Im ersten markanten Text im neuen »Übermedien«-Portal von Stefan Niggemeier und Boris Rosencranz widmet sich Niggemeier der Frage, ob die Herkunft von Straftätern von Medien genannt werden soll oder nicht. Leser von Niggemeiers Blog werden wenig überrascht sein, dass er auf Artikel 12.1. des »Pressekodex« des Deutschen Journalisten Verbands (DJV) rekurriert, in dem es heißt, das in »der Berichterstattung über Straftaten … die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt [werden soll], wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.« Niggemeier stellt dieser (Selbst-)Quantifizierung die Forderung von Politikern gegenüber, die Nationalität bei Straftaten in Meldung anzugeben. Wie nicht anders zu erwarten, kritisiert er diese Forderung.
Merkwürdig, dass am 8. Januar der Vorsitzende des DJV, Frank Überall, dem deutschen Innenminister De Maizière eine Desinformationspolitik in Bezug auf die Nationalität der Angreifer der Silvesternacht in Köln vorwarf. Abgesehen davon, dass De Maizière gar nicht für die Kölner Polizei zuständig ist (was einem Journalisten bekannt sein könnte), wirft der Journalistenfunktionär der Polizei vor nicht das Recht zu haben, die Information über die Nationalität(en) zu verschweigen: »Alle Fakten gehören auf den Tisch, und zwar so schnell wie möglich.« Weiter schreibt Überall dann: »Es wäre dann die Aufgabe der Journalisten, damit verantwortlich umzugehen.«
Niggemeier ignoriert diese Stellungnahme. Entweder kennt er sie nicht oder er misst ihr keine große Bedeutung bei. Letzteres wäre falsch, weil sie das Feld tangiert, dessen er sich verschrieben hat: Medienkritik. Überall sagt nichts anderes als das (scheinbar) brisante (oder, wie Niggemeier suggeriert, unwichtige) Informationen über die Nationalität von Straftätern eine Art Herrschaftswissen des Journalisten darstellt, welches sozusagen exklusiv nur diesen zur weiteren Verfügung steht. Diesen allein obliegt nun die Entscheidung zu treffen, ob die Information relevant ist oder nicht. Der Medienrezipient wäre auf Gedeih und Verderb dem Gusto des Journalisten ausgeliefert.
Aber was wäre gewesen, wenn die Polizei in ihrem Bericht offensiv mit dem Faktum der Nationalität umgegangen bzw. darüber Mutmaßungen angestellt hätte? Was würde geschehen, wenn sich nach Befragung von Opfern und Augenzeugen herausstellen würde, dass der erste Eindruck in einer Pressemitteilung falsch gewesen wäre? Die gleichen Journalisten, die sich um die Türhüterfunktion ihres Berufs sorgen und rückhaltlose Exklusivinformationen für sich fordern, hätten mit Verve die Polizei als vorurteilsbehaftet oder gar fremdenfeindlich eingestuft.
Statt Medienkritik zu üben, arbeitet sich Niggemeier – wie üblich – an Figuren wie Udo Ulfkotte ab oder leugnet (auch daran hat sich nichts geändert) die fortschreitende politische Korrektheit in Medien. Medenkritik in diesem Zusammenhang könnte zum Beispiel auch eine Recherche nach den Handlungs- bzw. Dienstanweisungen der Politik der Polizei gegenüber über das Verfassen von Pressemitteilungen sein. Medienkritik könnte die Diskrepanz zwischen einem hehren (aber täglich tausendfach gebrochenen) Pressekodex und den Forderungen des DJV nach vollkommener Transparenz aufzeigen. Medienkritik könnte herausarbeiten, wann die Nationalität von Straftätern Relevanz besitzt und wann nicht (darum drückt sich Niggemeier).
Natürlich ist dieser relativierende Paternalismus gut gemeint. Wie kontraproduktiv allerdings der Versuch, Rechtspopulisten und Rechtsradikalen nicht in die Hände spielen zu wollen ist, zeigt dieser Aufsatz von Heiko Heinisch prägnant. Ob man einen solchen Text auf »Übermedien« auch einmal finden wird?
Auch wenn ich dem Heinisch-Text in weiten Teilen zustimme: Seine Behauptung, das Verhalten der Medien spiele den Rechtsradikalen in die Hände, ist erstmal auch nur eine solche. Belegt hat er sie nicht.
