die In­fra­test-Um­fra­ge je­doch schon (obwohl...naja). In­so­fern ist doch das Ge­blub­ber im Ar­ti­kel lä­cher­lich.

    Fakt scheint zu sein: Es gibt ei­ne Dis­kre­panz zwi­schen »online«-Menschen und der re­prä­sen­ta­ti­ven Aus­wahl.

  41. #44
    So ein Ti­tel ist doch ein Zei­chen von Kom­pe­tenz. Wer ei­nen hat wird als ehr­gei­zig und in­tel­li­gent ge­se­hen. Gut­ten­berg hat­te we­der als Wirt­schafts­mi­ni­ster noch als Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster Ah­nung von der je­wei­li­gen Ma­te­rie. Aber er hat­te gu­tes Aus­se­hen, Elo­quenz und ei­nen aka­de­mi­schen Ti­tel.

  42. @Tobias Kraus #49
    Die mei­sten Mi­ni­ster ha­ben we­nig bis kei­ne Ah­nung von der Ma­te­rie. Wir hat­ten die­se Dis­kus­si­on schon ein­mal auf die­sem Blog. Ein Mi­ni­ster ist in der Re­gel ein Ver­wal­ter; die Kom­pe­tenz ist zu­meist erst in der zwei­ten Rei­he.

  43. @Tobias Kraus #49
    Mi­ni­ster tra­gen da­für die po­li­ti­sche Ver­ant­wor­tung – das ist m.E. vor al­lem dann nicht ein­fach, wenn Feh­ler in der zwei­ten Rei­he oder an an­de­rer Stel­le ge­macht wer­den, dann muss er trotz­dem den Kopf hin­hal­ten.

  44. Lüg­ner, Be­trü­ger, Hoch­stap­ler – all das durf­te man Gut­ten­berg im Bun­des­tag vor ver­sam­mel­tem Ple­num un­ge­rügt nen­nen, aber als man ihm Ab­sicht un­ter­stell­te, da wur­de sein Ton dro­hend: Es gä­be ja auch den Tat­be­stand der üb­len Nach­re­de...
    Wie­der nur Ge­schwätz, denn nie­mals wür­de er sich mit sei­nem zu­sam­men­ko­pier­ten Mach­werk vor ein or­dent­li­ches Ge­richt wa­gen, weil dann sei­ne Ver­harm­lo­sungs­stra­te­gie von „un­be­ab­sich­tig­ten Feh­lern“ so­fort wie ein Kar­ten­haus zu­sam­men­stürz­te. Al­so re­den wir die­sem drei­sten Schaum­schlä­ger ru­hig wei­ter übel nach. Nie wird er uns ver­kla­gen.

  45. #27
    Ja, ja, bald wach­sen bei uns auch Ba­na­nen. Ei­ne Frech­heit ist das.

    Con­ten­an­ce, mei­ne Her­ren(;
    Nein, im Ernst. Ih­re Auf­re­gung ehrt Sie: Es scheint mehr Mo­ral in die­sem Kom­men­tar­baum, als im ge­sam­ten Bun­des­ka­bi­nett. Aber so wie ich jetzt ueber je­nes lae­ste­re und Sie ueber den Spie­gel (ob­wohl Sie doch Spie­gel On­line mein­ten – aber ob die­se Un­ter­schei­dung noch an­ge­bracht?) und die brei­te Mas­se (ANH: Wir­s­ind­das­Volk), so ueber­faellt mich doch Tri­stesse. Was wol­len wir da­mit noch be­wei­sen? (Al­te Di­stink­ti­ons­re­fle­xe?)