Naja, wenn man sich die Wahlergebnisse in den Ländern anschaut, in denen sehr restriktive Informationspolitik betrieben wurde, zeigt sich immerhin, dass die politische Radikalisierung – freundlich ausgedrückt – nicht aufgehalten wurde. Außerdem ist ein absichtsvolles Verschweigen – egal von wem – immer der Nährboden für Verschwörungstheorien, sobald bruchstückhaft Informationen nach außen dringen. Sehr gut konnte man das an der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien in D in Bezug auf die Ukraine-/Russland-Krise erkennen. Entdeckte und nicht mehr wegzuleugnende Fehler von Journalisten werden ganz schnell pars pro toto genommen.
Im übrigen halte ich es für abgeschmackt, wenn sich durch nichts legitimierte Journalisten veranlasst sehen, die Meinung entsprechend ihren Vorlieben steuern zu können.
Naja, wenn man sich die Wahlergebnisse in den Ländern anschaut, in denen sehr restriktive Informationspolitik betrieben wurde, zeigt sich immerhin, dass die politische Radikalisierung – freundlich ausgedrückt – nicht aufgehalten wurde.
Korrelation oder Kausalität? Wie sind denn die Wahlergebnisse in Ländern, in denen keine restriktive Informationspolitik betrieben wird (man sagt, in Ungarn oder Russland sei das so)?
Aber worüber reden wir denn überhaupt? Es scheint mir unzweifelhaft zu sein, dass die Nationalität nur genannt werden sollte, wenn sie eine Rolle spielt. (Das gilt auch für die Haarfarbe, die sexuelle Orientierung, die Schulbildung ...) Es scheint mir auch unzweifelhaft zu sein, dass manche Redaktionen das nicht hinkriegen. Wenn aber einzelne Redaktionen nicht erkennen, welche Information wichtig ist – sollte man nicht daran arbeiten, anstatt Informationsmüll zu verbreiten?
Großbritannien, Niederlande, Schweden und Dänemark sind Länder, in denen zum Teil drastische (mediale) Diskriminierungsverbote aufgestellt wurden. (Ein Buch nennt Schweden das »Saudi Arabien der political correctness«.) Das Resultat ist bekannt: rechtspopulistische bis ‑radikale Parteien gewinnen dort erheblich an Zulauf.
(Die osteuropäischen EU-Staaten nehme ich von solchen Beobachtungen aus. Sie haben kaum 20 Jahre Erfahrungen mit demokratischen Prozessen. Ihre Ressentiments resultieren noch aus der Furcht, wieder fremdbestimmt zu werden. Jemand wie Andrzej Stasiuk schlug sogar vor, Länder wie Polen aus der EU herauszunehmen und eine eigene osteuropäische Union zu gründen, in der Anpassungsprozesse an eine supranationale Einheit vorgenommen werden können. Russland war noch nie eine Demokratie.)
Definieren Sie bitte einmal was »daran arbeiten« konkret bedeutet. Sich von allen Vorwürfen reinwaschen, wie Herr Nitsche dies für »ARD aktuell« macht? Sich entschuldigen, wie das ZDF – und dann zur Tagesordnung übergehen?
Der entscheidende Punkt ist heutzutage immer mehr, welche Nachrichten den Trichter verlassen und welche nicht. In den öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen habe ich beispielsweise nirgendwo die Information vernommen, dass ein ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts der Bundesregierung schwerwiegendes Versagen vorwirft; ein anderer wird noch deutlicher. Die Meldung müsste natürlich diskutiert werden, beispielsweise dahingehend. welche Begründungen di Fabio und Papier vorbringen (die sonst bei jeder Gelegenheit zitiert werden). Aber wenn die Meldungen nicht einmal publiziert werden, kann das nur bedeuten, dass man sich der Diskussion verweigert. Prompt liefert man damit denen Munition, die man eigentlich entwaffnen müsste.
Rechtsradikale Parteien haben seit langen Zulauf, auch in den genannten Ländern. Der entscheidende Punkt war dabei die Euro-Rettung, nicht der Pressekodex.
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Nochmal: Ich habe, glaube ich, schon zum Ausdruck gebracht, dass ich es für falsch halte, wenn wesentliche Merkmale einer Tat nicht genannt werden. Aber für entscheidend halte ich es nicht.
Auch Ihr Kommentar ist nur eine Behauptung. Belassen wir es also dabei.