    An der Wen­de in der Mei­nung, die bei Ih­nen und auch bei ANH ein­ge­setzt hat, kam ich auch nicht vor­bei. Wor­ueber ich mir aber noch nicht so schlues­sig bin, ist wie ich Mer­kels Ver­hal­ten oder den nicht er­folg­ten Rueck­tritt be­wer­ten soll. Sie ver­hal­ten sich wohl nach (Macht-)Kalkuel. Er gibt nur im­mer so­viel zu, wie er sich ge­ra­de ge­zwun­gen sieht, sie op­fert ihn nicht, so­lan­ge er noch zu hal­ten ist. (Dass oef­fent­lich nur so ein halb­ga­res Ge­staend­nis zu stan­de kommt, fin­de ich nicht so ueber­ra­schend, mensch­lich ir­gend­wie so­gar nach­voll­zieh­bar, wer koenn­te schon in den Spie­gel blicken und sa­gen: Ja, ich bin ein Lueg­ner – da wae­re auch viel­leicht der Ver­gleich mit dem Fall Jan H. Schoen in­ter­es­sant, den ein Kom­men­ta­tor bei ANH an­stell­te, die­ser hat ja bis zu En­de dar­an fest­ge­hal­ten, dass sei­ne Ex­pe­ri­men­te durch­ge­fuehrt wor­den sei­en – er­baerm­lich ja, mo­ra­lisch ver­werf­lich ja – nein, das »mensch­lich« kann ich doch nicht an­fue­gen, ich ken­ne ihn ja nur spaer­lich aus oef­fent­li­chen Do­ku­men­ten)

    Was mir zu­ge­setzt hat war das fol­gen­de Zi­tat:
    »Sei­ne ei­ge­ne Dis­ser­ta­ti­on – Schwarz pro­mo­viert über eu­ro­päi­sches Ver­fas­sungs­recht – will der 26-Jäh­ri­ge da­her oh­ne jeg­li­che Pla­gi­ats-in­di­zi­en fer­tig­stel­len.«

    Ist das al­so das der Zu­stand der oef­fent­li­chen Mo­ral? »Man darf sich nicht er­wi­schen las­sen.«

  46. @Phorkyas – #54
    Dass Ur­tei­le zu Dis­ser­ta­tio­nen längst per­sön­li­chen oder ge­sell­schaft­li­chen Sym­pa­thien oder An­ti­pa­thien un­ter­lie­gen kön­nen, dürf­te wohl be­kannt sein. Ob nun – wie es an­fangs hieß – zG in der Bi­blio­gra­fie statt den je­wei­li­gen Ver­lags­ort nur den Ver­lag an­ge­ge­ben hat – ok: For­mal war/ist das falsch, aber letzt­lich un­er­heb­lich. Auch kann man es ver­zei­hen, wenn ein oder zwei Stel­len nicht kor­rekt zi­tiert wor­den wä­ren. Ob dar­über ein Mi­ni­ster fal­len muss – ich weiß es nicht und hal­te (und hielt) es auch für reich­lich über­trie­ben.

    Zwei Aspek­te stimm­ten dann merk­wür­dig. Zu­nächst der nass­for­sche Um­gang mit der Sa­che, die im Teil­ge­ständ­nis mün­de­te, den Dok­tor­ti­tel »vor­über­ge­hend« zu­rück­zu­ge­ben. Ab­ge­se­hen da­von, dass dies gar nicht mög­lich ist, of­fen­bart sich da­hin­ter aber ei­ne gra­vie­ren­de Ver­än­de­rung der Be­wer­tung der la­ge. hat­te es ein paar Ta­ge vor­her noch ge­hei­ßen, es sei »ab­strus« wird nun »vor­über­ge­hend« ver­zich­tet. Dies be­deu­tet: Es ist et­was dran. Der an­de­re Punkt ist, dass zG auch den aka­de­mi­schen Dienst des Bun­des­ta­ges ver­wen­det ha­ben soll. Für je­man­den, der pla­gi­ie­ren will, bie­tet sich das wun­der­bar an, weil ein Be­weis sehr schwer zu füh­ren ist.

    In­zwi­schen ist ja von ei­nem in­di­rek­ten Spon­so­ring der Uni­ver­si­tät durch ein Un­ter­neh­men die Re­de, in dem zG da­mals Be­fug­nis­se hat­te. Es stinkt al­so im­mer mehr.

    Der Link zu dem Men­schen, der es schon ge­wußt hat, ist sehr in­ter­es­sant. Auch der Rat­schlag des Dok­tor­va­ters spricht Bän­de: » ‘Er ver­wies auf die po­li­ti­sche Bri­sanz – und riet mir, erst ein­mal ei­nen wis­sen­schaft­li­chen Text zu ver­öf­fent­li­chen.’ « Was für lä­cher­li­che Fi­gu­ren da in den Uni­ver­si­tä­ten hocken – Duck­mäu­ser und Angst­ha­sen.

    Was nun? »Di­stink­ti­ons­re­fle­xe« schrei­ben Sie – und da­mit recht. die Em­pö­rung ist na­tür­lich auch rei­ni­gend: Die Gut­ten­berg-Geg­ner ha­ben end­lich ei­nen Be­leg für ih­re Geg­ner­schaft. die Be­für­wor­ter wit­tern ei­ne Kam­pa­gne und tren­nen den mo­ra­li­schen Men­schen und den Po­li­ti­ker. Und hier­in liegt dann die Bri­sanz die­ses Vor­gangs – un­ab­hän­gig da­von, wie­viel vom le­bens­lauf des Frei­her­ren stimmt: Wie weit können/müssen wir mo­ra­li­sche und cha­rak­ter­li­che De­fi­zi­te bei Po­li­ti­kern ak­zep­tie­ren?

  47. #55
    D’­ac­cord. Gut­ten­bergs Er­klae­run­gen ha­ben bei mir ge­ra­de auch die­sen Stim­mungs­wan­del aus­ge­loest. Wie kann er ein Pla­gi­at als ‘Bloed­sinn’ ab­tun (Sie hat­ten sich ja schon zu­recht dar­ueber auf­ge­regt). Das ist doch kein Dum­me-Jun­gen-Streich.

    Und wenn in der Tat aka­de­mi­sche Dienst des Bun­des­ta­ges auch noch miss­braucht wor­den ist, spae­te­stens dann ist ja auch die Ver­bin­dung zum Po­l­iti­ischen ge­ge­ben. – Zeit und FAZ neh­men ihn ja or­dent­lich un­ter Be­schuss, und das ist auch gut so! (Mo­ral­hy­gie­ne des oef­fent­li­chen Rau­mes? – fehl­te nur noch dass die Bild­zei­tung haer­te­re Stra­fen for­der­te)

    Wie weit können/müssen wir mo­ra­li­sche und cha­rak­ter­li­che De­fi­zi­te bei Po­li­ti­kern ak­zep­tie­ren?

    So­lan­ge es sein Amt nicht be­ruehrt, mei­ne ich, koenn­te man sehr viel To­le­ranz ueben. Was z.B. in Schlaf­zim­mern ei­nes Po­li­ti­kers pas­siert, Pri­vat­sa­che... Aber es gibt schnell Grau­be­rei­che. Alt­haus z.B., den Sie Ih­rer Li­ste noch hin­zu­fue­gen koenn­ten – wuer­de ich das noch ak­zep­tie­ren wol­len? – Ich fin­de das schwie­rig, muess­te mich viel­leicht auch we­gen mei­ner ei­ge­nen po­li­ti­schen Coleur als be­fan­gen er­klae­ren. Ich moech­te nicht ueber die­se Leu­te rich­ten,.. sie selbst mues­sen ir­gend­wann noch in den Spie­gel schau­en koen­nen... aber na­tuer­lich darf man ih­nen nicht al­les durch­ge­hen las­sen, muss es ge­aech­tet und sank­tio­niert wer­den. Sonst kommt es zu die­ser fa­ta­len Ein­stel­lung: Die ma­chen doch eh was sie wol­len. Zu: Na, ist doch eh al­les so kor­rupt und ka­putt da ist doch eh schon al­les egal. Nein, das duer­fen wir nicht zu­las­sen.

    (Aber Saet­ze las­sen sich dann fin­den, da wird ei­nem ja an­ders:
    von Alt­haus z.B. »Das Gut­ach­ten er­ge­be, »dass ich Schuld tra­ge. Das be­la­stet mich. Ich tra­ge schwer dar­an«.« http://www.zeit.de/online/2009/17/althaus-pk-meldung#comments – Viel­leicht soll­te je­mand ein­mal ei­ne Dis­ser­ta­ti­on da­zu ver­fas­sen: »Falsch­heit im oef­fent­li­chen Raum – Was Po­li­ti­ker­spra­che ver­deckend ent­birgt« oder so..)

  48. @Gregor – #55
    Was für lä­cher­li­che Fi­gu­ren da in den Uni­ver­si­tä­ten hocken – Duck­mäu­ser und Angst­ha­sen.

    Wä­re es nicht fast schon na­iv das Ge­gen­teil an­zu­neh­men (mir kom­men Uni­ver­si­tä­ten bis­wei­len so vor als wä­ren sie nichts an­de­res als An­samm­lun­gen selt­sam­ster Men­schen)?